Was passiert, wenn das Gl�ck ohne jede Vorahnung f�r immer zu erl�schen droht, oder umgekehrt, wenn in eine dunkle Lebensphase urpl�tzlich ein vermeintlich heller Lichtstrahl der Hoffnung f�llt, davon erz�hlt „Tage des letzten Schnees“ (ZDF / Network Movie), ein Fernsehfilm nach dem Roman von Jan Costin Wagner. Trotz eines Kommissars, der als Bindeglied zwischen den beiden Erz�hlstr�ngen – ein Unfall mit Todesfolge und eine neue Liebe – fungiert, sind Buch wie Film keine Spannungskrimis, sondern sie sind Charakter-Studie und Drama, die die M�glichkeiten zeigen, wie man mit Tod und Trauer, Einsamkeit und Schmerz umgehen kann. Der Film besitzt philosophische Tiefe, er bespiegelt die tragischen Umst�nde des Menschseins, statt nach einer lebenspraktischen, psychologischen L�sung zu suchen, wie es h�ufig themenorientierte Fernsehfilme tun. „Tage des letzten Schnees“ ist top besetzt, dramaturgisch und film�sthetisch eine kleine Offenbarung.
Foto: ZDF / Marion von der MehdenMehr dunkle Tage... Mercedes M�ller, M�del, H�bchen, Metschurat, Victoria Mayer
Lars Eckert (Barnaby Metschurat) und seine Frau Kirsten (Victoria Mayer) wirken wie ein gl�ckliches Paar, als er sich nach einem Sch�ferst�ndchen von ihr verabschiedet, um ihre gemeinsame Teenager-Tochter vom Eishockeytraining abzuholen. Es beginnt zu schneien. F�r ihn ein Grund zur Freude. Auf der Heimfahrt kommt der Wagen von der Stra�e ab, �berschl�gt sich – der Vater �berlebt, die Tochter stirbt. Kommissar Johannes Fischer (Henry H�bchen) kennt die Familie fl�chtig von fr�her. Entsprechend gro� sind sein Engagement und sein Mitgef�hl in dem ansonsten kriminalistisch gesehen belanglosen Fall. Da ist der Mord an der Kunstgeschichtsstudentin Lisa (Mercedes M�ller) schon ein anderes Kaliber. Die junge Frau lebte vor kurzem noch in Frankfurt, wo sie in einer Disco den Banker Markus Sellin (Bjarne M�del) kennenlernte. F�r den liebenden Vater, dessen Ehe mit seiner depressiven Frau (Christina Gro�e) allerdings in einer schweren Krise steckt, war sie so etwas wie ein Gl�cksstern, der pl�tzlich aufging. Und so folgte sie ihm nach Hamburg, wo er f�r sie eine Wohnung kaufte und wo sie nun tot aufgefunden wurde, niedergestreckt von drei Sch�ssen. Gegen�ber dem Kommissar leugnet Sellin die Aff�re. K�nnte er etwas mit dem Mord zu tun haben? Hat Lisa ihn vielleicht nur ausgenutzt? War er nur ihr Sugardaddy? Jedenfalls ist auch der Banker in einer jener N�chte des letzten Schnees mit seinem Wagen unterwegs.����
Foto: ZDF / Marion von der MehdenDie verh�ngnisvolle Nacht. Abgedr�ngt oder Einbildung? Barnaby Metschurat
Was passiert, wenn das Gl�ck ohne jede Vorahnung f�r immer zu erl�schen droht, oder umgekehrt, wenn in eine dunkle Lebensphase urpl�tzlich ein vermeintlich heller Lichtstrahl der Hoffnung f�llt – davon erz�hlt „Tage des letzten Schnees“, ein Fernsehfilm nach dem� Roman von Jan Costin Wagner. Trotz eines Kommissars, der als Bindeglied zwischen den beiden Erz�hlstr�ngen fungiert, sind Buch wie Film keine Spannungskrimis, sondern sie sind Charakterstudie und Drama, die die M�glichkeiten zeigen, wie man mit Tod und Trauer, mit Einsamkeit und Schmerz umgehen kann. Jeder der Protagonisten macht das auf seine Art. Der eine leugnet das „Problem“, der andere verdr�ngt es, der dritte findet sich mit der belastenden Situation ab oder fl�chtet sich in einen sch�nen Traum. Und auch die Zeit kann eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung solch tragischer Vorf�lle spielen. Allerdings heilt sie wohl eher nur schlichten Gem�tern alle Wunden. Der, der zu vermitteln und zu vers�hnen versucht, der Kommissar, ist selbst ein Trauernder. Vor einem Jahr starb seine Frau – und noch immer ist bei ihm keine Normalit�t eingekehrt. Seine Schlaflosigkeit treibt ihn in vielen N�chten ans Meer. „Und er wei� nicht, was f�r einen Sinn sein Leben noch haben k�nnte“, sagt Henry H�bchen �ber seine Figur. F�r das Ehepaar, insbesondere die erst nach und nach das Ungl�ck realisierende Mutter, eine Seelenverwandte, findet er sehr pers�nliche, warme Worte und gro�e Empathie. Aber auch Kirsten Eckert hat f�r Fischer am Ende einen heilsamen Rat.
