Babylon Berlin: Interview mit Tom Tykwer und Henk Handloegten
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Babylon Berlin: Interview mit Tom Tykwer und Henk Handloegten

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Set von Babylon Berlin Sky/ARD
Set von Babylon Berlin Sky/ARD © et von Babylon Berlin (c) Sky/ARD

Die dritte Staffel der deutschen Historienserie Babylon Berlin kommt nun endlich ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Zur Free-TV-Premiere beim Ersten haben wir die Stars und Macher interviewt. Hier das Gespräch mit Tom Tykwer und Henk Handloegten.

Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!

Am Sonntag, den 11. Oktober um 20.15 Uhr präsentiert Das Erste die dritte Staffel von Babylon Berlin nun endlich auch im Free-TV. Zum Auftakt und am Mittwoch, den 14. Oktober wird es jeweils drei Episoden am Stück geben. Und am 15., 21. sowie am 22. Oktober pro Abend zwei Folgen. Der Bezahlsender Sky durfte das Ganze schon im Januar zeigen.

Die dritte Staffel basiert auf dem Roman „Der stumme Tod“, dem zweiten Fall für Volker Kutschers Ermittler Gereon Rath, gespielt von Volker Bruch. Der Kriminalkommissar wird im Jahr 1929 ans Set eines Films gerufen, wo eine Schauspielerin ums Leben gekommen ist. Liv Lisa Fries ist erneut in der zweiten Hauptrolle der Kriminalassistentin Charlotte Ritter dabei.

Produziert, geschrieben und inszeniert wird Babylon Berlin von Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten. Wir hatten kürzlich die Gelegenheit zwei der Serienmacher, Tykwer und Handloegten, zu interviewen. Hier das Gespräch...

Tom Tykwer und Henk Handloegten im Interview mit Serienjunkies.de

Serienjunkies.de: Für mich persönlich war es diesmal eine ganz andere Erfahrung, 'Babylon Berlin' zu sehen als damals die ersten zwei Staffeln. Haben Sie Angst, dass die Serie durch diese politisch turbulenten Zeiten vielleicht sogar zu relevant werden könnte?

Tom Tykwer: „Zu relevant? Nö. Eine berechtigte Sorge wäre für mich, wenn man völlig vorbei am Zeitgeist erzählen würde. Wie haben Sie das denn damals anders gesehen?“

Also ich hatte die dritte Staffel schon im Januar gesehen und jetzt nochmal zur Vorbereitung auf das Gespräch. Und es hat sich in den letzten sechs Monaten einfach so viel verändert. Es gibt ja auch dieses allgemeine Phänomen, dass Leute in schwierigen Zeiten sanfte Ablenkung suchen. Und 'Babylon Berlin' ist das genaue Gegenteil.

Tykwer: „Ah verstehe, so wie sich Menschen in Erdbebengebieten keine Filme über das große Erdbeben von San Francisco anschauen wollen. Also den Eindruck würde ich nicht teilen. Ich kann nicht beobachten, dass die Gesellschaft eine größere Sehnsucht nach leichter Kost hat als eh schon immer. Mein Eindruck ist eher, dass es einen Rückzug gibt, eine bestimmte Form der Nachdenklichkeit. Das Ganze dient einer Art Reflexionstraining, selber fühle ich mich auch besser trainiert. Ich bin auch viel mehr an Substanz interessiert, weil ich nicht so tun kann, als würde mir die Welt nicht auf den Leib rücken. Dann sehe ich gerne Sachen, die das ernst nehmen, weil ich mich dadurch ernstgenommen fühle. Insofern glaube ich, dass genau jetzt gerade die Leute ein Bedürfnis danach haben, nicht nur Flattermänner zu gucken, sondern Sachen, mit denen sie etwas zu kauen haben. Weil die Tage sind ja anders strukturiert. Ich bin eigentlich davon überzeugt. Ich spüre das auch. Die Leute lesen auch zehnmal so viele Zeitungen, auch wenn es online ist. Es sind deutlich interessiertere, gegenüber Komplexitäten offenere Zeiten. Und da kommen wir ins Spiel.“

Man muss ja auch sagen, dass 'Babylon Berlin' nicht nur die politischen Momente zeigt, sondern auch die leichteren Seiten der 20er Jahre. War Ihnen dieser Aspekt in Staffel drei weiterhin wichtig?

