Uwe Tellkamp: „Ich will nicht als rechtes Arschloch hingestellt werden“

Uwe Tellkamp: „Ich will nicht als rechtes Arschloch hingestellt werden“

Der neue Roman des Dresdners Uwe Tellkamp wird mit Spannung erwartet. 3sat widmet dem umstrittenen Schriftsteller eine Dokumentation.

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp in einer Szene der Dokumentation „Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit“.
Der Schriftsteller Uwe Tellkamp in einer Szene der Dokumentation „Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit“.ZDF/Christ Valentien

Uwe Tellkamps neuer Roman „Der Schlaf in den Uhren“ erscheint am 16. Mai im Suhrkamp-Verlag. Die Veröffentlichung wird nicht nur deshalb mit Spannung erwartet, weil der Autor mit seinem DDR-Roman „Der Turm“ von 2008 einen riesigen Erfolg hatte, und das neue Werk als dessen Fortsetzung gilt. Jahrelang hat er daran gearbeitet.

Vor allem aber hat sich der heute 53 Jahre alte in Dresden geborene Autor 2018 mit einem Satz, den er bei einer Podiumsdiskussion im Dresdner Kulturpalast äußerte, ins Zentrum einer hitzigen Debatte katapultiert. Über die Flüchtlinge aus Syrien sagte er damals im Gespräch mit Durs Grünbein: „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“ Worte, die man eher von der AfD oder den Teilnehmern an einer Pegida-Demonstration in Dresden erwartet hätte. Worte ohne Faktenbasis.

Ein Shitstorm brach aus, und Suhrkamp twitterte erschrocken: „Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechseln.“ Der Autor hat seitdem immer wieder den enger werdenden Korridor des Sagbaren beklagt.

„Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit“ von Andreas Gräfenstein

Begleitet wird das Erscheinen des Romans von einer höchst sehenswerten Dokumentation auf 3sat: „Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit“ von Andreas Gräfenstein. Sie ist auch deshalb interessant, weil  Gräfenstein mit Uwe Tellkamp ausführlich gesprochen hat. Dieser hatte sich Interviewanfragen von Journalisten in den vergangenen Jahren entzogen.

Die im Internet zur Verfügung stehende Diskussion mit Grünbein nennt Uwe Tellkamp in dem 90 Minuten langen Film „die letzte wirklich freie Debatte“, die in Dresden stattgefunden hat. Das Gegenargument, er könne doch sagen, was er wolle, ist ihm offenbar schon so oft begegnet, dass er versucht, es gleich zu entkräften: „Ja, sicher. Aber was kostet es. Man wird angegriffen, gecancelt, ausgeladen. Wie ein Paria.“ Er sei 1989 für die freiheitliche Grundordnung auf die Straße gegangen. „Für mich geht das Vertrauen verloren, wenn diese Ordnung sich selbst aufgibt.“ Sogar den Systemvergleich zieht er, indem er sagt, dass es in der bundesdeutschen Demokratie ebenfalls schief laufe wie damals – also in der DDR – nur auf andere Weise.

In einer aufschlussreichen Szene in der Dokumentation erzählt Tellkamp von einem Erlebnis, das er zu DDR-Zeiten hatte. Er habe einen Abend „in diesem Prenzlauer-Berg-Milieu“ verbracht. „Die redeten bei Rotwein über Foucault und sonst was. Ich dachte, ich bin hier bei Außerirdischen.“ Diese Leute hätten vom Sozialismus geträumt, er, Tellkamp, aber dachte: „Ihr wisst nicht, was das Volk will.“ Er glaubte es zu wissen, weil er in der Braunkohle arbeitete. Und er glaubt es auch heute wieder zu wissen, obwohl er längst als Schriftsteller reich und berühmt geworden ist.