Foto: ZDF / Marion von der MehdenKommissar Fischer (Henry H�bchen) versucht am Meer, den Kopf frei zu kriegen.
„Tage des letzten Schnees“ bespiegelt eher die tragischen Umst�nde des Menschseins, als dass der Film nach einer lebenspraktischen L�sung suchen w�rde, wie es h�ufig themenorientierte Fernsehfilme tun. So gibt es hier keine psychologische Betreuung f�r die Traumatisierten; die Figuren therapieren sich selbst – und gegebenenfalls eben auch schon mal gegenseitig. Es flie�en nicht nur viele Tr�nen in diesem Film, mitunter gibt es regelrechte Schluchz- und Schreianf�lle, auch Panikattacken k�ndigen sich an. Man sieht aber auch, wie sich der Schmerz nach innen richtet, wie sich der schuldig f�hlende Vater des t�dlich verungl�ckten M�dchens selbst martert. „Dann entstehen Momente der Stille, die durchaus wehtun, weil die Figuren dem Schmerz (noch) nichts entgegenhalten k�nnen“, sagt Autor Nils-Morten Osburg („Storno – Todsicher versichert“), der den Roman adaptiert hat. Und doch ergibt sich daraus in der Gesamtwirkung eher eine Art philosophische Tiefe, die auf die aufgesetzte deutsche Schwermut verzichtet. So gibt es keine �berdehnte �u�erlich ausgestellte Innerlichkeit, keine unertr�glich lange gehaltenen Blicke in die Weite oder in die Leere des Raums – und es gibt auch keine Glasscheiben, an denen Wassertropfen bedeutungsschwer herunterperlen.
Foto: ZDF / Marion von der MehdenDie Depressionen belasten die Ehe von Markus Sellin (Bjarne M�del) und seiner Frau Tanja (Christina Gro�e). Auch Timo (Moritz Thiel) leidet. F�r sich findet der Banker, der seine Frau nicht verlassen will, einen Weg, der ihm ein neues Gl�ck verspricht.
