Tom Schilling im Interview: „Ich bin schon als Sehnsuchtsmensch auf die Welt gekommen
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Tom Schilling: „Ich bin schon als Sehnsuchtsmensch auf die Welt gekommen“

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Auch auf der Bühne immer fesch im Anzug: Tom Schilling & The Jazz Kids bei einem Konzert in Hannover 2020, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Auch auf der Bühne immer fesch im Anzug: Tom Schilling & The Jazz Kids bei einem Konzert in Hannover 2020, kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie. © Future Image/Imago Images

Im Interview erzählt der singende Schauspieler Tom Schilling von innerer Zerrissenheit und der Befürchtung, dass seine Lebensträume in Erfüllung gehen könnten.

Frankfurt – Zunächst einmal: Tom Schilling & The Jazz Kids heißen jetzt Die Andere Seite. Wer das kompliziert findet, hat noch nicht versucht, den Titel ihres zweiten Albums (nach dem feinen „Vilnius“ 2017) zu buchstabieren: „Epithymia“ heißt das Werk, das ist Griechisch und bedeutet sehr vieles, vor allem Begierde, Verlangen, Sehnsucht und Trieb. Zusammen mit Tom Schilling, einem 40 Jahre alten Familienvater mit drei Kindern, blickt man hier in bedrohlich brodelnde Gefühlskrater.

Die zehn Songs sind düster, vollkommen unironisch und inhaltlich von einer auffälligen Todesnähe geprägt, „Epithymia“ ist schwere, unter anderem an Nick Cave und Einstürzende Neubauten erinnernde Kost von einem Künstler, der ja auch als Schauspieler („Oh Boy“, „Werk ohne Autor“, „Fabian“) die Herausforderung zu schätzen weiß. Wir trafen Tom Schilling per Video im Büro seiner Plattenfirma in Berlin-Kreuzberg.

Tom Schilling im Interview

Herr Schilling, Sie sind im vergangenen Februar 40 geworden. Haben Sie gefeiert?

Ja. Klein und fein.

Hat der runde Geburtstag eine Bedeutung für Sie?

Nö, eigentlich nicht. Meiner Frau war er wichtiger als mir, weil sie es einfach liebt, Partys zu organisieren und jemandem eine Freude zu machen. Ich für meinen Teil hätte an dem Tag genauso gut arbeiten oder ihn so verbringen können wie jeden anderen Tag auch. Ich glaube, dass ich mich mit dem Alter generell nicht sehr schwertue.

Weshalb nicht?

Weil ich doch immer wieder merke, dass ich eigentlich ganz glücklich darüber bin, immer älter zu werden. Und dass ich gerne in die Zukunft schaue, weil ich mit der Vergangenheit im Reinen bin.

Wahrscheinlich werde ich irgendwann mit Meditation anfangen oder Zen-Buddhist werden.

Tom Schilling

Tom Schilling beschäftigt sich auf dem Album „Epithymia“ mit Leben und Tod

Mit dem Leben, aber insbesondere auch mit dem Tod, beschäftigen Sie sich sehr intensiv auf dem Album „Epithymia“. In „Die Weide“ zum Beispiel handeln Sie auf poetische Weise ein ganzes Menschendasein von Anfang bis Ende ab. Woher kommt diese Todesfaszination bei Ihnen?

(Überlegt lange) Wo die herkommt, weiß ich nicht. Sie ist einfach da. Ich bin esoterisch genug veranlagt, dass ich glaube, sie ist über Generationen hinweg in meiner DNA verwurzelt. Das alles hat ganz viel mit einer Disposition zu tun.

Wie meinen Sie das konkret?

Ich bin schon als Sehnsuchtsmensch auf die Welt gekommen. Ich denke, dass ich jemand bin, der ein bisschen fragiler und sensibler erscheint. Auf jeden Fall bin ich ein überzeugter Gefühlsmensch und jemand, der ein intensives Verlangen in sich trägt.

Wonach?

Nach irgendetwas, von dem ich selbst nicht weiß, was es ist.

