J�rdis Triebel, Natalia W�rner und Edin Hasanovic bilden ein starkes Trio in dem ambitionierten ZDF-Krimidrama „Vermisst in Berlin“ (Gabriela Sperl / Wiedemann & Berg), das auf das Schicksal vermisster minderj�hriger Gefl�chteter aufmerksam machen will. Triebel als Ex-Polizistin, die die Spur eines zehnj�hrigen Jungen verfolgt, der ihr vors Auto lief. Hasanovic als ihr Ex-Kollege und superkorrekter Vorgesetzter. Und W�rner als Ex-Prostituierte und Gangsterbraut, die gleichzeitig Gesch�ftsf�hrerin einer Firma ist, die Fl�chtlingsunterk�nfte betreibt. Interessante Figuren in einer dichten (nicht durchweg �berzeugenden) Story, die von Sherry Hormann spannend inszeniert wurde – aber warum muss es schon wieder ein Krimi sein? „Vermisst in Berlin“ hat ein ehrenwertes Anliegen, aber es bleibt bei der gut gemeinten Perspektive von au�en: Die gefl�chteten Minderj�hrigen bleiben nur Nebenfiguren, ihre Geschichten werden nur angerissen.
Foto: ZDF / Mathias BothorDie beurlaubte Kommissarin Judith Volkmann (Triebel) forscht �ber das Schicksal verschwundener Fl�chtlingskinder und deckt ein Netzwerk an Menschenhandel und Kinderprostitution auf, in das auch Evelyn Kraft (Natalia W�rner) involviert ist.
Die ehemalige Polizistin Judith Volkmann (J�rdis Triebel) kellnert in einem extravaganten Restaurant, wo ein Steak 130 Euro kostet und leicht bekleidete Frauen an der Stange tanzen. Nach einem Abend, an dem sie eine unangenehm laute Gruppe um einen reichen Typen (Neil Malik Abdullah) und seine weibliche Begleitung (Natalia W�rner) bedienen musste, l�uft ihr auf der Heimfahrt ein Junge vors Auto – w�hrend Judith bezeichnender Weise Eva Cassidys „Wayfaring Stranger“ h�rt, einen alten amerikanischen Folksong. Der „weit reisende Fremde“ ist hier ein zehnj�hriges Kind, das sich stumm aufrappelt, nach einer Schrecksekunde davonrennt, Judith, die ihn aufhalten will, in die Hand bei�t und verschwindet. Ein ausl�ndisches Kind, das allein und mit Rucksack durch das n�chtliche Berlin irrt? Judith ist alarmiert, ruft ihren ehemaligen Kollegen Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic) an, der noch im B�ro sitzt und arbeitet, w�hrend eine – m�nnliche! – Putzkraft den Teppichboden saugt. Aber Deniz nimmt das Gespr�ch nicht an. „Wie kann man nur so nachtragend sein?“, beschwert sich Judith auf Band. Sp�ter wird sie kritisieren, dass die Polizei, wenn es sich um ein deutsches Kind gehandelt h�tte, sofort Hundertschaften mobilisiert h�tte. Allerdings tut sie in dieser Nacht auch nichts weiter, als nach Hause zu fahren und sich ins Bett zu legen.
Foto: ZDF / Armin GolisanoSchl�sselszene: Fl�chtlingsjunge Djamal (Lilien Batman) l�uft vor Judith Volkmanns (J�rdis Triebel) Auto. Was macht ein Kind mitten in der Nacht allein auf den Stra�e?
