Die Forderung nach einer grundlegenden Demokratisierung des weltweiten Handelssystems sowie die Kritik an der als undemokratisch empfundenen Gestalt zahlreicher internationaler Organisationen, wie z. B. der WTO, des IWF, der Weltbank oder der G7 bzw. G8, waren und sind ein wesentlicher Kernbestandteil des globalisierungskritischen Selbstverständnisses. Dies fand in der Vergangenheit auch in unterschiedlichen Aktionsformen oder Kampagnen der Bewegung seinen Ausdruck: Neben dem bekannten Transparent des RAN anlässlich der WTO-Konferenz in Seattle 1999, dass zwei entgegengesetzte Pfeile mit den Begriffen „WTO“ und „Democracy“ zeigte (siehe etwa Solnit/Solnit 2009: 84), sei an dieser Stelle ebenfalls auf den Slogan „Voi G8, Noi 6.000.000.000“ (dt. „Sie G8, Wir 6.000.000.000“), der letztlich maßgeblich das Bild der Proteste gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua prägte, hingewiesen. Und auch bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder den Demonstrationen im Rahmen der Anti-TTIP/CETA-Kampagne standen demokratiespezifische Aspekte stets im Zentrum der inhaltlichen Auseinandersetzungen. Beispielhaft steht hierfür ein Attac-Flyer, der im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg verbreitet wurde. Darin heißt es u. a.:

„Die G20 ist kein gewähltes Gremium. Dennoch beeinflusst sie die Politik der Nationalstaaten nachhaltig, und damit das Leben der Bürgerinnen und Bürger. Und es bleibt dabei nicht bei Beschlüssen, die durch Selbstverpflichtung umgesetzt werden oder werden sollen. Dieser Kreis erhebt den Anspruch, den globalen Kapitalismus zu gestalten und zu reorganisieren. […] [Die G20] ist ein Gremium, das durchaus machtbewusst globale Fragen nicht nur diskutiert, sondern auch die Verhältnisse entsprechend gestalten will – ohne demokratische Legitimation.“ (Attac-D 2017ad: 4)

Schon anlässlich des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm wurde Peter Wahl, Gründungsmitglied von Attac-Deutschland, in einer Pressemitteilung des Netzwerks mit den folgenden Worten zitiert: „Die G8 vertreten nur 13 Prozent der Weltbevölkerung, treffen aber Entscheidungen für die ganze Welt – ohne jede demokratische Legitimation“ (zit. n. Attac-D 2006a). Diese grundsätzliche Kritik an den globalen Machtverhältnissen und den als undemokratisch wahrgenommenen Entscheidungsprozessen wird von zahlreichen globalisierungskritischen Akteuren geteilt, wenngleich die daraus abgeleiteten Rückschlüsse und politischen Forderungen je nach ideologischer Ausrichtung durchaus unterschiedlich ausfallen. Ein 25-jähriger Geographiestudent, der sich 2001 an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua beteiligte, vertrat bspw. in einem Interview mit der Journalistin Naica-Loebell die Ansicht: „[Auf dem G8-Gipfel] werden nur die Eliten vertreten. Und ganz praktisch bin ich der Meinung, dass es dem [sic!] G8 an demokratischer Legitimation fehlt – da geht es doch um informelle Macht. […] In Europa herrscht Demokratie und das ist an sich das richtige System, aber es sollte basisdemokratischer werden. Nach wie vor ist der mündige Bürger zu wenig gefragt, es fehlt an der politischen Bildung“ (zit. n. Naica-Loebell 2001). Gerade bezüglich des letztgenannten Kritikpunkts hat Attac-Deutschland mit seinen politischen Bildungsangeboten und Materialien im deutschsprachigen Raum durchaus eine Leerstelle gefüllt. Zwar haben auch andere Organisationen der globalisierungskritischen Bewegung sich in den vergangenen Jahren in unterschiedlicher Art und Weise der Bildungsarbeit gewidmet und vereinzelt sogar themenspezifische Unterrichtsmaterialien herausgegeben (siehe z. B. zu TTIP: Greenpeace 2016 oder GEW 2015), hinsichtlich des Umfangs, der inhaltlichen Ausgestaltung und der Vielschichtigkeit der Angebote sind diese Aktivitäten letztlich aber kaum mit dem Bildungsengagement von Attac-Deutschland vergleichbar. Dem Attac-Netzwerk ist es gelungen, durch seine Bildungsmaterialien und Veranstaltungsreihen wichtige Impulse zu setzen und sich als zentraler, spektrenübergreifenderFootnote 1 Bildungspartner zu positionieren. Die seit 2015 regelmäßig erscheinenden Materialien der Reihe „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“ oder die jährlich stattfindenden Attac-Sommerakademien sind hierfür die besten Belege.

Der deutsche Attac-Ableger versteht sich seit seiner Gründung „als Bildungsbewegung“ (Attac-D 2009c: 140) mit dezidierten Informations- und Aufklärungsanspruch.Footnote 2 Bereits in den Anfangsjahren gelang es dem Netzwerk, durch medial breit rezipierte, bundesweite Tagungen (siehe z. B. den ersten Attac-Kongress unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich!“ 2001 in Berlin) sowie eine Vielzahl an lokalen Veranstaltungsformaten die Frage nach der „Bändigung der Finanzmärkte mit einem demokratischen Impuls von unten aus den Zirkeln der Fachleute heraus in den öffentlichen Raum zu tragen“ (Grefe 2003: 84) und im Zuge dessen vermehrt auch globalisierungskritische Alternativkonzepte (wie z. B. die Einführung einer Tobin-Steuer) in den Fokus politischer Mandatsträger*innen zu rücken. Wie Christiane Grefe schon 2005 betonte, war es gerade jener „Informationsarbeit von Attac“ (Grefe 2005: 382) zu verdanken, dass etwa „[d]as Bewusstsein, dass über die Welthandelsorganisation einschneidende politische Entscheidungen praktisch ohne demokratische Kontrolle fallen“ (ebd.), besonders in den 2000er-Jahren deutlich gestiegen ist. Durch „Aufklärungsmaterialien“ (Sander 2016: 28) und begleitende Bildungsangebote konnten globalisierungskritische Themenfelder in der öffentlichen Debatte platziert und „insbesondere auf Gerechtigkeits- und Demokratiedefizite [hingewiesen werden]“ (Attac-D 2020d). Damit leistet Attac, wie Hendrik Sander konstatiert, durch seine „emanzipatorische[.] Aufklärungs- und Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag zur politischen Selbstermächtigung und ökonomischen Alphabetisierung der eigenen AktivistInnen und des interessierten Umfelds“ (Sander 2016: 11). Das Netzwerk sah sich selbst nie „als eine alternative Volkshochschule“ (Attac-D 2002 g: 16), sondern vielmehr als eine „Volksbildungsbewegung mit Aktionscharakter“ (Eskola/Kolb 2002b: 162). Diesem eigenen Anspruch konnte Attac allerdings bis heute nicht wirklich gerecht werden. Trotz zahlreicher Bildungs- und Informationsangebote und intensiver Aufklärungsbemühungen blieb die Selbstetikettierung als „Volksbildungsbewegung“ mehr von einem Wunschdenken geleitet, denn Realität. Die angestrebte politische Breitenwirkung konnte Attac zu keinem Zeitpunkt seines Bestehens entfalten.

Sowohl für die globalisierungskritische Bewegung als auch für Attac-Deutschland liegen keine „insgesamt ausformulierten Bildungsziele, spezielle pädagogische Konzepte oder formelle Strukturen der Bildungsarbeit“ (Schreiber/Leidig 2011: 529) vor. Es konkurrieren verschiedene pädagogische Ansätze und Bildungsverständnisse mit oftmals divergierenden Zielperspektiven miteinander; eine einheitliche Linie in bildungspolitischen Belangen ist nicht auszumachen.Footnote 3 Im Mittelpunkt des Attac-Bildungsengagements steht die Förderung der politischen Mündigkeit sowie die Stärkung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit. Dabei sollen Interessenkonflikte aufgezeigt, unterschiedliche Argumente und Sichtweisen bewertet sowie die Lernenden in ihrer eigenen Meinungsbildung unterstützt werden. Die Planung und Umsetzung von politischen Bildungsformaten obliegt in der Regel den lokalen Gruppen und wird nur minder mit der Bundesebene des Netzwerks abgestimmt. Die so genannten Basisgruppen entscheiden relativ autonom über die jeweilige Schwerpunktsetzung ihrer Veranstaltungen. Einendes Band der Bildungsaktivitäten von Attac ist die „ökonomische Alphabetisierung“. Dabei besteht das Kernziel nicht nur darin, die eigenen Mitglieder zu qualifizieren, sondern vor allem mit eigenen Themen eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen (vgl. Strobel 2011: 202) und im Sinne des „selbst erteilten Bildungsauftrag[s]“ (ebd.: 229) grundlegende politische Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten.Footnote 4 In vielen Bereichen hat dieser Ansatz in den letzten Jahren durchaus Früchte getragen. Exemplarisch steht hierfür die Debatte um den „Washington Consensus“ und die im Zuge dessen von Attac und anderen globalisierungskritischen Akteuren vorangetriebene Infragestellung neoliberaler Dogmen. Dani Rodrik stellt bspw. fest: „Der Washington Consensus ist heute eine ‚beschädigte Marke‘ […]. Seinen Ansehensverlust verdankt er [, neben seinen enttäuschenden wirtschaftlichen Erträgen] […] der grundsätzlichen Kritik, die die politische Linke an ihm geübt hat“ (Rodrik 2020: 224).Footnote 5

