Nachdem das Mediensymposium in der Vergangenheit immer wieder grundlegende Fachdebatten etwa zum Begriff der „Mediengesellschaft“ animieren konnte, stellte es in seiner letzten Tagung das Thema digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit zur Diskussion. Der digitale Transformationsprozess der öffentlichen Sphäre sollte historisch verortet und es sollte kritisch reflektiert werden, inwieweit bestehende Modelle und Theorien von „Öffentlichkeit“ noch tragen. Es interessierte, wie sich die öffentliche Kommunikationslogik als Folge von Datafizierung und Algorithmisierung verändert, welche Folgen sich daraus für die kommunikative Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit ergeben und wie diese Veränderungen empirisch erfasst werden können.

Öffentliche Kommunikation bleibt auch in der digitalen Ära konstitutiv für die moderne, demokratische Gesellschaft (Imhof 2006). Sie ist die Voraussetzung für die Selbstwahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder einer Gesellschaft, die ihre Anliegen gemeinsam demokratisch regeln (Integrationsfunktion). Sie dient der Kontrolle der rechtsstaatlichen Institutionen und der Mächtigen der Welt (Kontrollfunktion) und sie bildet den Entdeckungszusammenhang der Gesellschaft, d. h. der kollektiven Wahrnehmung und Diskussion allgemein relevanter und zu lösender Probleme (Forumsfunktion). Ohne Zweifel ist die öffentliche Sphäre als Folge der Digitalisierung jedoch einem weitreichenden Transformationsprozess ausgesetzt, sodass sich möglicherweise die Rede von einem neuerlichen „Strukturwandel“ rechtfertigt.

Ausgewählte, wichtige Eigenheiten dieses Transformationsprozesses der öffentlichen Sphäre lassen sich wie folgt umreißen: Die Digitalisierung hat die Publikationshürden (mittels YouTube, Facebook, Twitter etc.) bis auf null gesenkt und aus bislang weitgehend passiven Konsumentinnen und Konsumenten aktivere Produzentinnen und Produzenten öffentlich vernehmbarer Kommunikation gemacht. Damit kommt es zu einem entdifferenzierenden Entwicklungsschub öffentlicher Kommunikation über die bislang dominierenden, journalistischen Anbieter hinaus. Die gestiegenen Teilhabemöglichkeiten werden erkauft zum Preis tendenziell sinkender Reichweiten. Der „Long Tail“ der öffentlichen Sphäre wächst in die Länge (Neuberger 2009; Eisenegger in diesem Band), d. h., zu wenigen reichweitenstarken Medien sind eine Unmenge an reichweitenschwachen, vorwiegend semi- und nicht-professionellen Öffentlichkeitsanbietern hinzugekommen. Dem klassischen Informationsjournalismus entsteht in Prozessen der Disintermediation neue Konkurrenz, die das Publikum direkt ansprechen kann, ohne auf ein journalistisches Nadelöhr angewiesen zu sein. Dabei scheint die von Tech-Intermediären getriebene Plattformisierung (Helmond 2015; Eisenegger in diesem Band) die professionellen Informationsmedien als die bisherigen Hauptträger öffentlicher Kommunikation zurückzudrängen, unter anderem als Folge von Werbeabflüssen, aber auch als Folge sinkender Bindung der Nutzerinnen und Nutzer an herkömmliche Medienmarken, wenn Content „entbündelt“ auf den Plattformen von Google, Facebook, Twitter etc. genutzt wird. Es zeigen sich im digitalen Netz mit anderen Worten Dynamiken der Deinstitutionalisierung herkömmlicher Träger öffentlicher Kommunikation bei gleichzeitiger, massenhafter Institutionalisierung neuer Öffentlichkeitsanbieter auch nicht- oder semi-professionellen Typs (Jarren 2016).

