Susanne Lothar: "Schlaf gut, liebe Suse" | GALA.de
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Susanne Lothar "Schlaf gut, liebe Suse"

Susanne Lothar
Susanne Lothar
© Reuters
Vergangene Woche starb die große Schauspielerin Susanne Lothar. Ihre Freundin, die Regisseurin Claudia Müller, sagt ihr in "Gala" Lebewohl

Auch jetzt, eine Woche später, macht die Nachricht fassungslos.

Susanne Lothar ist tot. Wie schwer wiegt dieser Satz? Fast genau fünf Jahre nach dem Tod ihres geliebten Mannes, Schauspieler Ulrich Mühe ("Das Leben der Anderen"), der am 22. Juli 2007 an Magenkrebs gestorben war, gab Susanne Lothar den Kampf gegen die Trauer auf, 51 Jahre war sie alt. Gleich nach dem Verlust ihres Lebenspartners, mit dem sie 17 Jahre verbracht und zwei Kinder hat, hatte sie sich in ihre Arbeit gestürzt. Mit Haut und Haaren in Rollen, die ihr alles abverlangten: zerrissene, gequälte Frauen. Schon immer ergründete Susanne Lothar in ihren Rollen das Leben auch in seinen schmerzhaften bis grausamen Facetten, vielleicht schonungsloser und wahrhaftiger als jede andere deutsche Schauspielerin unserer Zeit. "Es war immer sehr viel Verzweiflung in dem, was sie gemacht hat", sagte ihr guter Freund Ulrich Tukur im Deutschlandradio Kultur vergangene Woche.

Doch man darf Susanne Lothar nicht als gebrochene, trauernde Frau im Gedächtnis behalten. Wer sie je kennenlernen durfte, erinnert sich an einen warmherzigen, sehr feinfühligen Menschen. Fragil wirkte sie, ja, gleichzeitig aber ließ sie sich nicht verbiegen, sagte in Interviews selten eine Floskel. Sie war immer da, authentisch, ganz im Moment. Wer sie auf der Bühne erlebte, war oft einfach nur sprachlos. Claudia Müller war eine Freundin von Susanne Lothar - die Regisseurin begleitete die Schauspielerin 2009 für das sensible Filmporträt "Mein Leben" (Arte zeigt den Film am 6. August um 0.15 Uhr). In "Gala" nimmt Claudia Müller Abschied von ihrer Freundin - einer großen Schauspielerin und einer großartigen Frau. New York, 25. Juli 2012 Liebe Suse,
die Nachricht von Deinem Tod erreichte mich in New York. Hier haben wir vor drei Jahren gemeinsam unseren Film über Dein Leben gedreht. Du liebtest Städte am Wasser, und komischerweise drehe ich jetzt gerade einen Film über die Waterfront hier: das endlose Wasser, das sich um diese steinerne und laute Insel Manhattan schlingt. Hinter der Häuserwüste liegt der Horizont, das Meer - eine Weite, in die ich jetzt Bilder von Dir projiziere. Das letzte Bild, an das ich mich erinnere, bist Du von hinten, wie Du im Café an der Ecke mit einer gemeinsamen Freundin auf mich wartest: Du hast plötzlich einen Pferdeschwanz, ein Haarteil, und ich fiel glatt darauf rein, als Du mir sagtest, dass Du ein neues Haarwuchsmittel benutzt. Warum sich mir dieses Bild so eingeprägt hat, weiß ich. Du bist, Du warst Betty. Das Mädchen auf dem berühmten Bild von Gerhard Richter. Deinem Lieblingsbild.

Im letzten November haben wir es uns gemeinsam in der Tate Modern in London angesehen. Du liefst mit dem Filmkomponisten Hans Zimmer durch die Ausstellung, und dieses Bild, das auch in Deiner Wohnung hing, zog Dich am meisten an. Schon bevor ich Dich besser kannte, habe ich beim Betrachten dieses Bildes immer an Dich gedacht. An das Mädchen, das sich nicht umdreht, das man beschützen möchte, obwohl man weiß, dass es stark ist. Warum man das weiß? Weil dieses Mädchen, obwohl es sich vom Betrachter abwendet, Würde ausstrahlt. Ein Teil von Dir war auch so ein zerbrechliches, aber auch sehr starkes Mädchen. Abgewendet hast Du Dich selbst allerdings nie. Im Gegenteil: Mit jeder Faser Deines Körpers hast Du Dich Deinen Zuschauern ausgeliefert. Sogar nackt. Ich kann mir vorstellen, dass in den Nachrichtenbeiträgen jetzt wieder die Bilder von Peter Zadeks "Lulu"-Inszenierung ausgegraben werden. Du hättest das nicht gewollt. Es war Dir aber bewusst, dass diese Bilder von Dir übrig bleiben werden. Deine stundenlange Nacktheit auf der Bühne war unschuldig. Du hast Lulu verkörpert und in Deiner Nacktheit, Deinem Ausgeliefertsein nie Deine Würde verloren. Das warst ja nicht Du, Du warst viele.