Welche durchaus skurrilen Blüten die verstärkte Präsenz globalisierungskritischer Alternativvorschläge in Politik und Wissenschaft und die damit einhergehenden Debatten auch im Bildungsbereich zuweilen treiben, zeigt der Fall des Schulbuchs „Geospots 7/8“, das vor einigen Jahren vom Veritas Verlag herausgegeben wurde und in Österreich eine breite bildungspolitische Kontroverse auslöste. Ausgangspunkt bildete ein Beitrag von Lukas Sustale, der 2016 in der Neuen Zürcher Zeitung erschien. Darin machte der Autor darauf aufmerksam, dass in einer dem Schulbuch beigefügten Abbildung der wesentlichen Wirtschaftstheorien neben Karl Marx, Milton Friedman, Friedrich August von Hayek und John Maynard Keynes ebenso der Mitbegründer und ehemalige Sprecher des österreichischen Attac-Ablegers Christian Felber als Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie aufgeführt sowie an anderer Stelle eine sehr einseitige Darstellung des Neoliberalismus vorgenommen wurde. So fand sich etwa im Kapitel „Herrschaft des Neoliberalismus?“ folgende Kurzbeschreibung: „Seit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems und der beschleunigten Globalisierung ist die neoliberale Wirtschaftspraxis weltweit vorherrschend. […] Neoliberale Wirtschaftspolitik richtet sich gegen staatliche Maßnahmen europäischer Wohlfahrtsstaaten. Steigende Armut ist die Folge“ (Geospots 7/8, zit. n. Sustale 2016). Sustale bewertete dies indirekt als Ergebnis der „Attac-Ideologie“ (ebd.) und kommentierte in ironischer Form: „[A]ber wer muss schon verstehen, wieso Freihandel Vorteile hat, wenn er dafür Proteste gegen die G8 studieren kann“ (ebd.). In Folge des Beitrags von Sustale äußerten sich auch zahlreiche Ökonomen mit einem offenen Brief zu dem Sachverhalt und forderten die damalige österreichische Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek dazu auf, den Einsatz des Schulbuchs in der aktuellen Form nicht weiter zuzulassen (vgl. Sator 2016a). Die seitens der Lehrbuchautoren vorgenommene Bezugnahme auf das Attac-Mitglied Felber wurde von den Ökonomen vor allem deswegen scharf kritisiert, weil dieser angeblich „vorwiegend als politischer Aktivist […] [auftrete], über keine ökonomische Ausbildung […] [verfüge] und keine wirtschaftswissenschaftliche Publikation vorweisen […] [könne]“ (Offener Brief, zit. n. ebd.). Zudem wurde die mit ihm in Verbindung gebrachte Gemeinwohl-Ökonomie grundsätzlich abgelehnt, da sie, nach Ansicht der Verfasser*innen des offenen Briefs, „nicht die üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit“ (ebd.) erfüllen würde. Als Alternativen zu Felber schlugen die Ökonomen u. a. Joseph Stiglitz, Thomas Piketty und Elinor Ostrom vor. Felber selbst sah in der Schulbuch-Kontroverse und der Stellungnahme der Ökonomen primär den Versuch, die Gemeinwohl-Ökonomie aus dem Lehrbuch streichen zu wollen (vgl. Die Presse 2016). In einer diesbezüglichen Stellungnahme führte er aus:

„Ich gehe gerne freiwillig aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Keynes und Marx und Friedman und Hayek. Aber eine Gemeinwohl-Ökonomie oder jede andere ‚postautistische‘ Ökonomie, welche die Natur, das Leben, den ganzen Menschen, die Demokratie und die Werte gemeinsam in den Blick nimmt und ihre Theorien und Instrumente darauf aufbaut, sollte ebenso prominent und plural in sämtlichen Wirtschaftslehrbüchern vorkommen wie die Lehrmeister der Vergangenheit.“ (zit. n. ebd.)

Im Zuge der Kritik am Schulbuch wurde Christian Felber in der darauffolgenden Ausgabe von „Geospots 7/8“ schließlich entfernt und durch Adam Smith ersetzt (vgl. Veritas-Verlag 2020: 26) – in der überarbeiteten ersten Auflage hatte man sich noch für den indischen Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen als Alternative entschieden (vgl. Sator 2016b). Und auch die oben zitierte Passage zum Neoliberalismus war in der zweiten Auflage des Schulbuchs nicht mehr zu finden (vgl. Veritas-Verlag 2020: 26).Footnote 6

Der grundsätzliche Vorwurf mangelnder Kontroversität und Multiperspektivität sowie einer tendenziösen Schwerpunktsetzung einzelner Schulbücher ist nicht neu und wurde auch in Deutschland u. a. von den Autoren der Studie „Marktwirtschaft und Unternehmertum in deutschen Schulbüchern“ erhoben (vgl. Schlösser/Schuhen 2017). Deren Ergebnisse nahmen viele Unternehmen und Wirtschaftsverbände zum Anlass, sich verstärkt im Bildungsbereich mit eigenen Materialien und pädagogischen Fachkräften zu engagieren. Wie an vorheriger Stelle bereits ausführlicher dargelegt wurde, zeichneten sich diese bildungspolitischen Aktivitäten in der Vergangenheit aber weniger durch eine neutrale und ausgewogene Betrachtungsweise als vielmehr durch eine einseitige Darstellungsform aus, in der Freihandel und die neoliberale Ausprägung der Globalisierung eher wohlwollend beschrieben werden und Kritikpunkte daran meistens unerwähnt bleiben oder nur oberflächlich skizziert werden. Der Vorwurf einer ideologisch geleiteten, einseitigen und zuweilen sogar verkürzten Behandlung des Themenfeldes Globalisierung ließe sich gewiss auch für die Bildungsarbeit und die Unterrichtsmaterialien von Attac-Deutschland erheben. Doch die Ergebnisse der vorgenommenen Untersuchung bestätigten weitgehend die Analysen des VZBV aus dem Jahre 2014, wonach sich die Bildungsmaterialien von NGO mehrheitlich vor allem dadurch auszeichnen, „den Sachgegenstand korrekt und im richtigen Kontext“ (VZBV 2014: 10) darzustellen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, kontroverse Diskussionen anzuregen „sowie seriöse Recherchequellen […] [zu nennen] – und das trotz eindeutiger Interessen der Herausgeber“ (ebd.). Die damalige Arbeitsthese der Autor*innen, dass sich Materialien der NGO durch „einseitige Sachdarstellungen oder lobbyistischen Sprachbrauch“ (ebd.) auszeichnen würden, kann im Falle der Attac-Bildungsmaterialien grundsätzlich nicht bestätigt werden.

Vielmehr sei an dieser Stelle ergänzend auf die empirischen Befunde einer Studie von Dirk Lange et al. hingewiesen, welche zumindest „darauf hindeuten, dass der Einfluss der interessengeleiteten Privatinitiativen bereits nachhaltige Wirkung [ge]zeigt“ (Lange et al. 2016: 173) haben und Schüler*innen inzwischen eher „gewohnt [sind], ökonomische Zusammenhänge aus der Perspektive von Unternehmen und im Hinblick auf die ‚Gesetze des Marktes‘ zu betrachten“ (ebd.). Nach Lange et al. sei unter den Schüler*innen eine „weitgehende Dominanz ökonomischer Denkweisen“ (ebd.) festzustellen. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten, Einfluss auf den Prozess der Globalisierung nehmen zu können, würden sich überwiegend auf spezifische Anpassungen, wie bspw. der Veränderung des eigenen Konsumverhaltens, beschränken. Ein „Denken in Alternativen“ (ebd.: 171) und entgegen der Marktlogik war bei den befragten Schüler*innen hingegen kaum erkennbar. Lange et al. konstatieren:

„Fast ausnahmslos zeigen sich in den Aussagen der Schüler Versatzstücke einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Logik. Eine deutliche Mehrheit der Gymnasiasten und eine knappe Mehrheit der Hauptschüler setzen diese Zusammenhänge als quasi natürlich voraus. Internationale Lohnhierarchien und das darauf aufbauende Vorgehen von Unternehmen werden dabei als alternativlos vorgestellt. Viele Schüler versetzen sich beispielsweise in die Lage von Unternehmen und begründen Lohnsenkungen oder eine Verlagerung der Produktion in den Globalen Süden als notwendige Entscheidungen, die sich an den Erfordernissen des Marktes orientieren.“ (ebd.: 170-71)

Politischer Protest und soziale Bewegungen würden nur von wenigen Schüler*innen als „Motor gesellschaftlicher Transformation“ (ebd.: 144) wahrgenommen und es überwiege die Vorstellung, dass Veränderungsprozesse nur durch „Politiker bzw. diejenigen, die gesellschaftliche Gestaltungsmacht besitzen“ (ebd.) eingeleitet werden könnten. „Eine Perspektive, die beispielsweise auch Selbstorganisation oder Basisdemokratie in die Überlegungen einbeziehen würde“, so Lange et al., „fehlt fast gänzlich“ (ebd.). Modelle einer grundlegenden Veränderung „von Strukturen repräsentativer Demokratie, gesellschaftlicher Entscheidungsfindungen oder der Macht- und Besitzverhältnisse […] [würden seitens der Schüler*innen] nicht angesprochen“ (ebd.: 100) werden. Dieser Mangel an alternativen Denkansätzen hat, nach Ansicht der Autoren der Studie, „gravierende Konsequenzen für das Verständnis von Partizipation und Demokratie“ (ebd.: 141), da die „Sphäre des Ökonomischen“ (ebd.) von den Schüler*innen als isoliert und entkoppelt von ihrer eigenen Lebenswelt wahrgenommen wird und damit den „Denkrahmen für […] Partizipationsmöglichkeiten auf die Teilnahme an marktwirtschaftlichen Kreisläufen verengt“ (ebd.). So zielt in diesem Verständnis ein möglicher Protest gegen die Auswirkungen der Globalisierung primär „auf die Einsicht der Mächtigen“ (ebd.: 100).

