Elbphilharmonie: „Ausgelernt bin ich noch lange nicht“ - WELT
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Hamburg Elbphilharmonie

„Ausgelernt bin ich noch lange nicht“

Redakteur
André Heller bei einem Besuch in der Elbphilharmonie André Heller bei einem Besuch in der Elbphilharmonie
André Heller bei einem Besuch in der Elbphilharmonie
Quelle: Maxim Schulz
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Der österreichische Multimediakünstler und Regisseur André Heller kehrt nach Hamburg zurück und gestaltet in der Reihe „Reflektor“ eine „Woche des Staunens“ in der Elbphilharmonie – die er als Institution für „ungeheuerlich“ hält

André Heller, 77, hat eine besondere Beziehung zu Hamburg, spätestens seit der österreichische Multimediakünstler Ende der 80er mit dem avantgardistischen Vergnügungspark „Luna Luna“ auf der Moorweide für Furore sorgte. Nun kehrt der Regisseur und Autor als kreativer Vordenker zurück in die Hansestadt und kuratiert in der Reihe „Reflektor“ eine „Woche des Staunens“ bis zum 24. März. Dort treten Gäste wie Philosoph Peter Sloterdijk und Sufi-Gruppen aus Marokko und Pakistan auf. Aber auch der legendäre US-Songwriter Jimmy Webb, der Chor der schreienden Männer aus Finnland und die Brooklyn Cantors mit einer „Jewish Music Night“ sind zu Gast. Zudem werden biografische Filme gezeigt, in denen Heller Gespräche mit zeitgenössischen Persönlichkeiten führt, so mit Sophie Freud, der Enkelin des berühmten Arztes, sowie der Theaterregisseurin Andrea Breth, oder bei denen er Regie führt wie bei „Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin. Die Lebensbeichte von Traudl Junge“.

Welt am Sonntag: In Analogie zum Gesamtkunstwerk könnte man Sie als Gesamtkünstler bezeichnen – mir fällt jedenfalls keine Kunstform ein, die sie nicht gründlich und erfolgreich erprobt haben. Sehen Sie sich selbst mehr als Multitalent oder eher als einfach neugierigen Menschen?

André Heller: Ich bin am ehesten ein Abenteuer- und Expeditionsmensch. Es gibt noch sehr viel Unerforschtes auf meiner Sehnsuchtsliste, und ob eine Unternehmung ein Erfolg war, wird erst klar, wenn man begriffen hat, wie sehr das Wagnis einen verändert, gestärkt oder geschwächt hat. Ausgelernt bin ich natürlich noch lange nicht. Immer noch lautet das Motto: „Auslage in Arbeit.“

Sie haben im Jahr 2020 den Amadeus Austrian Music Award für Ihr Lebenswerk erhalten, fühlen Sie sich seither älter? Und welche Vor- und Nachteile hat das Älterwerden aus Ihrer Perspektive?

Mein Lebenswerk ist die Person, mit der Sie gerade sprechen, deren Fähigkeiten und Armseligkeiten, ihr Selbstvertrauen und das Maß ihrer Ängste und Zögerlichkeiten. Man ist sich mit 77 natürlich vertrauter und überschätzt sich, wie ich hoffe, weniger oft. Man kennt die Fallgruben der Lächerlichkeit, das zum Beispiel ist ein großer Segen. Weniger erfreulich sind die kleinen Banalitäten, wie, sich öfter anzupatzen, zu verschlucken und zu stolpern.

Ihre Kunst brachte das Publikum häufig zum Staunen und auch die Reflektor-Woche soll „eine Woche des Staunens in der Elbphilharmonie“ werden – gleichzeitig steht das Staunen am Beginn jeder Philosophie. Was verbindet aus ihrer Sicht die Liebe zur Weisheit mit der Kunst?

Die sogenannte Kunst ist eine Leiter, von der aus man in gelobte Länder blicken kann und die Summe der auf diesem Weg gesammelten Erfahrungen ist eine Möglichkeit unter vielen, der Weisheit in unserem Leben eine seriöse Chance zu geben. Die machtvollste irdische Weisheitslehrerin ist selbstverständlich bedingungslose Liebe. Das ist aber ein sehr ernstes Projekt, bei dem einem fast nie irgendetwas geschenkt wird.