Hatten Sie von Beginn an geplant, Ihre Sehnsüchte zum Oberbegriff des Albums zu machen?

Nein. Als ich anfing, diese Lieder zu schreiben, hatte ich mir kein bestimmtes Thema gesetzt. Sie kamen in dieser Phase einfach zu mir. Die Frage, wonach genau ich mich verzehre, habe ich mir selbst intensiv gestellt. Jedoch finde ich bislang keine Antwort. Wahrscheinlich kommen die Lieder auch deshalb so ein bisschen todessehnsüchtig daher, weil ich dieses Verlangen nach etwas, nach was auch immer, nicht gestillt bekomme. Da scheint ein Mangel in meinem Inneren zu herrschen. Man sagt ja auch, es gäbe nur zwei Tragödien im Leben: die Nichterfüllung der Sehnsüchte. Und deren Erfüllung. Manche leiden stärker daran, andere weniger stark.

Können Sie gar nicht benennen, wonach Sie sich sehnen?

Zu Ende gedacht, ist es wohl die Sehnsucht nach dem Ankommen und dem inneren Frieden. Und das ist dann wahrscheinlich erst im Jenseits wirklich zu erreichen.

Vielleicht gelingt Ihnen das Ankommen ja auch zu Lebzeiten noch ein bisschen.

Ja, doch, auf jeden Fall. Mein Leben ist nicht frei von innerem Frieden. Aber es wird sicher immer eine Suche bleiben. Das Streben nach dem Zustand des inneren Friedens ist mein Lebensthema. Wahrscheinlich werde ich irgendwann mit Meditation anfangen oder Zen-Buddhist werden. Aber trotzdem bin ich nicht überzeugt, ob ich das Nirvana schon im Diesseits erreiche.

Haben Sie mal ausprobiert zu meditieren?

Nein, ich bin noch ganz dem Tennis verhaftet. Ich glaube nach wie vor, dass der Sport mich erdet und zu mir bringt.

Beim Tennisspielen sind Sie also am nächsten bei sich selbst?

Ja. Weil ich auf dem Tennisplatz ganz im Moment bin und alles um mich herum vergesse. Ich bin ja so ein Grübler. Ich bin jemand, der alles zerdenkt und bei dem ständig der Kopf rattert. Die meisten meiner Gedanken verarbeite ich nachts im Traum, da passiert ganz viel bei mir. Und beim Tennis schaffe ich es, so fokussiert zu sein, dass das Rattern aufhört und ich nur darüber nachdenke, wo ich jetzt den Ball hinspiele.

Was sind Sie für ein Spielertyp?

Ich bin sehr laufstark. Ich bringe viel zurück und versuche meistens, schnell auf die Punkte zu gehen.

Ist auch das Songschreiben für Sie eine Möglichkeit, dieses Kopfrattern in geordnete Bahnen zu lenken?

Ja! Es hilft mir, mich zu sortieren und dem ganzen Grübeln eine Sinnhaftigkeit zu geben. Der Sinn liegt dann darin, dass aus dieser Thematik, die mich so beschäftigt und nicht wirklich voranbringt, wenigstens ein Lied und schließlich ein ganzes Album hervorgegangen ist. Das Schreiben hilft mir, meiner eigenen Existenz einen Sinn zu geben. Und es ist ein Ventil.

Ein Ventil wofür?

Ich war, bevor ich diese Stücke schrieb, ein bisschen in eine Sackgasse geraten. Im Beruflichen wie auch im Privaten ging es mir nicht so gut. Ich hatte eine kleine Krise. Und dieser Zustand führte dazu, dass ich mir andere kreative Kanäle suchte und mich noch intensiver als sonst mit mir selbst beschäftigte. Ich wollte mir selbst wieder näher kommen, und dabei hat mir das Schreiben dieser Platte sehr geholfen.

 Zwischen großer Glückseligkeit und tiefer Melancholie schlummert meine kreative Kraft. 

