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Dienstag, 23. April 2024

Wirkungsvolle Möglichkeiten, zum Gemeindedienst beizutragen

Gemeinnützige Arbeit bereichert die Gesellschaft, fördert die Solidarität und bewirkt eine positive Veränderung. Beim Gemeindedienst geht es darum, das Leben der Menschen und den Planeten zu verändern, sei es durch Umwelt-, Bildungs- oder Sozialprogramme. Diese Dienste können das Leben verändern, indem sie anderen helfen, die Umwelt verbessern oder Menschen zusammenbringen. 

Gemeinnützige Aktionen können große Auswirkungen haben, wie die strategischen Spiele im https://casino.netbet.com/de/. Mit diesen sieben großartigen Optionen für gemeinnützige Arbeit können Sie Ihre Gemeinschaft bereichern. Gemeindedienst erinnert uns an die Kraft kollektiven Handelns und den Einfluss, den wir haben können, wenn wir in einer Welt, die sich auf individuelle Leistungen konzentriert, für das Gemeinwohl zusammenarbeiten.

Bildquelle: NJIT

Organisieren Sie eine Lebensmittelsammlung

Lebensmittelspendenaktionen sind eine unkomplizierte Methode zur Unterstützung Ihrer Gemeinde. Arbeiten Sie mit örtlichen Lebensmittelbanken zusammen, um den Bedarf der Gemeinde zu ermitteln und die Produkte zu priorisieren. Richten Sie in Schulen, Unternehmen und Gemeindezentren Sammelstellen ein, damit die Aktion Spaß macht und es kleine Anreize für große Spenden gibt. Auf diese Weise können Sie die Hungernden ernähren und das Bewusstsein für die lokale Lebensmittelarmut fördern. 

Starten Sie ein lokales Recyclingprogramm

Recycling ist gut für die Umwelt und die Bildung. Diese Initiative erfordert Vorbereitung und Koordination mit den örtlichen Abfallwirtschaftsbehörden, hat aber langfristige Vorteile für die Umwelt. Dies geschieht, um das Recycling zu fördern und bequeme Recyclingstationen einzurichten. Um die Nachhaltigkeit zu fördern, sollten Sie Workshops oder Seminare darüber veranstalten, wie recycelte Materialien in neue Gegenstände umgewandelt werden.

Gründen Sie einen Gemeinschaftsgarten

Ein Gemeinschaftsgarten ist eine großartige Möglichkeit zur Verschönerung und Versorgung mit frischen Früchten. Bitten Sie um Sponsoren für die Einrichtung und beteiligen Sie die Gemeindemitglieder an der Bepflanzung und Pflege. Richten Sie einen Bereich des Gartens für Kinder ein, damit sie etwas über Pflanzen, Anbau und gutes Essen lernen.

Säubern Sie die Nachbarschaft

Eine organisierte Nachbarschaftssäuberung kann die Attraktivität Ihrer Gemeinde erhöhen. Ermutigen Sie die Gemeinschaft, sich an der Säuberung der örtlichen Parks, Straßen und Strände zu beteiligen. Dadurch wird die Region gesäubert und die Bewohner sind stolz auf ihr Eigentum. Veranstalten Sie anschließend ein Gemeinschaftsessen oder eine Feier. 

Veranstalten Sie Blutspende-Camps

Da ständig Blutspenden benötigt werden, kann ein Blutspende-Camp für die Gemeinde von Nutzen sein. Arbeiten Sie mit dem Roten Kreuz zusammen, um die Blutspendeaktionen zu planen und durchzuführen. Dieses Programm rettet Leben und verbindet die Gemeinde.

Starten Sie eine Nachbarschaftswache

Gründen Sie eine Nachbarschaftswache, um die Sicherheit in der Gemeinde zu verbessern. Helfen Sie den örtlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Erstellung eines Programms, der Rekrutierung von Freiwilligen und der Planung von Treffen. Dies schreckt vor Verbrechen ab und stärkt die Gemeinschaft, da sich die Nachbarn gegenseitig schützen.

Geben Sie armen Kindern warme Kleidung

Die freiwillige Teilnahme an Aktionen wie der Operation Warm, bei der Kinder neue Jacken erhalten, ist eine rührende Art, Ihrer Gemeinde zu helfen. Sie können Spendensammlungen oder Mantelspendenaktionen organisieren und die Jacken persönlich an unzählige Kinder verteilen. Dieses Projekt stärkt die Gemeinschaft und hilft der Jugend.

Gemeindedienst geht über das Spenden hinaus und baut gemeinschaftliche Beziehungen auf. Diese Dienstprojekte bieten einzigartige Möglichkeiten, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen und sie zu verbessern. Gemeindedienste verbreiten Freude und Solidarität, indem sie die Umwelt schützen, die öffentliche Gesundheit fördern oder jemanden glücklich machen. 

Denken Sie daran, dass der Schlüssel zu einer erfolgreichen gemeinnützigen Initiative darin besteht, die Bedürfnisse Ihrer Gemeinde zu erkennen, mit den Einwohnern in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten. Sie können Ihrer Gemeinde helfen, ihre Probleme zu lösen und Zusammenarbeit und Respekt zu fördern, indem Sie sich ehrenamtlich für diese Zwecke einsetzen. Gemeindedienst ist eine Gelegenheit, die Welt in einem Mikrokosmos zu sehen, von ihr zu lernen und sie zu verbessern.

Montag, 22. April 2024

12-Punkte-Planwirtschaft: Gimme more!

Christian Lindner und zwei Mitarbeitende der FDP-Zentrale präsentierten den Grobentwurf des Deutschland-Planes in Berlin.

Sechs ganze Wochen vergingen ohne Punkte-Plan, sechs Wochen schwebte das Land in einem Zustand der Ungewissheit. Fast neun Monate waren vergangen, seit Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner bei ihrer historischen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg Nägel mit Köpfen gemacht, alte Zöpfe abgeschnitten und einen 10-Punkte-Plan für den Wirtschaftsstandort Deutschland vorgestellt hatten, der "angesichts der Konjunkturflaute in Deutschland Impulse für mehr Wirtschaftswachstum" (SZ) gab.  

Nachhall des Wummses

Ein Wumms, der nachhallte, ein Wumms, wie ihn das Land lange nicht mehr gesehen hatte, denn seit dem 12-Punkte-Plan für gleichwertige Lebensverhältnisse von 2019 schlichen sich mehr und mehr Chaos und Beliebigkeit auch in die Bundespunkteplanwirtschaft ein: Früher waren Zehn-Punkte-Pläne stets das probate Mittel jedes anständigen Politiker gewesen, um drängende Probleme auf die lange Bank zu schieben, sich Beinfreiheit im Wahlkampf zu erarbeiten und den Eindruck zu erwecken, man habe erkannt, verstanden und Handlungsbereitschaft hergestellt. Seit Seehofers Tabubruch aber bröckelten auch hier die Gewissheiten. Es hagelte 12, 13-, 14- und 26-Punkte-Pläne. Selbst die SPD, eine Traditionspartei, brach mit der urdeutschen Sitte: War Helmut Kohl für ganz Deutschland noch mit zehn Punkten ausgekommen, beanspruchte die ehemalige Arbeiterpartei allein für den abgehängten, mit der Sozialdemokratie fremdelnden Osten deren zwölf. 

Weniger konnte die FDP nun auch nicht bieten, um die Ampel-Konkurrenz zu übertrumpfen, die mit Blick auf den 1. Jahrestag des 10-Punkte-Planes von Meseberg bereits im März einen Zehn-Punkte-Wirtschaftsplan für eine Stärkung der deutschen Wirtschaft vorgelegt hatte. Die Liberalen, in diesen tagen auf Abschiedstournee durch die Bundespolitik, beließen es allerdings demonstrativ bei zwölf Punkten, ein Plus zum Plan von 20 Prozent, aber weit weg von jenen 17 Punkten, mit denen die völkerfeindliche Pegida-Bewegung einst einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller EU-Mitgliedsstaaten, schnelle Abschiebungen und eine bessere Integration gefordert hatte. 

Verunglimpft als Wirtschaftswende-Konzept

Dennoch ist das von der koalitionsinternen Opposition reflexhaft als "Wirtschaftswende-Konzept" titulierte Papier überaus ambitioniert: Wie immer geht es um jene "Offensive" (Olaf Scholz), die das darbende, taumelnde, zweifelnde Land auf den Weg bringen soll, wieder zu wachsen. Wie immer besteht die Reha-Kur aus einer Mischung bekannter Rezepte: Härtere Sanktionen,. längere Lebensarbeitszeit, raus aus der sozialen Hängematte für über 63-Jährige, die Forderung danach, EU-Vorgaben und Richtlinien möglichst trickreich zu umgehen, Soziallleistungen abzuschmelzen und die Erneuerbaren Energien dem freien Spiel der Marktkräfte auszusetzen.

Ein Deutschland-Plan, der sogar auf einige der in Trainingsplänen für Wirtschaftswachsende eigentlich üblichen Leibesübungen verzichtet. Es fehlen die steuerlichen Maßnahmen, die stets in Aussicht gestellt werden, damit Investitionen getätigt und nicht aufgeschoben werden, es gibt keinen Hinweis auf einen geplanten Abbau von Bürokratie, offene Arme für mehr Fachkräfte aus dem Ausland oder noch schneller beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Im politischen Berlin sind diese Fehlstellen das mit Verwunderung aufgenommen worden, ausgerechnet bei den Worthülsen und Sprechblasen, auf die sich alle Koalitionspartner leicht hätten einigen könne, so kommentieren Kenner der Ampel-Kriege, verzichte der kleine Partner darauf, die anderen mitzunehmen.