Als Folge der Digitalisierung und Plattformisierung verschmelzen nicht nur einstmals getrennte Mediengattungen technisch und in Bezug auf die Formate. Es verschwimmen auch die Grenzen zwischen Individual-, Gruppen- und Massenkommunikation, etwa wenn Postings von Privatpersonen virale Verbreitung erfahren oder wenn klassische Medienbeiträge kommentiert oder geteilt werden. Datafizierung und Algorithmisierung machen vieles, was vorher privat oder interpersonal war, öffentlich oder potenziell öffentlich (Brosius 2016; Haas/Brosius in diesem Band). Algorithmen und die in sie eingewobenen Annahmen über das Publikumsinteresse steuern in zunehmendem Maß, was zum Gegenstand öffentlicher Erwägung und Diskussion wird. Wie der Reuters Digital News Report (2019) festhält, beziehen international bereits mehr als die Hälfte der erwachsenen Nutzerinnen und Nutzer ihre Informationen bevorzugt aus Quellen algorithmischer Selektion (Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, Nachrichten-Aggregatoren). Datafizierung und Algorithmisierung leiten somit in wachsendem Ausmaß die kommunikative Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit an (Hepp 2016). Dabei übernehmen auch nichtmenschliche Akteure wie Social Bots oder Chat Bots die Rolle öffentlicher Kommunikatoren und beeinflussen öffentliche Thematisierungsprozesse wie Meinungsdynamiken und damit auch gesellschaftliche Prozesse der Reputationsbildung und der Machtallokation.

Von den möglichen Folgen der Algorithmen-gesteuerten, digitalen Kommunikation werden im Fachdiskurs vier kontrovers diskutiert: die Manipulation von Informationsflüssen durch mächtige Akteure z. B. im Kontext von Wahlen (Bias), die einseitig auf bisheriges Wissen und Nutzungsverhalten ausgerichtete Information (selective exposure), die Zergliederung der Gesellschaft in heterogene Teilpublika (Fragmentierung) sowie eine mögliche Zunahme radikalisierter, extremistischer Positionen bei abnehmender Zivilität des öffentlichen Austausches im digitalen Netz (Polarisierung, „hate speech“).

Nicht zuletzt werden als Folge der Digitalisierung auch die Grenzen herkömmlicher Medien unscharf. Auf den Plattformen der globalen Tech-Intermediäre wird Content in Prozessen der Ent- und Neubündelung aus seinem Ursprungskontext gelöst und im persönlichen Feed neu arrangiert (Eisenegger 2017). Die Nutzerinnen und Nutzer erleben „Medien“ immer stärker als emergente Medien, d. h. als hoch dynamische „Beitragscluster“ aus unterschiedlichsten Quellen in ihren personalisierten Treffer- und Empfehlungslisten sowie in ihren Content-Feeds.

Aus diesem Problemaufriss leiten sich folgende vier Fragestellungen ab, denen sich das Mediensymposium 2018 zum „digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit“ angenommen hat:

(1.) Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit: Fundamentalzäsur oder Fortschreibung des Bestehenden?

Inspiriert durch Habermas’ Ausführungen zum Strukturwandel der Öffentlichkeit hat die kommunikationswissenschaftliche Fachdebatte in westlichen Zentrumsnationen bislang zwei fundamentale Brüche in der Entwicklung moderner Öffentlichkeiten ausgemacht (vgl. Eisenegger in diesem Band). Ein erster Strukturwandel führte sukzessive in die massenmediale Öffentlichkeit, mit der Zeitung als ihrem Leitmedium. Ein zweiter Strukturwandel (Münch 1997; Imhof 2006) beendete die Ära der Partei- und Gesinnungspresse und etablierte ein eigenlogisches Mediensystem, das sich primär nach ökonomischen Grundsätzen ausrichtete. Zum Leitmedium in dieser Phase entwickelte sich das Fernsehen, auch in seiner privatwirtschaftlichen Ausprägung.

Es stellt sich die Frage, wie der aktuelle digitale Transformationsprozess zu bewerten ist. Rechtfertigt sich die Rede von einem neuerlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit als einer Fundamentalzäsur, oder ist die Digitalisierung der öffentlichen Sphäre primär eine Fortschreibung bestehender, vorab kommerzieller Entwicklungslinien des Mediensystems, nun einfach vorangetrieben von globalen Tech-Intermediären mit primär ökonomischen Interessen? Zu dieser Frage ist im Fachdiskurs eine lebhafte Debatte entbrannt. Für Hagen (2017) etwa ist evident, dass die „Logik der Algorithmen“ einen neuerlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit begründet. Demgegenüber betont etwa Krüger (2018), dass der gegenwärtige Wandel weit vor dem Durchbruch des Internets mit der Einführung der Satelliten- und Digitaltechnik eingesetzt habe und primär von Prozessen der Ökonomisierung und Globalisierung vorangetrieben werde.

(2.) Tragen bestehende Modelle von Öffentlichkeit noch?