Tom Schilling

Tom Schilling über seine Lebenskrise

Was für Songs wären wohl entstanden, wenn es Ihnen besser gegangen wäre?

Ich vermute, dass es dann gar keine Songs gegeben hätte.

Sind Sie demzufolge ganz froh über eine kleine Lebenskrise?

Ich bin ein Mensch, der nicht besonders stabil und ausbalanciert durchs Leben wandert. Dafür bin ich tatsächlich ganz dankbar. Denn in diesen starken Amplituden zwischen großer Glückseligkeit und tiefer Melancholie schlummert meine kreative Kraft. Es ist ein bisschen schizophren, aber wenn ich deprimiert bin, freue ich mich über diesen Zustand. Weil ich weiß: Jetzt kann ich was schaffen, jetzt habe ich was zu erzählen. Ohne diese schwermütigen Phasen käme ich auf viele Ideen erst gar nicht oder wüsste nicht, wie ich sie formulieren könnte.

Die Stimmungsschwankungen nerven Sie also nicht?

Ich glaube, mein Umfeld nerven sie mehr als mich selbst. Aber natürlich habe auch ich eine große Sehnsucht danach, einfach nur im Hier und Jetzt zu sein und den Rasen zu mähen. Ich wünsche mir durchaus, ein ganz einfaches Leben zu führen anstatt dieser zerfühlten Existenz.

Sind Sie enttäuscht, wenn sich ein kreatives Fenster schließt, weil es Ihnen besser geht?

Alles hat seine Zeit. Ich könnte diese dunkleren Phasen nicht gut permanent ertragen. Irgendwie ist es mir gelungen, meine Gefühlszustände in meinen Alltag und in meine Arbeit zu integrieren. Die Entscheidungen, die ich treffe, etwa, ob ich einen bestimmten Film mache oder nicht, haben ganz viel mit meiner persönlichen Situation in dem Moment zu tun. Und so lasse ich mich in gewisser Form treiben und akzeptiere das Leben so, wie es ist.

Ihre Karriere wirkt von außen alles andere als zufällig. Sie sind einer der erfolgreichsten und profiliertesten Schauspieler Deutschlands. Wie passt das zu Ihren Selbstzweifeln und zu dieser Zerrissenheit?

Außenwahrnehmung und Selbstwahrnehmung sind ein interessantes Spannungsfeld bei mir. Ich weiß gar nicht, wie ich das beantworten soll. Ich habe keine Vorstellung davon, wie ich wahrgenommen werde.

Und das ist auch gut so?

Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es andere in der Öffentlichkeit stehende Menschen gibt, die sehr viel näher dran sind an dem Bild, das die anderen von ihnen haben. Oder die sogar lenken und steuern, wie sie wahrgenommen werden. Das ist bei mir gar nicht so, und irgendwie fasziniert und beschäftigt mich das. An einem meiner Geburtstage hatte ich meine Freunde gebeten, mir als Geschenk zu schreiben, wie sie mich sehen. Einfach, um das mal herauszufinden.

Hat es geholfen?

Auf jeden Fall. Ich habe ganz tolle Briefe bekommen.

In der Serie „Ich und die anderen“, die im vergangenen Jahr auf Sky lief, haben Sie einen Charakter gespielt, der keinerlei Geheimnisse hat. Eine Horrorvorstellung?

Eigentlich sollte es einem ja egal sein, was die anderen über einen denken.

Ist es Ihnen egal?

Nein, leider nicht. Die Leute, die viel in den sozialen Medien unterwegs sind, die kennen das bestimmt, wie sehr einen das beschäftigt, wenn man die Kommentare liest und überlegt, wie die eigenen Beiträge wirken. Das macht einen ganz schön unfrei, und ich muss das Handy ganz oft zur Seite legen, um nicht zu sehr in diese Blase zu geraten. Trotzdem finde ich es wichtig und auch schön, Sachen auf diesem direkten Weg teilen zu können.

Sie haben die Band umbenannt. Ging es bei diesem Schritt auch um Eigen- und Fremdwahrnehmung?

