Faktencheck

Nord-Stream-Sabotage: Dieses Zitat von Ursula von der Leyen über den „tadellosen Ruf“ der USA ist erfunden

Im Netz wird behauptet, Ursula von der Leyen habe im Zuge der Ermittlungen zur Nord-Stream-Sabotage angedeutet, die USA könnten wegen ihres guten Rufs nichts damit zu tun haben. Das ist falsch. Ursprungsquelle des angeblichen Zitats scheint ein russischer Satire-Kanal zu sein – doch Medienschaffende und Politiker verbreiteten es ohne diesen Kontext weiter.

von Sarah Thust

Ursula von der Leyen Europaeische Kommission
Im Netz wird behauptet, Ursula von der Leyen habe in Zusammenhang mit der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines den „tadellosen Ruf“ der USA gelobt. Das ist falsch. (Symbolbild: Jean-Francois Badias / AP / Picture Alliance)
Behauptung
Ursula von der Leyen habe gesagt: „Der tadellose Ruf des amerikanischen Staates erlaubt es uns, diese Version außer Acht zu lassen. In all den Jahren der amerikanischen Existenz wurde keine einzige Tatsache der Verletzung des Völkerrechts oder Handlungen außerhalb des Rahmens des Völkerrechts festgestellt und bestätigt.“
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Frei erfunden
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Frei erfunden. Martin Sonneborn zitierte Ursula von der Leyen zwar so in einem Interview über die Nord-Stream-Ermittlungen — ein russischer Satire-Kanal veröffentlichte das angebliche Zitat jedoch schon einen Monat zuvor auf Telegram. Dafür, dass sich von der Leyen so geäußert haben soll, gibt es keine Belege. Der EU-Kommission ist ein solches Zitat von ihr nicht bekannt.

Am 15. März verbreiteten deutsche Facebook-Beiträge ein Bild mit einem angeblichen Zitat der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie habe im Zusammenhang mit den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines vom „tadellosen Ruf“ der USA gesprochen. Annahmen, dass die USA hinter dem Vorfall stecke, könne man demnach „außer Acht lassen“. Die EU ging bei den Explosionen früh von Sabotage aus. Wer dahinter steckt, ist jedoch weiterhin ungeklärt, die Ermittlungen dauern an (Stand: 23. März). 

Die angebliche Aussage kursiert auf Französisch, Englisch und Russisch. Manche halten sie für einen Witz. Andere kommentierten, als wäre sie echt. So schrieb ein Nutzer: „Da fällt mir nichts mehr zu ein, außer: Die Extremisten sitzen an der Macht – sie sind es, die uns den Frieden kosten.“

Laut der EU-Kommission hat von der Leyen diese Sätze nicht gesagt. Nach unseren Recherchen gibt es auch sonst keine Belege für deren Echtheit. Ursprung scheint ein Satire-Beitrag eines russischen Telegram-Kanals zu sein – der anschließend von Medienschaffenden aufgegriffen wurde. 

Facebook-Beitrag zeigt das erfundene Zitat von Ursula von der Leyen, angeblich zur Nord-Stream-Sabotage: „Der tadellose Ruf des amerikanischen Staates erlaubt es uns, diese Version außer Acht zu lassen. In all den Jahren der amerikanischen Existenz wurde keine einzige Tatsache der Verletzung des Völkerrechts oder Handlungen außerhalb des Rahmens des Völkerrechts festgestellt und bestätigt.“
Mitte März verbreiteten sich mehrere dieser Bilder mit dem Hinweis „Realsatire“ auf Facebook. Einige Nutzer hielten das darauf abgebildete Zitat für echt – doch es stimmt nicht. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Beiträge beziehen sich auf ein Interview mit EU-Politiker und Satiriker Martin Sonneborn

Ein Nutzer schrieb unter einem der Facebook-Beiträge mit dem angeblichen Zitat, das sei „nur Martin Sonneborns Satire“. Denn: Der Beitrag verweist auf ein Interview mit ihm in der Berliner Zeitung. Sonneborn ist fraktionsloser Abgeordneter im EU-Parlament und Vorsitzender der Partei „Die Partei“. In dem Interview sagte er, er glaube, dass Ronald Reagan hinter der Sabotage an den Pipelines stecke. Die Washington Post habe „gerade berichtet“, dass die USA 1982 unter Reagan schon einmal eine russische Gaspipeline in Sibirien gesprengt habe. Die Washington Post berichtete 2004 darüber.

