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Das traurige Leben der Stalin-Tochter Swetlana

Sie war die Tochter des Teufels und litt ihr ganzes Leben daran. Swetlana Allilujewa floh vor der Macht Josef Stalins. Eine Biografie zeigt, dass Swetlana seinem Schatten niemals entfliehen konnte.

Kinder von Diktatoren haben es im Leben nicht leicht. Das tragische Schicksal von Stalins Familie ist dafür geradezu exemplarisch. Seine zweite Ehefrau Nadeschda Allilujewa hat sich das Leben genommen. Er rächte sich dafür an der ganzen Sippe: Die Familie Allilujew wurde 1937 fast ausgelöscht. Sein Sohn Jakow geriet in deutsche Gefangenschaft und beging 1943 Selbstmord im KZ Sachsenhausen.

Stalin schickte die erste Liebe seiner Tochter ins Arbeitslager

Swetlanas erste Liebe Alexej Kapler, Frauenheld und Jude, bekam vom erzürnten Vater zehn Jahre Lager. Sein jüngster Sohn Wassili – Wüstling und Säufer – starb als 41-Jähriger an der Trunksucht. Schon der unlösbare Konflikt zwischen der heißen Liebe zum Vater und seiner Grausamkeit musste ihre Psyche auf eine harte Probe stellen.

Und doch scheinen Frauen zäher als Männer zu sein. Nach seinem Tod 1953 kehren ihre nächsten Verwandten aus dem Gulag gebrochen zurück. Die inzwischen zweifache Mutter und von zwei Ehemännern geschiedene Philologin und Übersetzerin versucht, sich einen Reim auf das Geschehen und die Schuld ihres Vaters zu machen. Nach der Verurteilung Stalins durch Chruschtschow 1956 legt sie seinen Namen ab.

Flucht nach Amerika

Anfang der Sechziger schreibt sie in zwei Monaten die Familienchronik „Zwanzig Briefe an einen Freund“ nieder. Sie will ausbrechen, dem Schatten ihres Vaters entfliehen. 1967 gelingt es ihr, über Indien in die Vereinigten Staaten auszureisen, wo sie als Stalins Tochter mit propagandistischem Getöse empfangen wurde.

Das Politbüro tobt. Ihre auch heute noch lesenswerte Familienchronik wird ein Weltbestseller. Der propagandistische Effekt verpufft jedoch relativ schnell. Zwei weitere, weniger erfolgreiche Bücher folgen. 1984 sorgt Swetlana erneut für einen Augenblick für Schlagzeilen, als sie – vom Westen enttäuscht und mittellos – mit ihrer amerikanischen Tochter in die Sowjetunion ausreist, nur um bald ihrer Heimat wieder den Rücken zu kehren. Danach wird es still um sie.

Die Historikerin und Biografin Martha Schad hatte jahrelang über Allilujewa recherchiert. Sie traf sich in Moskau mit ihrem geschiedenen Ehemann und ihrem Sohn. 2004 gelang es ihr, Swetlana, die unter dem Namen Lana Peters in einem Altersheim in Wisconsin lebte, ausfindig zu machen und zu interviewen. Seitdem schrieben sie sich gelegentlich. 2011 starb die 85-Jährige in den USA.

Swetlana wurde im Alter ihrem Vater immer ähnlicher

Stalins "große Säuberung"

Im Mai 1937 beginnen die Prozesse gegen 1,5 Millionen Sowjetbürger. 700.000 werden hingerichtet, 500.000 in die berüchtigten Gulags verschleppt. Sicher ist in der UdSSR nur einer: Josef Stalin.

Quelle: STUDIO_HH

Swetlanas größter Wunsch war, schreibt Martha Schad, als eigene Persönlichkeit „erkannt und anerkannt“ zu werden. Diesem Bedürfnis trägt die Autorin mit ihrer Biografie Rechnung. Schad ist keine Russland-Historikerin. Immer wieder ist man von falsch geschriebenen russischen Namen und Orten irritiert.

Allerdings werden diese Pannen durch ihr handwerkliches Können wettgemacht. Allilujewa wird von ihr weder übermäßig psychologisiert noch moralisch bewertet. Sie lässt die Fakten sprechen und überlässt es dem Leser, sich selbst einen Reim auf ihre dramatische Lebensgeschichte zu machen. Und bei aller Ausgewogenheit und Wertschätzung für Stalins Tochter, die Schad an den Tag legt, erscheint diese vor allem als eine traumatisierte, innerlich zerrissene Persönlichkeit.

Im Alter treten die Züge des Vaters immer stärker hervor. Sie wird jähzornig, ungehalten. Ihr Weltbild zerfällt. Sie wirft ihrer Mutter vor, durch den Selbstmord ihre Kinder im Stich gelassen zu haben. Dabei hatte sie selbst zwei ihre eigenen Kinder für die Freiheit verlassen. Ausgerechnet im Land der Freiheit gerät sie in die Fänge einer Quäker-Kommune, die von einer despotischen Frau geführt wird.

Auf ewig eine Getriebene

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Swetlana verliebt sich in ihren verwitweten Schwiegersohn, den Architekten Wesely W. Peters, und bekommt von ihm eine Tochter, Olga. Sie zahlt seine Schulden. Als Déjà-vu ihres Vaters macht die Oberquäkerin ihr das Leben zur Hölle. Die Kommune, teilt ihr der Anwalt zudem mit, habe sie ausgenommen. Swetlana lässt sich von Peters scheiden, zieht nach Princeton, dann weiter nach Kalifornien und wieder nach Princeton und später nach London.

Sie ist eine Getriebene. Selbstlos kümmert sie sich um die Erziehung ihrer Tochter – mit eiserner Hand und kleinlicher Kontrolle. Ihr Leben ist ziellos, die Finanzen sind zerrüttet, und als ihr Sohn Josef mit Einverständnis des KGB sie anruft, trifft sie die Entscheidung, nach Moskau zurückzukehren, hält es dort aber nicht aus und zieht nach Georgien. Auch dort findet sie keine Ruhe und reist 1986 in die USA ab. Die amerikanische Tochter will von ihr nichts mehr wissen. Swetlana hasst Amerika, das ihr Zuflucht geboten hatte. Sie hasst Russland.

Verarmt und einsam verbringt sie ihre letzten 15 Jahre in einem Altersheim. Sie spricht nicht mehr mit Journalisten, sie fühlt sich missbraucht und bloßgestellt. Doch vor allem erscheint ihr Rückzug als ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Zu schwer war die Hypothek, an der diese begabte und intelligente Frau zu tragen hatte. Sie war ausgebrochen und blieb doch Gefangene ihres Vaters.

Mit dieser Biografie hat Martha Schad Swetlana Alillujewa, der Tochter eines der blutrünstigsten Diktatoren der Weltgeschichte, ein würdiges Denkmal gesetzt.

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