Vergessene Welt: Jurassic Park
Jäger gegen Sammler - und die Dinos gegen alle: auch in Steven Spielbergs zweitem Saurierthriller weigert sich Jeff Goldblum, als Häppchen zu enden.
Originaltitel
The Lost World: Jurassic Park
Regie
Dauer
129 Min.
Kinostart
07.08.1997
Genre
FSK
12
Produktionsland
Cast & Crew
Ian Malcolm
Sarah Harding
Roland
John Hammond
Peter Ludlow
Nick Van Owen
Eddie Carr
Dieter Stark
Kelly
Redaktionskritik
Für Dino-Fans der Film des Jahres: Steven Spielberg setzt mit seinem Sequel noch einen drauf und präsentiert sagenhafte Computertricks.
Steven Spielberg hatte einen Traum: Ein kleiner Junge schreckt mitten in der Nacht durch ein Geräusch auf, geht zum Fenster und sieht im Garten einen Dinosaurier, der Wasser aus dem Swimmingpool säuft. Michael Jackson hätte über den kleinen Jungen nicht hinausgeträumt. Steven Spielberg bastelt um die unheimliche Begegnung der fossilen Art einen ganzen Film.
Die Schlafphasen-inspirierte Pool-Sequenz gehört noch zu den drolligen Szenen der „Jurassic Park“-Fortsetzung „Vergessene Welt“ (Originaltitel: „Lost World“). Härter und auch düsterer als sein Vorgänger, schrammt der Film in den USA gerade noch am „R“-Rating vorbei, was einer verheerenden Zielgruppen-Amputation gleichgekommen wäre („R“-Rating entspricht in etwa der deutschen Freigabe ab 16). Zudem leistet sich der Film einen Verstoß gegen die uneingestandene Bello-Klausel, die in „Independence Day“ und „Dante’s Peak“ brav eingehalten wurde: Dort darf er kläffen, hier wird die Töle gefressen.
Daß die Saurier wiederauferstehen, war ja nach dem Erfolg von „Jurassic Park“ zu erwarten. Der Film spielte weltweit fast eine Milliarde Dollar ein und wurde zuletzt nur vom „Star Wars“-Neustart des Spielberg-Kumpels George Lucas auf der ewigen Box-Office-Liste überflügelt. So etwas läßt Steven nicht auf sich sitzen. Er trommelte das alte Team zusammen – neu im Stall ist lediglich „Schindlers Liste“-Kameramann Janusz Kaminski – und drehte mit einem Budget von 75 Millionen Dollar den kostengünstigsten A-Klasse-Actionfilm des Jahres. Jeff Goldblum kehrt in die stark ausgebaute Rolle des Chaos-Theoretikers Ian Malcolm zurück, der wie gehabt vergeblich vor dem Größenwahn der Saurier-Kloner warnt. „Die Genetik stellt die gewaltigste Macht dar, die der Planet je gesehen hat“, beschuldigte Malcolm im ersten Teil den geschäftigen Dino-Brüter John Hammond, „aber Sie spielen damit herum wie ein Kind, das die Pistole seines Vaters gefunden hat.“ Zu Beginn des neuen Films verspricht der inzwischen geläuterte und kränkliche Hammond (Richard Attenborough in einem kurzen Revival-Auftritt): „Keine Angst, ich mache nicht dieselben alten Fehler.“ Malcolm ist ausnahmsweise mal derselben Meinung: „Nein, Sie machen neue.“
Das evolutionäre Rückrundenspiel Homo sapiens gegen Saurier beginnt ungleich schneller als im Original und wartet mit der doppelten Dino-Menge auf. Austragungsort des zweiten Rex- und Raptor-Massakers ist eine geheimgehaltene Insel, die den Forschern der „InGen“-Company einst als Zuchtstation der „Jurassic Park“-Ungeheuer diente. Unterschiedlich motiviert, brechen zwei Gruppen zur Dino-Enklave auf. Das von der Paläontologin Sarah Harding (Julianne Moore) und ihrem Freund Ian Malcolm angeführte Forscherteam will das Verhalten der Tiere erkunden und dokumentieren. Wie im ersten Film erkennt man die Guten daran, daß sie in entzückte Freudenschreie ausbrechen, wenn sie ein Dino-Junges sehen und auch sonst familienorientierten Werten nicht abgeneigt sind. Die von Hammond-Neffe Ludlow (Arliss Howard) auf den Weg geschickte zweite Expedition besteht aus einem Haufen degenerierter Söldner-Typen, in deren Reihen sich der heimliche Star des Films bewegt. Der Engländer Pete Postlethwaite wird in der Rolle des kaltschnäuzigen Jägers Roland zur Inkarnation des modernen
Käpt’n Ahab – der große weiße Jäger im Reich der Dinosaurier. Rolands Bande zeichnet sich durch mangelndes Sozialverhalten und dinoverachtende Brutalität aus: Einer quält sogar eine wehrlose Mini-Echse mit dem Elektroschocker, aber zur Strafe stirbt er später langsam genug, um zu begreifen, daß er in diesem fremden Biotop nur ein wandelndes Filetstück ist. Beobachter gegen Jäger: Von den schuppigen Angreifern bereits merklich dezimiert, müssen die anfangs verfeindeten Parteien eng zusammenrücken, um in der Nahrungskette nicht einen fatalen Platz vorzurücken. Gott schuf Adam. Adam schuf Saurier. Saurier frißt Adam.
