Mit der Dram�die „Vier kriegen ein Kind“ hat sich die ARD Degeto erfreulich weit aus dem Fenster gelehnt. Ein schwules und ein lesbisches P�rchen streiten um dasselbe (noch nicht geborene) Baby. Autor Volker Krappen lotet M�glichkeiten des Zusammenlebens ernsthaft aus: N�he, Freundschaft und die gemeinsame Liebe zum Kind – darum geht es in dem Film von Matthias Steurer. Bei aller Wahrhaftigkeit der verhandelten Gef�hle kommt aber auch die Ironie, die vor allem die lebensnahen, mit stimmigen Viten ausgestatteten Charaktere ins vielschichtige Spiel bringen, nicht zu kurz. Au�erdem sind die Vier gro�artig besetzt!
Foto: Degeto / Marion von der MehdenTraum vom Regenbogenfamiliengl�ck... Kempter, Hecke, Hosemann und N�the
Wenn Beziehungsarbeit „Vier“-Gef�hl hei�t
Der Reproduktionsmedizin sei Dank: Neele und Steff, ein lesbisches Ehepaar, bekommen ein Baby und sind �bergl�cklich. Doch als sich herausstellt, dass der Erzeuger durch eine Verwechslung nicht der angeheuerte Samenspender ist, sondern Kalle, der sich mit seinem Mann Jens auch schon riesig auf den Nachwuchs freut, haben beide Paare ein Problem. W�hrend die M�nner von einer WG zu viert tr�umen, verfahren die Frauen nach dem Grundsatz „teile und herrsche“. Vor allem die �u�erst dominante Neele m�chte die M�nner ausbooten. Dagegen findet die schwangere Steff die Jungs ganz brauchbar; ihr imponiert besonders die gro�e Empfindsamkeit, die Kalle an den Tag legt. Das wiederum zieht Sympathisierungsvorw�rfe von Seiten Neeles nach sich – was Steff nicht gut aush�lt; auch deshalb, weil ihre Mutter auf ihre Schwangerschaft anders reagiert als erhofft. Und dann kann sich pl�tzlich Kalle nicht mehr vorstellen, dass die „kaltherzige“ Neele sein Kind mit aufziehen soll. Schlie�lich aber l�sst die Liebe zum gemeinsamen Kind die Streith�hne weiter an ihrem „Vier“-Gef�hl arbeiten – bis das Schicksal pl�tzlich einen ganz anderen Plan verfolgt...
Foto: Degeto / Marion von der Mehden"Darf ich mal die Hand drauf legen?" Kalle (N�the) darf. Auch wenn das die coole Neele (Hecke) f�r ziemlich �berfl�ssig h�lt. Steff (Kempter) und Ben (Hosemann)
Soundtrack: Della Reese ("Come On-A-My House"), Danja Atari: 97 ("Get Up On That Horse"), Robbie Williams ("Minnie The Moocher")
Liebenswerter Reigen menschlicher Mentalit�ten
Mit der Degeto-Dram�die „Vier kriegen ein Kind“ hat sich die ehemalige ARD-R�hrst�ck-Fabrik �berraschend weit aus dem Fenster gelehnt. Das ist umso erfreulicher, als es sich bei dem Film von Matthias Steurer nach dem vielschichtigen Buch von Volker Krappen weder um eine Alibi-Produktion handelt, wie die Massierung gesellschaftlich relevanter Themen im Freitagsfilm seit Februar 2015 zeigt, noch um einen Fernsehfilm, der seine Themen dramaturgisch verharmlost. Und das f�ngt bei den vier Charakteren an, die so konzentriert wie selten im ARD-Freitagsfilm die Angelpunkte der Handlung bilden. Da ist die intellektuelle Germanistik-Professorin, die gute Gr�nde hat f�r ihren Kontrollzwang und die Zeit braucht, um sich zu �ffnen. Da ist die sensible „Mutti“ mit gro�em Harmoniebed�rfnis und zunehmenden Stimmungsschwankungen. Da ist Ben, der kluge, abgekl�rte Makler, der es versteht zu leben und sich locker zu machen. Und da ist der �beraus gef�hlvolle „Vater“, der in Glaubensfragen und beim menschlichen Umgang miteinander keine Kompromisse eingehen mag. Das gl�ckliche H�ndchen bei der Figurenzeichnung setzt sich bei der Besetzung fort: Christina Hecke, Friederike Kempter, Marc Hosemann, Christian N�the – jedem der vier nimmt man seine Rolle ab. Braucht es anfangs noch einiger plakativer Schwulen-Signale, verdichtet sich die Handlung im Verlauf zu einem Reigen der Mentalit�ten, bei dem sich Gender-Spezifik und sexuelle Pr�ferenzen nicht st�ndig in den Vordergrund schieben m�ssen.
Foto: Degeto / Marion von der MehdenAls ob es einem der Staat nicht schon schwer genug macht. Die Babysache macht auch die Beziehung von Steff (Kempter) und Neele (Christina Hecke) nicht leichter.