Natürlich, viele Vorhaben der Fortschrittskoalition "sind bereits auf dem Weg", wie die "Tagesschau" schon vor Monaten festgestellt hat. zwar hält die "aktuelle Abkühlung der Konjunktur" nun schon seit anderthalb Jahren an, trotz schrumpfender Wirtschaftsleistung aber ist es der Bundesregierung gelungen, das gefürchtete Wort R-Wort weitgehend aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Ersatzhalber hatte die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) rechtzeitig beruhigende Ersatzbegriffe wie "schwächeln", Konjunkturknick" und "Stagnation" bereitgestellt, mit deren Hilfe sich der Rückgang des Bruttoinlandproduktes wegerklären lässt. Vor allem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist es zudem zu verdanken, dass die prekäre wirtschaftspolitische Lage als Segen empfunden wird: Das Weltklima dankt für jede Stunde Kurzarbeit, jede Entlassung und jede Firma, die sich aus dem Wirtschaftskreislauf zurückzieht, und sei es nur, indem sie im Ausland produziert.

Rückgang ist nur "weniger dynamisches Wachstum"

Finanzminister Christian Lindner hatte dem mutigen Ausstiegskurs im vergangenen Jahr seine Zustimmung gegeben. Mit dem Satz "wir nehmen ernst, dass Deutschland weniger dynamisch wächst als andere" hatte er den Rückgang des BIP in einen moralischen Zusammenhang gestellt: Schrumpfen war nun "weniger dynamisch wachsen", ein Vorgang, der ernst genommen wird, aber keinen Grund gibt, panisch zu werden. Noch sei "Substanz" da, so Lindner, noch tüftle die Regierung am "Wachstumschancengesetz" (WCG, BWHF) mit zahllosen "Anreizen" und Prämien für alle, die guten Glaubens sind und bereit, mitzumachen. 

Mitte März verpuffte der tröstende Effekt des WCG. Mitte April nun zieht der Vizekanzler mit Blick auf den anstehenden FDP-Parteitag andere Seiten auf. Strafen wollen die Liberalen nun überall dort, wo Menschen nicht mitziehen, Leistungen vollständig streichen, Grundgesetz hin oder her, und wer im Alter noch kann, soll weiterwerkeln, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Die EU, die ihren gigantischen Apparat beschäftigt halten muss und deshalb Woche für Woche neue Auflagen, Regeln und Richtlinien produziert, solle künftig nicht mehr ernst genommen werden. Deren Lieferkettengesetz lasse sich mit einigen wenigen einfachen Tricks umgehen. Zudem zeige die Geschichte, dass die EU zwar häufig gegen vertragsbrüchige Mitgliedsstaaten klage - allein derzeit laufen mehrere hundert Verfahren. Doch selbst in den wenigen Fällen, in denen es zu einer Verurteilung komme, bestehe die Strafe nur aus einer symbolischen Geldbuße, die letztlich aber noch niemals von einem Mitgliedsland gezahlt worden sei.

EU verliert den Bauernkrieg: Hofknicks vor dem Mistgabelmob

Die EU knickt vor der mächtigen Bauernlobby ein und gestattet dem motorisierten Mistgabelmob ein weiterwirtschaften nach Gutsherrenart.

Jacke wie Hose, aber das Hemd näher als der Rock. Monatelang gab es von Brüssel und Straßburg aus gesehen keine andere Chance, die Welt vor dem Klima zu retten als festere Zügel für die ausufernde Landwirtschaft, versehen mit strengen Regeln für Bauern, die ihre Höfe immer noch nicht schließen wollten. Dem "motorisierten Mistgabelmob" (Spiegel), der im Februar daranging, die gesamte Republik zu destabilisieren, konnte nicht nachgegeben werden, sollten künftige Generationen noch eine Zukunft haben. Jeder kleine Finger, den Kommission und EU-Parlament den Landwirten gereicht hätten, wäre zu einer ganzen Hand geworden, fest im Griff der Traktor-Anarchie.

Eine Lageanalyse von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl

Rückzieher vor den Schicksalswahlen

Svenja Prantl ist selbst Lebensmittelnutzerin.
In solchen Augenblicken, das wissen sie nirgendwo besser als in den europäischen Hauptstädten, gilt es Ruhe zu bewahren und erst einmal Zeit vergehen zu lassen. Unnachgiebig nach außen, unter Vier aber und mit Blick auf die anstehenden Schicksalswahlen zum EU-Parlament durchaus bereit, dort nachzuschärfen, wo mit "Zugeständnissen an die Landwirtschaft" (DPA) öffentlich etwas zu gewinnen sein könnte. So wird es jetzt auch gemacht: In einem "Eilverfahren" werden über Jahre hinweg von einer gesamteuropäischen Bürokratie erdachte und in langwierigen Entscheidungsprozessen auf allen EU-Ebenen beschlossene neue Umweltauflagen und weiter ausufernde Kontrollen rückabgewickelt. 

Eine neue Europa-Geschwindigkeit, ungewohnt rasant, wenn auch nur beim Tempo der Ankündigungen. Seit den ersten Signalen aufs Land, dass die EU-Kommission bereit sei, einzuknicken, sind fast drei Monate vergangen. Inzwischen steht als Zeitpunkt für die Abstimmung über den Vollzug der Rückabwicklung von Klima- und Umweltschutzauflagen das Ende des Monats, die letzte Gelegenheit, bei der das Parlament bis zu den EU-Wahlen im Juni noch einmal zusammenkommt.

Ohne sachliche Begründung

Sachlich begründet werden die plötzlichen Lockerungen nicht, aufgrund der drängenden Zeit verzichtet das Parlament auch darauf, die von der EU-Kommission ohne Erläuterung der Notwendigkeit vorgeschlagenen Ausnahmen von Umweltauflagen und Kontrollen wie sonst üblich in allerlei Ausschussberatungen zu drehen und zu wenden. Die Macht der Straße reicht auf einmal vollkommen aus, die Abläufe in Brüssel und Straßburg zu beschleunigen, den Klimaschutz abzuwickeln und die dringend notwendigen Kontrollen der Behörden vor Ort in den Ställen aufzuheben. Weder sollen die von EU-Experten erdachten Vorgaben zur Fruchtfolge strikter beaufsichtigt werden noch wird wie geplant dafür gesorgt, dass ein vorgeschriebener Anteil an jedem Meter Ackerland brach liegen bliebt.

Das Klima verliert, die Profitgier der zumeist konservativ ausgerichteten Bauern siegt. Verheerend für die Zukunft der Welt, verheerend aber vor allem für das europäische Gemeinwesen. Das Signal, das die Vorschläge der EU-Kommission und das umstandslose Einknicken des Parlaments aussendet, ist kaum misszuverstehen: Wer nur laut genug schreit, große Maschinen zur Verfügung hat, um Straßen und Kreuzungen zu blockieren, und mit Hilfe seiner Lobbyverbände direkt auf Abgeordnete einwirken kann, für den ist die lange als heilige Kuh der Union geltende Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nur Knetmasse, sind der welthistorisch einmalige Green Deal, die Next Generation EU, die große Transformation und die Biodiversität ein Spielzeug, keine verpflichtende Aufgabe.

Gefährlicher Präzedenzfall

Die Aufgabe der ursprünglich geplanten festeren Zügel für Landwirte zugunsten einer "nötigen Flexibilität" wird künftig zweifelsfrei neue Klimaereignisse wie Dürren und Überschwemmungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hitzesommer und geopolitische Krisen provozieren. Die andere Seite der Medaille aber ist, dass Rat und Parlament mit ihrem Einknicken vor den Interessen der Betriebe einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen: Künftig wird jeder Lobbyverein behaupten, seine Mitglieder müssten erst erwirtschaften, was die neuen Umweltauflagen kosten, jede Industriebranche wird die eigene Wirtschaftlichkeit gegen Umweltmaßnahmen in Stellung bringen und damit drohen, dass Arbeitsplätze wegfallen, wenn ihre kurzfristigen Profitinteressen nicht über die Notwendigkeiten für das Überleben der Menschheit gestellt würde.

Ein Bärendienst, den die EU den Bürgerinnen und Bürgern da leistet, die geglaubt und gehofft hatten, dass es kein Nachgeben infragekommt, wo die Existenz aller auf dem Spiel steht.

Sonntag, 21. April 2024

Knauserige Linkspartei: Abschied vom Reichtum

Neue Reize: Statt Reichtum verspricht die Linke im EU-Wahlkampf nur noch kostenlose Fahrkarten.

Es ging um einen "Systemwechsel hin zum demokratischen Sozialismus", um das Ende des Kapitalismus, die Einführung umfassender Gerechtigkeit und die Durchsetzung gleichheitsschaffender Maßnahmen. Diesmal aber ohne die Fehler, die frühere kommunistische Systeme gemacht hatten. Statt mit Zwangsmaßnahmen wollte die deutsche Linke die Menschen diesmal zu freiwilligem Mittun am Aufbau des Sozialismus werben.