Als „Lost World“ vor vier Monaten in den US-Kinos startete, purzelten die Rekorde, und die Kritiker nölten. Der Film, der „kein Eigenleben besitzt“ (New York) und wie ein „angestrengtes, aber freudloses Remake von ‚Jurassic Park‘ wirkt“ (Entertainment Weekly), spielte allein am ersten Wochenende satte 90 Millionen Dollar ein. Zwei Wochen später von „Con Air“ an der Wochenkasse überflügelt, durchbrach „Lost World“ kurz darauf als erster Film des Jahres die 200-Millionen-Dollar-Einspielzone.
Da das „Jurassic“-Sequel nun aber so schlecht, wie es geschrieben wurde, bei weitem nicht ist, läßt das Spielberg-Bashing ganz andere Rückschlüsse zu: Nach „Schindlers Liste“ verzeiht man dem zum Primus erhobenen Spielberg nicht den Rückfall in das als minderwertig empfundene Popcorn-Kino. Spielberg soll sich gefälligst seines „Schindler“-Oscars würdig erweisen. Da hilft es nichts, daß er in einer augenfälligen Parallele zum ersten „Jurassic Park“-Film auch die Endfertigung von „Lost World“ mit den Vorbereitungen eines „ernsten“ Werks überlappen ließ: „Amistad“, die wahre Geschichte eines Sklavenaufstands im Jahr 1839.
Räumt man die spaßfeindlichen Kritiker-Vorbehalte beiseite, kommt ein klassischer Abenteuerfilm mit extrem nervenzerrenden Horror-Effekten zum Vorschein: „Lost World“ schlägt „Jurassic Park“ um Längen. Die Tricks sind noch besser, das Darsteller-Ensemble ist ungleich kantiger. Zudem steht der zynische Dialogwitz endlich im angemessenen Verhältnis zum bösen Märchen-Klamauk der Story. „Ich komme in fünf oder sechs Stunden zurück“, sagt an einer Stelle Julianne Moore. „Nein“, widerspricht Jeff Goldblum, „du kommst in fünf oder sechs Teilen zurück“.
War „Jurassic Park“ ein aufs Land verlegter Ableger von „Der weiße Hai“, so wandelt Spielberg in „Lost World“ auf „Indiana Jones“-Territorium. Beispielhafter Höhepunkt ist die rund zehnminütige Sequenz, in der das T.-Rex-Paar den fahrbaren Computer-Container der Wissenschaftler über eine Klippe schiebt und nur ein einziges Kabel das Gefährt noch vor dem Absturz bewahrt. Nicht minder spannend ist der Angriff der Raptoren, die erst sehr spät in das Gemetzel eingreifen – Spielberg weiß, wie man die Spannung ausdehnt. Umgekehrt gerät der Meister der Manipulation ins Schwimmen, wenn es um Logik geht: Im letzten Drittel wird ein gefangener T. Rex per Schiff nach San Diego verfrachtet. Als der Kahn wie ein „Speed“-Geschoß in den Pier kracht, sind alle Mann an Bord tot, vom Dino zerschnetzelt. Seltsam nur, daß sich der Rex bei der Ankunft in einem verschlossenen Stahlkäfig befindet. Ging er zwischendurch auf einen Happen raus, um sich dann selbst wieder einzusperren? Die abgetrennte Hand, die an der Schließvorrichtung des Käfigs hängt, vermag das Rätsel auch nicht zu lösen – wer versteht schon die Saurier? Kurz darauf randaliert der T. Rex artengemäß wie ein Godzilla-Hooligan durch San Diego. Wer an dieser Stelle immer noch grübelt, ist im falschen Film.
„Lost World“ ist das bisher beste Event-Movie des Jahres, und wer genau hinsieht, wird erkennen, daß im Schlußbild ein dritter Teil angedeutet wird. Etwas überlebt immer. Etwas mit Flügeln?
Community-Kritiken zu Vergessene Welt: Jurassic Park