Auch, ja. Die Gründe waren vielschichtig. In erster Linie hatte ich das Gefühl, dass der Name „Tom Schilling & The Jazz Kids“ nie so richtig gezündet hat. Ich höre privat keinen Jazz und werde in diesem Leben sehr wahrscheinlich auch keinen Jazz mehr machen.

Mit Jazz hat Ihre Musik nichts zu tun.

Genau. Dieser Etikettenschwindel hat die Leute auch eher verwirrt. Manche waren enttäuscht, dass wir eben keinen Jazz spielen, andere habe gleich gedacht „Ich mag keinen Jazz, also höre ich mir das nicht an“. Und dann gibt es natürlich die Leute, die sich freuen und denken: „Super, ich kann die Musik zwar nicht beschreiben, aber Jazz ist es zum Glück nicht.“

Ihre musikalischen Einflüsse sind sehr edel – Franz Schubert, Einstürzende Neubauten, Nick Cave, Bob Dylan, Velvet Underground. Sind Sie ein Mann von gutem Geschmack?

Ich würde mir jetzt nicht anmaßen wollen zu behaupten, dass ich einen guten Geschmack habe. Ich habe eher einen speziellen Geschmack, der aus einem Gefühl herauskommt, eben diesem Sehnsuchtsgefühl. Es zieht mich in der Musik immer wieder zu dieser Schwere hin. Deshalb ziehe ich zum Beispiel einen Schubert Mozart oder Beethoven vor. Eben, weil Franz Schubert eher meinem Naturell entspricht. Auch er war ein sogenannter Leisetöner und ein eher introvertierter Künstler. Ich liebe auch die portugiesische Fado-Musik sehr. Diese Ausschläge zwischen Melancholie und Lebenslust sprechen ein ganz tief sitzendes Gefühl in mir an.

Tom Schilling blickt mit seinen Songs in Abgründe

„Aljoscha“ oder „Gera“ sind düstere, fast klaustrophobisch anmutende Songs über ungeliebte Kinder. Was reizt Sie an dem Blick in solche Abgründe?

„Aljoscha“ ist inspiriert von dem Film „Loveless“ des wunderbaren russischen Regisseurs Andrej Swjaginzew, der auch diesen dunklen Gefühlskern in sich trägt, von dem ich mich so angesprochen fühle. Ich denke aber, dass ich in diesen herzzerreißenden und dramatischen Geschichten eigentlich das genaue Gegenteil von Mangel und Verlust spiegele – die bedingungslose Liebe.

Sie haben sich nach dem Debüt „Vilnius“ aus dem Jahr 2017 lange offengehalten, ob Sie ein weiteres Album machen möchten. Warum eigentlich?

Tatsächlich habe ich immer stark bezweifelt, dass ich noch einmal ein Album schreibe. Als ich „Vilnius“ rausbrachte, war das für mich sehr nervenaufreibend, und natürlich war es mir sehr wichtig, dass es gut angenommen und nicht total verrissen wird – was ja bei einem sogenannten singenden Schauspieler schnell hätte passieren können. Aber dann habe ich teilweise sehr tolle Kritiken bekommen, und wir konnten uns auch ein gewisses Publikum erspielen. Zum Beispiel haben wir viele Fans aus China, die richtig mitgereist sind von Konzert zu Konzert.

Wieso gerade Chinesen?

Ich habe keine Ahnung. Das sind jedenfalls sehr treue und besondere Fans.

Was hat Sie also zögern lassen, mit der Musik weiterzumachen?

Ich hatte nach dem Album und der Tournee so einen gewissen Blues. Ich hatte das gemacht, wovon ich immer geträumt hatte, und doch stellte sich nicht das Gefühl ein, von dem ich hoffte, dass es sich einstellen würde. Da sind wir wieder bei diesem Sehnsuchtsding, von dem es für mich wohl kein Entrinnen gibt. Ein Lebenswunsch, der erfüllt wird, ist einfach das Schlimmste, das mir passieren kann (lacht). (Interview: Steffen Rüth)

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