Dmitri Medwedew war einst die liberale Hoffnung in Russland
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Putins Westen-Hasser Medwedew war einst die liberale Hoffnung Russlands

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Der Politiker Dmitri Anatoljewitsch Medwedew war sowohl Präsident als auch Ministerpräsident von Russland.
Der putintreue Politiker Dmitri Anatoljewitsch Medwedew war sowohl Präsident als auch Ministerpräsident von Russland (Archivfoto) © IMAGO/Ramil Sitdikov/ SNA

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fällt Medwedew, ehemaliger Präsident Russlands, immer wieder mit provozierenden Äußerungen auf. Wer ist der Politiker?

Moskau – Ein Atomschlag, ein Verschwinden der Ukraine von der Landkarte oder Russland-Gegner als „verkommene Menschen“ – Dmitri Medwedew wählt seit Beginn des Ukraine-Kriegs scharfe Worte gegen den Westen. Einst galt der in Sankt Petersburg geborene Jurist ohne KGB-Vergangenheit als liberaler Hoffnungsträger, doch diese Sichtweise auf den Ex-Präsidenten wandelte sich mit der Zeit.

NameDmitri Anatoljewitsch Medwedew
Geboren14. September 1965
GeburtsortSankt Petersburg, Russland
EhepartnerinSwetlana Wladimirowna Medwedewa (verh. 1993)
AmtStellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates
Vorherige ÄmterKreml-Stabschef (2003-2005), Vize-Premier (2005-2008), Präsident (2008-2012), Ministerpräsident (2012-2020)

Medwedews Weg von der Sankt Petersburger Mittelschicht zum Präsidenten Russlands

Dmitiri Medwedew stammt aus einer Familie in der Sankt Petersburger Mittelschicht und hat anders als Putin keine KGB-Vergangenheit. Medwedew studierte Jura und erhielt im Jahr 1990 den Doktortitel. Zunächst war er an der Staatlichen Universität Leningrad tätig, doch etablierte bald Verbindungen in die Politik. So war er beispielsweise Berater des damaligen Vize-Bürgermeisters von St. Petersburg, Wladimir Putin. Entsprechend lange kennen sich die beiden Machthaber bereits. Der heutige Kremlchef soll damals großen Wert auf Medwedews Ratschläge gelegt haben.

Als Putin im Jahr 2008 nicht mehr als Präsident antreten durfte – die russische Verfassung sah nur zwei Amtszeiten vor - schlug er als seinen Wunschnachfolger Dmitri Medwedew vor. Es war der unerfahrenste der drei potenziellen Kandidaten, doch Putins treuster Weggefährte, schreibt das Magazin Internationale Politik. Dieser Faktor war entscheidend, schließlich sollte er nur als Platzhalter dienen, um Putin im Anschluss den Weg zurück an die Macht zu sichern.

Von 2008 bis 2012 war Medwedew Präsident der Russischen Föderation, danach erhielt er den Posten als Ministerpräsident Russlands (2012–2020) und als Vorsitzender der Kremlpartei Geeintes Russland (auch: Einiges Russland). Seit dem Jahr 2000 sitzt er zudem im Aufsichtsrat des russischen Staatskonzerns Gazprom, dessen Leitung er von 2002 bis 2008 innehatte. Medwedew ist verheiratet und hat einen Sohn.

Medwedew räumt Posten, um Putin Machterhalt bis 2036 zu sichern

Parteivorsitzender bei Einiges Russland ist Medwedew weiterhin, seinen Posten als Ministerpräsident hingegen räumte er 2020 und ist seitdem Vizepräsident des Sicherheitsrates. Wladimir Putin hatte im Jahr 2020 angekündigt, dem Parlament durch eine Verfassungsreform mehr Macht einräumen zu wollen - und sicherte damit auch seinen eigenen Machterhalt. „Wir als Regierung der Russischen Föderation sollten dem Präsidenten unseres Landes die Möglichkeit geben, alle notwendigen Entscheidungen zu treffen“, erklärte Medwedew damals.

In einem umstrittenen Referendum hatten die russischen Wähler für eine Verfassungsänderung gestimmt, die Putin zwei weitere Amtszeiten nach dem Ende seines aktuellen Mandats im Jahr 2024 erlaubt. 2021 unterzeichnete Putin ein entsprechendes Gesetz, das ihm das Regieren bis 2036 ermöglicht. Das russische Parlament hatte es zuvor verabschiedet.