Die Begriffe der Öffentlichkeit bzw. der öffentlichen Kommunikation sind als Folge der Digitalisierung zu „moving targets“ geworden (Wimmer 2017; Wimmer in diesem Band) und bedürfen möglicherweise einer Neubestimmung. Dies klingt etwa bei Brosius (2016) an, wenn er sämtliche im Internet stattfindende Kommunikation – ob interpersonal, in Gruppen oder sozialen Netzwerken, von Privatpersonen oder klassischen Massenmedien initiiert – als Folge ihrer prinzipiellen Beobachtbarkeit durch Datafizierung und Algorithmisierung als „öffentliche Kommunikation 2.0“ bezeichnet. Es kann auch gefragt werden, ob bisherige duale Kategorisierungen wie öffentlich/privat im digitalen Zeitalter noch Sinn machen, oder ob nicht vielmehr in Kontinuen und fließenden Übergängen gedacht werden muss (Strippel et al. 2018). Die Frage wäre nicht mehr so sehr die Abgrenzung von, sondern die Bedingungen für Öffentlichkeit. Von Interesse wäre etwa, unter welchen Bedingungen interpersonale oder private Kommunikation zu öffentlicher avanciert und umgekehrt (ebd.).

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit bestehende Öffentlichkeitsmodelle und -theorien geeignet sind, die Kommunikationsdynamik in der digitalen Sphäre adäquat zu beschreiben. So könnte etwa argumentiert werden, dass das klassische Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit – differenziert in die Interaktions- oder einfache Öffentlichkeit, die Themen- oder mittlere Öffentlichkeit sowie die Medien- oder komplexe Öffentlichkeit (Neidhardt 1994; Klaus 2001) – durchaus geeignet ist, bestehende Transformationsprozesse in der digitalen Öffentlichkeit zu erfassen. Es ließe sich in dieser Perspektive eine fortschreitende Entdifferenzierung bzw. Porosität zwischen den drei Öffentlichkeitsebenen beobachten, wonach sich etwa der „Stammtisch“ (Interaktionsöffentlichkeit) ins Netz verlagert und damit zunehmend öffentlich oder zumindest potenziell öffentlich, weil jederzeit auffindbar, stattfindet. In diese Richtung zielt etwa Neubergers Vorschlag einer „integrierten Netzöffentlichkeit“ (Neuberger 2008). Auch könnte die klassische Differenzierung von Dahrendorf in eine passive, latente und aktive Öffentlichkeit herangezogen werden, um zu diskutieren, inwieweit wir eine intensivierte Daueraktivierung von Öffentlichkeit in der digitalen Sphäre beobachten können. Solchen Versuchen, traditionelle Modelle von Öffentlichkeit auf die digitale Sphäre zu übertragen, mag man jedoch entgegenhalten, dass sie womöglich zu kurz greifen, weil sie der neuartigen Entdifferenzierung zwischen verschiedenen Modi der Kommunikation (interpersonal, privat, massenmedial etc.) nicht gerecht werden und die unterliegenden, neuen Strukturbedingungen digitaler Öffentlichkeit, allen voran Datafizierung und Algorithmisierung, zu wenig berücksichtigen.

(3.) Welche gesellschaftlichen Folgen zeitigen digitale Kommunikationslogiken?

Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Digitalisierung öffentlicher Kommunikation mit einem Wandel oder zumindest einer Akzentuierung spezifischer Kommunikationslogiken verbunden ist. So entspricht es dem Designprinzip der wissenschaftlichen Vordenker des Silicon Valley, dass die Plattformen der Tech-Intermediäre Facebook, Google & Co. auf rasche und impulsive Reaktionen ihrer Nutzer, sogenannte System-1-Reaktionen nach Kahneman, ausgerichtet sind (Lischka und Stöcker 2017). Dies bildet die Voraussetzung für den Erfolg des Geschäftsmodells der Tech-Intermediäre, das mittels niederschwelliger Klicks, Likes, Shares oder anderer Reaktionen laufend ökonomisch verwertbare Nutzerdaten akkumulieren will. Aus Sicht der Plattformbetreiber hingegen tendenziell unerwünscht sind dagegen System-2-Reaktionen, die langsam erfolgen und mit Anstrengung verbunden sind.

