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Kunst Rosemarie Trockel

Die befreite Frau

Stellv. Ressortleiterin Feuilleton
Die Künstlerin Rosemarie Trockel in einer Ausstellung im Schloss Morsbroich 2012. Die Künstlerin Rosemarie Trockel in einer Ausstellung im Schloss Morsbroich 2012.
Die Künstlerin Rosemarie Trockel in einer Ausstellung im Schloss Morsbroich 2012
Quelle: Oliver Berg/dpa
Rosemarie Trockel ist eine überzeugte Feministin – und das seit mehr als vierzig Jahren. Wie wenig sie jedoch von ideologischen Grabenkämpfen hält und der so beliebten weltverändernden Kraft der Kunst, erlebt man jetzt in Frankfurt. Sie setzt damit ein wichtiges Zeichen.

Rosemarie Trockel ist berühmt, weltberühmt. Sie zählt seit vielen Jahrzehnten zu den einflussreichsten Künstlern. Sie hat bis 2016 an der Kunsthochschule in Düsseldorf unterrichtet, Dutzende Ausstellungen in den wichtigsten Museen der Welt gehabt, Generationen an jungen Künstlern geprägt. Deutschland kennt sie, mindestens für ihre „Strickbilder“, wie Gerhard Richter für seine „Kerze“. Die Künstlerin hat die „weibliche Kulturtechnik des Strickens“, wie sie in kunsthistorischen Beiträgen immer angestrengt genannt wird, Mitte der 1980er-Jahre als Symbol für die Rolle der Frauen erkannt und Bilder aus Wolle auf den männlich besetzten Keilrahmen gespannt.

Sie nahm die Nadeln aber nicht etwa selbst in die Hand, sondern gab die Bilder in Auftrag, an Maschinen. Damals ein kraftvoller Akt der Emanzipation von den dominanten Malermännern wie Richter, Lüpertz, Baselitz. Und bis heute unvergessen. Auch weil die farbgewaltigen Wollbilder eine außergewöhnliche Intensität entfalten.

Rosemarie Trockels Strickbild „Wasser“ von 2004
Erinnert an amerikanische Farbfeldmalerei oder abstrakten Expressionismus, ist aber gestrickt: Rosemarie Trockels „Wasser“ von 2004
Quelle: © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022/Foto: Axel Schneider

Wie wenig man aber das Gesamtwerk von Trockel begreift, wenn man nur diese Bilder kennt, zeigt jetzt ihre Retrospektive im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt, die die Künstlerin anlässlich ihres 70. Geburtstags gemeinsam mit der Direktorin Susanne Pfeffer geplant und die sich nun in wochenlanger Kleinstarbeit entfaltet hat. Noch vier Tage vor der Eröffnung sah man Pfeffer und Trockel diskutierend durch die Räume streifen. Man stieg über Werke am Boden, folgte den Anlieferungen ihrer Wollbilder von der Kunstbiennale in Venedig. Mehrere Hundert Werke sind es schließlich geworden. Eigens für die Ausstellung entstanden neue Arbeiten, wurde nie Gezeigtes ausgegraben.

Gefangene unseres Selbst

Für diesen Kraftakt der Aufbereitung eines langen Lebens, in dem jeder Tag in der Produktion einer Zeichnung, einer Keramik, einer Collage mündet, hat Pfeffer das gesamte MMK leer geräumt. Was vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, weil auch die einzigartige Sammlung des Museums Aufmerksamkeit verlangt, hat Pfeffer zur Praxis erklärt. Den Frankfurtern stehen jedoch seit einigen Jahren drei Standorte zur Verfügung, das „Tortenstück“, wie Hans Holleins eigenwilliges MMK genannt wird, das kleine Zollamt direkt gegenüber und die Hochhausetage „Tower“ im Bankenviertel.