Deshalb galt Medwedew zeitweise als liberaler Hoffnungsträger

Anfangs galten Medwedews Ansichten noch als vergleichsweise liberal. Als Teenager war der ehemalige Präsident Russlands angeblich ein Rockmusik-Fan und soll davon geträumt haben, Wrangler-Jeans zu besitzen, berichtet The Guardian. Der als technikaffin geltende Politiker hatte ein Twitter-Konto und trat im Präsidentschaftswahlkampf 2008 mit dem Slogan „Freiheit ist besser als Unfreiheit“ an.

So sei er der einzige Kremlpolitiker gewesen, der es gewagt hatte, die Zerschlagung des Ölkonzerns Jukos öffentlich zu kritisieren, schreibt das Politik-Magazin Cicero. Zunächst hatten Politikbeobachter Hoffnung, dass mit Medwedew ein liberalerer Kurs kommen könnte – auch wenn eigentlich klar war, dass Putin weiterhin die Fäden in der Hand hielt. Medwedew kündigte an, gegen die Korruption im Land und für eine unabhängige Justiz kämpfen zu wollen, sprach von einer „Modernisierungspartnerschaft“ mit dem Westen und wirtschaftlichen Reformen. Diese Aussagen des damaligen Präsidenten stellten sich jedoch bald als Lippenbekenntnisse heraus.

Medwedes Entwicklung steht stellvertretend für Russland

Um Putin die Stirn zu bieten, gilt Medwedew als zu Kreml-treu und gleichzeitig zu meinungsschwach. Ein vielzitierter Witz über den einstigen Präsidenten soll seine Zögerlichkeit illustrieren: „Der Kreml ist in zwei Lager zwischen Putin und Medwedew gespalten. Die einzige Frage lautet, welchem Lager sich Medwedew selbst anschließen wird.“

In sozialen Medien wurde er zeitweise unter dem Hashtag „erbärmlich“ diskutiert, was seine Pressesprecherin Natalya Timakowa auf den Plan rief. Es sei inakzeptabel, Dmitri Medwedew „Dimon“ zu nennen, sagte sie. „Für Sie ist er nicht Dimon, er ist der Premierminister“, so die Sprecherin damals. Auf den Spitznamen Dimon spielte auch Nawalnys späteres Enthüllungsvideo „Für euch ist er kein Dimon“ an. Die Entwicklung Medwedews vom liberalen Hoffnungsträger hin zum radikalen Hasser des Westens gilt als sinnbildlich für die Entwicklung Russlands.

Burgeressen mit dem US-Präsidenten: Medwedew und Obama unterzeichnen Atom-Abkommen

Was zu Zeiten des Ukraine-Kriegs wie eine Utopie klingt, war im Jahr 2010 eine echte Szene zwischen Dmitri Medwedew und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama: Sie waren gemeinsam Burgeressen und plauderten dabei locker. Das scheinbar freundschaftliche Verhältnis der Staatslenker brachte bald echte Ergebnisse. Medwedew und Obama unterzeichneten ein Nachfolgeabkommen von Start, einem Programm zur nuklearen Abrüstung.

Was zu Zeiten des Ukraine-Kriegs wie eine Utopie klingt, war eine echte Szene im Jahr 2010 zwischen Dmitri Medwedew und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama
Auf einen Burger mit dem russischen Präsidenten: Dmitri Medwedew und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama im Gespräch im Jahr 2010. (Archivfoto) © picture alliance / dpa | Mikhail Klimentyev/ria Novosti/k

Es galt als das umfassendste nukleare Abkommen seit zwei Jahrzehnten und damit als Meilenstein. Im Anschluss dankte Obama damals seinem „Freund und Partner“ Medwedew für die gute Zusammenarbeit. Der Kremlchef bezeichnete das Abkommen indes als „historisch“.

Die Harmonie wurde allerdings spätestens Ende 2011 gestört, als die USA von Fälschungsvorwürfen bei den Wahlen in Russland sprach. „Ich war gezwungen, Präsident Barack Obama gestern am Telefon zu sagen, dass die Bewertung unserer Wahlen durch die USA für uns keinerlei Bedeutung hat“, sagte Medwedew Angaben der Agentur Interfax zufolge. „Töne wie aus dem Kalten Krieg“ seien nicht akzeptabel, fügte der damalige russische Präsident hinzu. Im Jahr 2012 vertrat Medwedew Russland beim informellen Treffen der G8 in den USA. Putin sei wegen der Regierungsbildung zu beschäftigt, um selbst anzureisen, hieß es damals.