Danach kritisierte Sonneborn das Desinteresse der EU an der Aufklärung und nannte das angebliche von-der-Leyen-Zitat:

„Sie [Ursula von der Leyen, Anm. d. Red.], die eigentlich die Interessen von 450 Millionen EU-Bürgern vertreten müsste, erklärt stattdessen einfach: ‚Der tadellose Ruf des amerikanischen Staates erlaubt es uns, diese Version außer Acht zu lassen. In all den Jahren der amerikanischen Existenz wurde keine einzige Tatsache der Verletzung des Völkerrechts oder Handlungen außerhalb des Rahmens des Völkerrechts festgestellt und bestätigt.‘“

Das angebliche Zitat von Ursula von der Leyen ist erfunden

Von der Leyens Kommunikationsberater, Jens Flosdorff, teilte uns auf Anfrage mit: „Mir ist ein solches Zitat von Frau von der Leyen nicht bekannt.“ Auch in den Korrespondenzen der EU-Kommission mit dem Europaparlament finde sich davon nichts. 

Wir fragten per E-Mail bei Martin Sonneborn nach, woher er das Zitat kennt. Sein Büroleiter Dustin Hoffmann antwortete uns, dass sich Sonneborn auf einen Tweet des französischen Journalisten Didier Maïsto verlassen habe. Maïsto nahm am 17. Februar Bezug auf die Veröffentlichung des US-Investigativjournalisten Seymour Hersh. Hersh beruft sich auf eine anonyme Quelle, laut der die USA hinter dem Sabotageakt an den Pipelines steckten – was die USA bestritt

Maïsto zitierte in seinem Tweet von der Leyen mit ihren vermeintlichen Worten: „Der tadellose Ruf des amerikanischen Staates erlaubt es uns, die Version von Seymour Hersh zu ignorieren.“ Wir fragten den Journalisten schriftlich, was seine Quelle sei. Eine Antwort erhielten wir nicht (Stand: 23. März 2023).

Durch eine Internetrecherche fanden wir schließlich Hinweise darauf, dass das vermeintliche Zitat ursprünglich auf Russisch im Netz kursierte (hier oder hier). Ursprung scheint ein Satire-Beitrag eines russischen Telegram-Kanals zu sein.

Ältere Beiträge mit dem Zitat finden sich in russischen Satire-Kanälen auf Telegram

Mit einer Suche nach dem Zitat in russischer Sprache fanden wir Faktenchecks von Vox Ukraine und Provereno Media, die ältere Beiträge auf Telegram als Quelle der Behauptung identifizierten. 

Fakt ist: In der Beschreibung beider Kanäle, die das angebliche von-der-Leyen-Zitat bereits am 15. Februar veröffentlichten, steht ein Hinweis auf Satire, etwa: „Parodie, Satire auf die politische Realität. Nur verifizierte Fälschungen.“ Das Zitat war folglich nicht ernst gemeint, verbreitete sich aber ohne diesen Kontext im Netz. 

Beitrag mit dem falschen Zitat in einem russischen Telegram-Kanal
Der russischsprachige Telegram-Kanal „Und hier ist meine Yandex-Geldbörse“ veröffentlichte das erfundene Zitat von Ursula von der Leyen am 15. Februar  – einen älteren Beitrag fanden wir nicht. Wir haben den Original-Beitrag (links) zur Verständlichkeit mit Google Translate auf Deutsch übersetzt (rechts). (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Beide Telegram-Kanäle wurden bereits zuvor in Faktenchecks von Myth Detector in Georgien und Factcheck in Kasachstan erwähnt. Bereits zuvor verbreiteten sich Satire-Beiträge dieser Kanäle als authentische Meldung in Sozialen Netzwerken, obwohl sie satirisch gemeint waren. Dazu zählte die Falschbehauptung, dass Olaf Scholz Wolodymyr Selenskyj als Prostituierte bezeichnet habe.

Zentrales Stilmittel von Satire sind Übertreibungen bis hin zu ausgedachten Behauptungen. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen Artikel von selbsternannten „Satire“-Medien für wahr halten und manche Autoren falsche Behauptungen gezielt unter dem Deckmantel der „Satire“ verbreiten. Details, was wir als Satire bewerten und was als Falschmeldung, stehen in unserer Satire-Richtlinie.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sophie Timmermann