Rosemarie Trockels Keramik „Louvre“ 2 von 2009
Keramik kann Trockel auch: „Louvre“ 2 von 2009
Quelle: © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022/Foto: Axel Schneider

Gleich zu Beginn fängt Trockel den Besucher mit einem blauen engmaschig-gestrickten Netzmuster ein, das im Siebdruckverfahren auf die Wände der großen Halle aufgebracht ist. Es trägt den Titel „Prisoner of Yourself“ und ist von 1998. Sind wir die Gefangenen unseres Selbst? Man hängt jedenfalls visuell wirklich fest und beginnt, die einzelnen Flusen zu sezieren. In das schöne und beunruhigende Wandmuster ist eine Fensterarbeit eingelassen. Das eigentlich hoffnungsvolle „Bild als offenes Fenster“, tausendfach gesehen in der Kunstgeschichte von Alberti, Vermeer und bis in die Gegenwart, wird durch dicke Schlösser gesichert. Dieses Fenster schützt vor der Außenwelt und verschließt sich dadurch der Kunst.

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Trockel verbindet mit spielerischer Freude gute und böse Anspielungen. Eine 2,9 Meter hohe Haarnadel lehnt wie ein edles Designerstück an der Wand; mit ihr wurden jahrhundertelang die Haare der Frauen gebändigt. Was aber kann man noch alles damit anfangen? Heute assoziieren Museumsbesucher vielleicht das Werkzeug der massenmordenden Alexia im feministischen Skandal-Cannes-Gewinnerfilm „Titane“ von Julia Ducournau oder eine andere rachewütige Frau.

Rosemarie Trockels 2,90 Meter hohe Haarnadel „Notre-Dame“ von 2018
Mordwerkzeug oder Haarbändiger? Drei Meter hoch ist diese Nadel von Rosemarie Trockel – sie trägt den Titel „Notre-Dame“

Der Betrachter jedenfalls ist spätestens hier gefangen im trockelschen Netz, Raum für Raum häufen sich mehr Assoziationen und Sezierungen. In der dunklen Filmkammer schlägt eine Frau (Trockel selbst) einer anderen die Nase blutig auf der Suche nach dem „besten Künstler“, Trockel begleitet das Mädchen „Julia“ von seinem 10. bis 20. Lebensjahr, und es erzählt ihr, dass es sich auf das Erwachsensein freut, weil man dann keine Angst mehr haben müsse. Zurück am Tageslicht, flimmern verlockend monumentale Keramiken, erinnern aber in der Nahsicht an scharfe Reiben. Für ihre Reihe „Cluster“ plündert Trockel ihren umtriebigen Newsfeed-Alltag; die Künstlerin verfolgt die gesellschaftspolitischen Ereignisse wie eine Süchtige.

Michel Houellebecq trifft Franz Josef Strauß

Es sind Bildfriese, deren Zusammenstellung auf den ersten Blick wenig Sinn ergibt; wenn der Schriftsteller Michel Houellebecq auf den Künstler Jeff Koons und den bayerischen Politiker Franz Josef Strauß trifft, muss sich jeder eine eigene Bedeutung zusammenbauen. Um handwerkliche Fähigkeiten geht es hier nie. Motive der Serie „Rushhour“ hat Trockel in China malen lassen, „White Hope“ mit Julian Assange von einem Assistenten. Der Mythos des malenden Genies ist für sie eher ein Akt des Angebens.

Rosemarie Trockels „White Hope“ von 2021
Trockels Helden? „White Hope“ von 2021
Quelle: © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022/Foto: Axel Schneider

Ihre durchaus wilde Mischung gipfelt in „Replace Me“, auf dem Trockel Courbets „Ursprung der Welt“-Motiv von 1866 zitiert und die Scheide der Frau mit einer Vogelspinne bedeckt. Im Angesicht des giftigen Tiers fragt sich die Betrachterin, wie Rosemarie Trockels furioser Humor, in dem die Frauen die Denker sind, die Männer die Objekte und die Tiere einfach auch irgendwie menschlich, eigentlich heute auf jüngere Generationen wirkt. Die Vagina als Gefahr statt Geburt, das würde gut in zeitgenössische „Vulva“-Befreiungsszenarien für die Frau passen.