Jeder sollte Milliardär

"Reichtum für alle" versprach sie, jeder sollte im neuen Reich der sozialen Gerechtigkeit Millionär oder Milliardär werden dürfen und bleiben können, ohne sich schämen zu müssen "Damit es im Land gerecht zugeht", begründete der Parteivorsitzende Gregor Gysi die umfassendste Wohlstandszusage, die je eine deutsche Partei den Bürgerinnen und Bürgern gemacht hatte.

Einlösen konnte die Linke ihr Versprechen allerdings bisher nicht. Zu wenig Wähler gingen auf das Angebot ein, zu wenige hörte nicht auf die Einflüsterungen der Konzernmedien, die sich nach Kräften mühten, Zweifel an der Erreichbarkeit des Zieles zu schüren. Natürlich, die Linke kämpfte weiter. Doch zusehends auf verlorenem Posten. Die Bewegung stritt und spaltete sich schließlich. Abtrünnige hausieren derzeit mit Parolen, die Spaltung, Leistungsbereitschaft und Abschottung predigen. 

Wurzeln im Kaderapparat

Und auch was übriggeblieben ist von der echten Linken, die ihre Wurzeln im Kaderapparat der DDR-Staatspartei SED hat, verrät nun offenbar die wahren Werte der Linken: Statt "Reichtum für alle" anzubieten, verspricht die Spitzenkandidatin der Linkspartei zur EU-Wahl gerade mal noch "kostenlosen ÖPNV für alle statt Privatjets für wenige". Der öffentliche Nahverkehr werde dank der Linken "Jahr für Jahr immer günstiger und langfristig komplett kostenfrei". 

Konkret geht es zudem nicht nur um die Abschaffung von Privatjets, sondern um die jeder Art von privatem Fortbewegungsmittel: Gleichzeitig werde die Linke, sobald sie regiere, "so viel wie nur möglich in den Ausbau von Bus und Bahn" investieren, "damit auf dem Land alle eine sinnvolle Anbindung bekommen und in den Städten niemand mehr auf ein eigenes Auto angewiesen ist".

In Racketes Himmelreich

Für Carola Rackete, die dank zahlreicher Fernreisen auf der Welt schon alles gesehen hat, eine naheliegende Forderung. Für Millionen, die sich noch an ein Leben ohne eigenes Auto, auf Gedeih und Verderb angewiesen auf Bus und Bahn erinnern, eine Einladung zum Aufbruch in ein Land, das es schon einmal gab. Statt "Reichtum für alle" locken in Racketes Himmelreich Gratisfahrten für Schichtarbeiter und Pendler plus Flixbussitz für die Ferienfahrt. 

Knauserige Zusagen, deren Durchschlagskraft an der Wahlurne sich erst noch erweisen muss. Werden Wählerinnen und Wähler wirklich bereit sein, sich ihr Kreuz für einen Fahrschein abhandeln zu lassen? Oder werden sie angesichts der früheren Versprechen aus der Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus nicht wenigstens 500.000 oder 100.000 Euro pro Kopf fordern?

Die magische Steinmeier-Formel: Wir gewinnt

Die magische Steinmeier-Formel: Aus der "Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns erwächst politische Kraft", wenn das "unser Wir einer vielfältigen Gesellschaft" neu erkennt, "was sie verbindet".

Wie hat er das nur wieder auch noch geschafft. Mitten in der Zeitenwende, beständig unterwegs als Friedensstifter, Vermittler und Verbinder, hat Bundespräsident Walter Steinmeier dennoch einen Moment gefunden, ein neues Buch zu schreiben: Nach "Mein Deutschland - Wofür ich stehe", "Flugschreiber: Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten", "Ja, wir sind verwundbar" und "Es lebe unsere Demokratie" widmet sich "Wir" dem titelgebenden Nationalgefühl. Kollektive Wärme. Der Wunsch nach geistiger Enge. Zusammenrücken als Bürgerpflicht. Sein Buch, sagt der Bundespräsident selbst, sei ein "Plädoyer dafür, den Staat nicht prinzipiell als Feind zu sehen", denn "gerade eine moderne Gesellschaft braucht einheitsstiftende Institutionen."

Mutige Worte von einem, der es weiß

Mutige Worte in Zeiten, in denen das Vertrauen der Politik in die Bevölkerung bröckelt, in denen der Verfassungsschutz sehr viel genauer hinschauen muss und selbst eine fein ziselierte Landschaft aus Meldeportalen, neuen Meinungsfreiheitsschutzbehörden und erweiterten Verstoßrichtlinien nicht ausreicht, die ursprünglich geplante Zahl von 250.000 digitalen Hassverdachtsfällen zu liefern. Überall Querdenker, Hetzer, Hasser, Zweifler, Skeptiker und Abweichler. 

Höchste Zeit, diesen allen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mein Staat als Freund und Geliebte. Ganz nah ist Steinmeier da beim ehemaligen CDU-Politiker Thomas de Maiziere, der deutlich gemacht hatte, dass es keine Bereiche geben dürfe, "auf die der Staat keinen Einfluss hat". Dabei hat er doch in der Pandemie gezeigt, dass er unveräußerliche Freiheiten nur einschränkt, wenn er es für nötig hält. Und die starke Hand der Staatsbürokratie, die das galant auf dem Verordnungsweg erledigt, unbedingten Gehorsam wertschätzt, indem sie Grundrechte auch zurückerstattet, wenn es nicht mehr anders geht.

Der unbequeme Geist

Steinmeier, ein unbequemer Geist, der sich in der "Tagesschau"-Hauptausgabe schon einmal selbst begeistert zuschaut und zuhört, wurde nach seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur als Schneeeule der Arbeiterbewegung, als Luftballonverkäufer und "Teflonpfanne" verhöhnt. Dennoch wurde er als erster verurteilter Verfassungsbrecher Bundespräsident - und das gleich zweimal.

So einem gehört der gute und liebende Staat nicht allein, "aber der Staat gehört dazu", sagt der frühere Sozialdemokrat, der seine Parteimitgliedschaft symbolisch ruhen lässt, um auf den 142 Seiten seiner Hymne an das "Wir" überparteilich fragen zu können: "Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wer sind wir – und wer können wir sein?" Elf Jahre nach der "Wir"-Wahlkampagne seiner Partei knüpft der 69-Jährige im Suhrkamp-Bändchen an die Parolen von damals an. Das "Wir" gewinnt, wenn es den Gleichschritt lernt und die Dankbarkeit dafür, dass das Wir über allem schwebt und nach bedingungsloser Gleichheit strebt. 

Die Menschen, die die SPD damals ansprach, einfache Leute aus der arbeitenden Mitte, die sich nach Betreuung und Fürsorge sehnten, sind heute die, die den neuen Steinmeier lesen sollen, um etwas über den 75. Geburtstag des Grundgesetzes und den 35. des Mauerfalls zu lernen, zwei historische Ereignisse, die wegen "internationaler Krisen und Aufgaben der wirtschaftlichen Transformation nicht mit ruhiger Selbstzufriedenheit" gefeiert werden können. Worte wie Donnerhall. "Unsere Gesellschaft" (Steinmeier), stehe "unter Stress, das Vertrauen in die Politik leidet, der Ton wird schärfer, Populisten stellen die liberale Demokratie infrage".

Tief beeindruckte Leser

Da ist er aber immer noch. Ehe sein Büchlein ganz vorn in den Bahnhofsbuchhandlungen und draußen an den Zeitungsbüdchen der Republik auftaucht, sind die ersten Leser tief beeindruckt. "Nur 142 Seiten, die jedoch entwickeln eine verblüffende Wucht", lobt die Augsburger Allgemeine. Die "Zeit" sieht ein Wert, "sie alle zu therapieren" und der Kölner Stadtanzeiger, der die eigenen Reihen gerade säubert, liest den Aufruf zu einem  "neuen Patriotismus" aus dem "eindringlichen Plädoyer des Bundespräsidenten für mehr Zusammenhalt und für den Mut, zu handeln" (Verlagswerbung). 

Dass ihm einzelne durchaus namhafte Adressen auch vorwerfen, eine gefühlte "westdeutsche kulturelle und historische Hegemonie" fortzuschreiben, bestätigt die Diagnose des zwölften Bundespräsidenten nur in seinem Entschluss, sich in dieser kritischen Zeit mit einer Erinnerung an "Wegmarken und Erfahrungen, die Deutschland in 75 Jahren geprägt haben" zu Wort zu melden und "unangenehme Wahrheiten, vor allem aber die Stärken des Landes" zu beleuchten.

All die gebrochenen Versprechen

Ja, viele haben das Gefühl, dass nichts mehr funktioniert wie früher. Ja, selbst Wohlwollende kommen nicht umhin, dem Verfall des Wohlstandes entsetzt zuzuschauen. Infrastrukturapokalypse. Regierungsstreit. Überall diese Fragen: Wo sind die Fachkräfte hin? Die Milliarden und Abermilliarden? Die Tatkraft?  Die gebrochenen Versprechen? Steinmeier, der in Kürze selbst in ein neugebautes Provisorium ziehen muss, weil sein eigenes Schloss einer Grundsanierung unterzogen werden muss, fungiert in seinem Essay als Gefühlserklärer der Nation, die keine sein möchte. Niemand spürt wie er, wie die Lage ist. Wer sie zu verantworten hat. Und warum.