Pl�tzlich macht sich die Schwangere Gedanken:
Steff: „Ist es nicht doch so, dass in der fr�hkindli-chen Entwicklung maskuline Identifikationsfiguren wichtig sind? Bisweilen sogar aggressive, sportive Rollenmuster? Ebenso wie auch besonders M�dchen f�r die Ausbildung ihres Selbstbewusstseins die Dings... die m�nnliche Best�tigung ben�tigen?“
Neele: „Spinnst du?!“
Steff: „Nein! Sag doch, ist es nicht so?!“
Neele: „Nein! Schnecke, wir waren uns doch einig, dass es sich dabei um m�nnerspezifisch gef�rbte Vorstellungen handelt. Und im �brigen, wenn’s darum geht: die beiden sind ja wohl keine richtigen M�nner.“
Steff: „Hast du was gegen Schwule?“
Neele: „Du wei�t genau, wie ich das meine.“
Steff: „Ne, wei� ich nicht. Die beiden interessieren sich f�r Fu�ball und schlagen gerne W�nde ein – das d�rfte doch wohl auf ein gewisses m�nnliches Po-tenzial hindeuten.“
Foto: Degeto / Marion von der MehdenVerbr�derung & Verschwisterung oder Bestehen auf das eigene kleine Gl�ck? "Vier kriegen ein Kind" erz�hlt mehr als ein kom�diantisches Was-w�re-wenn-Szenario.
Ironie, Freundschaft und die Liebe zum Kind
„Vier kriegen ein Kind“ entwickelt mehr als das �bliche Was-w�re-wenn-Szenario zahlreicher TV-Kom�dien. Indem Autor Krappen M�glichkeiten des Zusammenlebens ernstzunehmend auslotet, zielt diese Geschichte tiefer: N�he, Freundschaft und die gemeinsame Liebe zum Kind – darum geht es in dem Film, dessen beil�ufige Schluss-Botschaft „Liebe ist doch das Einzige auf der Welt, das sich vermehrt, wenn man es teilt“ ausgerechnet von der verkopften Professorin vorgebracht wird. Wer allerdings glaubt, alle vier taumeln r�hrselig dem Happy End entgegen, sieht sich get�uscht. Bei aller Authentizit�t der verhandelten Gef�hle und bei aller Wahrhaftigkeit, mit der die Vision vom Vierer-Gender-Pack verfolgt wird – das Schlussbild ironisiert auch wieder ein St�ck weit diesen Entwurf und setzt dieses Gedankenspiel vom „Vierfach geliebt h�lt besser“ in den Konjunktiv. So wie man als Zuschauer auch nie ganz vor der Ironie der Protagonisten gefeit ist. F�r Am�sement ist also auch gesorgt – zwischen Babywunsch und Ehekrisen. Entsprechend Laune bereiten vor allem die Dialoge. Aber auch die �beraus interessanten Informationen zum deutschen Familienrecht werden einigerma�en unaufdringlich – ganz ohne Experten – integriert in die Handlung, die die vier Protagonisten im �brigen noch vor eine schwierige Pr�fung stellt. Daf�r muss Heckes spr�de Professorin bisweilen etwas bem�ht ihre Intellektualit�t ausstellen (beispielsweise Blochs Sentenz „Etwas fehlt“) – was Marc Hosemanns alltagsnahe Ironie des aufgekl�rten Gro�st�dters doppelt herausrei�t. Hecke/Kempter geh�rt die eindringlichste Szene des Films, die vom Gef�hl/Verstand-Dilemma des Frauen-Paares getragen wird und die dramaturgisch genau diesen Gegensatz spiegelt, der Dilemma aber zugleich auch Teil ihrer Liebe ist.
"Vier kriegen ein Kind" ist eine Produktion von Krebs & Krappen (Produzentin: Claudia Krebs). Weitere Top-Produktionen der Firma sind "Woran dein Herz h�ngt" (2009) "Eine halbe Ewigkeit" (2012) und "Kleine Schiffe" (2013).
Fazit: „Vier kriegen ein Kind“ ist nicht einfach nur eine unaufdringlich locker inszenierte Kom�die �ber eine Regenbogenfamilie in freudiger Erwartung. Es ist zugleich ein Film, der sich durchaus ernsthaft und dramaturgisch klug mit diesem Thema befasst, es tiefgr�ndig und zugleich nonchalant auslotet und dabei bestens unterh�lt. Ein sch�ner Nebeneffekt w�re es, wenn der Film durch die Normalit�t, wie er von gleichgeschlechtlicher Liebe – allerdings fast ohne Sex – erz�hlt, quasi im Vorbeigehen auch m�gliche Vorurteile abbauen k�nnte gegen�ber schwulen und lesbischen Paaren, die sich ein Kind w�nschen. (Text-Stand: 9.2.2014)
Foto: Degeto / Marion von der MehdenWenn Vier sich k�mmern, kann das manchmal auch zu viel des Guten sein oder?!
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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