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Kultur Tod mit 51

Susanne Lothar spielte die gebrochenen Charaktere

Die Schauspielerin Susanne Lothar ist überraschend im Alter von 51 Jahren in Berlin gestorben. Ihre Vielseitigkeit führte sie vom Burgtheater bis zum "Tatort". Privat hat sie vieles durchgestanden.

Sie war auf der Theaterbühne genauso zu Hause wie auf der Kinoleinwand. Susanne Lothar, die am Mittwoch in Berlin im Alter von nur 51 Jahren gestorben ist, spielte die schwierigen und gebrochenen Charaktere. "Ein Wunder an Charme, Kraft und Natürlichkeit" sei sie, schrieb ein Kritiker über sie. Eine "Extremschauspielerin mit den sanften Mitteln" nannte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die zerbrechliche Künstlerin einmal, denn sie brachte sich bis zum Letzten in ihre Rollen ein.

Susanne Lothar spielte 2009 in Michael Hanekes Drama "Das weiße Band" die Geliebte des Arztes, die schrecklich gedemütigt wird. Die Zuschauer litten mit – wie schon in Hanekes beklemmender Gewaltstudie "Funny Games", in der sie 1997 an der Seite ihres Ehemannes Ulrich Mühe in einer Rolle zu sehen war, die nur wenige meistern würden.

Trauriger Fakt: Alle Hauptdarsteller dieses Films, Ulrich Mühe, Susanne Lothar, aber auch Frank Giering, sind alle außergewöhnlich früh gestorben. Und die Todesnachricht über das Ableben von Susanne Lothar wurde auf den Tag genau fünf Jahre nach Mühes Beerdigung veröffentlicht.

Schauspielerin des Jahres

Ihre Laufbahn führte die vielseitige Charakterdarstellerin und Wahl-Berlinerin Lothar vom Burgtheater bis zum "Tatort". Die einzige Tochter der Hamburger Schauspiel-Legenden Hanns Lothar und Ingrid Andree wuchs nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter in Eppendorf auf. In Hamburg studierte sie anderthalb Jahre lang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Ihr Filmdebüt in Tankred Dorsts "Eisenhans" (1983) brachte ihr sogleich den Bundesfilmpreis ein.

Fünf Mal stand das Ausnahmetalent in Theaterarbeiten von Peter Zadek auf der Bühne. Gefeiert wurde sie 1989 in seiner Inszenierung von Wedekinds "Lulu", worin sie mit blanker Brust über die Schauspielhaus-Bühne tobte. Das war ihr Karrieredurchbruch. Über die Zusammenarbeit mit Zadek sagte sie einmal: "Ich habe nie begriffen, was er von mir wollte, wusste nicht, was er in mir gesehen hat, habe es aber gefühlt. Inzwischen weiß ich, dass ich eine Lebensabschnittsmuse für ihn war." Über die Rolle der Kindfrau Lulu, die ihr wie auf den Leib geschneidert war, sagte sie nur: "Wenn ich nicht wusste, was ich machen sollte, habe ich mich oder meine Partner ausgezogen."

Ihre Bühnenkarriere führte sie nach Köln, Wien, Zürich, Stuttgart, Salzburg und Berlin. 1988 wählte "Theater heute" sie zur "Schauspielerin des Jahres". Seit Beginn der 90er-Jahre hatte Lothar oft Rollen in Film und Fernsehen, so 1993 in der italienischen Produktion "Der junge Mussolini" und 2001 in Hanekes Jelinek- Verfilmung "Die Klavierspielerin".

Zwei Kinder mit Ulrich Mühe

Ihr Mann Ulrich Mühe, mit dem sie zwei Kinder – Sophie Marie und Jakob – bekam und mit dem sie auch gemeinsam arbeitete, starb mit nur 54 Jahren 2007 an Krebs, ein Magenkarzinom. "Nemesis" war sein letzter Film, ein Kammerspiel, das auf engstem Raum fast ausschließlich von zwei Personen handelt – und trotzdem nervenzerreibend ist. Ein Ehekrieg. Die Frau spielte Susanne Lothar, die eben auch im echten Leben die Partnerin von Mühe war.