Putin-Sprachrohr: Das sind Medwedews heutige radikale Ansichten

Seit dem Ende seiner Amtszeit als Minsisterpräsident im Jahr 2020 hörte man zunächst nicht mehr viel von dem ehemaligen Staatschef Russlands, Beobachtern galt er als „politische Leiche“. Doch seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine äußert sich Medwedew immer wieder auf exterme Art und Weise. Seine Beweggründe sind nicht ganz klar. „Vielleicht hat man ihm gesagt, er solle sich öffentlich äußern“, vermutet der Politologe Juri Korgonjuk, „vielleicht will er selbst daran erinnern, dass es ihn noch gibt.“ Der Historiker Timothy Snyder sieht in den extremen Äußerungen Medwedews indes Vorbereitungen auf eine Zeit nach Putin: „Er schafft sich ein Profil, das später nützlich sein könnte“, so Snyder.

Anfang Juni veröffentlichte Medwedew beispielsweise eine wütende Botschaft gegen angebliche Feinde Russlands, die er als „verkommene Menschen“ bezeichnete. Er werde oft gefragt, warum seine Beiträge auf Telegram so hart seien, schrieb der frühere Präsident kurz darauf und lieferte die Begründung gleich mit: „Ich antworte – ich hasse sie“, so Medwedew über den Westen. „Sie sind Bastarde und Abschaum. Sie wollen unseren Tod, den Tod Russlands. Und so lange ich lebe, werde ich alles tun, um sie verschwinden zu lassen.“

Russlands Außenminister droht der Nato im Ukraine-Krieg immer wieder mit Atomangriffen

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine warnte der ehemalige russische Präsident im Juli vor einem Atomkrieg. „Die Idee, ein Land zu bestrafen, das über das größte Atomwaffenarsenal verfügt, ist an und für sich absurd“, schrieb er dazu im Onlinedienst Telegram. Dadurch werde möglicherweise „eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit“ geschaffen, so Medwedews Warnung.

Die Nato und die Ukraine bezeichnete er als „konstante Bedrohung für Russland“. Zudem warnte er, dass die Ukraine völlig von der Landkarte verschwinden könnte. Einen Post auf seinem offiziellen Profil von Anfang August erklärte der ehemalige russische Präsident indes mit einem Hackerangriff. In dem Beitrag wurde die Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken infrage gestellt.

Dmitri Medwedew: Vom Putin-Vertrauten zum erneuten Putin-Nachfolger?

Häufig ist bei der russischen Invasion in die Ukraine seit dem 24. Februar auch von „Putins Krieg“ die Rede. Dahinter steht die Idee, dass ein Regimewechsel in Russland auch das Ende des Krieges bedeuten würde. Davon abgesehen, dass es nicht danach aussieht, dass Wladimir Putin in Kürze abdankt: Könnte Medwedew sein Nachfolger werden? Der ehemalige Präsident ist im Land sehr bekannt, doch Experten rechnen ihm keine hohen Chancen als erneuter Nachfolger Putins aus. Schon nach den Waldbränden in Russland im Jahr 2010 brachen seine Umfragewerte ein, das Video des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny aus dem Jahr 2017 tat sein übriges.

Präsidentenwahl Russland - Wladimir Putin ministerpräsident dmitri medwedew
Andere Zeiten: Das Bild zeigt Wladimir Putin, damals Ministerpräsident von Russland, und den damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew im Jahr 2009 bei einer Unterhaltung. © picture alliance / epa Sergei Chirikov/EPA/dpa | epa Sergei Chirikov

Wahrscheinlicher ist aus Sicht von Experten eine mögliche Nachfolge von Nikolai Patruschew, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates oder Alexi Djumin, dem Gouverneur des Oblast Tula. Selbst der Außenminister Russlands, Sergei Lawrow, und Sergei Schoigu, der russische Verteidigungsminister, hätten Politikbeobachtern zufolge höhere Chancen als Medwedew. An der bisherigen Linie Russlands würde sich unter einem neuen Präsidenten wohl nicht viel ändern, denn echte Alternativen zu Putins Politik gibt es nicht. Zudem kann Putin laut jetziger Verfassung bis 2036 regieren.

Russlands Bevölkerung protestiert: So reich ist Medwedew

Eine Recherche deckte das Vermögen Medwedews auf, es war von gut einer Milliarde Euro die Rede – und sorgte für Massenproteste in Russland. In über 80 Städten gingen Menschen auf die Straße. Eine Gummiente wurde im Zuge der Proteste zum Symbol gegen Korruption: Im millionenfach geklickten Nawalny-Video wurde publik, dass in einem von Medwedews Millionen-Anwesen ein Entenhaus mitten im Teich steht – die Gummiente wurde zum Sinnbild. Medwedew selbst entgegnete, dass die Anwesen gemeinnützigen Stiftungen gehören – eine ähnliche Verschleierungstaktik deckte ein Recherche-Netzwerk auch bei Putins angeblichem Vermögen auf.

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