„Von der Ohnmacht auf allen Seiten (…) handelt unsere Geschichte.“
„Vermisst in Berlin“ ist ein spannendes Krimidrama mit einem ehrenwerten, wichtigen Anliegen. Es macht aufmerksam auf das Schicksal tausender minderj�hriger unbegleiteter Fl�chtlinge, deren Ankunft in Deutschland registriert wurde, die aber dann verschwanden und als vermisst gelten. Den meisten von ihnen gehe es vermutlich gut, etwa weil sie zu ihren Familien weitergereist oder bei Freunden untergekommen seien, schreiben die Drehbuchautorinnen Frauke Hunfeld und Silke Zertz in ihrem Presse-Statement. „Gleichzeitig aber sehen wir Jugendliche im Berliner Tiergarten, die sich prostituieren. Jungs, die unter Br�cken schlafen, in der U-Bahn betteln. Jugendliche, die in einschl�gig bekannten Moscheen ein Netzwerk finden. Kinder, die im G�rlitzer Park Drogen verkaufen. Wir erfahren von Menschenhandel in Fl�chtlingsheimen, organisiert durch kriminelle Clans. Wir haben mit Helfern, mit Fl�chtlingen, mit Angeh�rigen, mit Polizisten gesprochen. �ber ihre Hoffnungen, ihre �ngste, ihre Tr�ume, ihre Wut. Von der Ohnmacht auf allen Seiten und von denen, die daraus noch ein Gesch�ft machen, handelt unsere Geschichte.“
Foto: ZDF / Armin GolisanoMotivationshilfe. Judith Volkmann (J�rdis Triebel) �berredet ihren ehemaligen Partner Deniz Kovacevic (Edin Hasanovic), mit ihr im Fall um die verschwundenen Fl�chtlingskinder zu ermitteln. Irgendetwas scheint die Beziehung zu belasten.
Triebel contra W�rner – Duell zweier starker Frauen
Der von Sherry Hormann spannend inszenierte Film wird von zwei starken, interessanten Frauenfiguren und ihren Darstellerinnen Triebel und W�rner getragen. Ziemlich auff�llig wird gleich zu Beginn in den Restaurant-Szenen, in denen sich die kellnernde Ex-Polizistin und die von ihrem reichen Macker offenbar geschlagene Ex-Prostituierte Evelyn Kraft das erste Mal begegnen, eine besondere Verbindung zwischen beiden Frauen angedeutet. Natalia W�rner spielt alles andere als eine Opfer-Figur. Evelyn ist eine selbstbewusste, eigenst�ndige Frau, die sich auch von ihrem aggressiven Liebhaber nicht unterkriegen l�sst. Welchen Gesch�ften der nachgeht, bleibt offen, vermutlich eher keinen legalen. Das Geld nimmt Evelyn gerne, man darf sie wohl eine Gangsterbraut nennen. Dann aber trifft Judith in einer Fl�chtlingsunterkunft �berraschend erneut auf Evelyn, die dort als Gesch�ftsf�hrerin arbeitet, zu den Bewohnern einen guten Draht hat, verschiedene Sprachen spricht und die Z�gel offensichtlich fest in der Hand h�lt. Evelyn versorgt Judith bereitwillig mit Informationen zu dem zehnj�hrigen Djamal (Lilien Batman), der ihr vors Auto lief und seitdem verschwunden ist.
Foto: ZDF / Mathias BothorEin unerwarteter Verb�ndeter: Jan Pollak (Florian Stetter) vom Roten Kreuz. Triebel
Viele Andeutungen, keine Aufkl�rung: Warum schmiss Ex-Polizistin Judith hin?
W�rners und Triebels Pr�senz beeindrucken, hinzu kommt in der starken Besetzung der Hauptrollen Edin Hasanovic, der den jungen Abteilungsleiter beim Landeskriminalamt als superflei�igen und superkorrekten, aber noch etwas unsicheren und deshalb gelegentlich �berreagierenden Vorgesetzten spielt. Deniz, der top integrierte Zuwanderer, ist f�r Judith nun „der deutscheste unter den Deutschen“. W�tend macht ihn aber vor allem, dass er wegen seines Namens in den Augen vieler Deutscher, auch bei der Polizei, immer der „Kanake“ bleiben wird. Dieses insbesondere nach Mesut �zils R�cktritt aus der Fu�ball-Nationalmannschaft 2018 hei� diskutierte Thema kommt in einem emotionalen Dialog zwischen Judith und Deniz zur Sprache, bleibt aber sonst im Hintergrund. Ganz stimmig wirkt die Figurenkonstellation dennoch nicht. Warum sich Judith beurlauben lie� und warum ihr Ex-Kollege Deniz sich von ihr im Stich gelassen f�hlt, bleibt im Dunkeln. Das ist, weil zahlreiche Andeutungen gestreut werden, etwas unbefriedigend. So wirkt dieser Film wie der Auftakt einer weiteren Krimireihe, die aber in diesem Fall wohl gar nicht geplant ist.
