Interview | Ulrich Matthes - "Die Verleihung der Lolas ist als Zeichen nicht zu unterschätzen"

Fr 01.10.21 | 08:45 Uhr
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Archivbild: Ullrich Matthes, Präsident Deutsche Filmakademie. e. V. Ankunft zur 22. Preisverleihung, roter Teppich zum Nachwuchspreis First Steps Award 2021 im Holzmarkt in Berlin. (Quelle: dpa/R. Müller)
Bild: dpa/R. Müller

Es sei ihm in diesem Frühjahr "echt scheiße" gegangen, sagt Ulrich Matthes. Der Schauspieler und Präsident der Deutschen Filmakademie über die Filmbranche nach der Pandemie, politische Filme, Sehnsüchte und die Vorfreude auf die Lola-Gala.

rbb|24: Herr Matthes, im vergangenen Jahr musste die Filmpreis-Gala im Sondermodus und komplett ohne Gäste stattfinden. Wie schauen Sie auf diese Zeit danach zurück, als Schauspieler, als Präsident der Deutschen Filmakademie und auch als eine Art Vertreter der Filmbranche?

Ulrich Matthes: Mir privat, wenn ich damit vielleicht erstmal anfangen darf, ging es in der zweiten Phase der Pandemie viel schlechter als in der ersten. Ich habe das ganze letzte Jahr immer mal wieder gearbeitet – gedreht, die Theater waren ja zu – und irgendwie war ich ganz hoffnungsvoll, was das Jahr 2021 angeht. In diesem Frühjahr ging es mir dann aber echt scheiße. Das kann ich nicht anders sagen. Da hat es mich sehr gebeutelt. Mensch, habe ich gedacht, das nimmt und nimmt kein Ende, und ich bin ja durch mein festes Engagement am Deutschen Theater sogar sehr privilegiert. Wie muss es dann erst denen gehen, die sich wirklich existenzielle Sorgen manchen müssen? Ich war da wirklich am Ende mit meinen Kräften, was Corona angeht. Das hat sich dann mit dem Impfungen und dem Frühsommer wieder eingeruckelt – zum Glück!

Sie haben es gerade schon angesprochen: Filme wurden während der Lockdown-Phase dennoch weiter gedreht.

In der Film-Branche wurde ja interessanterweise sehr viel gearbeitet. Die Filmproduktionen hat es viel weniger schwer getroffen und bedroht als die Kinos. Die Situation der Kinos und der Filmverleiher war wirklich entsetzlich. Auch wenn mich eher als vorsichtigen Optimisten bezeichnen würde, hatte ich befürchtet, dass es nach der Pandemie ein echtes Kinosterben geben würde und ungefähr ein Drittel der Filmtheater dicht machen würden. Das ist glücklicherweise nicht passiert – auch dank des Einsatzes von Monika Grütters, die im zweiten Jahr der Pandemie nachbessern konnte. Insofern gab es das Aussterben der Kinos nun nicht, dafür aber haben sich im Sommer die Verleiher gegenseitig mit den aufgelaufenen Filmen aufgefressen, was auch nicht schön ist. So oder so: Ich kann nur jeden bitten, ins Kino zu gehen. Nicht nur weil es im Kino schöner ist, Filme zu gucken, das gemeinsame Erleben, die große Leinwand – sondern auch ganz simpel, um diese Kulturorte, diese vielen Kiezkinos zu bewahren.

Mit dem Start des neuen Bond-Films und der Filmpreis-Gala am 1. Oktober stehen die Zeichen im Moment tatsächlich ein bisschen auf Hoffnung. Wie ist die Stimmung in der Filmbranche?

Die Vorfreude darauf, dass man sich wieder begegnet, dass man sich live und gemeinsam in einem Saal zu einer Feier des Kinoschaffens trifft, habe ich in allen Gesprächen, in jedem Austausch gespürt. Die Gala und die Verleihung der Lolas ist als Zeichen in die Branche und nach Außen nicht zu unterschätzen. Das ist ein gewaltiger Unterschied, wenn man da gemeinsam zusammenkommt und eine hoffentlich vergnügliche und nicht ganz so lange Veranstaltung wie in den Vor-Corona-Jahren erlebt. Es geht darum, das Kino und die herausragenden Leistungen wieder wirklich gemeinsam zu feiern. Das Wort "gemeinsam" ist mir da besonders wichtig.

Warum?