Walter Steinmeier wirbt hier mutig für die Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns, aus dem politische Kraft erwächst, für den Mut, sich ehrlich zu machen und bei der führenden Rolle der Bedeutung bei der Durchsetzung der Beschlüsse aufzustehen, statt sich wegzuducken. "Unser Wir ist das einer vielfältigen Gesellschaft geworden, die neu erkennen muss, was sie verbindet", legt der frühere Geheimdienstkoordinator den Finger in die Wunde. Die magische Steinmeier-Formel: Aus der "Anstrengung gemeinschaftlichen Handelns erwächst politische Kraft", wenn das "unser Wir einer vielfältigen Gesellschaft" neu erkennt, "was sie verbindet".

Samstag, 20. April 2024

Zitate zur Zeit: Er hat dann die Haare schön

Das OLG Hamm jedenfalls verwies in seiner Urteilsbegründung 2006 darauf, dass es sich bei dem Satz "Alles für Deutschland" um die Losung der SA handele, "wie allgemein bekannt ist".

Sieht es das Landgericht in Halle genauso, droht Höcke eine Freiheitsstrafe zwischen einem Monat und drei Jahren oder eine Gelstrafe von bis zu 360 Tagessätzen.

So ist es in Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs geregelt. 

Das SPD-Parteiorgan "Vorwärts" erklärt das Höcke-Zitat und die absehbaren Folgen

Schonungslose Umfrage: So glücklich macht uns die EU

Über den gesamten Zeitraum sehen die Zahlen nicht gut aus. Das ZDF hat deshalb bei der Berichterstattung des Cuttermesser angesetzt, so dass die Mainzer Grafiken nun ein besseres Ergebnis zeigen können.

Niemand sonst wollte es machen, viel zu über waren die Aussichten. Wer heutzutage daran geht, die Meinung der EU-Europäer zu ihrem Superstaat aus 27 Einzelinteressenregierungen zu erfragen, darf sich relativ sicher sein, dass er Mühe haben wird, dass alle Bemühungen um ein sogenanntes "stärkeres Europa" delegitimierende Desaster nicht einmal mehr von der ZDF-Meisterwerkstatt für mediale Manipulation (MMM) in Grafiken gepresst bekommen wird, die den Spaß am gemeinsamen Europa-Erlebnis betonen.  

Unbemerkt von der Öffentlichkeit

Auch die "letzte Umfrage vor der Wahl" (ZDF) musste die EU also selbst durchführen lassen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit widmete das "Eurobarometer" des Europäischen Parlaments eine ganze "Sonderausgabe" seines monatlichen Newsletters den erfragten Daten dazu "was die Bürger vom Europaparlament halten", wie das ZDF einen Monat später seine Zusammenfassung überschreibt. Sparsames Europa: Wie die "Sonderausgabe" bedeutete, dass es vom monatlichen "Eurobarometer" für den März keinen regulären Newsletter geben wird, bedeutet "Eurobarometer" auch, dass die Leitmedien in geübter Weise alles weglassen, was über "toll", "pure Liebe", "positiv" und "freue mich" hinausgeht.

Kaum verwunderlich, denn selbst das ZDF hat spürbar große Mühe, aus den apokalyptischen Zahlen, die das Eurobarometer sicherlich auch nicht ungewichtet zusammengestellt hat, eine Jubelarie zu stricken. Die damit betraute Luisa Billmayer müht sich, die Grafikabteilung der MMM gibt alles. Doch um das "Image des Europäischen Parlaments besser denn je" aussehen zu lassen, muss der Grafikausschnitt, den die EU selbst geliefert hat, schon kräftig mit dem Cuttermesser bearbeitet werden. Die ARD stand hier Pate mit ihrer Lobpreisung auf die fallenden Erzeugerpreise, einem Werk, aus dem alle relevaten Informationen entfernt worden waren.

Die Studie bezieht sich auf den Zeitraum 2007 bis 2023. 2008 meinten in der gesamten EU noch 48 Prozent der Befragten, dass das Europaparlament bei ihnen ein "total positives" Image genieße. Heute sind es nur noch 45 Prozent, in Deutschland fiel der Wert sogar von 49 auf 41 - weshalb das ZDF seine Datenerzählung in den Jahren der Finanzkrise beginnt, als es noch schlimmer war.

Ein herbeifantasiertes Steigen

Ein organisiertes Steigen, das die Ergebnisse des Eurobarometers bewusst und gezielt verfälscht, indem es sie auszugsweise darstellt. Obwohl die Studie zum Meinungsbild der Europäer allein schon fragwürdig ist, weil hier ein Auftraggeber über sich selbst Erkundigungen einziehen lässt, fühlt sich der Gemeinsinnsender aus Mainz noch bemüßigt, das größte teildemokratisch zusammengewählte Parlament der Welt besser dastehen zu lassen, als dessen Agitatoren es aufgrund der zusammengefragten Zahlen vermochten. 

Was den Mainzern nicht passt, wird weggelassen. Was nicht gefällt, wird relativiert. Was nicht dienen kann, muss draußen blieben. Und wo die EU wirklich mal eine vergleichsweise gute Figur macht, wird das nicht erwähnt, weil der Umstand, dass das Vertrauen der Menschen in die Demokratie in Deutschland noch weitaus schneller fällt als in der EU den zuständigen Propagandisten wohl als zu wenig aufmunternd erschien.

Der Zweck heiligt die Mittel

Was wirklich in der Unterlage steht, spielt keine Rolle. Zu trübe sind die Nachrichten, zu traurig das Ergebnis von so vielen Jahren des Versuchs, den Europäern einzureden, all die Regel und Richtlinien, in undurchsichtigen Hinterzimmerverhandlungen ausgewürfelt von Leuten, die dort auftauchen wie Kai aus der Kiste, unbekannt und ungewählt, seien das Gelbe vom Ei, sind offenkundig gescheitert. Nur noch 36 Prozent der EU-Europäer haben ein positives Bild vom EU-Parlament, im Vergleich zu 2021 sind mit nur noch 54 Prozent fast zehn Prozent weniger der Meinung, das EU-Parlament sei wichtig. In Deutschland stürzte der Wert gar von irrationalen 72 Prozent um knapp 20 Prozent auf nur noch 53.

Der Rest ist nicht besser. Nur eine Minderheit verbindet die EU mit positiven Erwartungen, obwohl eine Mehrheit immerhin glaubt, dass die Mitgliedschaft für ihr Heimatland positive Folgen hat. Nur eine Minderheit ist der Ansicht, dass ihre Stimme in der EU zählt, und nur 50 Prozent trauen den weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Vorgängen im EU-Parlament - positiv ist hier nur, dass die EU-Europäer ihren nationalen Parlamenten noch viel weniger trauen. 

Wunderbares Europa-Gefühl

Das sind verstörende Zahlen, aus denen sich kein wunderbares Europa-Gefühl zaubern lässt wie damals aus dem Friedensnobelpreis, den zu erringen seitdem keinem anderen Kontinent gelang. Das ZDF spart sich die Übermittlung der bösen Botschaften von skeptischen EU-Insassen, fehlendem Vertrauen und wachsenden Zweifeln an Sinn, Zweck und Art der Durchführung des Unternehmens. Viel lieber verbreiten sie Nachrichten, die zweifellos von einem anderen Kontinent auf einem anderen Planeten in einer anderen Galaxie kommen. Die Deutschen etwa - samt ihrer Nachbarn ohne deutschen Pass - bewegten derzeit am meisten Themen wie "Demokratie und Rechtsstaat" und "Zukunft Europas", heißt es. Erst danach folge "Migration und Asyl". 

Eine tiefe Spaltung in der EU, denn außerhalb der deutschen Grenze gehe es oft um soziale Themen wie "Armut bekämpfen" und "Gesundheitswesen", auch "Wirtschaft und Arbeitsplätze" sind im EU-Raum insgesamt wichtiger als in Deutschland, wo die Bundesregierung für all diese Dinge verlässlich sorgt. "Das Ergebnis lässt vermuten, dass die Menschen in Deutschland mit der sozialen Gerechtigkeit, dem Gesundheitssystem und der Wirtschaft insgesamt zufriedener sind als der Rest der EU." Verständlich, denn welche so grundversorgt wird, der lebt mit sich selbst im Reinen.


Freitag, 19. April 2024

Bürgerrat gegen Billigstrom: Steigender Sinkflug

Eingelöste Wahlversprechen: Mit dem richtigen Zeitausschnitt gelang es dem ZDF zuletzt, einen drastischen Rückgang bei den Strompreisen nachzuweisen.

Man weiß es nicht genau. Ist teuer gut? Oder wäre billiger besser? Zum Jahrestag des deutschen Atomausstieges ist ein Streit zwischen den Fachpolitiker der Bundesregierung, den Redaktionen des Gemeinsinnfunks und oppositionellen Kritikern etwa aus dem Sachverständigenrat und Wirtschaftsverbänden. Die Gesellschaft zeigt sich ein weiteres Mal gespalten, in den Jubel über Robert Habecks Erfolgsmeldung, dass der "Strompreis auch nach dem Atomausstieg gefallen" sei, wollen nicht alle einstimmen. Stattdessen werden Zweifel daran geschürt, dass Wind und Sonne keine Rechnung schicken.