Tykwer: „Lockerleichte Partyszenen haben wir ja so gesehen nie richtig gehabt, sondern immer auch mit Unterton. Sodass die Leute spüren, dass die Gesellschaft damals unter Druck stand. Eine hohe Aufgeladenheit haben wir aus der Zeit herausgespürt. Das war ja auch eine entscheidende Triebfeder. Also der Druck, den man spürte, die Erdverschiebungen, die sich überall ausgewirkt haben, mussten sich einfach ein Ventil suchen.“

Henk Handloegten: „Aber unbewusst, nicht? Der Tanz auf dem Vulkan kann nämlich nur dann ein Tanz sein, wenn man nicht weiß, dass man auf einem Vulkan tanzt.“

Tykwer: „Insofern ist das in der dritten Staffel natürlich genauso wichtig gewesen. Während wir aber als Motto für die Staffel schon sagen können, dass wir die Chance nutzen wollten, unserem vielseitigen Figurenpanorama noch deutlicher auf die Pelle zu rücken, also noch mehr über deren Innenleben zu erfahren. Das ist ja die Chance, die man bei einer Serie toll nutzen kann, weil man die Figuren einfach eine viel längere Zeitspanne über begleitet.“

Handloegten: „Andererseits bleibt es natürlich ein Genrewerk. Und dem Genre des Kriminalfilms und des Sittenbildes - und des Sensationsfilms, wie das so schon in den 20er Jahren hieß - bleiben wir auf der anderen Seite trotzdem verpflichtet. Es ist wieder irre viel los - auch, wenn jetzt nicht ununterbrochen getanzt wird, aber es wird natürlich wieder getanzt.“

Sie haben für die ersten zwei Staffeln von 'Babylon Berlin' eine unglaublich große Resonanz bekommen, und zwar weltweit. Und Sie haben hierzulande ja auch so ziemlich jeden Preis gewonnen, den es zu gewinnen gibt. Gab es irgendein Feedback von Kolleginnen und Kollegen oder vom Publikum, das für Sie beim Dreh der dritten Staffel besonders wegweisend war?

Tykwer: „Ich habe das Gefühl gehabt, dass das wirklich viele Leute beschäftigt hat. Wie man Figuren dabei begleitet, wie sie so eine Art Bewusstsein formen und finden. Und wie sie auch zu moralischen Wesen werden. Weil das auch so ein schöner Unterschied ist im Vergleich zu heute, wo man in Filmen ja nur noch mit Neunmalklugen umgeben ist, die sowieso schon alles wissen. Und die alle schon so definiert sind in ihren Überzeugungen und Meinungen. Wir haben herausgearbeitet, dass das in der damaligen Zeit noch überhaupt nicht so war. Psychologie war da noch irgendwas Komisches, Verschwurbeltes aus der Akademikerwelt, das keinen Bezug zum Alltag hatte. Kein Mensch wachte morgens auf und fragte sich erstmal, wie fühle ich mich eigentlich? Oder was macht das mit mir, dass ich jetzt zur Arbeit gehen muss? Und trotzdem musste jeder über die Zeit einen Kompass entwickeln, wie man sich zu anderen und zur Welt verhält. Man sieht das bei Leuten, die nicht diese typische Vorbildung für so was haben, die das am eigenen Leib entwickeln und erleben. Insbesondere natürlich die Helden, also der Gereon Rath und die Charlotte Ritter, die aus völlig verschiedenen Familien kommen und trotzdem vor denselben Herausforderungen stehen. Ich denke, dass dieser Aspekt besonders starke Resonanz gekriegt hat. Das interessiert und fasziniert die Leute. Damit können sie vermutlich viel anfangen, weil auch von ihnen immer mehr erwartet wird, zu allem sofort eine feste Position zu haben und ihre Unsicherheiten selbst verstecken müssen.“

Hat sich der große Erfolg der Premiere vor drei Jahren für die weitere Arbeit eher wie Rückenwind ausgewirkt oder wie Druck, der den Prozess erschwert haben könnte?

Handloegten: „Also Druck eigentlich nicht. Das Schöne an Serien ist, je länger man eine Serie vorantreibt und auch was zu erzählen hat - und das ist bei uns der Fall -, desto größer werden die Freiheiten, also erzählerisch und auch inszenatorisch. Von innen heraus betrachtet, also von der Perspektive des Drehbuchautors und Regisseurs, ist das eher eine Entlastung von der Bürde des ersten Mals und der Bürde der Exposition. Man musste ja erstmal die ganze Welt erklären und auch der Presse und überhaupt, warum wir eigentlich auf die Idee kommen, das Ganze in der Weimarer Republik anzusiedeln. Das wird jetzt ja gerne wiederholt von vielen Seiten. Aber wir waren damals diejenigen, die gesagt haben: 'Okay, über die Nazis ist sehr viel erzählt worden, dann wollen wir doch mal gucken, wie es davor aussah.' Auch, was Tom gerade über den Kompass gesagt hat, wie sich die Menschen positionieren mussten in der Zeit. Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber insofern war es für mich eine große Entlastung, dass man jetzt endlich drauflosfabulieren konnte, weil die Zuschauer sich auf die Welt, die sie inzwischen kennen, absolut verlassen können bei uns.“

Wie gesagt ist 'Babylon Berlin' ja auch im Ausland ein Erfolg. Muss man als deutscher Serienmacher eigentlich Kompromisse eingehen, um auch das internationale Publikum abzuholen, manch Historisches vielleicht mehr erklären?