Diese durchaus „überraschende Uniformität der Denkweisen“ (ebd.: 128) und die von den Schüler*innen geäußerte Ohnmacht in Bezug auf die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten des Globalisierungsprozesses stellt die Politische Bildung, speziell hinsichtlich der Förderung der Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit der Lernenden, vor große Herausforderungen. Wie Lange et al. betonen, sollte perspektivisch eine „auf Pluralität und Kontroversität zielende Bildung […] darauf abzielen, Alternativen zu aktuellen gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen zu ermöglichen“ (ebd. 144). Denn gerade auch um „in der Lage zu sein, sich zu gesellschaftlichen Fragen zu positionieren, ist ein Wissen über soziale Bewegungen und nichtkonventionelle Partizipationsformen unabdingbar“ (ebd.). Insofern könnte, nach Ansicht von Lange et al., die Zurverfügungstellung von „alternativen Deutungsmuster[n], die direkt von den Kritikern und Bewegungen aus dem Globalen Süden artikuliert wurden“ (ebd.: 165), ein möglicher Ansatzpunkt sein, um „dem Problem der Entsubjektivierung, Homogenisierung und Entpolitisierung“ (ebd.) zu begegnen. Des Weiteren sollte der diagnostizierten „Perspektivenverengung in den Vorstellungen der Schüler entgegengewirk[t] [werden], [in dem] […] die Befähigung zur Entwicklung von politischen Urteilen und die Anregung zu politischem Handeln“ (ebd.: 157) gestärkt werden. „Ohne Handlungsoptionen“, so Lange et al., „[würden] die Vorstellungen der Schüler von Globalisierung […] in einer verengten und entpolitisierten Perspektive verbleiben“ (ebd.). Mit Blick auf die umrissenen Studienergebnisse und die daraus von Lange et al. abgeleiteten Empfehlungen für die Politische Bildung zeigen sich durchaus Anknüpfungspunkte zum politischen Bildungsansatz von Attac-Deutschland. In besonderer Weise trifft dies z. B. auf die Förderung der selbstbestimmten Urteilsfähigkeit und den Fokus auf die Handlungsorientierung zu. Außerdem lässt sich anhand der Studie von Lange et al. aufzeigen, wie überaus wichtig der offene Diskurs von Alternativen im Rahmen der politischen Bildungsarbeit ist. Akteure wie Attac-Deutschland können mit ihrem Bildungsengagement hier einen wichtigen Beitrag im Sinne der Kontroversität leisten sowie zugleich ein Gegengewicht zu den oftmals tendenziösen Unterrichtsmaterialien und Bildungsangeboten von unternehmensnahen Stiftungen, Initiativen oder Interessenverbänden darstellen.

Hinsichtlich der Attac-Bildungsmaterialien kann zusammenfassend konstatiert werden, dass sich eine durchgehend verzerrte, ideologisch einseitige Darstellung von Sachgegenständen in diesen ebenso wenig fand wie mehrheitlich pauschale Aussagen oder verkürzte und interessengeleitete Sichtweisen. Die einzelnen Arbeitsblätter und Aktivitäten regen die Lernenden zu einer eigenständigen Urteilsbildung, aktiven Teilhabe an der Demokratie sowie zu einem lösungsorientierten Denken an und fördern eine multiperspektivische Betrachtungsweise. Dennoch konnten bei genauerer Prüfung der in der Reihe „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“ erschienenen Ausgaben durchaus Ungenauigkeiten, bspw. bezüglich der Quellenangaben oder der fehlenden politischen Einordnung einzelner Hintergrundtexte, festgestellt werden. Das Selbstverständnis des Netzwerks wird seitens der Attac-Autor*innen in den einführenden Worten der jeweiligen Ausgaben hingegen offen und transparent dargelegt.Footnote 7 Durchaus überraschend ist, dass Beiträge von Attac-Arbeitsgruppen oder Texte bzw. Textauszüge aus Attac-eigenen Publikationen in den Bildungsmaterialien mit einem Gesamtanteil von ca. vier Prozent eine eher untergeordnete Rolle spielen. Ferner sind von den etwa 100 bundesweit arbeitenden Attac-Mitgliedsorganisationen mit eigenen Texten und Analysen lediglich Germanwatch, Südwind, Pro Asyl, BUND, ver.di, medico international und das INKOTA-Netzwerk vertreten. Zum Vergleich lohnt sich an dieser Stelle ein Blick auf die Präsenz von Unternehmen oder Branchenverbänden in den Attac-Bildungsmaterialien: So finden sich in den Arbeitsblättern u. a. Pressemitteilungen und Stellungnahmen vom Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Bankenverband, dem Eigentümerverband Haus & Grund, dem Deutschen Arbeitgeberverband oder auch von der Deutschen Kreditwirtschaft und der Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen. Die Lernenden werden, wie z. B. in der „Expertenanhörung“, vielfach dazu aufgefordert, die unterschiedlichen Interessengruppen miteinander zu vergleichen sowie diese hinsichtlich der eigenen Sichtweise kritisch zu hinterfragen und abschließend zu bewerten. Des Weiteren werden die Lernenden, wie etwa im „Meinungsbarometer“, darin bestärkt, eigene Positionen zu entwickeln und sich auch mit anderen Sichtweisen und Meinungen auseinanderzusetzen.

In zahlreichen Arbeitsblättern wird das unternehmerische Handeln in den Fokus genommen und ökonomische Fragestellungen, wie z. B. jene nach den „Spannungsfeldern zwischen Privatisierung und Vergesellschaftung oder […] zwischen Privateigentum und Gemeineigentum“ (Attac-D 2017x: 3), erörtert. Im Arbeitsblatt „Die Vorgeschichte der globalen Finanzkrise“ (Attac-D 2018 m) sollen die Lernenden sogar in der Rolle als Unternehmerin bzw. Unternehmer anhand von unterschiedlichen statistischen Daten Investitionsentscheidungen treffen und in Bezugnahme auf die einstige Aussage von Helmut Schmidt, dass „die Gewinne von heute […] die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“ seien, sich der These widmen, ob der Staat nicht „in erster Linie die Rahmenbedinungen [sic!] für die Unternehmen“ (ebd.: 1) verbessern müsste, damit in Folge von Unternehmerseite Investitionen getätigt und Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Eine ähnliche Ausrichtung hat das Arbeitsblatt „Vom ‚unternehmerischen Selbst‘ zur ‚Ohne-mich-AG‘“ (Attac-D 2017y). Darin erhalten die Lernenden die Aufgabe, sich näher mit dem so genannten „unternehmerischen Selbst“ zu befassen und gemeinsam zu diskutieren, inwiefern „dieses Leitbild [eventuell] […] ein sinnvolles Bildungsziel“ (ebd.: 1) darstellen könnte. Weiterhin soll von den Lernenden herausgearbeitet werden, welche „Argumente […] gegen die Anforderungen des „unternehmerischen Selbst“ […] sprechen könn[t]en“ (ebd.) und ob grundsätzlich „Selbstverantwortung und unternehmerisches Denken zu mehr Wohlstand und Lebensqualität führen“ (ebd.) würden.

Wie schon seitens der Arbeitsgruppe Politische Ökonomie des JugendbildungsNetzwerkes bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Rahmen einer Besprechung der Attac-Bildungsbausteine resümiert wurde, „halten sich die Materialien [entsprechend der Ausrichtung von Attac] an eine systemimmanente Kritik des Kapitalismus: Nur seine neoliberale Spielart wird geprüft und verworfen, nicht der Kapitalismus an sich. Auch die eröffneten Handlungsoptionen richten sich in erster Linie auf Regulierungsmaßnahmen und Gesetze im Sinne eines keynesianischen Wohlfahrtstaates, nicht auf grundsätzliche Veränderungen des Systems“ (AG PolÖk 2011: 91).Footnote 8 Diese Grundtendenz trifft ebenso auf die Bildungsmaterialien der Attac-Reihe „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“ zu, obgleich an einigen Stellen aber auch generelle Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem geäußert wird – sei es von Attac selbst oder von Autor*innen, deren Texte als Materialgrundlage für die Arbeitsblätter oder Aktivitäten verwendet wurden. Beispielhaft für Letzteres ist ein Beitrag von Ulrich Brand, der in der Ausgabe „Kapitalismus – oder was? Über Marktwirtschaft und Alternativen“ der untersuchten Attac-Reihe hinterlegt wurde. Darin heißt es: „Kritisch von Kapitalismus zu sprechen, bedeutet deshalb auch, darüber nachzudenken, wie Wirtschaft anders organisiert werden kann. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der demokratisch und nicht nur von privaten Investoren entschieden wird, was produziert wird und wie es produziert wird. Eine Gesellschaft ohne Zwang zu Profit und Wachstum, in der alle bekommen, was sie zum Leben brauchen und ihren Teil dazu beitragen“ (Brand 2017: 4). Die sich daraus ergebenden Fragestellungen werden in den Bildungsmaterialien von Attac aufgegriffen und in verschiedenen Kontexten diskutiert. So sollen sich die Lernenden u. a. mit den Fragen auseinandersetzen, „nach welchen Organisationsprinzipien die entsprechenden Sektoren und einzelnen Betriebe organisiert werden [können]“ (Attac-D 2017x: 3), ob „individuelle Nutzenmaximierung und Konkurrenz als Triebkräfte herrschen“ (ebd.) sollen oder „die Herstellung von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen [am besten] kooperativ und demokratisch“ (ebd.) zu organisieren seien.

Attac-nahe Forderungen und Positionen werden zwar nicht durchgehend seitens der Autor*innen in den Vordergrund der Bildungsmaterialien gestellt, sind aber dennoch wesentlicher Bestandteil einzelner Arbeitsblätter und Aktivitäten. Dies wird besonders in der Ausgabe zum Themenfeld Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit ersichtlich. In der Einführung zum Modul II wird bspw. gefordert: „Statt der weiteren Förderung des privaten PKW-Besitzes braucht es die Umstellung hin zu einem gut ausgebauten, möglichst kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für alle. Zugleich muss die Infrastruktur umgebaut werden und darf insbesondere in den Städten nicht mehr am Auto ausgerichtet werden, sondern muss die Nutzung von Fahrrad, Fußwegen und ÖPNV unterstützen. […] Denn der Erhalt bestimmter Arbeitsplätze kann kein Argument zur Aufrechterhaltung klimaschädlicher Produktion sein“ (Attac-D 2020 l: 4). Ein weiteres Beispiel ist das Arbeitsblatt „Um welche Interessen geht es bei TTIP?“ (Attac-D 2016n) in der 2016 erschienenen Ausgabe der Attac-Reihe. Hier werden die Lernenden zwar dazu aufgefordert, unter Rückgriff auf Argumente von Befürworter*innen und Gegner*innen persönlich Stellung zur Frage zu nehmen, „ob die TTIP-Verhandlungen abgebrochen bzw. unter welchen Bedingungen sie weitergeführt werden sollten“ (ebd.: 2). Doch bereits in den einführenden Worten des Moduls wird von den Attac-Autor*innen die Leitlinie gewissermaßen vorgegeben: „Mit dem ‚Freihandel‘ und dem damit verbundenen Konkurrenzdruck drohen […] negative Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen zahlreicher Menschen, seien es Kleinbäuer_innen in Westafrika und Europa oder US-amerikanische und europäische Industriearbeiter_innen. […] Der Weg hin zu einer Handelspolitik, die primär den Menschen und nicht den Profitinteressen der transnationalen Konzerne dient, ist noch weit und braucht aufgeklärte und engagierte Streiter_innen“ (Attac-D 2016b: 3–4). Die mit dem Freihandel assoziierte Privatisierung wird von den Attac-Autor*innen vielfach als Gefahr für die Demokratie gewertet. Der Einführung des Moduls „Konkurrenz oder Kooperation?“, welches 2017 in der Attac-Reihe veröffentlicht wurde, ist z. B. Folgendes zu entnehmen: „[D]ie Gesellschaft [gibt] mit der Privatisierung die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle auf. Zwar wird Staatseigentum nicht zwangsläufig demokratisch kontrolliert, auch hier können Klientelismus und Korruption Einzug halten. Aber es bietet immerhin prinzipiell die Möglichkeit demokratischer Kontrolle, die mit der Privatisierung verschenkt wird“ (Attac-D 2017x: 3).