Gefühlter Sinkflug

Während das ZDF "Strompreise im Sinkflug - trotz Atomausstieges" ermitteln konnte und die gelernte Sozialarbeiterin Britta Haßelmann mit grüner Expertise errechnete, dass die Bilanz ein Jahr nach dem Atomausstieg "klar positiv" sei, weil "alle Zahlen zeigen: Die Strompreise sind gesunken und die Versorgung sicher und verlässlich", quengeln andere über eine "Tendenz nach oben", Belastungen für arme Haushalte und absehbar noch weiter steigende Preise. Nur weil Strom immer noch so teuer ist wie kaum irgendwo sonst auf der Welt und der Industriestrompreis weiterhin ein Versprechen, von dem so wenig die Rede ist wie vom Klimageld für die Bürgerinnen und Bürger, seien Zweifel am richtigen Kurs nicht angebracht.
 
Betrachte man nur den Zeitraum vom Höhepunkt der Energiekrise bis heute und nur den Preis für neu abgeschlossene Verträge, dann gebe es keine hohen Preise. "Auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Herbst 2022 lag dieser Preis bei bis zu 70 Cent pro Kilowattstunde", hat die ZDF-Meisterwerkstatt für mediale Manipulation ermittelt. Derzeit seien es "im Schnitt 26,1 Cent beim günstigsten Anbieter".

Mehr als nur ein kleines Wunder

Das ist der Preis, den die Deutschen im Durchschnitt vor zwölf Jahren bezahlten - also mehr als nur ein kleines Wunder. Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, dem deutschen Ausstieg aus russischem Erdgas und Kernenergie und dem Beginn der Transformation des Landeds zu einer rundum elektrisch angetriebenen Volkswirtschaft hatten die Preise für Elektroenergie bei über 29 Cent pro kWh gelegen, damals nach Berechnungen der Süddeutschen Zeitung "ein Rekordhoch". 
 
Mittlerweile zahlen Haushalte, die weniger als 2.500 Kilowattstunden verbrauchen, im Durchschnitt 45,36 Cent pro Kilowattstunde - deshalb dürfen nach einem Beschluss des Wächterrats Medienfreiheit beim Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin werden aktuell bei Siegesmeldungen über hohe Preise ausschließlich Neukundenverträge betrachtet.

Wächterrat Medienfreiheit

Was aber ist dieser Wächterrat Medienfreiheit, abgekürzt WRM, eigentlich genau? Nun, dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um einen der neuen Bürgerräte, die als Ergänzung und Erweiterung des umfangreichen Bundesbeauftragtenwesens (BBW) für ein sicheres Strompreiserlebnis ohne "Debatten ohne Schaum vor dem Mund" sorgen sollen, wie es Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, formuliert hat. Im WRM sind zufällig ausgewählte Menschen versammelt, die ihre Erlebnisse schildern, keinen Hehl aus ihrer Zufriedenheit mit den erreichten Fortschritten machen und zudem frei heraus Empfehlungen für eine klimaneutrale Zukunft aussprechen sollen.
 
Eine der ersten war der Vorschlag, Strom günstig zu machen, ohne ihn billig zu verramschen. Zu geringe Energiepreise, wie sie sich die USA, China oder Kanada leisten, aber auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten, die im Durchschnitt bei knapp 32 Cent pro Kilowattstunde liegen, gefährdeten das Klima, weil sie zum Überverbrauch einlüden. Wie die Bundesregierung setzt auch der WRM nicht auf ein ausgeweitetes Angebot, um die Preise zu drücken, auf den Wegfall von Steuern und Abgaben, die den Großteil der Energiepreise ausmachen, oder auf die Fortführung der Preisbremsen. Sondern auf Gewöhnungseffekte in der Bevölkerung, flankiert mit tröstendem Zuspruch.
 
Die Nachricht, dass das Vergleichsportal Verivox ermittelt habe, dass der Strompreis heute "fast acht Cent" niedriger liege "als noch vor genau einem Jahr", helfe den Menschen, indem es all denen Erleichterung verspreche, die bereit seien, sich klaglos mit dem neuen Preisniveau abzufinden. Zudem helfe es, die Akzeptanz für die anstehenden unerlässlichen Investitionen in den Rückbau der fossilen Infrastruktur und den Aufbau neuer, zukunftszugewandten Netze zu erhöhen.


Höcke-Festspiele: Ein Mann, ein Wort

Mit seiner Nazi-Parole weitaus erfolgreicher auf Schlagzeilenfang als Scholz, Habeck und Baerbock: Der in Thüringen lebende westdeutsche Regionalpolitiker Björn Höcke, vom Künstler Kümram mit Pastellfarben als "Der Zündler" (Bildtitel) gemalt.

Es dauerte immerhin 60 Jahre bis zur Tat und 61 bis zum Urteil. Dann aber stellte OLG Hamm ein für allemal klar, dass mancher Satz mehr ist als die Summer seiner Teile. Mochte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auch in einem Beitrag über einen SPD-Kanzler gelobt haben, der Mann tue "alles für D-Wort", mochte auch der Fußballer Kevin Kuranyi behauptet haben, dass es gar nicht darauf ankomme, mit wem man zusammenspielt, wenn man "alles für D-Wort" gebe.  

Nach 60 Jahren

Am 1. Februar 2006 jedenfalls war es so weit: Ein Jugendrichter am Amtsgericht im westfälischen Hamm hatte geurteilt, dass die Verwendung des Satzes bei öffentlichen Veranstaltungen einen strafbaren Verstoß gegen § 86a StGB darstellt. Nun stellte das OLG Hamm fest: Ja, mit der Zusammenfügung dreier vermeintlich argloser Worte entsteht ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation, die zwar bereits mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 2. September 1945 aufgelöst worden war. Seitdem aber weiterwirkt und nun endlich Anlass ist für den Prozess des Jahres. 

Ein Provinzpolitiker ohne Amt und ohne jede Aussicht hat, eines zu erlangen. Und eine Straftat, auf die im äußersten Fall drei Jahre Haft stehen, die hier aber allenfalls mit einer Geldstrafe abgetan werden wird - wenn es der Staatsanwaltschaft gelingt, Beweise dafür vorzulegen, dass der mutmaßliche Täter wusste, was er bisher bestreitet gewusst zu haben: Dass der Satz nicht nur eine SA-Parole war. Sondern seit der Verabschiedung einer neuen deutschen Verfassung durch den Parlamentarischen Rat im Jahr 1949 als verfassungsfeindliches Kennzeichen gilt.

Braune Lederschuhe

Es ist ein Auflauf wie bei O.J.Simpson, Donald Trump oder Gil Ofarim. Alle sind sie da, von nah und fern herbeigeeilt wie zu einer Klimakonferenz, um den "hellblauen Schlips" (Focus) des "Angeklagten" (Spiegel), seine "braunen Lederschuhe" (sic!!!) und sein "merkwürdiges, fast aufreizendes Lächeln" zu beschreiben. Es kommt zu Verspätungen, diesmal nicht wegen der Bahn, mit der die Korrespondenten aus aller Welt angereist sind, sondern wegen des Andrangs. "Deutschland gegen Björn Höcke" (Die Zeit), das ist noch besser als die Böll'sche RAF-Heldensaga im "Spiegel" von 1972 mit dem Titel "6 gegen 60 Millionen".

Aber freies Geleit gibt es diesmal nur medial. Jeder will den Deliquenten noch einmal sehen, bevor er für immer hinter eisernen Gardinen verschwindet. Jeder will noch einmal die "unverkennbare Taktik" (FR) entdecken, mit der die Anwälte von "Deutschlands wohl prominentesten Rechtsextremen" schon die Verlesung der Anklage verzögern, mit der der Rechtsstaat zeigt, dass er noch da ist, wenn es um die wirklich großen, bedeutenden Dinge geht.

Mit welcher geheimen Absicht? Um den Prozess bis nach Höckes Machtergreifung zu verschleppen? Noch niemals habe er so etwas erlebt, soll der Anklagevertreter geschimpft haben. Offenbar hat man den Prozess, der wegen seiner überragenden Bedeutung ohne erstinstanzliche Verhandlung vom Amts- ans Landgericht verwiesen worden war, einem Berufsanfänger anvertraut.

Halbe Anklage fällt

Alle anderen aber sind alte Hasen. Aus einer Anklage, die sich auch mit einiger Anstrengung nicht in mehr als fünf Minuten vorlesen lässt, nach dem zweite Anklagepunkt der Verwendung von zwei Dritteln der SA-Parole vor dem Frühstück noch schnell fallengelassen worden war, werden medial wahre Höcke-Festspiele. Der aus dem Westen in den Osten geflüchtete Gymnasiallehrer ist von den großen  und kleinen Blättern wahrlich nicht schlecht verwöhnt worden in den vergangenen Jahren. 

Was immer er gesagt, getan oder nicht getan hat, es machte die Runde und ihn immer berüchtigter und berühmter. Das hier nun, ein Auftritt im Hochsicherheitssaal, vor den Augen der Weltpresse, in einem Verfahren mit einem Strafrahmen von Geldstrafe bis zu drei Jahren Haft, falls bei Höcke doch noch Vorstrafen auftauchen, übertrifft alles. Höcke-Hysterie! Höcke-Festspiele! Live-Ticker aus der Warteschlange vor dem Gerichtsaal. Eil-Meldungen: Es ist Mittagspause im Verfahren. Was für ein Geschenk in einem Wahlkampf, den der 52-Jährige ohnehin als verfolgte Unschuld vom Lande führt. 

