Van Morrison (hier bei einer Show in Spanien) skiffelte sich am Montag im Wiener Konzerthaus durch Songs von Hank Williams oder Don Gibson. Da kam richtig Stimmung auf.

Foto: Reuters

So, wie er dasteht, könnte er Auftragsmörder in einem Martin-Scorsese-Film sein. Einer dieser cholerischen, kleinwüchsigen Irren, die morgens nach dem Aufstehen den Schlagring anlegen wie unsereins den Ehering. Den Hut bis zum Rand der Sonnenbrille runtergezogen, und wo andere den Hals haben, mauert bei ihm der Hemdkragen. Die Mimik geht gegen null, Zwischenansagen? Er spart seinen Atem für die Harmonika und den Gesang. Da blitzt dann auf, dass hinter der stoischen Fassade doch Leidenschaft zu Hause ist, aber zwanghaft anmerken lässt er sich das nicht.

Wie Van Morrison da oben auf der Bühne des Wiener Konzerthauses am Montagabend das erste von zwei Konzerten beginnt – am Dienstag ist das zweite –, macht er das seit Jahrzehnten. Wenn es je eine Abstimmung über den größten Grantscherben im Geschäft gäbe, Van, the Man, wäre eine Bank.

Doch das 77-jährige Sonnenkind aus Belfast hat auch seine guten Tage. Am Montag kam er so einem halbwegs nahe. Zwar brauchten Band und Publikum eine Dreiviertelstunde, um sich miteinander anzufreunden, doch dann löste sich die reservierte Stimmung in beidseitigem Wohlgefallen auf. Und zwar dermaßen, dass selbst Van Morrison Regungen zeigte, die im Rahmen seiner Möglichkeiten als Ekstase zu deuten waren.

Harte Suppe

Auf dem Programm stand Skiffle. Das ist eine ursprünglich aus den USA kommende Musik, ein Mix aus Folk, Country, Jazz, Bluegrass und Blues, der als Exportgut in den 1950ern in Großbritannien extrem boomte. Morrisons neues Album Moving on Skiffle ist genau das – dementsprechend fiel das Programm aus. Skiffle kann eine harte Suppe sein, denn ursprünglich wurde dafür mit allem musiziert, was man auf dem Gang zwischen Küche, Keller und Häusl fand: Waschbrett, Kochlöffel, Kübel …

Die sieben in Schwarz gekleideten Musiker inklusive Backgroundsängerin, die zugleich das Gute-Laune-Pendant zum Meister gab, spielten jedoch auf handelsüblichem Werkzeug plus Waschbrett, und da ist kein Streberbauch gemeint.

Die Songauswahl legte den Schwerpunkt auf Traditionals aus dem Country, Blues und was Skiffle in der Vergangenheit schon daraus gemacht hat: Don Gibsons Lonesome Me, I Wish I Was an Apple on a Tree, Careless Love oder das feurige Come on In von Washboard Sam, bei dem das Publikum den Sitzpolstern heftige Friktionen zumutete.

Güterzug oder Holzklasse

Es sind Lieder, die vom Reisen erzählen. Aber nicht der Club-Urlaub ist gemeint, sondern lebensentscheidende Abschiede, Geschichten von Trennungen, von schrecklich weiten Distanzen, die oft mit Zügen überwunden werden, auf dem Güterzug oder in der Holzklasse. Lieder von weinenden Herzen und gekränkten Seelen.

Dazu arbeitete Van Morrison an der Gitarre oder blies sein heiseres Saxofon. Eingebettet war er in eine gut zusammenspielende Band, deren Gitarrist vom Wah-Wah-Pedal bis zur Pedal-Steel, vom Blues bis zu lässigen Funk-Licks alles konnte. Und eben Van, der im Zentrum der Bühne im taubenblauen Anzug nichts falsch machte, vom launigen Blues in Richtung Gospel wanderte, in Liedern wie In the Evening (When the Sun Goes Down) herrlichen Call and Response mit der Backgroundsängerin sang und merklich in Stimmung kam.

Gesten der Wertschätzung

Das Publikum ließ sich zu Zwischenapplaus hinreißen, Van zu kleinen Gesten der Wertschätzung. Das ist nicht selbstverständlich für einen Mann, der jahrelang eine Uhr auf der Bühne stehen hatte, die, zu ihm gewandt, die Minuten bis zur Erfüllung seiner vertraglich festgelegten Showtime herunterzählte, und der, an schlechten Tagen, mitten im Song abging, wenn die Zeit um war. Nicht an diesem Abend.

Van war stimmlich in Bestform, bewies Gefühl, gab den Songs Tiefe und Charakter, labte sich bei aller Routine an deren Magie und verlieh ihnen dabei ebensolche. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ihm ein Lacher ausgekommen wäre. (Karl Fluch, 18.4.2023)