Die beiden Schauspieler haben gern und oft gemeinsam gearbeitet, unvergessen in Michael Hanekes "Funny Games" (1997), wo sie von zwei Jugendlichen sadistisch gequält und schließlich ermordet wurden. Oder in Zadeks Inszenierung von Sarah Kanes "Gesäubert" (1999), in der sie selbst Gewaltexzesse gegeneinander betrieben – bis das Publikum aus den Hamburger Kammerspielen floh. Sie galten als Schauspieler-Extremistenpaar. Und sie trieben dieses Spiel auf die Spitze, immer wieder, so auch in "Nemesis".

Es ist ein kleiner Film, der mit Fast-Null-Budget gedreht wurde. In nur 13 Tagen (und Nächten) wurde gedreht, im Frühjahr 2006. Da wussten Mühe und seine Frau noch nichts von seiner Krebserkrankung. Nach seinem Tod interessierten sich gleich mehrere Verleiher für "Nemesis". Aber Susanne Lothar wollte dies verhindern, die Veröffentlichung zog sich Jahre hin. Vielleicht fand sie, ein solcher Film werfe so kurz nach dem Tod ein falsches Licht auf das Paar. "Ich habe ihn immer bei mir, ihn und die schöne gemeinsame Zeit", sagte die Schauspielerin 2008 in einem "Tagesspiegel"-Interview.

Einiges an familiären Querelen

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An der Seite ihres Mannes hatte sie einiges an familiären Querelen durchzustehen. In der vorherigen Ehe war der DDR-Schauspieler Mühe von 1984 bis 1990 mit der Schauspielerin Jenny Gröllmann verheiratet, die er bei den Dreharbeiten zu "Die Poggenpuhls" kennengelernt hatte. 2006 hatte sich Ulrich Mühe in einem Interview mit Florian Henckel von Donnersmarck und Christoph Hochhäusler für das im Suhrkamp Verlag erschienene Filmbuch "Das Leben der Anderen" über die Stasi-IM-Tätigkeit seiner zweiten Ehefrau Jenny Gröllmann geäußert. Seine Exfrau erwirkte daraufhin vor dem Landgericht Berlin einstweilige Verfügungen gegen den Verlag des Buches und gegen Mühe selbst. Sie erklärte eidesstattlich, sie habe nie "wissentlich" mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet. Das Gericht gab dem Antrag Gröllmanns statt und untersagte die weitere Verbreitung des Buches.

Eine gute Stiefmutter

Über das Verfahren hinweg verstarb Jenny Gröllmann. Ein menschlich furchtbarer Vorgang, zumal aus dieser Ehe eine Tochter, die Schauspielerin Anna Maria Mühe, hervorging. Susanne Lothar versuchte ihr eine gute Stiefmutter zu sein. Ihr Tod muss ein schwerer Verlust für die junge Berliner Schauspielerin Anna Maria Mühe sein, die innerhalb nur weniger Jahre Mutter, Vater und Stiefmutter verloren hat.

Die äußerlich so zerbrechlich wirkende Susanne Lothar war viel beschäftigt. Sie drehte mehr als 50 TV- und Kinofilme. So stand sie in Stephen Daldrys Bestsellerverfilmung als Mutter des "Vorlesers" vor der Kamera, auch in der Komödie "Fleisch ist mein Gemüse" war sie zu sehen. Mit Andres Veiel drehte sie "Wer wenn nicht wir"; Lothar spielt die Mutter der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. "Ich glaube, dass Kunst nur funktioniert", sagte sie einmal, "wenn man 200 Prozent gibt. Und wenn man Kinder hat, 100 Prozent."

Im vergangenen Jahr wirkte Lothar an der britischen Kinoproduktion "Anna Karenina" mit Jude Law und Keira Knightley mit, die in diesem Herbst in die Kinos kommen soll. Daneben drehte sie die Episode "Die Gurkenkönigin" der Krimiserie "Polizeiruf 110", in der sie die weibliche Hauptrolle spielte.

WOn/ekki

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