Soziale Medien können von ihrer basalen Funktionslogik her betrachtet damit als reaktionsschnelle Emotionsmedien betrachtet werden, und ihre Algorithmen werden auch laufend dahingehend optimiert (Eisenegger 2017; Eisenegger in diesem Band). Studien belegen denn auch, dass emotional aufgeladene Beiträge auf Facebook mehr Reaktionen provozieren als nicht emotionale und auch prominenter in der Timeline der Nutzer erscheinen (Stieglitz und Dang-Xuan 2012; Blassnig und Wirz 2019). Damit zusammenhängend erhalten populistische Politakteure, die sich besonders stark emotionalisierender, polarisierender oder zuspitzender Rhetorik bedienen, in den sozialen Netzwerken am meisten Aufmerksamkeit und werden stärker mit Nutzerreaktionen belohnt (Dittrich 2017). Die emotional-impulsive Funktionslogik sozialer Plattformen hat Folgen für die Qualität des öffentlichen Diskurses. Sie kann zu einer unkritischen Bestätigungstendenz gegenüber extremen und bedrohlichen Ereignissen führen. Und sie kann die reflexartige Annahme und Weiterverbreitung emotionsheischender Inhalte, aber auch von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien fördern. Relevant ist in diesem Zusammenhang das Attribut „sozial“ sozialer Medien. Die Besonderheit sozialer Medien liegt in der Bewirtschaftung, im Abbilden und im Sichtbarmachen der Beziehungen seiner Mitglieder (Neuberger 2011). Die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Plattformen ziehen Gratifikationen primär aus dem Beziehungs- und dem Identitätsmanagement, d. h. der Möglichkeit der Vernetzung unter Gleichgesinnten wie auch aus der Selbstdarstellung (Schmidt 2009). Sie reichen deshalb auf sozialen Plattformen Inhalte möglicherweise nicht nur deshalb weiter, weil sie den informierenden Inhalt Dritten zugänglich machen wollen, sondern weil der weitergereichte Inhalt zum intendierten Selbstbild passt oder damit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Community signalisiert werden kann. Geteilt, gelikt etc. wird also das, was zur eigenen Identität, zum eigenen Netzwerk passt, mit dem man sich identifiziert, und zwar unter Umständen auch dann, wenn das Weiterverbreitete nachweislich tatsachenwidrig ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Algorithmen-gesteuerte Kommunikationslogik theoretisch modelliert und empirisch beobachtbar gemacht werden kann und welche Folgen der Gesellschaft daraus erwachsen.

(4.) Was ist der Gegenstand der Kommunikationswissenschaft in der digitalen Ära?

Ausgelöst durch einen Beitrag von Hepp (2016) in der Fachzeitschrift „Publizistik“ hat sich eine lebhafte Debatte zur Frage entbrannt, was dem Gegenstand der Kommunikationswissenschaft in der digitalen Ära bzw. in „datengetriebenen Zeiten“ zuzurechnen sei (Hepp 2016; Jarren 2016; Brosius 2016; Theis-Berglmair 2016; Strippel et al. 2018). Während Hepp (2016) für eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs hin zu allen Formen medienvermittelter Kommunikation und Theis-Berglmair (2016) für eine noch stärkere Ausweitung hin zu allen Formen der Kommunikation generell plädiert, spricht sich Brosius (2016) für eine Beibehaltung des Fokus auf öffentliche Kommunikation aus, wobei der Begriff neu zu bestimmen sei: Im digitalen Netz sei alle Kommunikation potenziell öffentlich. Auch Jarren (2016) steht einer Aufgabe des kommunikationswissenschaftlichen Fokus auf öffentliche Kommunikation kritisch gegenüber, plädiert aber für neue theoretische Modellierungen, insbesondere institutionentheoretische zur adäquateren Erfassung des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit. Strippel et al. (2018) wiederum sprechen sich dafür aus, mit der neuen Unbestimmtheit kommunikationswissenschaftlicher Gegenstände zu leben und stattdessen unterschiedliche Grade von Öffentlichkeit zu definieren, die fließende Übergänge zwischen privater, interpersonaler und öffentlicher Kommunikation beschreibbar machen.

Das Mediensymposium, dessen Erträge dieser Band bilanziert, nahm die Debatte zum Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Forschung zum Anlass zu fragen: Was ist der prioritäre Gegenstand des Faches angesichts des digitalen Wandels? Inwieweit und unter welchen Bedingungen soll „öffentliche Kommunikation“ weiterhin im Zentrum der Forschungsanstrengungen stehen? Bzw. inwieweit ist eine Ausweitung des Gegenstandes auf sämtliche Formen medienvermittelter Kommunikation oder gar Kommunikation generell sinnvoll? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus in theoretischer und methodologischer Hinsicht? Wie kann sich die Kommunikationswissenschaft ihre Identität bewahren, d. h., was ist ihr unverwechselbarer „USP“ in einer Zeit, in der die Scientific Community weit über die Sozialwissenschaften hinaus die Digitalisierung zum Hauptgegenstand ihrer Forschungsbemühungen erklärt.