Foto: ZDF / Armin GolisanoSehenswerter Zweikampf zweier starker Frauen. J�rdis Triebel & Natalia W�rner
Skizzierte Schicksale von Fl�chtlingsfamilien
Und: J�rdis Triebel als engagierter Ex-Polizistin, die sich mit ihrem abgelaufenen Dienstausweis durchmogelt, heftet man sich zwar gerne an die Fersen. Aber warum muss es schon wieder ein Krimi sein? Weil es das Publikum so gewohnt ist auf dem Sendeplatz des „Fernsehfilms der Woche“? Weil sich das ZDF davon bessere Marktanteile verspricht als von einem Film, in dem mal nicht Ermittler, sondern Gefl�chtete im Mittelpunkt stehen k�nnten? Der Film skizziert durchaus geschickt verschiedene Schicksale: Eine Familie kann nicht abgeschoben werden, weil das j�ngste Kind gerade nicht zu Hause ist – die Polizisten vermuten den typischen Trick, um eine Abschiebung zu verhindern. Doch dann wird eine Leiche gefunden, das Kind, stellt sich heraus, wurde von einem P�dophilen get�tet. Mit der Figur des beim Suchdienst des Roten Kreuzes arbeitenden Jan Pollak (Florian Stetter) schafft das Drehbuch eine weitere Ebene. Pollak und Judith besuchen eine andere in Deutschland lebende Familie, die bereits drei von vier Kindern im Krieg verloren hat. Das j�ngste ist verschwunden, Pollak nimmt eine Beschreibung des Kindes auf und macht den Eltern Mut. Und Djamal? Nur schwach angedeutet wird, wie es ihm gelingt, in Berlin seinen �lteren Bruder Amir (Skandar Amini) zu finden. Dieser Amir ist die einzige Figur, die nicht durchg�ngig ins Opfer-Schema passt und aktiv Akzente setzen darf. Ansonsten gibt es noch eine Szene, in der ein junger Gefl�chteter Judith begrapscht. Gefl�chtete k�nnen auch T�ter sein, soll das wohl signalisieren. Aber eine solche f�r sich stehende, hinein konstruierte Szene wirkt nur wie ein plumper Versuch, es allen recht machen zu wollen.
Kein moralischer Zeigefinger, aber Perspektive von au�en
„Vermisst in Berlin“ appelliert an das Publikum, nicht weg zu schauen, hebt auch nicht �berm��ig aufdringlich den moralischen Zeigefinger, aber es bleibt bei der gut gemeinten Perspektive von au�en. Weil die gefl�chteten Minderj�hrigen nur Nebenfiguren bleiben, weil ihre Geschichten nur angerissen werden. Stattdessen nimmt auch das Privatleben der ehemaligen Polizistin noch einen gro�en Raum ein. Judith wohnt mit ihrer unzuverl�ssigen, ausgehfreudigen j�ngeren Schwester Maggie (Nina Gummich) zusammen und muss f�r deren Tochter Luise (Clo� Albertine Heinrich) die Ersatzmutter spielen. Das betont Judiths Verantwortungsgef�hl, gibt ihrer Figur Tiefe, tut aber sonst nichts weiter zur Sache. �berzeugend wiederum das Ende, das nicht alles in Wohlgefallen aufl�st, aber die Zuschauer auch nicht in komplett trostloser Stimmung zur�ckl�sst. (Text-Stand: 25.1.2019)
Foto: ZDF / Mathias BothorEin Kampf gegen Windm�hlen? Volkmann (J�rdis Triebel) & Djamal (Lilien Batman)
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.