Nur geschlagen vom Iran

Wirklich: Höcke liefert sich ein Kopf an Kopf-Rennen mit dem Iran, und er musste sich dem Mullah-Regime, das sich müht, den Dritten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, nur ganz knapp geschlagen geben. Scholz in China, Habeck in der Ukraine, Baerbock im ZDF - alle hat er sich hinter sich gelassen mit seinem strafbaren Verstoß gegen § 86a StGB, bei dem das Portal anwalt.de darauf hinweist, dass "natürlich der Zusammenhang berücksichtigt werden" müsse, "da eine einfache Wortfolge schwerlich unter Strafe gestellt werden kann". Der Angeklagte im Fall aus Hamm war Mitglied einer nationalsozialistisch gesinnten Gruppe mit der Bezeichnung "Kameradschaft I", er hatte bei einer Veranstaltung des "rechten Spektrums zahlreiche Gruppierungen der Gesellschaft, u.a. Zigeuner, Juden, Neger, Homosexuelle" verächtlich gemacht und seine Rede mit dem Ausruf "Alles für Deutschland" beendet und, als Sahnehäubchen, eine 16-Jährige mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

"Rechtsschaffender Bürger"

Ein "nicht hinnehmbares Verhalten", befand das Jugendgericht, denn das Mädchen habe "ihm keinerlei Anlass gegeben hatte, derart massiv gegen sie vorzugehen". Zugunsten des Angeklagten hingegen sei berücksichtigt worden, "dass es sich lediglich um einen einzigen Satz handelt, den der Angeklagte ausgesprochen hat und der die Strafbarkeit beinhaltet", zudem sei "dieser Satz nur von Gleichgesinnten gehört" worden, "so dass eine schädliche Beeinflussung rechtsschaffener Bürger (im Original) offenbar nicht stattfinden konnte". 

War die Gefahr bei Höcke gegeben? Welche für und gegen ihn sprechenden Umstände wird das Gericht in den kommenden Verhandlungswochen zutage fördern können? Welche Beweise hat die Staatsanwaltschaft? Gibt es Unterlagen, in denen Höcke die Parole notiert hat? Bücher, in denen sie vorkommt und die er gelesen zu haben nicht leugnen kann? Hat er Filme gesehen, sein  nationalsozialistischen Gedankengut vielleicht sogar in Probereden aufgezeichnet? Was sagt seine Suchhistorie bei Google, was Zeugen aus seinem Umfeld? Wird er selbst weiter leugnen? Oder schließlich Einsicht zeigen wie Gil Ofarim und gestehen? Verliert er das aktive und das passive Wahlrecht? Oder beides?

Drei weitere Prozesstage sind bereits angesetzt. Allem Anschein nach aber wird das nicht reichen.

Donnerstag, 18. April 2024

Grüne Kanzlersuche: Das letzte Aufgebot

Robert Habeck Kümram in Öl zwölf Prozent übrig
Mit seiner Ofenplastik "Breit, wenn ihr es seid", dankt der junge Maler Kümram den Grünen für die Cannabis-Einführung.

Vor einer Woche noch hatte er keine Chance, also nutzt er sie. Kaum ein deutscher Politiker hätte drei hochrangige Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung veranlassen können, um einen Wirtschaftsminister, der zur Hälfte seiner Amtszeit keinerlei Erfolge vorweisen kann, und einen Umweltminister, der an allen seiner großen Klimaplänen gescheitert ist, solch ein Bohei zu machen.

In der SZ aber gelang das Kunststück, das Scheitern interessant zu verlaufen. Nur knapp vier Monate nach dem letzten Versuch des Norddeutschen, sich über den "Spiegel" ins Gespräch zu bringen, war er diesmal nicht der einzige Kandidat. Sondern der interessanteste: "Für die einen ist er ein Hoffnungsträger, für die anderen ein Feindbild", raunten die drei Autoren. 

Ablenkung durch Kanzlerkür

Ein erstes Steinchen im Wasser, das nun bis zum Tag der offiziellen Kanzlerkür bei den Grünen immer wieder aufgeblasen werden wird. Nach der Anregung aus München brauchte die übrigen Fanzines nur ein paar Tage, um die Vorgabe zu veredeln.

"Er würde schon wollen. Darf er auch?", redete die "Die Zeit" den Zweiflern in der Partei ins Gewissen. "Habeck rennt Baerbock davon", assistierte das eigentlich auf Interna aus allen Linksparteien eingeschworene Redaktionsnetzwerk D-Wort. Im "Merkur", einem Schwesterblatt der grünen Hauspostille Frankfurter Rundschau, durfte Habeck eine "Basta-Ansage zur Kanzlerkandidatur der Grünen" machen, als die Kampagne drohte, gar keine richtige mehr werden können, weil niemand ansprang. 

"Robert aus der Asche" (Der Spiegel, Dezember 2023) war wieder da, schon wieder. Der Wirtschaftsminister habe "sich im internen Machtkampf offenbar gegen Außenministerin Annalena Baerbock durchgesetzt", orakelte das Magazin. Doch in Hamburg war man spürbar ein wenig eifersüchtig darüber, dass Habeck diesmal die süddeutschen Kollegen bemüht hatte, seine Ambitionen zu unterstreichen. Kategorisch klingt die Absage an den Amtsanspruch des beliebtesten Erklärbären der Deutschen: Er solle es lieber lassen.  Die "aus der Zeit gefallene Ökopartei" brauche keinen Kanzlerkandidaten, denn den Kanzler werde sie sowieso nicht stellen. 

Absturz in den Umfragen

Angeblich sind die Umfragen daran schuld, dass selbst ein wollender und dürfender Habeck vom Einzug in die Kanzlerwaschmaschine ganze Galaxien weit entfernt wäre. Obwohl Olaf Scholz das Kanzleramt aus einer ähnlichen Position heraus erobert hatte - seine SPD lag damals abgeschlagen hinter CDU/CSU und den Grünen - wollte es der Lauf der Welt, dass er zum Amt kam wie die Mutter zum Kinde: Von der eigenen Partei noch als Vorsitzender abgelehnt, führt Scholz nun schon seit mehr als zwei Jahren eine Fortschrittskoalition, die alle Beteiligten einen großen Teil ihrer damaligen Wählerschaft gekostet hat.

Nur die Grünen nicht. Kein Fehler und kein verrücktes Gesetz vermochte die "neue deutsche Volkspartei" (Der Spiegel) zu bremsen, kein Versprecher und kein Versprechen, keine Affäre und keine Zusammenarbeit mit fragwürdigen Familiennetzwerken irritierte die Basis. Musste die Parteiführung sich auch nach und nach von jeder einzelnen konstitutiven Illusion verabschieden, hielt das Wahlvolk der Sonnenblume unbeirrbar die Stange. Sie schluckte Heizungsgesetz, Atomausstieg, Energiepreiskrise und Insolvenzwelle, die LNG-Terminals, Wiederaufrüstung, Waffenexport in Kriegsgebiete und die angekündigten Pläne zum Ausbau der fossilen Infrastruktur. 

Erorion mit Verzögerung

Erst mit langer Verzögerung setzte eine Art Erosion ein. Wie in Zeitlupe blättert der Lack nun auch von der einzigen Ampel-Partei, die bisher vom Regierungschaos profitiert hatte. Dass Habeck pünktlich in dem Augenblick, in dem die Umfragewerte auf den tiefsten Stand seit Juni 2018 rutschen, eine Diskussion über den grünen Kanzlerkandidierenden anstößt, zeugt von einer gewissen Ratlosigkeit. Wie schon 2013, als seiner siegesgewissen Partei die Zweistelligkeit verloren ging, nachdem sie mit dem "Veggie-Day" eine "kleine Veränderung unseres Lebensstils" für alle angekündigt hatte, könnte auch diesmal schon der nächste Stupser reichen.

Vom Höhenflug, der der ehemaligen Ökopartei wie automatisch schließlich auch noch ins Kanzleramt zu verhelfen schien, sind heute schon nur noch magere zwölf Prozent übrig, der eingeschworene Rest von Realitätsverweigerern, die in Ministerien, Behörden, NGOs und nachgelagerten zivilgesellschaftlichen Organisationen arbeiten. Die Mitte aber wendet sich ab, all der Gängelung, Erziehung und Entmündigung nun doch müde. Mit einer Debatte über die Kanzlerkandidatur bei den Grünen emotionalisiert Habeck die zuletzt so sehr auf Wirtschaftszahlen, Wachstumsraten und die desaströsen Ergebnisse von zwei Jahren Ampel fixierte Diskussion. 

Offene Kandidatur hilft

Dass mit Annalena Baerbock, der Anwärterin vom letzten Mal, zumindest theoretisch eine Gegenkandidatin zur Verfügung steht, lässt die Frage nicht vollkommen absurd wirken. Spekulationen können in einer Art gespielter Ernsthaftigkeit angestellt werden: Sollte oder müsste Baerbock Habeck den Vortritt lassen? Weil er ihr doch beim letzten Mal so großzügig die Spitzenkandidatur zugeschoben hatte? Sollen die Mitgliedernden bestimmen? Und wann ist der richtige Zeitpunkt, "um eine Kanzlerkandidatur zu besprechen" (Habeck)? 

Klar ist, dass der plötzlich vom Verlust nicht nur der Regierungsbeteiligung, sondern auch dem  zahlloser Posten bedrohten Partei eine offene Kanzlerkandidatur derzeit mehr hilft als eine Entscheidung für den, der es am Ende schon allein deshalb wird machen müssen, weil die Alternative die Lage zweifellos noch weiter verschlimmern würde. Robert Habeck, nicht nur Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sondern auch ein großer Stratege: "Wir werden alles zur rechten Zeit entscheiden, jetzt steht diese Debatte nicht an", hat er entschieden. 