Diesen und weiteren Fragestellungen widmet sich der Band Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit – Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen. Er gliedert sich in drei Themenblöcke mit gesamthaft 26 Beiträgen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.Footnote 1

Themenblock 1: Perspektiven und Modelle von Öffentlichkeit im digitalen Strukturwandel.

Der erste Themenblock diskutiert Perspektiven und Modelle von Öffentlichkeit im digitalen Strukturwandel. Den Auftakt macht Mark Eisenegger mit seinem Beitrag Dritter, digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit als Folge der Plattformisierung.Footnote 2 Er argumentiert, dass nicht Prozesse der Digitalisierung per se, sondern solche der Plattformisierung einen dritten digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit nach sich ziehen. Der öffentlichkeitsstrukturelle Wandel habe die Etablierung sogenannter Plattform-Öffentlichkeiten mit spezifischen Plattform-Logiken zur Folge, die die kommunikative Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit in weiterer Folge anleiten.

Der Beitrag Öffentlichkeitswandel durch Social Media – Auswirkungen der Plattformisierung für die gesellschaftliche Vermittlungsstruktur von Otfried Jarren modelliert Social-Media-Plattformen als fundamentale Institutionen, die ebenso weitreichende Prozesse der medialen und gesellschaftlichen Institutionalisierung nach sich ziehen. Daraus wird eine Transformation auch der öffentlichen Sphäre abgeleitet, unter anderem in Form eines Wandels der Zuweisung und des Entzugs kommunikativer Macht.

Christian Katzenbachs Beitrag, Die Öffentlichkeit der Plattformen: Wechselseitige (Re-)Institutionalisierung von Öffentlichkeiten und Plattformen, plädiert dafür, Tech-Plattformen als dynamische, kontingente Gebilde zu fassen, die selbst transformierenden Institutionalisierungsdynamiken ausgesetzt sind. Dies unter anderem als Folge öffentlicher Kontroversen oder als Folge von Regulierungsprozessen.

Thomas N. Friemel und Christoph Neuberger entwickeln im Beitrag Öffentlichkeit als dynamisches Netzwerk ein auf die digitale Ära adaptiertes Netzwerk-Modell öffentlicher Kommunikation. Auf dieser Basis wird gezeigt, wie sich öffentliche Kommunikation von einem kontrollierten, periodischen, linearen und abgeschlossenen zu einem offenen, kontinuierlichen, interaktiven und zyklischen Prozess wandelt.

In ihrem Beitrag Worum geht es? Die Bedeutung von Themen für den Strukturwandel der (digitalen) Öffentlichkeiten präsentieren Klaus-Dieter Altmeppen und Tanja Evers ebenfalls ein Modell zur Erfassung des Öffentlichkeitswandels in der digitalen Ära. Es wird vorgeschlagen, den digitalen Öffentlichkeitswandel in Form eines Wabenmodells von Öffentlichkeiten mit einem deutlichen Fokus auf Themenkarrieren zu modellieren.

Im Beitrag Die Rückkehr der Gemeinschaft im digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit plädiert Patrick Donges dafür, das Konzept der Gemeinschaft und die sie konstituierende Kommunikation zum Ausgangspunkt neuer Perspektiven und Modelle von digitaler Öffentlichkeit zu machen. Die durch die Digitalisierung intensivierte Ausdifferenzierung öffentlicher Kommunikation lasse sich ohne starke Bezüge zu Identitäten, Wir-Gefühlen, gemeinsamen Normen und Werten nicht adäquat erfassen.

Im Beitrag Öffentlichkeit als ,Moving Target‘: Die Komplexität der Teilhabe an politischer(n) Öffentlichkeit(en) im digitalen Zeitalter rekonstruiert Jeffrey Wimmer die digitale Öffentlichkeit als Verschränkung einer subjektbezogenen und strukturellen Dimension. Auf der Grundlage dieser dualen Perspektive wird die veränderte Teilhabe an Öffentlichkeit als einer der wichtigsten Motoren der digitalen Transformation der Öffentlichkeit herausgearbeitet.

