Apotheker wollen keine Telepharmazie

Reformvorhaben

Apotheker wollen keine Telepharmazie

Digitale Apothekerpräsenz könnte die Betriebskosten einer Filiale kräftig drücken. Eine Chance! Mit der die Branche jedoch mehrheitlich nichts anfangen kann.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Baustelle Apotheke: Auch hier will der Bundesgesundheitsminister noch Hand anlegen, um die flächendeckende Versorgung am Leben zu erhalten.

Baustelle Apotheke: Auch hier will der Bundesgesundheitsminister noch Hand anlegen, um die flächendeckende Versorgung am Leben zu erhalten.

© D. Kerlekin/Snowfield / Snowfield Photography / picture alliance

Kürzlich titelte der Branchendachverband ABDA: „Gutachter warnen vor Apothekenreformplänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach“. Um Himmels willen – was hat der Mann vor? Nichts weniger als eine strukturelle Runderneuerung der Arzneimittelabgabe. Bereits beim Apothekertag Ende September konfrontierte der Minister die freiberuflichen Pharmazeuten mit seinen Plänen – und erntete Entrüstung. Mitte Dezember legte das BMG „Eckpunkte“ vor. Unterdessen verlautet aus dem Ministerium, der Referentenentwurf sei fertig und gehe „in Kürze“ in die Ressortabstimmung. Noch vor der Sommerpause könne die Novelle vom Kabinett verabschiedet werden.

Erklärtes Ziel: Ein flächendeckendes Apothekennetz angesichts solcher Herausforderungen wie Landflucht und Fachkräftemangel zu erhalten. Dazu sollen unter anderem telepharmazeutische Beratung erlaubt sowie Filialgründungen und -betrieb erleichtert werden. Apotheken sollen Aufgaben zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen übernehmen, in Check-up-Untersuchungen einbezogen werden oder auch neue pharmazeutische Dienstleistungen erbringen dürfen.

Mehr Umsatz über Menge

Nennenswert mehr Geld soll es allerdings nicht geben. Einziges Trostpflaster ist den bisherigen Ankündigungen zufolge eine geringe Anhebung des Notdienstzuschlags. Zudem soll die Anpassung des gesetzlichen Honorars je abgegebener Rx-Packung künftig zwischen GKV-Spitzenverband und Apothekerschaft ausgehandelt werden, erstmals mit Wirkung ab 2027. Bislang wird die Marge vom Bundeswirtschaftsministerium in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegt, aktuell als „Festzuschlag von drei Prozent zuzüglich 8,35 Euro“, wie es in der Verordnung heißt.

Übergangsweise soll die dreiprozentige Marge auf zwei Prozent gesenkt und im Gegenzug der fixe Packungszuschlag um die dadurch freigesetzten Mittel angehoben werden. Profitieren würden dadurch Apotheken, die vor allem vom Mengengeschäft der generischen Grundversorgung leben. Während hochpreisige Innovationen weniger Spanne abwerfen als bisher.

Seit langem fordert die ABDA eine Anhebung des packungsbezogenen Abgabezuschlags auf wenigstens zwölf Euro – und keine Umverteilung. Die würde auch nicht viel bringen, ist man sich sicher und verweist auf ein – bislang noch unveröffentlichtes – Gutachten, mit dem der Gießener Volkswirt Professor Georg Götz beauftragt wurde.

Gutachter: Hilft schwachen Betrieben nicht

Nennenswerte Einkommenseffekte zugunsten kleinerer oder wirtschaftlich klammer Betriebe ließen sich von der Aufwertung der Mengenkomponente zulasten der Strukturkomponente „bei unveränderten Krankenkassenausgaben“ nicht erwarten, bestätigt Götz. Da umsatzstarke Apotheken eben auch einen hohen Packungsdurchsatz hätten, bringe das schwächelnden Betrieben höchstens ein paar Tausend Euro – „nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“. Um kleineren Offizinen gezielt zu helfen, sei eher über mengengestaffelte Zuschläge nachzudenken.

Gewichtigen professoralen Sachverstand fährt die ABDA auch gegen die telepharmazeutischen Vorschläge Lauterbachs auf. Digitale Beratung und Personal-Unterstützung kritisiert sie als Einstieg in „Apotheken light“. Ob vielleicht sogar verfassungsmäßige Abwehrrechte berührt wären, sollte der Bonner Juraprofessor Udo Di Fabio ausloten. Das Ergebnis ist auch in diesem Fall noch nicht veröffentlicht. Bei einem Pressetermin in der letzten Aprilwoche durfte der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht seine Gedanken aber schon mal vortragen.

Gefestigtes Berufsbild

Danach habe der Gesetzgeber in Erfüllung staatlicher Schutzpflichten ein dichtes Regelwerk geschaffen, um eine sichere Arzneimittelabgabe zu gewährleisten. Im Zuge dessen hätten sich die im Apothekengesetz sowie in der Apothekenbetriebsordnung formulierten Präsenzpflichten approbierten Personals zum Berufsbild der freiberuflich aufgestellten Branche verfestigt, an dem sie nun mehrheitlich auch festhalte. „Weil es ihrer Überzeugung entspricht, nicht weil es so einträglich wäre“, wie Di Fabio betont.

Daran zu drehen, bedeute nichts weniger als einen Grundrechtseingriff, der „im Hinblick auf Eignung und Erforderlichkeit zu beurteilen“ wäre. Gebe es mildere Mittel, Betriebskosten zu senken, sei die Abkehr „vom Leitbild persönlicher Kontrolle der Arzneimittelabgabe durch einen pharmazeutisch qualifizierten Apotheker“ vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit unzulässig. Als „milderes Mittel“ empfiehlt Di Fabio dem Gesetzgeber „andere Rentabilitätsbedingungen“.

Offen bleibt, wie, wenn es hart auf hart käme, ein Apotheker in Karlsruhe die Verletzung seines Rechts auf freie Berufsausübung begründen sollte. Schließlich soll digitale Präsenz zur Produktabgabe nur ermöglicht und erlaubt, doch keineswegs alle darauf verpflichtet werden.

Kostenvorteil für Filialen

Beratung via Bildschirmkontakt könnte die laufenden Kosten einer Zweigstelle erheblich senken, weil dann nicht mehr wie heute für jeden Laden ein approbierter Pharmazeut zur Beaufsichtigung eingestellt werden müsste. 4.621 Filialapotheken gab es 2023 bundesweit. Auch Neugründungen oder die Übernahme einer Offizin, für die sich kein Nachfolger findet, als Nebenbetrieb, würden ökonomisch attraktiver. Theoretisch eine Chance.

Über Gründe, warum die ABDA sie zurückweist, lässt sich spekulieren. Etwa, weil nur Marktteilnehmer sie ergreifen könnten, die willens und in der Lage sind, in Filialen und Digitaltechnik zu investieren? Für 64 Prozent aller zuletzt 17.571 Apotheken werden Jahresumsätze unterhalb des Durchschnitts (2023: rund 3,4 Millionen Euro) berichtet. Ein Drittel erzielt ausweislich jüngster – aber auch schon früherer – Verbandszahlen prekäre Betriebsergebnisse: Zuletzt nur maximal die Hälfte des branchendurchschnittlichen Gewinns (vor Steuern und Vorsorgeaufwand des Inhabers) von rund 148.000 Euro.

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