Die Solidarität der Branche in den Fokus zu rücken, liegt mir und allen sehr am Herzen. Es gab die eine oder andere Verwerfung in diesen letzen anderthalb Jahren in der Branche, auf die ich gar nicht noch einmal näher eingehen möchte. Aber Tatsache ist: Wir bekommen es einfach nur gemeinsam hin. Das gilt für die Gesellschaft und das gilt für die Filmbranche und jeden einzelnen Teil dieser Branche. Wir machen bessere Filme, wenn wir uns einhaken und uns nicht nur um uns selbst kümmern, sondern zusammenarbeiten. Denn egal wie unterschiedlich wir sind, wie unterschiedlich unsere künstlerischen oder auch generellen Ansichten und unsere Biografien sein mögen, wir wollen doch alle gute Filme machen. Und das wollen wir in diesem Jahr feiern. Diesen Anspruch, diese Sehnsucht, diese Hoffnung. Und deswegen freuen wir uns wirklich alle auf den 1. Oktober, so unterschiedlich wir sind.

Findet die Filmpreis-Gala in gewohnter Weise statt, also mit Gästen, Show, mit allem drum und dran? Oder gibt es doch noch ein paar Einschränkungen?

Wir haben einen nicht ganz vollbesetzten Saal. Wir sind jetzt bei 1.400 Gästen, 2019 waren wir bei ungefähr 2.200 Zuschauern in der Messe unter dem Funkturm. Wir mussten schon ein bisschen reduzieren, aber immerhin: Es ist ein großer Saal mit sehr vielen Menschen und die Gala wird sich auch wie eine echte Gala anfühlen. Wir haben einen tollen Moderator mit Daniel Donskoy, der gleichermaßen unterhaltsam und politisch anspruchsvoll sein kann. Und wir haben mit Nico Hoffmann als künstlerischem Leiter der Verleihungsgala einen echten Profi. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass es ein toller Abend wird. Was wir für den Abend geplant haben, finde ich alles sehr vielsprechend. Ich mache mir also nicht nägelkauend Sorgen darum, dass das alles schiefläuft, sondern ich glaube, der Abend wird ein echtes Fest. Für uns alle und vor allem für die, die für ihre Leistungen nominiert sind.

Film ist ja immer auch ein Spiegel der Realität, aber die Filme, die nominiert sind, können unsere Realität gar nicht wiedergeben, weil sie sich so sehr und so schnell verändert hat. Glauben sie trotzdem, dass es auch ein bis zu einem gewissen Grad politischer Abend werden wird?

Man ist ja ein gesellschaftliches Wesen, auch ich natürlich. Wir sind es aber alle, jeder auf seine Art. Und wir können uns nicht die Augen und Ohren zukleben und sagen: Das geht uns nichts an. Natürlich spiegelt Kunst auch immer die Gesellschaft, in der sie entsteht und ihren Platz findet. Das ist ja gerade das Bedeutsame an der Kunst: dass sie in die Gesellschaft, ins Politische und ins Zwischenmenschliche schaut und es aufgreift und verarbeitet. Insofern ist auch dieser Jahrgang ein ganz und gar politischer Jahrgang.

Obwohl sich nominierte Filme wie "Fabian oder Der Gang vor die Hunde", "Ich bin dein Mensch" oder "Je suis Karl" gar nicht mit Corona beschäftigen?

Dass sich dieser Jahrgang mit Corona nicht auseinandersetzt, liegt daran, dass die nominierten Filme in einer Zeit entwickelt und erdacht wurden, als es Corona noch gar nicht gab. In vier oder fünf Jahren werden wir vielleicht den einen oder anderen Film darüber sehen, ob nun als Komödie oder als Drama. Mein persönliches Bedürfnis, solche Filme zu sehen, ist im Augenblick aber nicht sehr groß. Wir hatten nun genug davon, live und in Farbe. Abgesehen davon, dass wir uns rein praktisch damit auseinandersetzen, dass wir als Schutzprotokoll auch Geimpfte und Genesene noch mal testen lassen und Ungeimpfte per PCR-Test, freuen wir uns wirklich vor allem erstmal auf den Abend und das Miteinander. Und wenn es irgendein Motto für diesen Abend gibt, dann dass wir – gemeinsam und zusammen wieder da sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Alexander Soyez.

Sendung: Inforadio, 01.10.2021, 08:50 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ein toller Schauspieler, der auch abseits seines Metiers zu gehaltvollen Aussagen imstande ist.

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