Michael Wild nimmt in seinem Beitrag Foren öffentlicher Kommunikation im Netz das Arenenmodell von Gerhards/Neidhardt zum Ausgangspunkt, die digitale Öffentlichkeit theoriegeleitet zu re-konzeptualisieren. Er argumentiert, dass vieles, was schon im ursprünglichen Arenenmodell angelegt ist, sich auch im digitalen Zeitalter als tragfähig erweise, es aber notwendig sei, die Nutzungsperspektive im Modell zu stärken.

Teresa Griebaus Beitrag Öffentlichkeit als Differenzierungsderivat schlägt vor, Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter funktional zu definieren und die zentrale Bezugsproblematik des Begriffs in Prozessen sozialer Entdifferenzierung zu sehen. Je undifferenzierter die Kommunikation einer sozialen Einheit, d. h., je stärker Kommunikation durch eine Neutralisierung von Rollenbindungen geprägt ist, desto eher müsse mit Öffentlichkeit gerechnet werden. Solche Dynamiken untersucht die Autorin am Beispiel konkreter Online-Foren wie 4chan.

Im Beitrag Irritationsgestaltung in der Plattformöffentlichkeit fokussiert Jan-Felix Schrape die Resonanzchancen peripherer Akteure und innovativer Ideen. Er kommt zum Schluss, dass in der Plattformöffentlichkeit nicht einfach automatisch mit gesteigerter Resonanz gerechnet werden könne, da die Menge an Inhalten im Web stetig zunehme und sich die kognitiven Verarbeitungskapazitäten nicht im Gleichtakt erweitern würden. Aufmerksamkeitsheischende Irritationsgestaltung bleibe daher für nicht-etablierte Akteure und neue Ideen zentral.

Kornelia Hahn destilliert in ihrem Beitrag Öffentlichkeit als Zeichenorganisation: Strukturwandel 1.0 bis 4.0? heraus, dass Öffentlichkeit als ein Produkt kollektiver Zuschreibung stets die Zeichenorganisation und -interpretation in einem spezifischen historischen Kontext spiegelt. Die Digitalisierung verändere demzufolge das Rollenspiel zwischen ZeichenproduzentInnen und -rezipientInnen. In diesem Zusammenhang beobachtet die Autorin das Erstarken einer „laienhaften Expertenkultur“ im digitalen Zeitalter.

Christian Strippels Beitrag Strukturwandel der Öffentlichkeit aus der Perspektive einer Theorie der Spätmoderne schließt an die sozialwissenschaftliche Tradition an, den strukturellen Wandel moderner Gesellschaften gesellschaftstheoretisch zu erklären. Er greift dafür den Ansatz des Kultursoziologen Reckwitz auf, der für westliche Gegenwartsellschaften einen Wandel von einer Logik des Allgemeinen hin zu einer Logik des Besonderen beschreibt.

Olaf Jandura konzeptualisiert in seinem Beitrag den digitalen Strukturwandel aus zeitgeografischer Perspektive. In diesem Horizont führe der digitale Strukturwandel zu einer intensivierten zeit-, orts- und programmsouveränen Mediennutzung, die eine wachsende Segmentierung des Publikums zur Folge habe. Die Folge sei, dass die Zeit als Faktor der gesellschaftlichen Synchronisation in der digitalen Ära zugunsten individueller Eigenzeiten zurückgedrängt werde.

Edzard Schade verfolgt in seinem Beitrag Intermediäre Öffentlichkeit als Epochenbruch: Zeitvergleich mit Öffentlichkeitsmodellen den öffentlichkeitsstrukturellen Wandel in der Langzeitperspektive beginnend ab archaischen Gesellschaften bis in die digitale Gegenwart. So ausgerüstet deutet er den digitalen Transformationsprozess als Zäsur in der Öffentlichkeitsgeschichte. Maßgebend ist für ihn die Beobachtung, dass sich mit der (digitalen) intermediären Öffentlichkeit die Möglichkeiten, Informationsangebote zu produzieren und zu nutzen, grundlegend verändert hätten.

Themenblock 2: Digitale Kommunikationslogiken und ihre gesellschaftlichen Folgen

Im zweiten Themenblock wird erörtert, inwieweit es sinnvoll ist, spezifische Logiken der Kommunikation in der digitalen Sphäre dingfest zu machen, und welche gesellschaftlichen Folgen mit ihnen einhergehen.

