Uta Ranke-Heinemann: Leben und Werk

Beginn, Leben

Foto © Stuart Mentiply mit freundlicher Genehmigung

Uta Ranke-Heinemann: Leben und Werk

zusammengestellt von Heidi Hutschenreuter und Andreas Ranke

Eine Auswahl von Manuskripten / Texten von Uta Ranke-Heinemann finden Sie hier.

1927 Am 2. Oktober wurde Uta Ranke-Heinemann in Essen geboren als älteste Tochter von Hilda Heinemann, examinierte Theologin, und Gustav Heinemann, dem späteren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland.

Nicht nur ihr Vater schätzte ihr aufgewecktes Wesen und ihre Intelligenz. Er sagt über sie aber auch: „Von allen meinen Kindern hat Uta am meisten mein Rebellenblut geerbt.“, und der Vater versuchte ‒ durchaus vergeblich ‒ das Kind auf einen etwas anderen Weg zu führen: „Uta, gib nicht immer Widerworte!“. Uta Ranke-Heinemann in einem Interview 2002: „Aber das ist wohl so geblieben!“

Mit ihrem scharfen Verstand, ihrem brillanten Denken und Schreiben, ihrem spitzbübischem Humor und erfrischendem Mut setzte die habilitierte Professorin der Katholischen Theologie leidenschaftliche kirchen- und gesellschaftskritische Akzente. Sie nahm dabei auch in Kauf, dass ihr 1987, wegen ihres öffentlichen Zweifels an kirchlichen Dogmen wie der Jungfräulichkeit von Maria bei der Geburt Jesu, seitens der katholischen Kirchenleitung die Lehrerlaubnis entzogen wurde.

Sie gab nicht klein bei. Im Gegenteil: Kurze Zeit später veröffentlichte sie das provokante Werk „Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität“ und landete damit in vielen Ländern in den Bestsellerlisten ganz oben. In diesem Werk erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die „Pädokriminalität“ katholischer Geistlicher (siehe hier in Wikipedia) in dieser ‒ vermeintlich, vergeblich ‒ entsexualisierten Kirche. Auch das Herausdrängen der Frauen aus der katholischen Kirche sowie der Zölibat trügen zu diesem kriminellen Zustand bei, und seien per se frauen- und menschenfeindlich.

Heute, 30 Jahre später, ist dieses als Tatbestand in weiten Kreisen der Öffentlichkeit bekannt und bestätigt. Die katholische Kirche befindet sich in einer schwersten Krise.

Uta Ranke-Heinemann sprach zwölf Sprachen fließend und fertigte teilweise für ihre Werke Neu-Übersetzungen alter Schriften an. Sie kontrollierte auch alle Übersetzungen ihrer Werke.

Sie wuchs im Essener Moltkeviertel auf und besuchte zunächst die Viktoriaschule.

Während der nationalsozialistischen Diktatur befand sich im Keller ihres Elternhauses eine Druckmaschine, in der mit viel Geheimhaltung Schriften aus des Reihen des kirchlichen Widerstandes gedruckt wurden.

1943 wurde das Wohnhaus der Familie bei Bombenangriffen schwer getroffen.

1944 Nachdem auch das Ausweichquartier in Langenberg von Bomben getroffen worden war, schickten die Eltern Uta nach Marburg zu Prof. Rudolf Bultmann, bei dem Hilda Heinemann studiert und ihr Examen abgelegt hatte.

1946/47 besuchte sie auf eigene Initiative und mit Sondergenehmigung der Landesbehörde das Burggymnasium in Essen, ein reines Jungengymnasium, um Altgriechisch lernen zu können. Sie absolvierte als einziges Mädchen die oberen Klassen und erwarb für ihr Abitur als Einzige die damals sehr rare Benotung „mit Auszeichnung“!

In ihrer Klasse lernte sie Edmund Ranke kennen, mit dem sie sich verlobte.

1947 bis 1953 Studium der evangelischen Theologie in Basel, Oxford, Montpellier und Bonn, 13 Semester.

1953 konvertierte sie zum Katholischen Glauben und studiert in München katholische Theologie, wodurch sie auch in Konflikte zu ihrem Vater geriet, der zu dieser Zeit Präses der gesamtdeutschen Evangelischen Synode war.

1954 promoviert sie gemeinsam mit Joseph Ratzinger, später Kardinal und Papst Benedikt XVI. und Elisabeth Gössmann, die sich der historischen Frauenforschung in der katholischen Kirche widmete. Thema der Dissertation von Uta Heinemann: Das frühe Mönchtum. Seine Motive nach den Selbstzeugnissen der ersten Mönche, Beurteilung: „magna cum laude“.

1954 Ende des Jahres heiratete sie Edmund Ranke, den sie auf dem Burggymnasium in Essen kennen- und liebengelernt hatte, entgegen des Willens ihres Vaters.

