Thomas Brasch: Der Kinofilm „Lieber Thomas“ setzt dem Dichter ein Denkmal - WELT
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Film Thomas Brasch

„Mein Leben steht nicht zum Verkauf“

Feuilletonredakteur
„Lieber Thomas“ – Das rebellische Leben des Thomas Brasch

Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach Thomas Braschs Tod kommt nun mit „Lieber Thomas“ ein fulminantes Schwarz-Weiß-Biopic in die Kinos - angelehnt an das Leben des Schriftstellers. Der Film zeigt die literarische Radikalität des aus der DDR vertriebenen Dichter-Rebellen.

Quelle: Wild Bunch Germany

Autoplay
Thomas Brasch ist eine Legende der deutschen Literatur. Rebell in der DDR, Star in der Bundesrepublik, dann verstummt. Der Kinofilm „Lieber Thomas“ erzählt nun sein Leben. Es ist die Erinnerung nicht nur an einen einzelnen Toten, sondern an eine poetische Existenzform, die es heute nicht mehr gibt.

In einer Welt, in der nicht alle Menschen frei sind, kann der Freie oft nur auf Kosten anderer frei sein. Den ersten Unfreien stürzt der spätere Schriftsteller und Staatsfeind der DDR Thomas Brasch schon als Elfjähriger ins Verderben. Ein Kamerad auf der Kadettenanstalt hatte Brasch angeschwärzt, weil er bei den Wettbewerben der Jungen nicht mitmache. Als der Denunziant dann aber nicht in der Lage war, den Denunzierten zu schlagen, wie vom NVA-Aufseher verlangt, wurde er selbst zum Opfer. Die übrigen Jungen pinkelten ihm in Mund und Gesicht, während er fixiert da lag. Er hat später versucht, sich selbst zu töten.

Die Autofahrt zur Kadettenanstalt, in die Horst Brasch seinen elfjährigen Sohn Thomas vier Jahre lang zur Ausbildung schickt, um ihm etwas militärischen Schliff zu verpassen, wird vom Regisseur Andreas Kleinert und dem Drehbuchautor Thomas Wendrich als Idylle zwischen den beiden inszeniert. Es bleibt die letzte liebevolle Szene zwischen diesen beiden Sturköpfen, deren Antagonismus den Film über weite Strecken prägt – so sehr, dass der Alte (obwohl zu diesem Zeitpunkt noch lebend) dem Sohn als spöttischer Geist erscheint, als dieser sich am Abend eines seiner größten Triumphe, der Uraufführung des Stückes „Lovely Rita“ 1978, mutterseelenallein auf dem Flur des West-Berliner Berliner Schiller-Theaters herumtreibt.

Dass jener Vater-Sohn-Antagonismus nicht mehr Tiefenschärfe bekam, ist eine der wenigen Schwächen des Films über den wilden jungen Dichter-Star, der Staat und Partei (was ja weitgehend dasselbe war) herausforderte, nebenbei reihenweise schöne Frauen betörte und beschlief und schließlich, nach der Übersiedelung in den Westen langsam aber sicher an Alkoholismus, Kokainismus, aber wohl auch an Spätfolgen seines kompromisslosen Bohémelebens in der DDR zugrunde ging. Brasch wird dabei gespielt von Albrecht Schuch, den Vater stellt Jörg Schüttauf dar.

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Der alte Brasch, dem sein Sohn äußerlich in den letzten Lebensjahren immer ähnlicher wurde, erschien ja schon im Roman „Ab jetzt ist Ruhe“ von Marion Brasch, die als einziges der Brasch-Kinder noch lebt, als die mindestens zweitinteressanteste Figur dieser Familie: Vom Judentum zum Katholizismus und von dort zu Kommunismus konvertiert, von der durchs Moskauer Exil geprägten Hoch-Nomenklatura der DDR als West-Exilant (der älteste Sohn Thomas wurde noch in England geboren) misstrauisch beäugt, hielt der Honecker-Jugendfreund Horst Brasch trotz des immer offensichtlicher werden Scheiterns seines Staats, trotz des familiären Totalschadens und trotz diverser Repressalien, die ihm die Partei wegen seines Sohnes auferlegte, dem kommunistischen Ideal bis zuletzt die Treue. Wenn man das etwas mehr angedeutet hätte, wäre vielleicht klarer geworden, warum er seinen 1968 wegen Flugblättern gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings von der Polizei gesuchten Sohn sogar selbst anzeigte.

Doch bei dieser Mini-Nörgelei soll es bleiben. Das ist zu wenig, um den Film, der sich zweieinhalb Stunden Zeit nimmt, zu verderben. Kleinert hat sich für Schwarzweißbilder entschieden, was „Lieber Thomas“ (eine Anrede mit oft Ermahnungen an den jungen Mann eröffnet werden) eine doppelte Historizität verleiht. Einerseits erinnert es an Geschichtsdokumentationen mit alten Archivbildern, andererseits aber auch an die Achtzigerjahre, als Schwarzweiß wegen seiner Coolness einmal sehr in Mode war. Mit einer braven Nacherzählung des Brasch-Lebens hat „Lieber Thomas“ denn auch weniger zu tun als mit klassischen Rebellendramen jener Zeit – etwa Coppolas surrealem „Rumble Fish“ und sogar mit „Wild at Heart“.