Wie die Attac-Autor*innen an mehreren Stellen ausdrücklich betonen, sollen die bereitgestellten Materialien und Lernangebote „bestimmte Perspektiven eröffnen und zur Diskussion einladen“ (Attac-D 2019n: 2), nicht aber „die Lernenden […] manipulieren oder gar […] indoktrinieren“ (ebd.). Attac ist bestrebt, sich mit seinem Ansatz „Kontroversität durch Kritik“ (ebd.) deutlich von unternehmensnahen Bildungsangeboten, denen man nur eine scheinbare Neutralität diagnostiziert und vorwirft, „mehr oder minder subtil […] [die eigenen wirtschaftstheoretischen Ansichten] auf die Welt [zu] transportieren“ (ebd.), abzugrenzen. Im Unterschied zu Veröffentlichungen von unternehmensnahen Stiftungen, Verbänden oder Lobbyorganisationen, in welchen teils bestimmte Brancheninteressen im Vordergrund stehen, mitunter sehr einseitige Darstellungsweisen dominieren und der Herausgeberkreis nicht immer anhand des Impressums zu ermitteln ist, zeichnen sich die Attac-Bildungsmaterialien, unabhängig von den schon erwähnten Kritikpunkten, vor allem durch die Einhaltung des Transparenz-Kodex der DVPB, des Bemühens um eine ausgewogene Darstellung gemäß des Beutelsbacher Konsens und der Orientierung am Leitbild der Mündigkeit aus.

Nach Sven Giegold, Mitbegründer von Attac-Deutschland, war schon bei der Gründung des Attac-Netzwerks in Frankreich „die politische Strategie […] als ‚mouvement d’education [sic!] populaire tourné vers l’action‘ […], also als eine auf Aktionen orientierte Volksbildungsbewegung“ (Giegold 2003: 108) ersichtlich. Dahinter stand, so Giegold, „die Überzeugung, dass im Bereich der Globalisierung Politik und Ministerien bislang gemeinsam mit einigen Interessensverbänden machen konnten was sie wollten. Eine Kontrolle durch die Bevölkerung und Medien fand nur unzureichend statt, weil die meisten BürgerInnen nicht einmal die Grundlagen“ (ebd.) verstanden. Daraus schlussfolgerte man, dass „der Ausgangspunkt für eine Bewegung zur politischen und demokratischen Kontrolle der Globalisierung die Aufklärung der Bevölkerung sein [müsste]“ (ebd.) – gepaart mit politischem „Druck durch Kampagnen, Protest und andere friedliche Aktionen“ (ebd.). Die Kombination beider strategischer Elemente, d. h. der lokal verankerten politischen Bildungsarbeit auf der einen und der Aktionsorientierung (einschließlich des „Lernens in Aktionen“) auf der anderen Seite, sollte zur Bewusstwerdung globaler Ungerechtigkeit und mangelnder demokratischer Einflusschancen beitragen sowie gesellschaftliche Veränderungsprozesse und ein grundsätzliches Umdenken in Bezug auf die neoliberale Ausrichtung der Globalisierung initiieren. Denn wie Attac-Deutschland als so genanntes Sprachrohr der globalisierungskritischen Bewegung immer wieder in seinen Veröffentlichungen sinngemäß betonte, war und ist die „Globalisierung nach neoliberalem Muster […] das Gift, nicht die Medizin“ (Attac-D 2018v)Footnote 9, welche benötigt werde, um eine demokratischere und gerechtere Welt zu schaffen. Dieses politische Motiv spiegelt sich in vielfacher Weise auch in der Bildungsarbeit des Netzwerks wider. Im Material von 2016 widmete sich die Attac-Autor*innengruppe z. B. den Fragestellungen, „[w]ie demokratieverträglich […] Handelsverträge in ihrer heute dominanten Form“ (Attac-D 2016d: 3) überhaupt seien und welche Auswirkungen „vertraglich vereinbarte Privatisierungen, Schiedsgerichte oder regulatorische Kooperation im Hinblick auf demokratische Entscheidungsprozesse und die Durchsetzungsfähigkeit bestimmter Interessen“ (ebd.: 2–3) hätten. In dem 2020 veröffentlichten Bildungsmaterial lag der Schwerpunkt insbesondere auf Fragen des „Umbaus der Wirtschaft und der sozialen Gerechtigkeit, die [, so Attac,] mit der Umstellung auf Klimaneutralität zwangsläufig verbunden […] [wären]“ (Attac-D 2020aa: 1). Die Zielsetzung der zusammengestellten Arbeitsblätter und Aktivitäten wurde seitens der Attac-Autor*innen u. a. wie folgt beschrieben:

„Ein Ziel des Materials ist es, das Handlungsrepertoire sozialer Bewegungen zu thematisieren. Ein anderes Anliegen ist es, Gegenexpertisen zu den vorherrschenden neoklassischen Sichtweisen auf wirtschaftliche Prozesse einzubringen (seien sie nun neokeynesianisch, neomarxistisch, durch die feministische Ökonomie oder andere heterodoxe Ansätze inspiriert). Es geht um die Abschätzung der Wirkung unterschiedlicher ökonomischer Theorien sowie darauf basierender Politiken in ökonomischer wie sozialer und ökologischer Hinsicht. Damit verbunden ist die Thematisierung von sozialen Ungleichheiten, Interessengegensätzen, Machtasymmetrien und systemischen Zwängen, während in der öffentlichen Debatte allzu oft die Personifizierung ‚der Märkte‘ oder ähnlich Mystisches zur Erklärung herhalten muss.“ (Attac-D 2020aa: 2)

Wie schon Sabine Leidig, einstige Geschäftsführerin von Attac-Deutschland, hervorhob, bewegt sich das Netzwerk von jeher im Spannungsfeld zwischen „Bildungsverein und Aktionsbündnis“ (Leidig 2004a: 10). Exemplarisch steht hierfür das 2020 erschienene Material zum Thema „Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit“, in dem sich sogar in einem eigenen Modul mit unterschiedlichen Partizipations- und Aktionsformen auseinandergesetzt wird (z. B. mit der Blockade der Internationalen Automobil-Ausstellung, der Teilnahme an Protestfahrten von Critical Mass oder der Mitwirkung im Kinder- und Jugendparlament). Nach den Vorstellungen der Attac-Autor*innen sollen die Lernenden hierdurch Möglichkeiten der politischen Einflussnahme kennenlernen sowie zum politischen Engagement und zur Teilnahme an politischen Aktionen motiviert werden. Zentrales Element ist dabei der von Attac propagierte (globale) Demokratisierungsansatz und die mit ihm verknüpfte These, wonach die Demokratie in ihrem Bestand bedroht sei und das Erfordernis einer grundlegenden demokratischen Erneuerung bestehe.Footnote 10

Demokratie wird von Attac als lebendiger und insbesondere gestaltbarer Prozess verstanden, der sich nicht alleine dadurch auszeichnen würde, „alle paar Jahre ein Kreuz auf einem Wahlschein zu machen und Teilhabe an politischen Entscheidungen […] darauf [zu] beschränken […], gelegentlich Petitionen in den Bundestag einzubringen“ (Attac-D 2020y).Footnote 11 „Wirkliche Demokratie“, so Attac-Deutschland, „beding[e] dreierlei: Erstens das Wissen darüber, wie Gesellschaft funktioniert, zweitens die Möglichkeit, auf politische Prozesse tatsächlich Einfluss nehmen zu können und drittens die Bereitschaft, dies auch zu tun“ (ebd.). In diesem Sinne können, Attac zufolge, „[g]esellschaftliche Veränderungen […] nur demokratisch, d. h. durch die Teilhabe vieler Menschen erreicht werden. An diesem demokratischen Imperativ orientieren sich […] [nicht nur] die Aktionsformen“ (Attac-D 2019d: 62), sondern auch die Bildungsmaterialien des Netzwerks. Seitens Attac wird betont: „Nur wer versteht, wie Gesellschaft funktioniert, kann sich erfolgreich in politische Prozesse einmischen, nur wer weiß, dass Einmischung erfolgreich sein kann, wird sich engagieren wollen. […] Demokratie fällt nicht vom Himmel, sie muss erstritten werden“ (Attac-D 2020y). Dieser politische Grundgedanke spiegelt sich zum einen in den verschiedenen Arbeitsblättern, zum anderen aber auch in den so genannten Aktivitäten der Attac-Bildungsmaterialien wider, in dem sie Aspekte der Teilhabe, Mitbestimmung und Selbstermächtigung in den Vordergrund rücken und den Lernenden verschiedene Möglichkeiten der politischen Einflussnahme aufzeigen – sei es in Form von Aktionen des zivilen Ungehorsams oder etwa durch die Beteiligung an Fahrgastbeiräten oder Bürgerbegehren.