Habeck weiß, dass er die Diskussion noch häufiger wird brauchen können als die Entscheidung darüber, dass er es den Kanzlerkandidaten gibt.

Radikale Verbrechensreform: Umbau der Dunkelfelder

Notwendige Maßnahmen zur Abwehr der Energiekrise schlugen auf die Kriminalitätszahlen durch. Forscher fordern nun, dieses Dunkelfeld künftig ebenso einzuberechnen wie die klimabedingt steigende Gewaltneigung.

Der Höher-Schock bei der deutschen Kriminalitätsstatistik sitzt auch Tage danach noch tief, die Ratlosigkeit im politischen Berlin ist mit Händen zu greifen. Sind Kriminelle gefährlicher als andere? Gibt es mehr davon, wo viel junge Männer neu zusammenkommen, auf der Flucht vor gefährlichen Verbrechern?  

Oder ist nicht tatsächlich der deutsche Hang, alles in Zahlen erfassen, ordnen und sich selbst zusammengefasst wieder und wieder erzählen zu müssen die Ursache für eine Welle der Verunsicherung angesichts einer vermeintlich "angespannten Sicherheitslage" (Gewerkschaft der Polizei). Einer Welle, von der doch im Grunde fast niemand aus persönlichem Erleben berichten könnte, würde nicht inzwischen jede kleine Messertat, jeder hasserfüllte Hitlergruß und jeder Fall von Brandstiftung breit ausgewalzt und als Bedrohung beschrieben.

Eklatante Erfassungsmängel

Genau, sagt der Stralsunder Verbrechensbeobachter Lars Rahmberg, der an der Ostseeuniversität im dänischen Bornholm kriminalistische Relativierung lehrt. Der 37-jährige studierte Vergehensforscher verweist auf eklatante Mängel in den deutschen Statistiken, die ein sicheres Heimaterlebnis, wie es SPD, CDU und nahezu alle anderen Parteien seit vielen Jahren in Aussicht stellen, kaum mehr möglich machen. "Durch die erratischen Vorgaben des Gesetzgebers bei der Strafbarkeit bleibt die Vergleichbarkeit von Taten auf der Strecke", bemängelt der Experte.

Rahmberg verweist etwa auf die politische Kriminalität, die aus der Erfahrungen früherer Jahre heraus auf dem rechten Auge nicht mehr blind sei, dafür aber unwillig, auch in andere Richtungen zu schauen. "Penibel wird hier die Zahl der an Häuserwände gemalten Hakenkreuze verzeichnet, gezählt werden zudem die Hitlergrüße und sonstige Verstöße gegen die Nutzung von Begriffen aus der Liste der verfassungsfeindlichen Kennzeichen", führt Rahmberg an. 

Fehlende Listen

Da auf der anderen Seite aber keine entsprechenden Listen oder Zeichen existieren, deren öffentliche Vorführung strafbar sei, entstehe eine Unwucht mit zehntausenden von kriminellen Vergehen der einen Seite, denen statistisch keiner Vergehen der anderen entgegenstehen können. "Das erinnert an eine politische Justiz, die in Abhängigkeit von politischen Einflüssen entscheidet", sagt der Forscher. Sie bestrafe Menschen nicht wegen konkreter Straftaten, sondern wegen ihrer Gesinnung. "Politische Opposition wird mit Strafrecht bekämpft, Straftaten der eigenen Gesinnungsleute werden kaschiert."

Lars Rahmberg führt diese Schieflage nur als Beispiel an. "Unsere Welt sähe ganz anders aus, würde der Gesetzgeber sich entschließen, nicht nur Parolen wie ,Alles für D-Wort`, das Horst-Wessel-Lied oder Zeichnungen des Hakenkreuzes, sondern auch totalitaristische Erkennungszeichen wie Hammer und Sichel, die ,Internationale' und den Isis-Finger statistische als Straftaten erfassbar machen." 

Ähnlich verzerrt und unvollständig sei die gesamte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), sagt der Verbrechenswissenschaftler. "Den Angaben mangelt es an gesellschaftlicher Einordnung, weder werden die Auswirkungen der zunehmenden Klimahitze auf das Gewaltgeschehen mitbedacht, noch werden positive Aspekte der Migrationspolitik bei der Betrachtung der steigenden Ausländerkriminalität gegengerechnet."

Im Dunkelfeld der Sparmaßnahmen

Ein Unding, sagt der gebürtige Greifswalder, der während der Pandemie über den Einfluss städtischer Sparmaßnahmen bei der Straßenbeleuchtung auf die Verbrechenshäufigkeit geforscht hat. Seine Doktorarbeit, erschienen unter dem Titel "Impact of urban austerity measures in street lighting on crime rates" im Fachmagazin Crime Scenes Diary (Stockholm, 2023) löste eine Debatte über die Verdunklungsfolgen aus - blieb aber bei deutschen Behörden ohne Auswirkungen auf die statistische Aufarbeitung. "Wir konnten in unserer Studie nachweisen, dass dunkle Straßen und Wege nicht ohne Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl bleiben", erklärt der junge Forscher. Zwar stiegen die Zahlen der Übergriffe nicht an, weil zahlreiche Menschen die abgedunkelten Bereiche gemieden hätten. "Aber was hätte wäre wenn?"

Lars Rahmberg plädiert aus dieser Erkenntnis heraus für einen neuen, aufgeklärten Umgang mit der Kriminalitätsstatistik. Statt plakativ anzuführen, dass 41 Prozent der registrierten Tatverdächtigen in Deutschland 2023 keinen deutschen Pass besessen hätten, könne eine statistische Auswertung nach Tatorten der Gesellschaft weit mehr helfen. 

"Der Umbau der Statistik weg vom Prinzip des Tatverdachts, hin zu einer Grundlage, die Gefahrenorte in den Blick nimmt, lässt für Behörden und Bürger*innende viel mehr Rückschlüsse auf sichere Safe Spaces zu." Die seien derzeit aus den vorgelegten Daten nicht so ohne Weiteres zu ziehen. "Unsere aktuelle PKS sorgt nur für pauschale Klischees bei der Verdachtszuschreibung."

Neue Fürchterlicheit der Lage

Eine Folge, die Jahr für Jahr lähmend wirkt. Sobald die PKS vorgelegt wird, breche in der Regel zuerst eine Debatte um die Fürchterlichkeit der Lage, anschließend aber sofort eine über die Aussagekraft der Statistik aus, hat Rahmberg bemerkt. Obwohl zuletzt deutlich mehr Straftaten erfasst werden konnte, konzentrierte sich die Diskussion nicht auf die große Mehrheit der von angestammten Inländern begangenen Taten, sondern auf die weitaus geringere Zahl der von Touristen und anderen Nicht-Staatsbürger*innen begangenen Verbrechen.

Rahmberg plödiert für eine "radikale Erneuerung der PKS", die künftig verhindern solle, dass jede  Statistik direkt im Anschluss an die offizielle Vorstellung im Beisein der jeweiligen Innenministernden  sofort infrage stellt werde. "Wir müssen die PKS von allen Daten und Zahlen bereinigen, die sie potenziell verzerrbar machen, weil sie ungewichtet einfach da reinfallen." Möglich wäre es etwa, externe Einflüsse relativierend heranzuziehen. "Höhere Außentemperaturen, kältere Büros, dunklere Straßen, modebedingt kürzere Röcke", sagt der Forscher, "all das verkürzt die gesellschaftliche Zündschnur."

Verhinderte Taten gegenrechnen

Der Kriminalforscher schlägt drei Ideen vor, die die Statistik grundlegend entschärfen würden. "Wir könnten Kriminalitätsausgleichstaten mit einberechnen", empfiehlt er etwa. Für jede begangene Straftat gebe es draußen im Land wenigstens eine verhinderte - Rahmberg führt Überwachungskameras, Alarmanlagen und Autos auf, die aus Versehen unverschlossen geblieben und dennoch nicht gestohlen worden seien. "Dieses Dunkelfeld der bisher kaum beachteten nicht-strafbaren Taten sollten wir in künftige Studien mit einbeziehen." Zudem könne die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) durch eine Einordnung in Auswirkungen der zunehmenden Klimaerwärmung erhöht werden. 

"Wir wissen, dass ein Sinken der Außentemperatur unter 12 Grad einen Anstieg von Hasspostings um 12 Prozent bewirkt und jeder Anstieg aus einem sogenannten Wohlfühltemperaturfenster von zwischen 12 und 21 Grad den Hass gleich um 22 Prozent ansteigen lässt." Aus noch größerer Hitze resultiere direkte Gewalt, nicht nur verbalen Art. "Schauen wir nur in den Nahen Osten oder nach Afrika, wo zur Kühlung der Gemüter nicht genug Wasser zur Verfügung steht." 

Immer noch recht sicher

Durch das Lösen von der Fixierung der Kriminalitätslage von den der Polizei bekannt gewordenen Straftaten und Tatverdächtigen verspricht sich der Forscher künftig auch eine bessere Einordnung in die globale Kriminallage. Deutschland stehe zwar weltweit nur für weniger als ein Prozent der angezeigten Fälle, habe aber große Verantwortung, seinem Ruf als eines der sichersten Länder der Welt gerecht zu werden. Übertrieben kriminell wirkende Statistiken hülfen abgesehen von rechten Scharfmachern niemandem, verunsichern aber Milliarden. 