1955 Dozentin am Erzbischöflichen Katechetinnenseminar in Bonn.

1958 und 1960 Geburt der Söhne Johannes und Andreas.

1965 Dozentin an der Pädagogischen Hochschule in Neuss.

1969 habilitierte sie sich als erste Frau der Welt in katholischer Theologie. Hauptgutachter war Karl Rahner. Karl Rahner war einflussreicher deutscher Theologe und hatte als Sachverständiger am Zweiten Vatikanischen Konzil mitgearbeitet, später kritisierte er zunehmend Missstände in der katholischen Kirche.

Ende der 60er Jahre: Uta Ranke-Heinemann nimmt zu vielen kirchlichen Themen eine kritische Haltung ein.

1970 wurde Uta Ranke-Heinemann, als erste Frau weltweit, als Professorin für katholische Theologie ernannt. Zunächst lehrte und forschte sie weiterhin an der Pädagogischen Hochschule in Neuss, nun mit neuem Titel.

1980 Berufung an die Universität-Gesamthochschule Duisburg.

1985 Berufung an die Universität-Gesamthochschule Essen, wo sie Neues Testament und Alte Kirchengeschichte lehrte.

70er Jahre: Sie schloss sich den weltweiten Protesten gegen den Vietnamkrieg an. Ihr Pazifismus hatte sich als Grundhaltung sowohl durch die eigenen Bombardement-Erfahrungen in Essen während des Zweiten Weltkrieges als auch während ihres Aufenthalts bei der Familie Prof. Bultmann herausgebildet.
Auch die Haltung ihres Vaters gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands in den 1950er Jahren und für die Wiedervereinigung wird eine Rolle gespielt haben. Vor allem aber haben ihre eigenen kirchengeschichtlichen Studien ihre pazifistische Überzeugung geprägt und gefestigt.

1972 fuhr ich mit der Hilfsorganisation Vietnam nach Nordvietnam, mitten im Krieg. Es ist so: Meine ganze Theologie, die ich im Detail studiert habe mein Leben lang, hat sich auf zwei Punkte konzentriert, die mir absolut nicht gefallen in den christlichen Kirchen.
Nämlich bei den Katholiken die Sexual- und Frauenfeindlichkeit und bei beiden Kirchen die Militarisierung. Jedenfalls aus Empörung über den Vietnamkrieg bin ich auf Einladung des vietnamesischen Roten Kreuzes nach Vietnam geflogen, … was mir hier die Bezeichnung „Roter Engel von Hanoi“ eingebracht hat, was nicht freundlich gemeint war. … Gedankt wurde allerdings von anderer Seite, von Papst Paul VI. … “ (aus: WDR5-Beitrag 30. September 2007 „Erlebte Geschichten mit Uta Ranke-Heinemann anlässlich ihres 80. Geburtstags am 2. Oktober 2007).

1973 Reise nach Indien, um dort ein Kinderheim aufbauen zu helfen, das später nach ihr benannt wurde. Im Sinne der Völkerverständigung besuchte sie auch Russland und andere Länder, führte viele Gespräche und schloss viele Freundschaften.

1979 rief Uta Ranke-Heinemann zu Spenden auf für die Opfer des Pol-Pot-Regimes. Über ihre Reise nach Kambodscha im gleichen Jahr veröffentlichte Der Spiegel erschütternde Berichte aus ihrem Tagebuch.

80er Jahre: Uta Ranke-Heinemann sprach auf vielen Kundgebungen der damals kraftvollen Friedensbewegung, so 1981 und 1983 bei den Großdemonstrationen in Bonn vor hunderttausenden Menschen. Auch in den vielen Talkshows und Interviews, zu denen sie als schlagfertige Gesprächspartnerin mit deutlicher Meinung und freundlichem Humor gerne eingeladen wurde, vertrat sie ihre Positionen zur Beendigung der Rüstungsspirale im damaligen Kalten Krieg und zu sofortigen Abrüstungsbemühungen.

1984 und 1985 Sie kandidierte als Spitzenkandidatin für die Friedensliste zu den Bundestags- bzw. Landtagswahlen in NRW, um ihren Vorstellungen Gewicht zu geben.

1985 Veröffentlichung:Widerworte. Friedensreden und Streitschriften“; 1987 erweitert um Texte zu Maria und zum Zölibat.

1987 Am 15. April war sie zu einer Sendung des WDR-Fernsehens am Wallfahrtsort Kevelaer eingeladen. Sie zweifelte das Dogma der Jungfrauengeburt an. Jesus sei ein Mensch gewesen, geboren von einer menschlichen Mutter. Die Vorstellung einer Jungfräulichkeit Marias sei eine kirchliche Geschichte und somit nicht als biologische Tatsache anzusehen. „Viele Juden sind umgebracht worden, weil sie nicht an die Jungfrauengeburt glauben konnten. Und ich kann das auch nicht“.