Attac-Deutschland versteht sich als „politisch-emanzipatorische Bildungsbewegung“ (Attac-D 2020y), welche „sich für eine gerechte Globalisierung […], für eine Umverteilung großer Vermögen und gegen eine Welthandelsordnung, die ausschließlich das Wohl der Banken und Konzerne im Blick hat“ (Attac-D 2015t: 10), einsetzt. Als Adressat für politische Veränderungsprozesse wird von Attac zumeist der Nationalstaat genannt. Entsprechende Verweise und Bezugnahmen sind folglich auch in den Bildungsmaterialien enthalten. In der Aktivität „Eine gerechte und umweltfreundliche Gesellschaft“ (Attac-D 2020i) aus dem Jahre 2020 werden die Lernenden bspw. dazu aufgefordert, sich in die Rolle des Staates hineinzuversetzen und sich mit der Frage zu befassen, was dieser zur Erreichung einer gerechteren und umweltfreundlicheren Gesellschaft anders machen müsste. Ziel der Aktivität ist die Erarbeitung von insgesamt fünf möglichen Gesetzen im Rahmen einer so genannten „Versammlung der Bürger_innen“ (ebd.: 1), die in Form einer Fishbowl-Diskussion abgehalten werden soll. An anderer Stelle, im Arbeitsblatt „Migrationspolitik und gesellschaftliche Interessen“ (Attac-D 2019q: 1) der Ausgabe von 2019, sollen die Lernenden wiederum Stellung zu einem Gesetzesentwurf zur Fachkräfteeinwanderung nehmen. Um den Zugang zur Thematik zu erleichtern, erhalten die Lernenden die Aufgabe, eine Talkshow zu simulieren, in der die unterschiedlichen Positionen dargelegt sowie Alternativvorschläge, wie etwa „ein Einwanderungsgesetz für alle Menschen, nicht nur für bereits ausgebildete Fachkräfte“ (ebd.: 1), diskutiert werden sollen.

Die „Nationalstaatsfixierung“ ist ansatzweise schon im inoffiziellen „Gründungsmanifest von Attac“ (taz 2020) angelegt. So merkte Ignacio Ramonet in seinem 1997 erschienenen Beitrag „Die Märkte entschärfen“ kritisch an, dass der Staat im Zuge der Globalisierung zunehmend an Einfluss verliere und dieser Entwicklung bspw. durch die Gründung von Attac und die Einführung einer Tobin-Steuer entgegengewirkt werden könnte:

„Die Globalisierung des Finanzkapitals […] umgeht und demütigt die Nationalstaaten als die maßgeblichen Garanten von Demokratie und Allgemeinwohl. Zudem haben die Finanzmärkte sich längst einen eigenen Staat geschaffen, einen supranationalen Staat, der über eigene Apparate, eigene Beziehungsgeflechte und eigene Handlungsmöglichkeiten verfügt. […] Dieser Weltstaat ist ein Machtzentrum ohne Gesellschaft. An deren Stelle treten immer mehr die Finanzmärkte und Riesenkonzerne, die der Weltstaat repräsentiert. […] Die völlig freie Kapitalzirkulation untergräbt die Demokratie. Deshalb müssen Abschreckungsmechanismen installiert werden. […] Warum nicht eine weltweite regierungsunabhängige Organisation namens ‚Aktion für eine Tobin-Steuer als Bürgerhilfe‘ (Action pour une taxe Tobin d'aide aux citoyens – Attac) ins Leben rufen? Im Verein mit den Gewerkschaften und den zahlreichen Organisationen, die kulturelle, soziale oder ökologische Ziele verfolgen, könnte sie gegenüber den Regierungen als gigantische Pressure-group der Zivilgesellschaft auftreten, mit dem Ziel, endlich wirksam eine weltweite Solidaritätssteuer durchzusetzen.“ (Ramonet 1997: 1)Footnote 12

Hinsichtlich der Verwirklichung einer „globalen Demokratie“ als Gegenentwurf zum „Weltstaat der Konzerne“ herrscht sowohl innerhalb Attacs als auch innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung große Uneinigkeit. Für Peter Wahl, Gründungsmitglied von Attac-Deutschland, stand bereits früh fest, dass „[e]ine Demokratie mit sechs Milliarden Menschen oder mehr […] eine demokratische Unmöglichkeit [darstelle]“ (zit. n. Staud 2002b). Insofern solle man sich, so Wahl, eher auf die nationalstaatliche Ebene fokussieren, statt seine Hoffnungen auf die Installierung eines globalen Wunschgebildes zu setzen. Susan George, einstige Vize-Präsidentin von Attac-Frankreich und Leitfigur der globalisierungskritischen Bewegung, warf in diesem Zusammenhang die Frage auf, wie wohl ein demokratisches Weltparlament angesichts einer Vielzahl autoritärer Regime überhaupt verwirklicht werden könne – und dies nicht nur in Bezug auf den demokratischen Charakter der dann auch in Diktaturen durchzuführenden Wahlen. Angesichts dieser politischen Gegebenheiten führe, so George, an den Nationalstaaten folglich kein Weg vorbei (vgl. Susan George, zit. n. Staud 2002b). Andere Akteure von Attac verlieren sich hingegen in eher abstrakten Darstellungen. Alexis Passadakis stellte vor einigen Jahren z. B. die Forderung auf: „Globale soziale Rechte und globale Demokratie sind der Maßstab[,] an dem Handelsregeln sich messen lassen müssen“ (Passadakis 2006: 27). Wie diese letztlich aber zu erreichen seien und welche Rahmenbedingungen hierfür erfüllt sein müssten, wurde von Passadakis hingegen nicht weiter dargelegt. Gleiches gilt für Kay Oliver Schulze vom Berliner Attac-Netzwerk, der im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 in Heilgendamm anführte: „Bleibt die konkrete Gestalt einer globalen Demokratie auch unberechenbar und so vielfältig wie die Vorstellungen der Menschen, die sie begründen, so orientiert sie sich doch an klaren Prinzipien: Es geht darum, politische Entscheidungsprozesse zu öffnen und zu dezentralisieren, Souveränität zu teilen und zu vervielfältigen“ (Schulze 2006: 10). Die Organisator*innen des damaligen Alternativgipfels in Rostock beschrieben das anzustrebende Modell später als „demokratische Globalisierung von unten“ (zit. n. Pergande 2007). Doch wie gestaltet sich diese „Globalisierung von unten“ und welche Formen demokratischer Beteiligung beinhaltet sie? Wie kann einer Entmündigung der Bürger*innen auf globaler Ebene vorgebeugt werden? Und damit in Verbindung stehend: Welches alternative Demokratiemodell verbirgt sich eigentlich hinter dem Slogan „Another World is Possible“, der wohl wie kaum ein anderer für die globalisierungskritische Bewegung und das Attac-Netzwerk steht?

Auf diese zentralen Fragestellungen wird in der Bildungspraxis von Attac und den untersuchten Bildungsmaterialien der Reihe „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“ nur in äußerst geringem Maße eingegangen. Und dies gilt in weiten Teilen auch für die globalisierungskritische Bewegung insgesamt. Kohärente Modelle der vielbeschworenen „anderen Welt“ sucht man vergebens und Diskussionen darüber, wie diese konkret auszusehen habe, enden zumeist in vagen Beschreibungen oder oberflächlichen Bezugnahmen. Eindrücklicher Beleg für Letzteres ist der oft verklärende, romantisierende Blick auf das zapatistische Demokratiemodell und der Verweis auf eine Übertragbarkeit der autonomen, indigenen Organisationsstrukturen auf andere Regionen – ohne aber dessen lokalen Spezifika genauer zu berücksichtigen oder eine vorherige demokratietheoretische Einordnung des zapatistischen Widerstands vorzunehmen. Denn wie Raina Zimmering in ihrer Analyse des zapatistischen Demokratiemodells einst hervorhob, entspricht die „politische Praxis der Zapatistas […] eher anarchistischen als bürgerlich-demokratischen oder realsozialistischen Vorstellungen“ (Zimmering 2009, zit. 2010a: 270); was in der Debatte hierüber vielfach jedoch unerwähnt bleibt. Fragen danach, wie und auf welche Weise globale Demokratisierungsprozesse initiiert werden können und welches langfristige Ziel damit vor allem verfolgt wird, werden seitens der globalisierungskritischen Bewegung nur sehr zurückhaltend beantwortet. Alex Callinicos, einstiger Professor an der University of York und einer der Galionsfiguren der Bewegung, wies auf diesen Umstand unterschwellig bereits im Jahre 2003 hin und gab zu bedenken: „Wenn wir sagen ‚Eine andere Welt ist möglich‘, müssen wir uns im Klaren sein, daß dies ein anderes soziales System mit einer anderen sozialen Logik als der des Kapitalismus bedeutet. […] Es ist eine Schwäche der jetzigen Bewegung, daß sie sich dieser Realität bislang noch nicht ausreichend gestellt und sich statt dessen [sic!] auf die vollkommen berechtigte Kritik am Neoliberalismus, sowie auf das Vorbringen spezieller Forderungen, konzentriert hat“ (Callinicos 2003).Footnote 13

Von einer, wie Callinicos es ausdrückt, „radikale[n] Erweiterung der Demokratie“ (ebd.) bzw. einer konsequenten „Vertiefung der Demokratie“ (ebd.) konnte auch in der Hochphase der Bewegung allerdings keine Rede sein. Die verstärkten bewegungsinternen Auseinandersetzungen um zentrale Fragen der Demokratie, welche etwa im Kontext des G8-Gipfels in Heiligendamm und der Anti-TTIP-Kampagne geführt wurden, änderten an dieser Sachlage wenig. Selbstkritisch stellten dies in der Vergangenheit auch zahlreiche Kommentator*innen und Akteure der globalisierungskritischen Bewegung fest. Peter Wahl von Attac-Deutschland konstatierte bspw.: „Attac ist mit der Parole ‚Eine andere Welt ist möglich‘ angetreten. Wie diese andere Welt wenigstens in Umrissen aussehen soll, dazu haben wir bisher sehr wenig Konkretes zu sagen. Brauchen wir überhaupt ein Programm für diese andere Welt? Wenn ja, wie könnte es aussehen? Hier liegt sicher eine der wichtigsten Debatten für die Zukunft. Rasche Antworten und Patentrezepte gibt es nicht“ (Wahl 2004: 33–34).Footnote 14 In ähnlicher Weise äußerte sich einige Jahre später Werner Rätz, Mitbegründer des deutschen Attac-Ablegers und über viele Jahre hinweg für die „Informationsstelle Lateinamerika“ Mitglied in dessen Koordinierungskreis. Nach seiner Auffassung führe die „Unbestimmtheit […] [letztlich] dazu, dass die Bewegung insgesamt, aber auch Attac selbst, kaum über die Vagheiten der Gründungsära [hinauskomme]“ (Rätz 2010: 32). Und ergänzend gab Rätz zu bedenken: „Die Welt ist keine Ware und eine andere Welt ist möglich, das ist es dann auch schon. […] Aber irgendwann sind Aussagen dazu nötig, wie diese andere Welt denn aussehen soll“ (ebd.). Christian Stock, Redakteur der Zeitschrift iz3w, fand in einem Interview im Kontext des G8-Gipfels 2007 noch deutlichere Worte:

„Bei Heiligendamm scheinen mir kaum noch konkrete Forderungen vorzuliegen, sondern nur eine diffuse Gemengelage von verschiedensten Forderungen. […] Die meisten Aufrufe sind Phraseologie. Erst werden ‚Chiapas 1994‘, ‚Seattle 1999‘ und ‚Genua 2001‘ angeführt, dann folgt ein aktuelles Beispiel für das ‚Aufbegehren gegen den Neoliberalismus‘ […]. Dann kommt eine möglichst pauschal gehaltene Aufzählung der Vergehen, derer sich ‚der Neoliberalismus‘, die ‚konzerngetriebene Globalisierung‘ und die ‚Herren der Welt‘ schuldig machen, wie Privatisierung, Profitstreben, Biopiraterie und Kriegstreiberei. Es folgt eine Beschwörung des ‚Widerstandes‘ mit Vokabeln wie ‚ya basta‘ oder ‚Globalisierung von unten‘. Da es zum guten Ton gehört, selbst nicht zu wissen, wie eine andere Welt möglich ist, gipfeln die Aufrufe in einem entschlossenen ‚fragend gehen wir voran‘.“ (zit. n. P2R 2007: 29)

Innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung ist allerdings umstritten, inwiefern dieser diagnostizierte Mangel an konkreten Alternativvorschlägen überhaupt als eine Schwäche zu werten sei oder die offene Suche nach Gegenentwürfe zum vorherrschenden kapitalistischen Gesellschaftsmodell nicht doch eher einen „natürlichen“ politischen Lern- und Entwicklungsprozess darstelle und letztlich sogar einer der wesentlichen Stärken der Bewegung sei.Footnote 15 So beschrieb z. B. Peter Wahl diese bislang nicht abgeschlossene Suche der globalisierungskritischen Bewegung nach einem konzeptionellen Rahmen für die „Demokratie von unten“ einst als ein „zukunftsoffenes pluralistisches Projekt“ (Wahl 2002a: 41). Und Ulrich Brand ergänzte, dass „von einem Teil emanzipativer Bewegungen [inzwischen anerkannt werde], dass gesellschaftliche Veränderung nicht ein mehr oder weniger fixes Ziel verfolgen sollte, sondern der Weg selbst entscheidend [sei]“ (Brand 2002: 122). Als Vorbild hierfür dienen zumeist die Zapatistas mit ihrem Slogan „Eine andere Welt ist möglich, eine Welt, in der viele Welten Platz haben“ und dem Konzept des „fragenden Voranschreitens“. Auch sie vermieden es, ein „allgemeingültiges“ Gegenmodell zum globalen Kapitalismus zu skizzieren und begriffen die Suche nach der „anderen Welt“ als Teil eines ergebnisoffenen politischen Lernprozesses. Mit ihrem symbolischen Aufstand gegen das Inkrafttreten des NAFTA am 1. Januar 1994 gelang es den Zapatistas der Kritik an der neoliberalen Globalisierung ein Gesicht zu verleihen, ohne jedoch selbst ein genaues Alternativkonzept vorweisen zu können. „Kein Patentrezept zu haben“, so Werner Rätz in einem Rückblick, „war kein Makel mehr, sondern wurde in seinen kreativen Möglichkeiten neu entdeckt“ (Rätz 2010: 38).Footnote 16

Letztendlich verfügt die globalisierungskritische Bewegung bis heute über kein einheitliches Konzept der angestrebten „Demokratie von unten“ oder der vielfach propagierten „anderen Welt“. Dies liegt, abseits der Vorbehalte, sich auf ein bestimmtes politisches System festzulegen und einen universalistischen Geltungsanspruch zu erheben, im Wesentlichen aber auch darin begründet, dass sich unter dem Oberbegriff „Globalisierungskritik“ ein äußerst breites, heterogenes Gebilde an Strömungen und Weltanschauungen verbirgt, dessen gemeinsame Identität sich nicht so sehr aus der konzeptionellen Darstellung einer gerechteren und vor allen Dingen demokratischeren Globalisierung ergibt, sondern „in erster Linie ex negativo [Hervorhebung im Original] […], aus der kollektiven Ablehnung der internationalen Machtelite und ihrer als ‚neoliberal‘ gebrandmarkten Politik“ (Schlieben 2007). Einig ist man sich insofern in der Kritik an der aktuellen Ausrichtung der Globalisierung, nicht aber in Bezug auf den genauen Weg und das Ziel des angestrebten Demokratisierungsprozesses.Footnote 17 Die zapatistischen Ansätze des „fragenden Voranschreitens“ oder des „Tempo des Langsamsten“ gaben der Bewegung zwar Orientierung, führten perspektivisch aber nicht zu einer selbst postulierten „Wiedererlangung der Demokratie“ (Street 2000: 242) oder der Ausarbeitung eines alternativen Gesellschaftsmodells.

Als Bezugs- und Orientierungspunkte für die angestrebte „Demokratie von unten“ dienen neben dem zapatistischen Demokratiemodell vor allem die seit 2001 regelmäßig stattfindenden Weltsozialforen sowie die zahlreichen selbstorganisierten Freiräume und ereignisbezogenen Demokratieexperimente, wie z. B. die sich häufig anlässlich von Gipfelprotesten formierenden „Affinity Groups“ oder die (zumeist) auf basisdemokratischen Prinzipien beruhenden Protestcamps.Footnote 18 Letztere erfüllen für die Bewegung zumeist zweierlei Funktionen: Zum einen bieten sie auf rein praktischer Ebene den zahlreichen internationalen und nicht lokal eingebunden Aktivist*innen für die Dauer der Gipfelproteste einen Rückzugs- und Schlafraum, zum anderen stellen sie für viele ihrer Bewohner*innen auch ein „living example of an alternative society“ (Maeckelbergh 2009: 153) bzw. einen effektiven Weg zur „basis-demokratischen Konstituierung von Protestbewegungen“ (Frenzel 2011: 170) dar.Footnote 19 Demzufolge ist für viele der Globalisierungskritiker*innen „the chance to mobilise around the G8 and have thousands of people live together in a camp in a horizontally democratic way and to experience a society that functions along the lines of their ideals“ (Maeckelbergh 2009: 96) wesentlich bedeutsamer, als das eigentliche Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu verhindern oder dessen Ablauf zu stören. Maeckelbergh zitiert in ihrer 2009 erschienenen Studie einen G8-Gipfelgegner während des South East Assembly 2005 in London mit den folgenden Worten: „For me, it’s not so important what happens at the summit, but more what we create, how we organise. The ecovillage [gemeint ist hier das Protestcamp anlässlich des G8-Gipfels in Gleneagles; Anm. B. A.] will become a model of how we want to organise our world ourselves, a new way of working together […] [.] This network was about anti-capitalism, anti-state and about taking control of our own lives and creating alternatives“ (zit. n. Maeckelbergh 2009: 96). Aufschlussreich ist in diesem Kontext ebenfalls ein internes Auswertungspapier der einstigen Berliner Attac-Projektgruppe um Lukas Engelmann, Oliver Pye und Pedram Shahyar, welches im Nachgang der Gipfelproteste von Evian 2003 entstand und in dem folgendes Resümee des damaligen Protestcamps gezogen wurde: „Die andere Welt wurde im Kleinen versucht und ist gelungen. Selbstorganisation, Plenumsstruktur und Bezugsgruppensystem funktionieren einigermaßen und bereicherten den politischen und organisatorischen Ablauf […]. Es ist […] klar und bildhaft geworden, wie eine Organisierung des Lebens durch Bezugsgruppen selbstverwaltet möglich sein kann. Das war für alle ein beeindruckendes Gesamterlebnis“ (Engelmann et al. 2003).Footnote 20

Die Gipfeltreffen dienen der globalisierungskritischen Bewegung als Experimentierfeld für alternative Formen der politischen Organisation und zugleich als Ort des Austausches, der Vernetzung und Begegnung, in dessen Rahmen die Aktivist*innen neue Impulse und Denkanstöße für ihre eigene politische Arbeit erhalten und gemeinsam Gegenentwürfe zur vorherrschenden Globalisierung diskutieren können. Im Vordergrund der verschiedenen Ansätze einer „Demokratie von unten“ steht die gelebte Vielfalt an Meinungen und Positionen – verbunden mit dem Anspruch, die eigenen Organisationsstrukturen möglichst hierarchiefrei und basisdemokratisch zu gestalten sowie perspektivisch das „Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten radikal zu verändern“ (Street 2000: 247). Auch in den skizzierten Strukturebenen von Attac-Deutschland sind diese Leitlinien und Grundsätze deutlich wiederzuerkennen. Sie bilden das wesentliche Fundament des Netzwerks und gehören zu dessen Selbstverständnis. Dies zeigt sich desgleichen in der politischen Bildungsarbeit des Netzwerks. Wie Fritz et al. in ihrer Arbeit „zur empirischen Wirklichkeit der politischen Bildungsarbeit in Deutschland“ (vgl. Fritz et al. 2006) aufgezeigt haben, wurde bspw. seitens der Teilnehmer*innen der Attac-Sommerakademie 2004 in Dresden vor allem betont, dass es neben der „Abwesenheit organisatorischer Hierarchien […] [auch] keine Vermittlungshierarchien in den Bildungsveranstaltungen [gegeben hätte]“ (ebd.: 183). Wissensvermittlung, so die Rückmeldung eines Befragten, geschehe bei den Attac-Bildungsveranstaltungen „nicht […] von oben nach unten“ (zit. n. ebd.). Folglich könne man „sich so einbringen, wie man denke und sei und habe das Gefühl, am Bildungsprozess nicht nur für sich selbst, sondern im Ganzen mitzuwirken und diesen mitbeeinflussen zu können“ (ebd.). Ein anderer Teilnehmer ergänzt in Anlehnung an das zapatistische „preguntando caminamos“ (dt. fragend gehen wir voran): „Wichtig ist mir die Offenheit von Attac gegenüber unterschiedlichen Meinungen. Ich muss keinen Glaubenskanon unterschreiben – zweifelnd gehen wir zum Ziel“ (zit. n. ebd.: 182).

