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Medien „Tempel“

Das ZDF versteckt die beste deutsche Serie perfekt

Redakteur Feuilleton
Dramaserie „Tempel“ mit Ken Duken

Altenpfleger Mark Tempel (Ken Duken) lebt mit seiner Frau Sandra, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, und Tochter Juni im Berliner Wedding. Die Tempels fühlen sich wohl in ihrem Kiez. Doch das Viertel verändert sich rasant.

Quelle: ZDF

Autoplay
Ken Duken spielt in „Tempel“ einen Ex-Boxer im Berliner Wedding, dessen Familie von Immobilienhaien bedroht wird. Die Serie ist atemberaubend gut. Aber offenbar zu stark fürs ZDF-Hauptprogramm.

Es gibt Ecken in Berlin, da traut sich, traut man Berichten, die es zu wissen meinen und gern kolportieren, niemand hin, der einigermaßen bei Verstand und um sein körperliches Wohlbefinden besorgt ist. Und im gleichen Rhythmus, in dem die Gentrifizierungsindustrie ihren Schwerpunkt in der Hauptstadt von Stadtteil zu Stadtteil verschiebt, taucht ein neuer vermeintlich unbewohnbarer Kiez auf.

Eben war es noch Neukölln, jetzt ist es der Wedding. In Teilen des legendären Arbeiterbezirks, heißt es, haben Paketzustelldienste aus Fürsorge für die Mitarbeiter ihren Dienst eingestellt.

Alles nicht so schlimm, sagten Anwohner anschließend, als sie endlich mal einer wirklich fragte. Alles ganz anders und trotzdem schlimm, zeigt das Schicksal von Tempel, Mark Tempel. Der lebt da, der ist Altenpfleger, der kennt da alles, alle Geschichten. Er hat den Kiez mit seinem Blut ausgemessen, jeden Zentimeter.

Man kann Tempel noch nicht kennen. Sollte es aber lernen. Um ihn herum hat das ZDF die beste deutsche Fernsehserie des Jahres erzählt. Sieht man mal von der ziemlich herrlichen „Breaking Bad“-Variation „Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka als liebendem Familienmensch und über seine Schulden verzweifelndem Falschmünzer ab.

„Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka

Es ist soweit, die ZDF-Miniserie „Morgen hör ich auf“ mit Bastian Pastewka startet. Im Vorfeld wurde die Serie mit dem US-Hit „Breaking Bad“ verglichen – sehen Sie hier den Trailer.

Quelle: ZDF

Mark Tempel ist sozusagen Jochen Lehmanns, des Gelddruckers zuschlagender Bruder im Geiste. Er hat noch all die Reflexe, die er hatte, als er noch im Ring stand. Da durfte ihm vermutlich auch keiner unfair irgendwohin schlagen. Da schlug er zurück. Wie ein wilder Stier.

Tempel ist jetzt, als alles losgeht, der friedfertigste Mensch, der es jemals von der Muckibude in den Pflegedienst geschafft hat. Tempel ist glücklich, so glücklich, wie man es in einem Haus im Wedding sein kann, in dem die Kaltentmieter umgehen, indem sie das ganze große Besteck der Einschüchterung auspacken und anwenden.

Und mit Sandra, die er liebt, die aber seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, und mit Juli, der Tochter, die sich in ein Premiumalphapubertier verwandelt. Doch. Tempel ist glücklich. Und er würde dieses Glück mit allem verteidigen, was er draufhat, wie Jochen Lehmann es für seine bröselnde Familie in „Morgen hör ich auf“ tat.

Jede Geschichte, die einiges auf sich hält, beginnt mit dem Einbruch eines Unerwarteten ins Leben. Meist des bösen Unerwarteten. Bei Tempels jedenfalls stehen eines Tages zwei Vermummte in der Wohnung und schlagen alles kurz und klein. Dass Sandra und Juli da sind, merken sie spät, interessiert sie nicht weiter.

Das Trauma eines Einbruchs und die Folgen

Sie schlagen trotzdem auf allem herum und Julis Geige zu Feuerholz, quälen Sandra. Die Botschaft ist klar: Wenn ihr nicht geht, kommen wir wieder. Das Trauma, das sie auslösen, ist gewaltig. Die Wut in Tempel ist es auch.

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Er will eine neue Geige kaufen, die Schläger fertigmachen, den Hintermann, den großen Dunkelmann, der das ganze Viertel vom Herz auf den Geldbeutel stellt, zur Strecke bringen.