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Im Film „Heiliger“ allerdings zeigt sich, wie historisch Trockel auch schon ist. Dort gleitet eine Kamera wie verliebt an dem gleichnamigen weißen Backofen-Modell entlang, fährt erotisiert die kleinen Öffnungen im Blech ab, verharrt, fährt weiter, dazu erklingt die traurig-schöne Stimme von Marilyn Monroe. Ein anachronistisches Motiv, wie ein Drehtelefon oder ein Faxgerät, denkt man an den Induktionsherd mit digitalem Display von heute. Und auch die Rolle der Frau hat sich zumindest in Deutschland radikal verändert, auch dank Trockels Generation.

Rosemarie Trockels Herdbild „Unplugged“ von 1994
Rosemarie Trockels Herdbild „Unplugged“ von 1994
Quelle: © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022/Foto: Axel Schneider

Nicht jede Kunst altert also gut. Trockels große Künstlergeneration, Cindy Sherman, Barbara Kruger oder Jenny Holzer, tritt jetzt in eine neue Phase der Historisierung. Shermans fünfzig Jahre altes Frühwerk zum Beispiel hält bis heute mühelos stand, Holzers Thesenkunst aber wirkt in der Rückschau manchmal seltsam banal und erklärungsbedürftig, Kruger hat hingegen auf der letzten Venedig-Biennale wieder gezeigt, dass ihr Werk in der Gegenwart verwurzelt. Und Trockel? Ihr großartiges Gips-Frauenbein kommt einem in den Sinn – mit dem Titel „Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten, der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorliebnehmen muss“. Es ist aus dem Jahr 1991.

Näher an der Gegenwart ist eine großformatige Fotografie; sie zeigt Trockel selbst, schön, nackt, selbstbewusst hockt sie auf Herdplatten, eine Sonnenbrille auf und mit einer Ausstrahlung, die nicht weiter entfernt sein könnte von einer dienenden Hausfrau.

Selbstbestimmung mal kindisch: „Ichi auchi“, 1990 von Rosemarie Trockel
Selbstbestimmung mal kindisch: „Ichi auchi“, 1990 von Rosemarie Trockel
Quelle: © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Und so wundert man sich selbst, wie sehr diese Ausstellung visuell beseelt, wie aufrecht und trotzig sie einen werden lässt, warum man nicht genug bekommen kann von dieser eigenwillig-versponnenen Künstlerinnenwelt. Es ist Trockels feine Ironie, die so mitreißt. Sie selbst erkennt darin einen Schutz vor Zynismus, ganz frei von ideologischen Kämpfen und Empfindlichkeiten. Diese Bescheidenheit ist seltener geworden. Oft stehen die Künstler im Dienste einer gesellschaftspolitischen Aufgabe, werden in den Museen jetzt in Manifeste eingebunden, wie zurzeit im Kunstmuseum Wolfsburg für „Empowerment“. Dort ist schon die Beschreibung der Ausstellung eine Anforderung. Es seien „feministische Ansätze versammelt“, heißt es, die Gesellschaften der Welt mit den Mitteln der Kunst analysierten und mögliche Wege aus den globalen Krisen aufzeigten.

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Die programmatische Freiheit der Retrospektive in Frankfurt entzieht sich diesem Druck der Wirksamkeit. Es ist eine Ausstellung, die keinem Mann, keiner Frau, sondern ganz allein der Kunst dient. Die große Geste, das gesamte Museum dieser Ausnahmekünstlerin zu widmen, verstärkt diese Wirkung: Raum und Zeit gehören ihr, nur ihr. So ist diese Ausstellung eine Hommage an Rosemarie Trockel, eine der wichtigsten Künstlerinnen unserer Zeit – und ein klares Statement gegen jedes übereilte Schauen.

Rosemarie Trockel. Bis zum 18. Juni 2023 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt. Zur Ausstellung ist ein Begleitheft erschienen

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