Umso erstaunlicher ist angesichts dieser Eindrücke und Positionen von Teilnehmenden der Dresdner Sommerakademie, dass Verweise auf das Bezugsgruppenmodell, das Weltsozialforum oder die zapatistische Selbstverwaltung als „ein reales Beispiel eines partizipativen Gesellschaftssystems“ (Haberland 2006a: 103) in den untersuchten Bildungsmaterialien von Attac-Deutschland kaum bzw. keine Erwähnung finden. Lediglich in der „Checkliste: Aktionsplanung“, die aus dem Leitfaden für Attac-Gruppen entnommen und jeweils 2015 und 2019 einzelnen Arbeitsblättern der Reihe „Wirtschaft demokratisch gestalten lernen“ als Materialgrundlage hinzugefügt wurde (vgl. Attac-D 2015u: 3 und Attac-D 2019v: 3), ist ein kurzer Hinweis auf die Bildung von Bezugsgruppen enthalten – ohne aber eine demokratietheoretische Einordnung oder überhaupt eine nähere Beschreibung des damit verbunden Bezugsgruppenmodells vorzunehmen. Darüber hinaus ist auffällig, dass die in den Bildungsmaterialien von Attac aufgeführten Beispiele für alternative Organisations- und Wirtschaftsformen, wie z. B. die balinesischen Subaks oder das Allmende-Modell, keiner tiefergehenden Betrachtung unterzogen werden. Die Darstellungen bleiben oberflächlich und orientieren sich überwiegend an Idealbildern; zusätzliche Literaturempfehlungen zur Vertiefung oder Hinweise auf weitere Recherchemöglichkeiten fehlen. Mit Blick auf die demokratiespezifischen Debatten innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung ist dies nicht überraschend. Wie etwa am Fallbeispiel „Weltsozialforum“ aufgezeigt wurde, werden die Kernprobleme basisdemokratischer, auf Konsens ausgelegter Entscheidungsformen bewegungsintern nur selten kritisch hinterfragt und breiter diskutiert. Dies betrifft vor allem die zahlreichen strukturbedingten Konfliktfelder, wie z. B. die Herausbildung informeller Machtstrukturen, die oft langwierigen, zeitintensiven Aushandlungsprozesse in den jeweiligen GremienFootnote 21 oder die gerade auch bei Attac-Deutschland festzustellende „Vetokultur“ (Sander 2016: 25) der an den Entscheidungsverfahren beteiligten Akteure. Stattdessen zeichnet sich die Beschreibung von demokratischen Alternativen oftmals durch Allgemeinplätze aus und lässt klare Aussagen über deren konkrete Form und Gestalt vermissen.

Im Hinblick auf die Attac-Bildungsmaterialien hätte sich in einigen Fällen – trotz der durchaus berechtigten Anmerkung, dass viele der Arbeitsblätter und Aktivitäten bereits „ein akademisches Bildungsniveau und ein relativ hohes Maß an Politisierung voraussetzen“ (Schreiber/Leidig 2011: 531) – eine intensivere demokratietheoretische Auseinandersetzung anhand von Einzelbeispielen durchaus angeboten. Unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte der Firma „Scop Ti“, die im Arbeitsblatt „Partizipatorische Ökonomie“ nachgezeichnet wird, hätten die Lernenden bspw. unterschiedliche Modelle der Arbeiterselbstverwaltung analysieren und diese einer historischen Einordnung und politischen Bewertung unterziehen können. Dabei hätten u. a. Bezüge zum jugoslawischen System der betrieblichen Selbstverwaltung, zu den Fabrikräten in Italien der 1970er‑Jahre oder auch zu aktuellen Formen der Arbeiterkontrolle, wie etwa im Kontext der einstigen Fabrikbesetzung der Belegschaft von Bike Systems in Nordhausen (vgl. hierzu speziell Öfinger 2010 und 2017) hergestellt werden können.Footnote 22 Daraus hätten sich zahlreiche weitere Fragestellungen ergeben: Auf welchen demokratischen Regeln und Organisationsprinzipien fußt die Zusammenarbeit in selbstorganisierten Betrieben? Wie sind die unterschiedlichen Modelle der Arbeiterselbstverwaltung demokratietheoretisch, aber auch arbeits- und strafrechtlich einzuordnen? Und warum scheiterten in der Vergangenheit zahlreiche derartige Versuche? In diesem Zusammenhang hätte man den Lernenden ebenfalls die Möglichkeit geben können, sich näher mit Vor- und Nachteilen von Konzepten einer „Solidarischen Ökonomie“, welche bspw. in den Arbeitsblättern zum Thema „Genossenschaften“ (Attac-D 2017q) oder „Wirtschaftsdemokratie“ (Attac-D 2017u) angerissen werden, auseinanderzusetzen. Gleichfalls wäre an einigen Stellen des Attac-Bildungsmaterials ein selbstkritischer Blick auf die eigenen Organisationsstrukturen des Netzwerks und/oder anderer Zusammenschlüsse der globalisierungskritischen Bewegung, wie bspw. jene des Weltsozialforums, vielversprechend gewesen. Dadurch hätten die Lernenden praxisnahe Einblicke in basisdemokratische, konsensorientierte Willensbildungsprozesse (einschließlich ihrer strukturbedingten Problemfelder) erhalten.

An einigen Stellen hätte sich außerdem angeboten, anhand zusätzlicher Materialien eine Vergleichsebene zur repräsentativen Demokratie herzustellen und die diesbezüglichen Diskussionen innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung verstärkt in den Fokus zu rücken. Denn wie Jeffrey Juris berechtigterweise in seinen Analysen hervorhebt, geht es den „most ambitious anti-corporate globalization activists“ (Juris 2008: 121) nicht bloß um den Ausbau ihrer Netzwerke und die Förderung von „grassroots participation“ (ebd.), sondern desgleichen um die Entwicklung von „innovative democratic norms, forms, and practices, within they hope might one day transcend representative democracy“ (Juris 2008: 121). Insofern sind die von Teilen der globalisierungskritischen Bewegung diskutierten basisdemokratischen Organisationsmodelle gewiss auch als Gegenmodell zur repräsentativen Demokratie zu verstehen.Footnote 23 Ein von Juris zitierter Globalisierungskritiker brachte dies einst mit den folgenden Worten zum Ausdruck: „We are thus creating a new political culture, a new way of doing politics, based on grassroots citizen participation, and not representation“ (zit. n. ebd.: 120). Im Mittelpunkt stehen hier vielmals Fragen nach der Repräsentation und demokratischen Kontrolle, nicht nur im Hinblick auf das repräsentativ-parlamentarische System und dessen Entscheidungsverfahren, sondern auch in Bezug auf die eigenen Organisationsgefüge der Bewegung. Denn wie Dieter Rucht schon im Rahmen des ersten Attac-Kongresses 2001 in Berlin hervorhob, besteht einer der zentralen Herausforderungen der globalisierungskritischen Bewegung auch heute noch darin, vor allem in den internen Strukturen „eine dominante Willensbildung von unten nach oben zu gewährleisten und […] Minderheiten nicht durch Formalismen oder ein Führerprinzip auszuschalten“ (Rucht 2002c: 56). Auf diese oder ähnliche Diskussionen und Fragestellungen wird in den Bildungsmaterialien des Attac-Netzwerks jedoch nicht eingegangen. Stattdessen werden die Lernenden z. B. dazu aufgefordert, wahlweise das Verhältnis von „Zentralbank und Demokratie“, „Troika und Demokratie“ oder „Investorenschutz und Demokratie“ zu beurteilen. Eine grundsätzliche Debatte über die Begrifflichkeit „Demokratie“, auch bezogen auf die unterschiedlichen Vorstellungswelten einer „Demokratie von unten“, oder das angestrebte Ziel, eine „Verbesserung der demokratischen Substanz von Politik“ (Haug et al. 2005: 86) zu erreichen, wie es vor vielen Jahren bereits von Akteuren der Sozialforen gefordert wurde, ist nicht vorgesehen.

Innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung herrscht ein weit verbreitetes Unbehagen darüber, dass ethisch-moralische Grenzen von der Mehrheit der international agierenden Konzerne scheinbar nicht eingehalten werden, die „Forderung nach einer Vertiefung der Demokratie“ (Vogel 2010: 62) von der Politik weitgehend unbeachtet bleibt und nationalstaatliche Regulierungsinstanzen im Zeitalter der Globalisierung zunehmend an Bedeutung verlieren. Die demokratischen Einflussmöglichkeiten, so jedenfalls die Wahrnehmung vieler Globalisierungskritiker*innen, seien in den vergangenen Jahren zugunsten globaler Wirtschaftsinteressen abgebaut worden. Die Bildungsmaterialien von Attac-Deutschland greifen diese Diskurse auf und werden seitens des Netzwerks zugleich auch als ein Mittel zur Herstellung von Gegenöffentlichkeit begriffen. Durch die eigenen Materialien und Angebote sollen u. a. politische Hintergründe vermittelt, (globale) Problemlagen und deren mögliche Lösungen aufgezeigt und partizipative Lernprozesse initiiert werden. Dabei geht es aber nicht nur um das Erlernen von „Aktionswissen“ (Armbruster 1979: 40), sondern auch um die Einleitung von Veränderungsprozessen und die Befähigung der Lernenden zur politischen Partizipation. Nach dem Bildungsverständnis von Attac gehört hierzu neben dem Wissen über Formen und Möglichkeiten von politischer Beteiligung ebenso die Teilnahme an politischen Aktionen. Denn nur durch das praktische Handeln könne man, so der bildungspolitische Ansatz des Netzwerks, Selbstwirksamkeitserfahrungen sammeln und eine realistische Einschätzung der eigenen Wirkmächtigkeit erhalten.