Wann haben Sie angefangen, über das Reflektor-Programm nachzudenken und nach welchen Vorstellungen haben Sie die Künstler ausgewählt?

Ich habe mich lustvoll darauf vorbereitet und wollte eine Programmierung erreichen, deren Ergebnisse einem so Staunen-verwöhnten Wesen wie mir und der mutigen Leitung der Elbphilharmonie und ihrem Publikum noch einiges an Unvergesslichem bescheren wird.

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Werden Sie die Live-Abende selbst besuchen und ihre Gäste vorstellen?

Besuchen selbstverständlich, aber vorstellen werden sich fast immer die Künstler selbst durch ihre hohe Qualität. Nach zehn Minuten Auftritt wird das Publikum sicher schon viel über sie wissen.

Die Reihe Reflektor in der Elbphilharmonie scheint wie für Sie gemacht. Sie lässt ihnen die Freiheit, Künstler in eine Reihe zu stellen, die niemand sonst miteinander in Verbindung bringen würde – aus unterschiedlichen Genres. Was hat der Chor der schreienden Männer aus Finnland mit Peter Sloterdijk zu tun?

Mich hat immer das Besondere interessiert, das uns von anderen unterscheidet. Je mehr wir von den Lebensverhältnissen und den kulturellen Bedingungen der Menschen begreifen, desto verständiger und achtungsvoller werden wir einander in Gegenwart und Zukunft begegnen. Diese Welt ist katastrophalerweise so angeräumt mit Ignoranz, Verachtung, Lieblosigkeit und Brutalität gegenüber dem Fremden. Auch deswegen schulden wir es uns und den anderen, informierter und achtsamer zu sein. Der Chor der schreienden Männer ist ein faszinierender Ausdruck finnischer Hemmungslosigkeit und Sloterdijks Gedanken zu Schuberts Winterreise werden

Was bedeutet Ihnen der Abend „Die Besten aus Wien“, bei dem aber weder Wolfgang Ambros noch Rainhard Fendrich auftreten werden?

Die wienerische Liedtradition entwickelt sich ständig weiter und wird durch neue Generationen von Meisterinnen und Meistern immer nuancenreicher und mitreißender. Ich will bei unserer Woche des Staunens auch Stars, die der Mehrheit in Deutschland völlig unbekannt sind, präsentieren.

Sie haben für den Reflektor einem Sketch von Karl Valentin und Liesl Karlstadt ein Motto entnommen: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Darin klingt die Herkunft aus einer und die Suche nach einer Heimat mit. Gibt es für Sie nur das Wien, in dem Sie zu Hause sind oder auch ein Wien, mit dem Sie fremdeln?

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Die Stadt Wien ist nicht mein wohliges Zuhause, aber mein schwieriger und verlässlicher Freund. Wienerische Genies wie Schnitzler, Mahler, Margarete Schütte-Lihotzky, Johann Strauß, Schubert, Schiele und Karl Kraus, um nur einige zu nennen, sind mir wesentliche Rettungsanker im Meer der alles und jeden bedrohenden Bitterkeit. Mein vertrautestes Territorium ist allerdings Afrika mit seiner magischen Schönheit und seinen unerschöpflichen Herausforderungen.

Sie haben in ihrem Künstlerleben von Anfang an mit vielen großartigen Künstlern zusammengearbeitet. Wie wichtig ist für sie die menschliche Begegnung im Team?

Sehr. Wir lernen ständig voneinander und öffnen einander Türe und Wege, die den Zugang zum vermeintlich Unmöglichen schaffen.

Denken Sie gern an ihre früheren Besuche und Projekte in Hamburg zurück?

Hamburg war mir aus vielen Gründen eine Schicksalsstadt. Glauben Sie mir, so viel Platz, um diese Antwort genau zu begründen, haben wir hier nicht.

Was halten Sie von der Elbphilharmonie?

Sie ist ungeheuerlich. So ein Projekt muss man erst einmal für machbar halten und dann auch noch grandios zu Ende bringen. Es gibt weltweit nichts Vergleichbares. Ich will dieses Faszinosum mit meinem kleinen Festival dankbar ehren. Auch dafür, dass man dort den Mut hat, solchen Fantasiedrachen wie mir Raum und Zeit zu geben.

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