Benjamin von Stuckrad-Barre brilliert mit einem Werk der Konkreten Poesie

Benjamin von Stuckrad-Barre brilliert mit einem Werk der Konkreten Poesie

Der Titel des ersten Kapitels aus Stuckrad-Barres neuem Buch wurde Gegenstand eines eigenständigen Medienkunstwerks, das hier separat zu würdigen ist.

Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre mit der Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer, eine der 70 Prominenten, die bei seiner Werbekampagne mitmachten.
Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre mit der Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer, eine der 70 Prominenten, die bei seiner Werbekampagne mitmachten.dpa

Die einzig berechtigte Frage stellte die Kollegin: „Warum machen die den Mist alle mit?“ Ja, warum lassen sich alle einspannen, um Werbung für den neuen Roman von Benjamin Stuckrad-Barre zu machen? Der ehemalige Popliterat treibt gekonnt die Promi- und Medienblase vor sich her, lockt die einen, weist die anderen ab, treibt Keile in die Meute – die bekannten disruptiven Strategien, die eingefahrene Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe durcheinanderbringen sollen: „Noch wach?“

Keine Vorabexemplare für die Medienmeute

Jetzt bloß nicht als Spielverderber gelten oder zu den beleidigten Muffeln gehören, die nicht eingeweiht werden. Dass Stuckrad-Barre keine Rezensionsvorabexemplare seines Romans verschickt, setzt den Wettbewerb in Gang und den Aktualitätsdruck herauf. Zugleich öffnet es Spekulationen Tür und Tor. Ob da am Ende qualifizierte Rezensionen herauskommen, ist erst einmal nachrangig.

Als er am Wochenende ein Video mit Beteiligung von ca. 70 Prominenten via Instagram veröffentlichte, suchten die Propheten Ansatzpunkte für inhaltliche Vorhersagen. Offenbar hat Stuckrad-Barre seine Promi-Kontakte durchgescrollt und um einen ins Handyobjektiv gesprochenen Satz gebeten: „Da müssen sich die Frauen auch nicht wundern.“ So laute der Titel des ersten Kapitels. Das funktioniert also schon mal als Rädchen in der Marketingmaschine. Denn instrumentalisiert werden nicht nur die beteiligten Promis, sondern auch die Medien, die auf den Werbefilm eingehen. Ja. Auch hier. Aber.

Ein Bannspruch wird gebrochen

Wir wollen das Filmchen dennoch kurz als eigenes Kunstwerk würdigen, als ein Werk der Konkreten Poesie. Die Wiederholung von Sätzen oder Worten macht dieselben zu rätselhaften Zaubersprüchen. Die Bedeutung verflüssigt sich, entgleitet, Klang und Rhythmus des Gesprochenen variieren, die Abfolge von Lauten und Geräuschen wird immer fremder, justiert den Dechiffrierapparat um und färbt auf den Inhalt ab. Das ist ein schönes altes Kinderspiel. Stichwort: Die Kuh lief um den Teich.

Aber den eigentlichen Twist ins Sprachkritisch-Schöpferische bekommt es hier, weil es sich bei dem Satz ohnehin schon um einen Bannspruch handelt, mit dem der Sprecher die Aufmerksamkeit auf das Opfer lenkt, das sich nicht zu wundern brauche. Man kann nachspüren, wie allein man gelassen ist, wenn dieser Satz aus allen Richtungen auf einen eindringt und als ein Selber-schuld-Mantra Gewalt und Missbrauch fortsetzt sowie die Traumata vertieft. Dieser Satz ist eine Waffe.