In der Politikdidaktik ist dieser Ansatz, wie in Abschnitt 5.1 bereits ausführlicher dargelegt wurde, durchaus umstritten: „Während über die Existenz des Ziels ‚politische Partizipation‘ Konsens besteht, wird praktisches politisches Handeln, im Sinne einer (Beteiligung an einer) politischen Aktion, von dem Großteil der Politikdidaktiker*innen nicht als Ziel definiert“ (Wohnig 2020b: 189). Es überwiegt die Skepsis, ob die Ermutigung zum Handeln verbunden mit der konkreten Beteiligung an politischen Aktionen nicht auf erhebliche Weise gegen den Beutelsbacher Konsens verstoßen würde und letztlich sogar zu einer Überwältigung und Indoktrination der Lernenden führen könnte (vgl. z. B. Detjen 2012: 235).Footnote 24 Doch ist es nicht gerade ein Ziel politischer Bildungsarbeit „Demokratie und Entscheidungsprozesse transparent und erfahrbar zu machen“ (Kenner 2018: 247) und selbstbestimmtes Handeln zu fördern? Und kann die Teilnahme an politischen Aktionen den Lernenden nicht auch wichtige Impulse zum weiteren politischen Engagement im besten Sinne einer lebendigen, auf der Mündigkeit der Bürger*innen basierenden Demokratie geben? Wie Frank Nonnenmacher bereits mehrfach betont hat (vgl. Nonnenmacher 2011a oder 2011b), sollte die Ermöglichung von politischem Handeln nicht grundsätzlich abgelehnt, jedoch an bestimmte Rahmenbedingungen geknüpft werden.Footnote 25 Hierzu zählt bspw. eine Analyse- und Reflexionsphase, in denen die jeweilige Aktion und die eigenen Erfahrungen kritisch hinterfragt und eingeordnet werden.Footnote 26 Auf diese Weise kann Politik, abseits des bloßen Aktionismus und unter Wahrung der Freiwilligkeit, erfahrbar gemacht und Räume der politischen Teilhabe ermöglicht werden, ohne aber die notwendige fachliche, politisch-bildende und vor allem pädagogische Begleitung zu vernachlässigen. Steve Kenner betont: „Das Durchdringen demokratischer Entscheidungsprozesse kann durch modellhafte Erfahrungswelten gelingen […] und für das Erlangen einer hohen demokratischen Selbstwirksamkeit kann politische Aktion hilfreich sein. Wenngleich die Handlungskompetenz ein komplexes Feld ist, müssen sich diese drei Elemente der Demokratiebildung nicht ausschließen, sondern können gemeinsam das wohl wichtigste Ziel der Demokratiebildung erreichen: mündige Bürgerinnen und Bürger“ (Kenner 2018: 253). Wie Dirk Lange und Steve Kenner berechtigterweise hervorheben, zeichnen sich mündige Bürger*innen nicht nur dadurch aus, „sich in bestehende politische, ökonomische, gesellschaftliche Systeme einzugliedern und zu funktionieren, sondern auch Herrschafts- und Machtstrukturen zu kennen, um selbst aktiv politische Prozesse nachhaltig beeinflussen zu können“ (Lange/Kenner 2018: 9).

Die politische Aktion und der Protest „als Ausdruck einer lebendigen, sich wandelnden Demokratie“ (Szukala/Oeftering 2020b: 7) haben in den letzten Jahren in der fachdidaktischen Diskussion deutlich an Bedeutung zugenommen. Dies zeigt sich zum einen an den kürzlich erschienenen Arbeiten von Alexander Wohnig (2020a, 2020b) und Steve Kenner (2021a, 2021b) und dem Modellprojekt „Politische Partizipation als Ziel der Politischen Bildung“, das aus Mitteln der bpb gefördert und im Zeitraum von Juli 2016 bis Dezember 2019 vom Haus am Maiberg, der Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz, durchgeführt wurde (vgl. Haus am Maiberg 2022) sowie zum anderen an den vermehrten Fachdebatten und entsprechenden Publikationen zu diesem Themenfeld (vgl. hierzu etwa Szukala/Oeftering 2020a, Reheis et al. 2016, Weißeno/Buchstein 2012, Pohl 2019 oder Widmaier/Nonnenmacher 2011). Ungeachtet dieser vermehrten Aufmerksamkeit fehlt es in Bezug auf politische Aktionen als Lerngegenstand aber nach wie vor an der nötigen Grundlagenforschung; was mitunter auch damit zusammenhängt, dass in den „letzten 30 Jahren die politisch-kulturelle Transformation der Gesellschaft durch Protest nur sehr schleppend in gegenstandsbezogenen Inhaltsfeldern, fachinhaltlichen Formaten und einschlägigen Didaktisierungen rezipiert [wurden]“ (Szukala/Oeftering 2020b: 13). Die in den vorherigen Abschnitten dargelegten Beispiele aus der globalisierungskritischen Bildungspraxis verdeutlichen, wie wichtig eine verstärkte fachdidaktische Auseinandersetzung mit dem Lernen in politischen Aktionskontexten ist – unabhängig davon, ob und inwiefern der Protest, bspw. „in Form von der Teilnahme an Demonstrationen, inzwischen […] als legitime und etablierte Form der politischen Artikulation angesehen wird“ (ebd.: 14) und in der Fachdidaktik die politischen Partizipationserfahrungen als durchaus relevant für die verschiedenen Teilbereiche der Demokratiebildung anerkannt werden.

Die globalisierungskritische Bewegung kann durchaus als „Motor auf dem Weg zu einer neuen Beteiligungskultur“ (Roth 2018: 231) angesehen werden. Aus ihr heraus entstanden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Entwürfe für alternative Organisationsmodelle sowie neue Partizipationsformen, die sich vielfach an den Prinzipien der Basisdemokratie orientieren.Footnote 27 Beispielhaft steht hierfür das Konzept des „partizipativen Haushalts“, das zunächst in Porto Alegre angewandt, wenig später dann insbesondere durch Akteure der globalisierungskritischen Bewegung größere Bekanntheit erfuhr und schließlich in Form kommunaler Bürgerhaushalte in zahlreichen deutschen Städten realisiert wurde. Derartige Formate ermöglichen ein aktives, niedrigschwelliges bürgerschaftliches Engagement und tragen in nicht unerheblicher Weise zum Verständnis von Beteiligung als einen stets „unabgeschlossenen demokratischen Lernprozess“ (ebd.: 241) bei. Attac-Deutschland hat mit seinen vielfältigen politischen Bildungsangeboten und umfangreichen Bildungsmaterialien diese Prozesse einer aktiven Bürgerschaft seit jeher gefördert. Durch die Sommerakademien, Aktionsakademien oder Attacademien wurden demokratische Lernräume geschaffen, in denen Alternativen und Gegenkonzepte, aber auch Problemlagen und Spannungsfelder offen diskutiert und etwaige Lösungswege aufgezeigt wurden. Der aktionsorientierte und auf Empowerment setzende Ansatz der politischen Bildungsarbeit von Attac ermöglichte in vielen Fällen erst „reale Erfahrbarkeit politischen Handelns“ (Wohnig 2018: 274) und die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen und Einflusschancen auf politische Entscheidungsprozesse. Insofern hat das Attac-Netzwerk in den vergangenen Jahren durch sein vielfältiges Bildungsengagement zur „Partizipationsbereitschaft und -fähigkeit“ (Hoffmann 2016: 198) vieler Bürger*innen beigetragen sowie die Diskussionen um partizipative Beteiligungsformen im schulischen wie außerschulischen Bildungskontext auf vielfache Weise bereichert. Die zentrale Leitidee bildete dabei stets die Förderung politischer „Mündigkeit im Sinne von selbstständiger politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit“ (Detjen 2007: 426).

Politisches Handeln wird von Attac nicht nur als bloßer Aktionismus verstanden, sondern als Möglichkeit, sich anhand eines konkreten Anlasses auf demokratischem Wege in den öffentlichen Diskurs einzumischen und dadurch „anerkennende und empowernde politische Bildungserfahrungen“ (Kenner/Wohnig 2020: 110) zu sammeln. Gerade hierin liegt die Chance für die Politische Bildung, Bürger*innen unabhängig von ihrem Alter wieder verstärkt für die Politik zu begeistern und zur politischen Teilhabe zu ermutigen. Denn wie Steve Kenner und Alexander Wohnig zu Recht betonen, sind „[d]emokratische Gesellschaften […] auf das politische Urteilen und Handeln der BürgerInnen angewiesen, sie bedürfen einer kritischen Öffentlichkeit“ (ebd.: 109). Für Dirk Lange und Moritz Peter Haarmann ist das „Gebot der Partizipationsbefähigung“ (Lange/Haarmann 2016: 166), auf das auch die Autor*innen der Attac-Bildungsmaterialien in unterschiedlicher Form rekurrieren, schon im Beutelsbacher Konsens angelegt. In dem von Hans-Georg Wehling verfassten Protokoll der damaligen Tagung heißt es etwa: „Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen“ (Wehling 1977, zit. 2016: 24).Footnote 28 Dieses Prinzip schließt, so Lange und Haarmann, nicht nur „die Befähigung zur politischen Partizipation“ (Lange/Haarmann 2016: 167), sondern letztlich ebenso „eine Befähigung zur politischen Aktion“ (ebd.) mit ein. Das stets postulierte Leitbild des mündigen Bürgers impliziert im umfassenden Sinne eine selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft und die „Entwicklung der eigenen politischen Urteilskraft, also zum Beispiel die Befähigung zum kritischen Denken, zum Hinterfragen von scheinbar Selbstverständlichem, zum Delegitimieren von Herrschaft, zum Dechiffrieren von Ideologie, zur Eröffnung von Alternativen und Utopien“ (ebd.: 169). „[D]iesen kritischen Blick auf Politik und Gesellschaft [zu] beherrschen“ (ebd.) ist, nach Lange und Haarmann, „eine demokratische Notwendigkeit“ (ebd.). Demzufolge liegt speziell „[i]n diesem aktivierenden und von eigenen politischen Interessen geleiteten Lernen […] die Hauptaufgabe der politischen Bildung“ (ebd.). Diesen Ausführungen kann abschließend nur zugestimmt werden.