Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlichen/technischen Unterricht eine Rolle? – Heterogenität in der Schule

Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlichen/technischen Unterricht eine Rolle?

1. Im Rahmen eines Projekttages dürfen die Schüler*innen der 3b wählen, ob sie lieber Naturgegenstände sammeln und damit ein Wald- Mandala gestalten oder aber in Bäumen aufgehängte Nistkästen abhängen und reparieren möchten. Sandra interessiert sich mehr für die Nistkästenaufgabe, wählt aber wie die meisten anderen Mädchen der Klasse das Mandala-Vorhaben. Finden Sie mögliche Erklärungen für diese Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993).

Im Zuge eines Projekttages wählt Sandra trotz ihres Interesses an der Nistkästenaufgabe für das Mandala-Vorhaben. Für die Erklärung dieses Phänomens wird die Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan herangezogen. Hierbei werden Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit als ausschlaggebende psychologische Grundbedürfnisse benannt (Deci / Ryan, 1993, S. 229 ff.).

Kompetenz als Grundbedürfnis beschreibt in diesem Zusammenhang die Handlungsfähig eines Kindes Aufgaben eigenständig zu bewältigen (vgl. Folie 20). Die Autonomie bezieht sich im Unterricht auf die Fähigkeit durch Wahlmöglichkeiten, Problemlöseaufgaben oder Projektunterricht im selbstständig getroffene Entscheidungen zu realisieren. Es dabei zu beachten, dass die Aufgaben den Fähigkeiten der Schüler*innen entsprechen um sie nicht zu überfordern und somit nicht zu demotivieren (ebd.). Als dritter Bestandteil der benannten Selbstbestimmungstheorie beschreibt die soziale Eingebundenheit das Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz der Peers bzw. der Mitschüler*innen. Durch die Variation der Sozialformen im Unterricht können Aufgaben zusammen bearbeitet werden, wodurch eine Zugehörigkeit entsteht und gestärkt werden kann (vgl. Maltzahn, 2014, S. 115,116).

Sandra scheint besonders vor dem Hintergrund der sozialen Eingebundenheit auf ihr Interesse an der Nistkästenaufgabe auf diese zu verzichten. Der Einfluss ihres sozialen Umfeldes überwiegt dem Bedürfnis nach Autonomie, weshalb sie letztendlich das Mandala-Vorhaben wählt (ebd.).

2. Welche didaktischen Entscheidungen konterkarieren in dieser Situation (paradoxer Weise?) für den Großteil der 3b die Förderung vielfältiger Interessen?

Die eigenständige Wahl von Aufgaben spricht zwar für die grundlegenden psychologischen Grundbedürfnisse nach Deci /Ryan, jedoch sind die zur Auswahl stehenden Aufgaben erfahrungsgemäß sehr stereotypisiert an bestimmte Geschlechterrollen angelegt (vgl. Deci / Ryan, 1993, S. 229). Während Mandalas einen künstlerischen und ästhetischen Charakter aufweisen, sind Nistkästen mit handwerklichem Arbeiten verbunden. Am Beispiel von Sandra ist zu erkennen, dass die freie Auswahl an solchen Aufgaben häufig eine Geschlechterzuordnung suggeriert. Entscheidungen der Schüler*innen sind somit stark an das soziale Umfeld gekoppelt und nicht am eigenen Interesse.

Für die Förderung von vielfältigen Interessen wäre eine von Stereotypen unabhängige Aufgabenstellung passender. Somit bleibt die Orientierung am Umfeld aus und die Kinder entscheiden nach eigenem Interesse.

3. Eine Kollegin berichtet im Lehrer*innenzimmer, dass sie im Werkunterricht bei Partnerarbeiten meist Junge/Mädchen kombiniert, um Kompetenzunterschiede auszugleichen. Kommentieren Sie diesen Ansatz mit Blick auf verschiedene denkbare Ausprägungen technikbezogener Selbstkonzepte der Schülerinnen und Schüler.

Dieser Ansatz ist stark an stereotypische Geschlechterrollen gekoppelt. Es wird von der Lehrkraft davon ausgegangen, dass das Geschlecht allein Unterschiede in den Kompetenzen charakterisiert. Die Lehrkraft suggeriert den Lernenden mit diesem Ansatz, dass Mädchen beispielsweise in den Naturwissenschaften oder in der Technik einen Nachteil gegenüber den Jungen haben, was somit dazu führt, dass Geschlechterrollen in der Gesellschaft weiterhin stark präsent sind. Gerade im Sachunterricht besteht jedoch die Chance sich von diesen Geschlechterrollen zu lösen, da jedes Kind auf ein individuelles Repertoire an lebensweltlichen Erfahrungen zurückgreifen kann und diese im Unterricht einbringen kann (vgl. Jerusalem, 1997, S.3-5). Zudem sind eigenständige Gruppenbildungen besser geeignet, da Kinder basierend auf ihrem Interesse, ihren Kompetenzen und den Beziehungen zu ihren Mitschüler*innen Gruppen bilden.

 

Literatur:

Deci, Edward L. / Ryan, Richard M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift Pädagogik 39. Bletz Juventa, 223-238

Jerusalem, Matthias (1997): Die Entwicklung von Selbstkonzepten und ihre Bedeutung für Motivationsprozesse im Lern- und Leistungsbereich. Antrittsvorlesung, 23. Mai 1993. Berlin: Humboldt-Universität, Philosophische Fakultät 4. In: https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/2230/Jerusalem.pdf?sequence=1; Zugriff 31.05.2023

Maltzahn, Katharina von (2014): Mädchen und Naturwissenschaften. Zur Entwicklung von Interessen nach der Grundschule. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, 115-118.


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