Jakob (Thomas Thieme) verhilft Mark zu einem Boxkampf.
Jakob (Thomas Thieme) verhilft Mark zu einem Boxkampf.
Quelle: ZDF und Reiner Bajo

Vielleicht beantworten wir mal zwischendurch die Frage, warum diese Serie, die so mutig und so eigenwillig ist wie sonst nichts, was das ZDF gegenwärtig so versendet, im Experiment-Sender ZDFneo vergraben wird. Das ist auf der einen Seite unverständlich, auf der anderen Seite ist es genau das Programm, mit dem ZDFneo mal angetreten ist.

Das andere Fernsehen vorzustellen, die anderen britischen Serien, die anderen aus Skandinavien, Eigenproduziertes auch. Für das jüngere Publikum, also das unter fünfzig. Kam leider nicht dazu.

Bisher eine Abspielstätte von Abgespieltem

ZDFneo spielte überwiegend noch mal ab, was das ZDF nicht mal mehr in der Sommerpause sendete („Bella Block“ und „Kommissarin Lucas“ und „Wilsberg“). Und zwar hübsche, aber etwas breitärschige Krimireihen wie „Barnaby“. Der junge Zuschauer, der dieses Programm als hip, als neo begriffen hat in den vergangenen Jahren, dem war auf Erden nicht zu helfen.

Und jetzt das. „Tempel“, gesendet dienstags in drei Doppelfolgen, während die Alten vor dem „Heute-Journal“ schlafen und damit sie nicht erschrecken. Dunkel und blutig und brutal. Eine Geschichte, konzentriert auf wenige Figuren. Geradeaus erzählt in einer ganz seltsamen Langsamkeit, einer dramaturgischen Kargheit, die ziemlich neu ist.

Wie überhaupt der Ansatz, eine Metropolengeschichte ohne Fisimatenten, optische Überhöhungen, Mystifikationen zu erzählen. Ganz konzentriert auf die freie Entfaltung einer dichten Geschichte.

Eva (Antje Traue) freut sich über Marks Rückkehr.
Eva (Antje Traue) freut sich über Marks Rückkehr.
Quelle: ZDF und Christian Stangassinger

Das Wagemutigste ist die Parallelschaltung zweier Handlungsstränge, wenn im einen was geschieht, was man im anderen, direkt zwischengeschnittenen, eigentlich erwartet hätte.

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Das trauen sich nicht mal mehr die Briten. Ein Sozialdrama. Ganz nah an den Menschen, an ihrer Trauer, ihren Sehnsüchten, ihren Ängsten. Philipp Leinemann hat den Film gemacht.

Und auch den herrlichen SEK-Männer-Film „Wir waren Könige“; in dem waren auch alle Figuren so wahr, steckten so tief im Sumpf moralischer Dilemmata, roch es – was ja in deutschen Filmen eher selten vorkommt – nach Testosteron und wirklichem Leben. Wie hier.

Es fließt Blut. Menschen sterben

Alles geht schief, was Mark Tempel anfasst, um es geradezurücken. Alles wird immer und immer schlimmer. Nichts und niemand kann ihnen helfen. Es fließt Blut, Menschen sterben. Gesellschaftskritik wird geübt. Wird Liberalinskis nicht schmecken.

Aber „Tempel“ hat immerhin eine Haltung. Was Conni Lubek, die Drehbuchautorin, aber nicht daran hindert, selbst in den obersten Immobilienmafioso ein komplexeres Charakterskelett einzuziehen. Der Rhythmus ist fließend und fein. Die Bilder sind verschattet. Ein Himmel findet – wir sind schließlich in Berlin – weitgehend nicht statt.

Und dann müssen wir noch ein paar Worte über Ken Duken verlieren. Den kann man ob seiner geradezu natürlichen Coolness eigentlich nie genug loben. Was er hier, in diesen Passionsspielen eines Kiezkämpfers, hinkriegt, gleicht einer Explosion seiner schauspielerischen Kampfzone. An physischer Präsenz, an präziser Seelenanalyse und körperlicher Umsetzung, an Witz und Verzweiflung war er nie besser.

Ein leiser Mann, ein großer Mann. Von Erinnyen gejagt. In die Tragödie gestürzt. So kann es weitergehen mit Mark Tempel. Lasst euch Zeit. Macht aber weiter damit. Bitte!

Tempel: ZDFneo, dienstags, 21.45 und 22.15 Uhr.

„Mordkommission Berlin 1“

Die Goldenen Zwanziger in Berlin sind auch goldene Zeiten für Verbrecher. Bis ein Polizist den Kampf aufnimmt. Der Sat.1-Thriller „Mordkommission Berlin 1“ folgt einem höchst realen Vorbild.

Quelle: Sat.1

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