Das liegt an den traumartig fantastischen Szenen, mit denen Regisseur Kleinert die Zwänge der reinen biografischen Chronologie aufbricht. Einmal erscheint Brasch spätabends in seiner kargen Ost-Berliner Schreibwohnung eine Arbeitskollegin mit ihrer Schwester. Beide bitten darum, von ihm erschossen zu werden. Als er es tut, wirkt es wie makabrer Sex zu dritt. Sex zu zweit hatte es vorher mit der Kollegin schon gegeben. Das Nachtstück ist aber vor allem eine Reminiszenz an den „Mädchenmörder Brunke“, dem Brasch sich jahrzehntelang auf zig Tausenden niemals wirklich vollendeten Romanseiten zu nähern versuchte – auch der tötete zwei Mädchen angeblich auf Verlangen.

Wie bei Gorki

Kennengelernt hatte Brasch die todessehnsüchtige Kollegin in einem Kabel-Kombinat, in das man ihn, nach der Verhaftung 1968 zur Bewährung in der Produktion geschickt hatte. Die Szenen, die dort spielen, sind besonders stark, weil sie das erwartbare Terrain des Literatur- und Bohèmebetriebs (der sich in den Sechzigern und Siebzigern gar nicht so gewaltig von dem, was wir aus dem Westen kannten, unterschied) verlassen. Als der Vater ihn fragt, wie es dort war, antwortet der junge Brasch: „Wie bei Gorki“ – und ergänzt mit Hinweisen auf Suff, Gewalt, Zwang und Dreck. Vom Arbeiter-und-Bauern-Paradies war man im Werk sehr weit entfernt. Ein Gefängnis war es wohl nicht nur für Brasch und seine junge Kollegin, die dorthin geschickt wurde, weil sie den Missbrauch ihrer Schwester durch den Stiefvater gewaltsam gerächt hatte.

1976 gibt Brasch dem Druck des Staats, der seine Bücher nicht veröffentlichen und seine Stücke nicht aufführen will, nach und lässt sich mit seiner damaligen und lebenslang wichtigen Gefährtin Katharina Thalbach (Jella Haase) in den Westen ausbürgern. Auch ein Gespräch mit Papas Spezi Honecker (den in einer Doppelrolle sehr symbolträchtig wiederum Jörg Schüttauf spielt), das in einer weiteren surrealen Sequenz gezeigt wird, änderte an dem Publikationsverbot nichts mehr.

In der Bundesrepublik dagegen hat Brasch sofort Erfolg. Er wird „der heißeste Scheiß“, so drückt es ein zwischen Mephisto und Honecker changierender Literaturagent aus, der ihm in einer weiteren Traumsequenz in New York ein Buch und irgendwie auch die Seele abkaufen will. Doch auch hier zeigt sich die Unintegrierbarkeit des wahrhaft Freien. Den Roman, den alle von ihm wollen, liefert Brasch nie: „Mein Leben steht nicht zum Verkauf.“ Bei aller Idealisierung deutet der Film an, dass der nach einigen Jahren beginnende Niedergang und die Schreibblockade nicht nur romantisch-konsequenter Verweigerung entsprangen, sondern wohl auch etwas mit dem West-Kokain zu tun hatte, das Brasch durch die zusammengerollten Geldscheine vom Suhrkamp-Verlag schnupft.

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Weil ziellose Produktivität (er schrieb ja noch, es kam nur nichts Greifbares raus), Alter und Verfall dramatisch wenig hergeben, nimmt das letzte Lebensjahrzehnt (Brasch starb 2001) folgerichtig weniger Raum ein, als die wilden, faszinierenden Zeiten davor. Peter Kremer spielt den altgewordenen Brasch. Am allertraurigsten ist es, wenn der Mann, dem die Frauen einst zuflogen, sich einen ganzen Schwarm Nutten bestellt und diese dann offenbar auch noch unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil er eingeschlafen ist.

Trotz dieser trostlosen Schlussviertelstunden ist „Lieber Thomas“ eine große Verführung. Der Film feiert noch einmal den Dichter als auf höherer Warte stehende Existenz – ein Modell, das heute unter literaturbetriebsintegrationsgeilen Gegenwärtlingen weitgehend aus der Mode gekommen ist. Und er erzählt davon, was Freiheit einmal bedeutete, als sie noch ein schwer zu erringendes existenzielles Gut war – und kein Baustein-Schlagwort in Debatten um Impfen und Tempolimits. Und er zeigt auch, wie schön und gefährlich diese Freiheit denjenigen machte, der sich allen Bedrängnissen zum Trotz ein Stück davon erkämpft hatte.

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