Handloegten: „Das ist genau das, was wir nicht machen, was ich auch bei anderen Serien schrecklich finde - ob sie nun aus Deutschland kommen oder aus einem anderen Land. Bei Deutschland fällt es mir natürlich besonders auf, wenn die Stadt Berlin - die ich jedenfalls meine, ganz gut zu kennen - so dargestellt wird, wie sich der Tourist das vorzustellen hat. Das finde ich einfach furchtbar und lausig. Für mich als Tourist reicht es wahrscheinlich auch, Delhi so simpel zu sehen, während der echte Delhianer das absolut grauenhaft fände. Wenn ich schon was erzähle und auch weiß, wie eine gewisse Realität aussieht, dann mach ich doch nicht so einen Babybrei daraus, damit die ganze Welt das ohne Verdauen oder Kauen in sich reinstopft. Furchtbar so was!“

Tykwer: „So was kommt bei uns wirklich überhaupt nicht vor. Ich habe noch nicht mal eine Sekunde darüber geredet. Beim Drehen und Schreiben denkt man doch über so was gar nicht nach. Wir fragen uns ja nicht, wohin wir die Serie überall verkaufen können. Wir wollen eine Serie machen, die toll ist. Es ist wirklich ein Irrtum zu glauben, dass es so was gibt. Das ist ja eine von uns und unserer Produktionsfirma entwickelte Serie, die nicht irgendein Sender in Auftrag gegeben hat, sondern die wir uns ausgedacht haben. Und wer sie dann so haben will, kann sie so haben.“

Handloegten: „Das ist tatsächlich eine Entwicklung in den letzten vier, fünf Jahren, die ich leider schon irgendwie sehe. Dass das, wovon Sie gerade sprechen, für sehr viele Produkte - und das sage ich jetzt mal ganz bewusst so - wirklich zutrifft. Da sitzen dann ganz viele Leute, die haben irgendwelche Algorithmen im Kopf. Und ich finde auch, das sieht man dann den Sachen immer an. Also so ist das bei uns nicht, wie Tom ja gerade schon gesagt hat.“

Was können Sie uns denn zu den Neuzugängen der dritten Staffel sagen?

Tykwer: „Was die Neuzugänge angeht - oder vielleicht auch Figuren, die vorher nicht so wahrgenommen worden sind -, würde ich sagen, dass wir einen ziemlich spektakulären Antagonisten haben. Den spielt Benno Fürmann, der auch wirklich eine außergewöhnliche Figur gebaut hat. Den Wendt, der bei der Polizei inzwischen eine wirklich hohe Position bekleidet und dort zum Gegenspieler von Gereon Rath wird. Mich hat das unheimlich begeistert, jemanden wie Benno zu sehen, der ja auch ein charmanter, kluger und sehr lustiger Typ ist. Wie der in dieser Figur den Dämon entfesselt, das ist für mich eindeutig jemand, auf den man sich freuen kann, im beunruhigenden Sinn. Der hatte ja in den ersten Staffeln nur einen Gastauftritt bisher.“

Handloegten: „Und dann gibt es natürlich noch weitere neue Figuren, die mit der Welt zu tun haben, die wir um den Armenier herum öffnen. Zum Beispiel den Walter, der von Ronald Zehrfeld gespielt wird. Und die Frau des Armeniers, Esther, gespielt von Meret Becker. Das sind auch Neuzugänge, auf die man sich absolut freuen kann und die eigentlich auch gefehlt haben im bisherigen Panoptikum. Genauso wie Martin Wuttke als Gustav Heymann, also die ganze Pressewelt. Eigentlich unvorstellbar, dass wir auf das Romanische Cafe verzichten konnten in den ersten Staffeln. Dieses ganze Kaffeehausleben, auch um Katelbach herum. Und den verzweifelten Geist, den Katelbach, gespielt von Karl Markovics, verströmt. Das haben wir auch noch etwas erweitert. Und eben Martin Wuttke und Peter Jordan.“

Kleine persönliche Anmerkung: Katelbach ist auch mein absoluter Liebling. Großes Kompliment!

Tykwer: „Ja, wir lieben ihn auch (lacht).“

Hier abschließend der Trailer zur 3. Staffel der ARD- und Sky-Koproduktion Babylon Berlin:

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