"Gelingt es uns, durch einen neuen Umgang mit Daten, Fakten und Zahlen Statistiken zu erstellen, wie beweisen, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, entsteht ein völlig anderes Kriminalitätsbild", das sich auch international wieder stolz herzeigen ließe.

Mittwoch, 17. April 2024

Smoking Sächsin: Revolution in der Räucherwelt

Das "Ampelräuchermännchen 17 cm Annalena" ist aus einheimischem Laubbaum gefertigt.

Eine erste Bresche in die jahrhundertealte Brandmauer rund um die erzgebirgische Räuchermännl-Kultur schlug natürlich die Kanzlerin. Kaum hatte Angela Merkel das Amt verlassen, das sie so viele Jahre so segensreich geführt hatte, verehrte ihr die Seiffener Schnitzerinnung ein eigenes kleines Monument. Das "Räuchermännchen Räucherfrau Angela Merkel" sieht dem Original täuschend ähnlich, eine mächtigste Frau der Welt in einem Körper aus Holz, die Hände malerisch zur Raute gefaltet und die Augen bei der Betrachtung der Dinge von hinten fest geschlossen.

Interkulturelles Räuchern

Merkel hat es geschafft, doch wie ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Chemnitz jetzt ermittelt hat, ist sie damit die große Ausnahme. Insgesamt, so mussten die an der wissenschaftlichen Erkundung des weltberühmten Teils der dunkeldeutschen Regionalkultur beteiligten Masterstudierenden des Studiengangs Interkulturelle Kommunikation fest, krankt es dem Schnitzwerk aus dem düstersten Teil Sachsens deutlich an Diversität. Abgesehen vom "Ampelräuchermännchen 17 cm Annalena" (oben) gibt es zwar auch den Ampelräuchermann Olaf und den Ampelräuchermann Christian, alle gefertigt aus heimischem Laubbaum. Aber ansonsten nur Bergmänner, Jäger, Lehrer und Winzer. Selbst die angebotenen Ärzte, Angler und Eisenbahner sind durchweg männlich.

Ein Zustand, der kein gutes Licht auf die Kulturhauptstadt des kommenden Jahres, die immer noch unter den Hetzjagden von 2018 leidet. Kurzentschlossen beließen es die "Studierenden" nicht bei der Diagnose fehlender Diversität in der Schnitzkunst - sondern sie erschufen selbst eine Reihe von vielfältigen Räucherfiguren: "The Smoking Chemnitzer:in" - Kulturhauptstadtprojekt entwickelt diverse Räucherfiguren als Gegengewicht zum vorurteilsbeladenen Schnitzhandwerk mit seinem Festhalten an überkommenen Geschlechterrollen.

Topfschnitt und Pluderhose

Und was sind das für imponierende kleine Porträts von Menschen aus dem Chemnitzer Alltag geworden. Eine gähnende "migrantische Pflegekraft" ist unter ihnen und eine Topfschnitt-Person in Pluderhose, die stolz ein Banner der LGBTQIA+-Bewegung hochreckt. Erstmals bekommen damit Menschen anderer  sexueller Orientierung ihren Platz in der Holzkunst: Die Pflegefachfrau, die Musikerin, leicht erkennbar an ihrem knappen Top, dem kurzen Rock und den schweren Boots, eine Professorin und die dicke Queerperson suchen nun nach mutigem Schnitzenden, die dafür sorgen, dass die Figuren nicht in der Schublade verschwinden, sondern vielleicht schon zum Jahresende in so mancher festlich geschmückter Winterfestwohnstube stehen.

Abgesagter Ehrenschutz: Tor zur Hölle von Hetze und Hass

Vermutlich mit KI erstellt: Ein allem Anschein nach gefälschtes EU-Wahlplakat behauptet, dass Deutschlands Wohlstand erneuert werden müsse - und unterstellt damit geschickt, aber nicht-strafbar, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt.

Genau diese Umtriebe waren es wohl, die Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang meinte, als er darauf hinwies, dass die besonders erbitterten Feinde des Rechtsstaates die vom Staat großzügig gewährten Grundrechte als Freiheiten missbraucht, um unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gegen das zu arbeiten, wofür die Demokratie wirklich steht.  

Zweifelhafte Witze

Sie nutzen das "D-Wort", bedienen sich zweifelhafter Witze und berufen sich auf eine vermeintliche Satirefreiheit, sobald die Behörden ihnen auf die Schliche kommen. Alles sei ja nur ironisch übertrieben. Alle Vorwürfe reiner Spaß. Beinharte Beleidigungen müssten als "überspitzt" hingenommen werden, weil das Bundesverfassungsgericht auch sie dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit zugeschlagen habe.

Beispielhaft steht für diese besonders perfide Methode einer Beeinflussung breiter Bevölkerungsschichten steht etwa ein allem Anschein nach gefälschtes Werbeplakat zur EU-Wahl, auf dem vermeintlich harmlos behauptet wird, dass Deutschlands Wohlstand erneuert werden müsse. 

Dahinter aber steckt natürlich eigentlich die Unterstellung, dass nach zweieinhalb Jahren Ampel-Koalition so viel Wohlstand verschwunden sei, dass er nun neu erschaffen werden müsse. Eine Behauptung, die selbstverständlich noch nicht-strafbar ist, aber eben im weitesten Sinne dem unklaren Tat-Dunkelfeld zugeordnet werden muss, dem das Bundesamt für Verfassungsschutz im Herbst 2022 den Namen "ver­fas­sungs­schutz­re­le­van­te De­le­gi­ti­mie­rung des Staa­tes" gegeben hat.

Tatbestand nach Bedarf

Ein Tatbestand, der wenig zu greifen war und sich deshalb eignete, ihn jeweils dort zu entdecken, wo er gerade gebraucht wurde. Anfangs vor allem zur Corona-Bekämpfung gedacht, stieß die Delegitimierung des Staates in die Lücke, die das Bundesverfassungsgericht vor zehn Jahren geschaffen hatte, als es "selbst eine überzogene oder ausfällige Kritik" für "sich genommen noch nicht zur Schmähung" erklärte. Ein Freibrief, mit dem Kritik an der Regierung plötzlich rundheraus erlaubt wäre, nicht mehr nur nicht strafbar, sondern nicht einmal illegal oder nicht erlaubt..

Wie gefährlich das Tor ist, das damit zur Hölle von Hetze und Hass geöffnet wurde, zeigt nun ein aktuelles Urteil der Karlsruher Richter, die der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen ein von der Bundesregierung eingeklagtes Verbot der Wiederholung einer kritischen Äußerung stattgaben. 

Die höchsten deutschen Richter argumentierten dabei, dass Nius-Gründer Julian Reichelt durchaus habe schreiben dürfen, dass Deutschland "in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!)" gezahlt habe. Und er habe das auch mit den Sätzen "Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!" kommentieren dürfen, weil dem Staat "kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz" zukomme. Und der Staat deshalb "grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten" habe. 

Dann eben Delegitimierung

Wer solche Verfassungsrichter hat, ist als Staat in jedem Fall auf sein Bundesamt für Verfassungsschutz angewiesen. Da der Staat sich und seine Organe wegen solcher Urteile nicht mehr direkt verteidigen kann - nach dem Muster des Beschlusses 1 BvR 482/13 aus dem Jahr 2014 dürfte ihm "schäbiges, rechtswidriges und unwürdige Verhalten" vorgeworfen werden, nach 1 BvR 2290/23 muss er eine verkürzte Darstellung seiner Handlungen dulden, selbst wenn die zu einem Missverständnis führen kann. 

Zwar dürften "auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden", ihr Schutz dürfe aber nicht dazu führen, "staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll", schreiben die Richter in ihrer Entscheidung zur Verfassungsbeschwerde des früheren Bild-Chef Reichelt und gegen mehrere Klagen des Entwicklungshilfeministerium.

Ein Aufstand im Irrenhaus, bei dem die 1. Kammer des Ersten Senats des Verfassungsgericht der gerichtlichen "Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung" widerspricht, ohne dass es vorher zu einem Treffen der Verfassungsorgane gekommen war. 

Die Verantwortung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz trägt, wird damit nun noch größer. Wenn sich Gerichte nur noch zum Teil und das Verfassungsgericht gar nicht mehr schützend vor den Staat wirft, muss der Verfassungsschutz dort genau hinsehen, "wo aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird", wie es Thomas Haldenwang. Nicht wenn, sondern schon wo. 

Genau überwachen

Nämlich immer dann, wenn das "für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierende Grundrecht der Meinungsfreiheit", das "aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet" mit anderen Mitteln nicht eingeschränkt werden kann als eben mit der unverhohlenen Drohung, dass Protest der über den "gegen einzelne Maßnahmen hinausgeht" und "das System insgesamt nicht infrage gestellt, sondern komplett ablehnt, ohne dass eine spezifische rechts- oder linksextremistische Ideologie dahintersteckt" genau überwacht wird. Nicht jeder Teilnehmer freilich. Aber möglicherweise doch.

Erzieherisch reicht das nicht, um diskriminierende Werturteile über Entscheidungen des Staates zu unterbinden, auch die Gefahr der Verbreitung gefährlicher Witze und satirischer Lachangriffe vollständig zu unterbinden. Immerhin aber wird ein klares Signal gesetzt, dass die Judikative entscheiden kann, was und so oft sie will. Legislative und Exekutive finden trotzdem einen Weg, "staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kriti" abzuschirmen.