Dass trotz der Emotionalit�t des Stoffs der Zuschauer nie Gefahr l�uft, in Tiefsinn und Tr�nenb�chen zu ertrinken, liegt zum einen an der Konstruktion der Geschichte, der Verschachtelung zweier Erz�hlstr�nge und zweier Zeitebenen, wodurch die schmerzlichen Tonlagen kontrastiert und damit abgemildert werden. So badet man als Zuschauer nicht in trostlosen Gef�hlen und bekommt zus�tzlich noch Futter f�rs Hirn. Man fragt sich, was die eine mit der anderen Geschichte zu tun haben k�nnte. Dar�ber hinaus entlastet aber in der ersten Filmh�lfte auch der Aff�ren-Plot um den an sich herzensguten Banker – der Disco-Flirt, Sellins Teddyb�r-Charme, das sexy-Strahlen seiner jugendlichen Eroberung – von der exis-tentiellen Schwere der Unfall-Geschichte. Sp�ter kippt das Ganze – womit sich die Hoffnung auf Erl�sung und Heilung von der einen auf die andere Geschichte verlagert. Die Dramaturgie ist also ein dicker Pluspunkt des Films: Sie verdichtet die Handlung, ohne dass selbst der ZDF-Zuschauer dabei die Orientierung verlieren d�rfte. Im Gegenteil: Durch das parallele Erz�hlen der beiden Plots l�sst sich die Geschichte sogar leichter goutieren.�
Foto: ZDF / Marion von der MehdenAm Tatort: Die Studentin Lisa Marin (Mercedes M�ller) ist mit drei Sch�ssen niedergestreckt worden. Jannik Sch�mann, Victoria Trauttmansdorff & H�bchen
„Tage des letzten Schnees“ ist aber auch film�sthetisch eine kleine Offenbarung. Das f�ngt bei der Reduktion der Bildinhalte an und h�rt nicht bei der klugen Verwendung filmsprachlicher Mittel auf. Regisseur Lars-Gunnar Lotz („Stralsund“) wei� um die Sinn- und Sinnlichkeit stiftenden M�glichkeiten des Mediums. Dabei ist die Wahrnehmung das entscheidende Ph�nomen. Auf der einen Seite entwickelt sich die Geschichte dar�ber, wie die Protagonisten das Schicksal annehmen und es psychisch bew�ltigen. „Es wird von der Seele immer nur das zugelassen, was in einem bestimmten Augenblick zu verkraften ist“, sagt Victoria Mayer, Darstellerin der trauernden Mutter, die zun�chst ihre (Sinnes-)Schleusen schlie�t. Auf der anderen Seite ist die Wahrnehmung der Schl�ssel zur Rezeption eines jeden Films. Aber nicht jeder Film bietet so viel f�r Auge & Ohr wie „Tage des letzten Schnees“. Ob nach dem Unfall oder bei der Beerdigung – immer wieder wird der Ton semantisch klug modifiziert. Besonders f�r das Gef�hl, dass es einer Figur den Boden unter den F��en wegzieht, finden Lotz & Co immer wieder passende filmische Entsprechungen. Andere Gef�hle schwingen in der Disco mit: Da werden die erotischen Blicke und Begehrlichkeiten aufgeladen mit Lichtblitzen, hektischem Flackern und einer sich st�ndig in Bewegung befindlichen Kamera. Ohne surreale Effekte bekommt die Szene etwas Flirrendes, Fl�chtiges, ja etwas Rauschhaftes. Es bedarf nicht vieler Worte – auch in anderen Szenen. Zwei, drei Bilder zur rechten Zeit in eine Vater-Sohn-Szene einmontiert und der Zuschauer wei�: die Mutter/Ehefrau leidet unter Depressionen. Oder eine Szene im Museum: Das Girlie erkl�rt ein Botticelli-Bildnis einer jungen Dame, „eine der sch�nsten Frauen von Florenz“, sagt sie, daraufhin wendet Sellin den� Blick zu ihr, und der Zuschauer wei�, was er denkt – und dass sie ihn an der Angel hat.
Foto: ZDF / Marion von der MehdenDas Gl�ck ist nicht von Dauer. Banker Sellin (Bjarne M�del) steckt in der Bredouille.
Es gibt nicht h�ufig Filme im deutschen Fernsehen, bei dem einem so viele Bilder im Ged�chtnis bleiben: der Vater kopf�ber im Unfallwagen, der Banker als durch das Schneegest�ber rasender Schicksalsbote, die beiden Bettansichten, das sexuell vereinte, wenig sp�ter das im Schmerz isolierte, sich voneinander abwendende Ehepaar. Einen starken Eindruck hinterlassen auch die in monochromes Nachtblau getauchten Bilder des Kommissars am Meer. Und nat�rlich nicht zuletzt diese gro�artigen Schauspieler: H�bchen und die vier Ms: M�del, Metschurat, Mayer, M�ller – und Christina Gro�e, die so wenige Szenen hat, deren von Seelenpein geplagtes Gesicht sich aber einfrisst in die Erinnerung. Eine Trag�die kommt selten allein (in diesem Film ist es gut so). Aber auch die gro�e Qualit�t dieses nachhaltigen TV-Dramas hat viele Gesichter und Namen (siehe Credits & Cast).
Foto: ZDF / Marion von der MehdenBekommt das trauernde Ehepaar eine zweite Chance? Metschurat & Victoria Mayer
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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