1987 Am 9. Juni1987 wurde Uta Ranke Heinemann zu Gesprächen ins Bistum geladen. Sie solle widerrufen … was sie nicht tat.

Kurz vor diesem Gespräch am selben Tag erklärte sie in einem Interview im WDR: „Nein, ich werde uneingeschränkt dazu stehen und vorschlagen, dass wir uns auf Karl Rahner einigen, der schon 1970 geschrieben hat, dass diese Dinge als Bildersprache und nicht als historische Darstellungen zu verstehen sind. Wenn mir das gleich nicht gelingt, dann wird heute hier in Essen der bedeutendste Theologe dieses Jahrhunderts ebenfalls verurteilt, insofern befinde ich mich in bester Gesellschaft.“ (zitiert nach: Werner Alberts, Uta Ranke-Heinemann – Abschied vom Christentum, 2004, S. 82).

Auch Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hatte ähnliche Ausführungen veröffentlicht:
„Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach kirchlichem Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.“ (zitiert nach: Uta Ranke-Heinemann, Eunuchen für das Himmelreich, erschienen 1988, TB-Ausgabe Heyne mit inzwischen einigen Ergänzungen von 2012, S. 565). Ihr Studienfreund aus München unterstützte sie in dieser Auseinandersetzung nicht. „Meine große Enttäuschung“ (ebenda, S. 564).

1987 Am 15. Juni Entzug der Lehrerlaubnis durch die katholische Kirchenleitung.

1987 Ende des Jahres erhielt sie einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Religionsgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Essen.

1988 Veröffentlichung des Werkes „Eunuchen für das Himmelreich, Katholische Kirche und Sexualität“. Hier „ … beleuchtet zum ersten Mal eine Frau, die Theologin ist, das Thema Sex und Christentum aus allen Blickwinkeln der Wissenschaft.“ (Werner Albers, Uta Ranke-Heinemann, Abschied vom Christentum, Düsseldorf 2004, S. 90). „Themenschwerpunkte sind Frauenfeindlichkeit, die Sexualmoral und der Komplex Ungeborenes Leben, Abtreibung, Todesstrafe, Krieg“ (ebenda, S. 87). Das Buch stand lange Zeit ganz oben in den Bestsellerlisten, z.B. auf der Sachbuchliste des Spiegel; es wurde in viele Sprachen übersetzt.

1992 Veröffentlichung des Werkes „Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum“, ebenfalls in den Bestsellerlisten und vielfach übersetzt. „Uta Ranke-Heinemann zeigt den phantastischen Ballast von Märchen und Legenden innerhalb des neuen Testaments auf, den die Kirche mit sich schleppt und ständig noch vermehrt.“ … „Es ist Sadismus, an eine Hölle, es ist Henkertheologie, an eine Erlösung durch Blut zu glauben. Dahinter steckt das Bild eines heidnischen Blutgottes, der Menschenopfer fordert. … Die Autorin führt den Leser fort von einer christlichen Erziehung zur Grausamkeit und Verstandesunterdrückung, von einer Religion der Angstmacherei, Wundermärchen und sinnlosen Opfern unter der Herrschaft männlich klerikaler Arroganz und Unfehlbarkeit. Sie führt … zu einem Gott des Lebens.“ (Klappentext)

1999 kandidierte Uta Ranke-Heinemann – vor allem aus Protest gegen den Krieg im Kosovo – für das Amt der Bundespräsidentin (nominiert von der PDS) … übrigens als Gegenkandidatin zu ihrem angeheirateten Neffen Johannes Rau, der natürlich die Wahl gewann.

2001 verstarb ihr über alles geliebter Mann Edmund. Sie widmete ihm das Kapitel „Eine Rose auf das Grab meines Mannes“ in der Neuauflage von 2002 von „Nein und Amen“: „Sein Tod riss mich aus meiner Verankerung.“

2009 wirkte sie in Rosa von Praunheims Film „Rosas Höllenfahrt“ mit.

2009 Verleihung des Blütenfest-Awards zum Ruhr CSD in Essen. In ihrer Dankesrede beschreibt sie unter anderem, wie im „aktuellen Weltkatechismus von 1992 der Papst uns belehrt, es sei besser, die eigenen Töchter der Vergewaltigung preiszugeben, als homosexuelle Handlungen zuzulassen, gestützt auf 1. Buch Mose, 19.“ Sie zeigt die Brutalität, mit der gegen homosexuelle Menschen seitens der katholischen Kirche in ihrer 2000jährigen Geschichte vorgegangen wurde. Die katholische Kirche fände auch heute noch mehr Sünde in den Schlafzimmern als auf den Schlachtfeldern.

2021 Am 25. März entschlief Uta Ranke-Heinemann in ihrem Haus, wie sie es sich gewünscht hatte, friedlich im Beisein ihres Sohnes Andreas, ihrer Schwiegertochter Ives und ihres einzigen Enkels Valentin. Sie wurde 93 Jahre alt.