Ihre Farbe: Bei offiziellen Anlässen griff sie gern zum roten Kleid: Susanne Lothar beim Produzentenfest in Berlin, Juni 2012.
Ihre Farbe: Bei offiziellen Anlässen griff sie gern zum roten Kleid: Susanne Lothar beim Produzentenfest in Berlin, Juni 2012.
© Picture Alliance

In all Deinen Rollen waren natürlich Teile von Dir, aber Du warst Suse. Keine Schauspielerin, die sich in ihren Rollen verliert, kein ätherisches Wesen, sondern, was Deinen Beruf betraf, ganz handfest. Eine Handwerkerin, bei der jede noch so kleine Geste durchdacht war. Du hast Dich in Deine Rollen nicht nur eingefühlt, sondern mit sicherem Gespür reingegraben. Das war Deine große Gabe: Deine Empathie, mit der Du den Rollen Leben eingehaucht hast. Trotzdem war Dir immer bewusst, dass die Schauspielerei ein Beruf ist. Du hast Dich von diesem Künstlertum nicht blenden lassen. Bist über Hunderte von roten Teppichen gelaufen, in langen Kleidern und hohen Schuhen, und hast dann wieder Deine dicken Stiefel angezogen, weil die bequemer waren. Ist eigentlich niemandem aufgefallen, wie oft Du dieses rote Kleid angehabt hast? Während Deine Kolleginnen sich tagelang den Kopf zerbrachen, was sie bei welcher Premiere tragen, hast Du einfach in den Schrank gegriffen und wieder das rote Kleid angezogen. Sah immer toll aus. Dein Stil war aber schon auch schräg und sehr eigen. Ich hatte nie den Eindruck, dass Du Dich für andere so rausputzt, sondern für Dich selbst. Du sahst auch manchmal komisch aus. Rote Strumpfhosen zum weißen Kleid und unter dem Kleid noch ein paar Kleider. Wie ein weiblicher Clown, der Du auch warst. Wie schade, wie traurig, dass Dein komisches Talent nie richtig erkannt wurde. Du hattest diesen Stempel der "Extremschauspielerin", und aus dieser Schublade kamst Du nur schwer raus. Diese unglaubliche Vielfalt an Gesichtern, die Du deinen Figuren geben konntest. In "Funny Games" von Michael Haneke zum Beispiel, einem Film, den man kaum ertragen kann. Die Frau, die Du da spielst, war nicht nur überzeugend, sondern echt.

Michael Haneke sagte mal über Dich, dass Du eine Schauspielerin bist, die das Extreme nicht nur liebt, sondern auch beherrscht. In seinem Film " Das weiße Band" spielst Du eine ältere, unterdrückte und gedemütigte Frau. "Mut zur Hässlichkeit" sagt man immer, wenn eine jüngere, attraktive Frau eine ältere Frau spielt. Für Dich war das nicht mutig. Du hast Deinen Job gemacht. Du hast Dich auch selbst nie als eine Schönheit empfunden, aber Du warst Dir Deiner Wirkung sehr sicher. Wenn ich aus dem Fenster auf die Park Avenue schaue, sehe ich das Restaurant "Barbounia", wo wir abends nach den Dreharbeiten damals noch mit dem Team saßen. Ich denke an die Autofahrt nach Long Island, wir mit Dir und den Kindern in einem sehr klapprigen Bus. Wir hatten kein großes Budget für diesen Film und wollten das Beste rausholen, daher musste an den Transportmitteln gespart werden. Dir hat das nichts ausgemacht, obwohl Du auch Glamour und Luxus liebtest.

Eine Freundin von Dir, die Filmemacherin Pia Frankenberg, hatte uns ihr Haus in den Hamptons angeboten, um ein Interview mit Dir zu drehen. Wir hatten, glaube ich, beide etwas Angst davor, weil es ans Eingemachte ging und ich Dir auch Fragen zum Tod Deines Mannes Uli stellen musste, der in diesem Sommer 2009 erst zwei Jahre zurücklag. Ich wusste, dass es Dir immer noch schwerfiel, darüber zu reden, und Du wusstest, dass wir dieses Thema nicht umschiffen können, so schön dieser Ort auch war. Die Kinder schwammen im Pool, und Pia bereitete ein Barbecue vor, während wir über das traumatischste Ereignis Deines Lebens sprechen mussten. Du hattest furchtbare Erfahrungen mit sogenannten Journalisten gemacht, die die Mülltonnen Eures Hauses in Walbeck, in dem Dein Mann seine letzten Lebenstage verbrachte, durchwühlten, um zu sehen, wie viel Morphium er bekam. Sie haben ihm aufgelauert, als er noch mal einen Spaziergang machen wollte, und Dich mit Anrufen bombardiert. Ich hoffe so, dass sie Deine Familie jetzt in Ruhe lassen. Dass sie den Wunsch Deiner Mutter und Deiner Kinder respektieren und Dich in Frieden ruhen lassen. Dass Du sehr vorsichtig und misstrauisch gegenüber jeder Form von privater Berichterstattung warst, konnte ich mehr als verstehen. Daher war es auch für mich nicht einfach, in Deinen Wunden zu wühlen. Du hast mir aber vertraut und mir für diesen Film Dein Herz geöffnet. Du hast Dich auch nicht geschont, als es um die richtige Susanne Lothar ging, die hier keine Rolle gespielt hat. Obwohl ... als Du mir für diesen Dreh vorgeschlagen hast, Dich mit meinem Team in ein Krankenhaus zu begleiten, wo Du für die Organisation "Rote Nasen" mit einer Clownsgruppe schwerstkranke Kinder besucht hast, war ich schon etwas irritiert.

Wie konntest Du Dir das antun, nachdem Du Deinen Mann so oft im Krankenhaus besucht hast? Als ich sah, wie Du Dir das Gesicht geschminkt und eine rote Nase aufgesetzt hast, habe ich es begriffen. Du hast einen Schalter umgelegt und konntest den Kindern etwas geben. Du warst nicht Susanne Lothar, sondern die Clownin Suse. Jetzt hast Du Dich rumgedreht und bist zu Betty geworden. Das Mädchen, das sich von uns Betrachtern abwendet. Wie gerne würde ich Dich, dieses Mädchen, diese starke Frau und begnadete Schauspielerin, noch einmal in den Arm nehmen. Ich trete respektvoll zurück und betrachte Dich und die Bilder von Dir, die mir niemand nehmen kann. Schlaf gut, liebe Suse

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