Der Verlag Suhrkamp hat Tellkamps „Der Schlaf in den Uhren“ trotz aller Unkenrufe veröffentlicht. „Fast hätte ich gar nicht mehr daran geglaubt“, sagt Uwe Tellkamp im Film.
Der Verlag Suhrkamp hat Tellkamps „Der Schlaf in den Uhren“ trotz aller Unkenrufe veröffentlicht. „Fast hätte ich gar nicht mehr daran geglaubt“, sagt Uwe Tellkamp im Film.ZDF/Ulf Behrens

Uwe Tellkamps Kritik an der Flüchtlingspolitik

Zur Kritik an der Flüchtlingspolitik kommt in der Dokumentation Tellkamps Groll auf die westdeutsche Elite zum Ausdruck, die in seiner Heimatstadt in den Verwaltungen, im Theater und anderen Kulturinstitutionen die Leitungspositionen besetze und die Häuser besitze. Tellkamp trifft sie an der Käsetheke, wo sie ihn darüber belehren würden, wie er zu denken habe, so erzählt er. Später redet er sich über die „unfassbare Selbstgerechtigkeit“  der Westdeutschen in Rage, die glauben, „über das Pack, das in Prohlis und Reick (Stadtteile in Dresden) grade mal über die Runden kommt, hinweggucken zu müssen, nur weil sie eine andere Auffassung haben, was Islam ist und was uns gut tut“. – „Ich will nicht als rechtes Arschloch hingestellt werden, weil ich das kritisiere.“

Sprach- und Denkbarrieren, die Tellkamp doch überall vermutet, sind bei ihm selbst nicht vorhanden, und nun kann er sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausführlich äußern. Unangenehm berührt fühlt man sich, wenn er von den Grünen spricht, die ihre „Bälger“ auf Privatschulen schicken würden oder sagt: „Weltoffen ist ein Gully.“

Den Satz über die Flüchtlinge relativiert Tellkamp im Gespräch mit dem Filmemacher, nennt ihn Unfug, um ihn dann gleich wieder zu bekräftigen: „Aber die Mehrheit derer, die zu uns kommen, kommt aus migratorischen Gründen.“ Auf der Suche nach einem besseren Leben also, er kann das sogar verstehen. „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir eine Einwanderungspolitik brauchen, die auf die hiesige Gesellschaft Rücksicht nimmt.“

„Wir werden behandelt, als wären wir Verbrecher“, sagt Uwe Tellkamp

Länglich widmet sich Andreas Gräfenstein auch der Dresdner Buchhändlerin und Verlegerin Susanne Dagen, eine Reizfigur, von der der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser im Film sagt, sie habe mit ihrem Bekenntnis zu Götz Kubitschek eine rote Linie überschritten. Die Verlegerin kooperiert mit Kubitscheks Antaios-Verlag, den der Verfassungsschutz seit 2021 als rechten Verdachtsfall führt. Für Uwe Tellkamp gibt es diese rote Linie nicht, er geht weiter in Dagens Buchhaus ein und aus, hat eine Erzählung in der von ihr aufgelegten Reihe mit dem anmaßenden Namen „Exil“ veröffentlicht.

„Wir werden behandelt, als wären wir Verbrecher“, sagt Tellkamp und meint damit sich und Susanne Dagen, deren einst ein bürgerliches Publikum anziehende Buchhandlung im Dresdner Villenviertel Loschwitz zwischenzeitlich Ziel eines Buttersäureanschlags wurde.

Der Ärger über den grün-linken Mainstream, der die öffentliche Meinung kontrolliere,  kulminiert bei  einer Podiumsdiskussion. Als ihn ein Dresdner Journalist fragt, wer denn seiner Meinung nach den Journalisten die Linie vorgäbe, sagt er: „Die geben sie sich selber vor, weil in ihren Redaktionen viele Leute sitzen, die links-grün bevorzugen. Das ist das Problem.“ Der fragende Journalist Stefan Locke arbeitet für die FAZ.

Von der von Tellkamp empfundenen Debatten-Unkultur wird wohl auch in seinem neuem Roman die Rede sein. Darin findet sich ein Mann in den mittleren Jahren in einer Position wieder, der er sich gar nicht zurechnen würde. Ein gesellschaftlicher Paria, der sich fragt, wie das alles gekommen ist.

Der Fall Tellkamp. Streit um die Meinungsfreiheit 18.5. in 3sat. Am 12.6. sendet das ZDF eine 45-Minuten-Fassung. Die Dokumentation ist in der 3sat-Mediathek dann in fünf Folgen à 18 Minuten verfügbar.