Der Beitrag von Udo Göttlich und Martin R. Herbers mit dem Titel Von der Logik der Öffentlichkeit zu Mechanismen öffentlicher Kommunikation geht von der Prämisse aus, dass die Digitalisierung der öffentlichen Sphäre nicht nur die Distributions- und Zugangsweisen, sondern auch die Teilnahme- und Selektionsformen öffentlich wahrnehmbarer Kommunikation verändert. Es wird die These plausibilisiert, dass die Logik sozialer Medien auf Anerkennungsspiele in weitgehend personalisierten Öffentlichkeiten zentriert wird.

Eine „Logik“ sozialer Medien wird im Fachdiskurs immer wieder in der Tendenz zu „Filterblasen“ und „Echokammern“ gesehen. Birgit Stark, Melanie Magin und Pascal Jürgens nehmen in ihrem Beitrag Maßlos überschätzt – Ein Überblick über theoretische Annahmen und empirische Befunde zu Filterblasen und Echokammern eine kritische Bestandsaufnahme des Fachdiskurses zum Thema vor. Sie gelangen zum Schluss, dass die beiden Begriffe der Komplexität des Sachverhalts nicht gerecht würden und dass die Personalisierungsmechanismen von Algorithmen einer genaueren empirischen Überprüfung nicht standhalten.

Eine weitere „Logik“ wird im Fachdiskurs oft darin gesehen, dass soziale Medien die Gefahr desinformativer Tendenzen in der öffentlichen Kommunikation erhöhen. Lisa Schwaigers Beitrag Die Lüge im digitalen Zeitalter – Simmel und die „geheime Gesellschaft“ schärft unter Rückgriff auf die theoretischen Erträge soziologischer Klassiker die Definitionskriterien des Begriffs der Desinformation. Die Autorin gelangt zum Schluss, dass Desinformation in der Plattform-Öffentlichkeit mit gesteigerter Resonanz rechnen könne und zudem die Gefahr erhöhe, das Vertrauen in die soziale Ordnung zu unterminieren.

Silke Fürst fokussiert in ihrem Beitrag Neue Öffentlichkeitsdynamiken: Zu selbstverstärkenden, plattformübergreifenden Effekten von ‚Popularität‘ auf die Frage, wie Prozesse digitaler Popularität theoretisch modelliert und empirisch erfasst werden können, die durch Prozesse der Datafizierung bedingt sind. Am Fallbeispiel der US-amerikanischen Präsidentschaftsdebatten wird gezeigt, dass „neue Öffentlichkeitsdynamiken“ entstanden sind, in deren Zusammenhang sowohl politische Akteure als auch die Plattformen selbst Strategien anreizen und einsetzen, um die Generierung von Nutzungsdaten und deren Sichtbarmachung in Form z. B. von Popularitäts-Rankings zu beeinflussen.

Marc Mölders fragt in seinem Beitrag Die Vierte Gewalt reloaded – Kontrolle, Kritik und Initiative in der digitalen Gesellschaft, wie sich eine Algorithmen-gesteuerte Kommunikationslogik und Social Network Sites (SNS) auf die Funktionalität einer Vierten Gewalt in der öffentlichen, digitalen Sphäre auswirken. Deutlich wird die Janusköpfigkeit der Tech-Plattformen. Sie erscheinen sowohl als Korrekturobjekt wie auch als Korrekturvehikel. Zudem wird gezeigt, dass die Funktion einer Vierten Gewalt im digitalen Raum immer noch primär auf planvolle Anstrengungen organisierter Korrektive anstatt auf unorganisierte Konnektive zurückzuführen ist.

Horst Pöttker untersucht im Beitrag Demokratische Internet-Öffentlichkeit? Zur Zugänglichkeit von Information in der digitalen Medienwelt die Frage, ob der durch den Umbruch der Parteienlandschaften bereits angezeigte Verfall demokratischer Kultur durch den digitalen Strukturwandel von Öffentlichkeit aufgehalten oder aber beschleunigt werde. Geschlussfolgert wird, dass der wachsende Anteil emotionsgeladener Informationen, die schwindende Unterscheidbarkeit zwischen richtigen und falschen Informationen oder auch das Eindringen privater Kommunikationsinhalte in die digitale öffentliche Sphäre die demokratische Kultur weiter unter Druck setze.

Maren Beaufort und Josef Seethaler gehen im Beitrag Von kollektiver zu konnektiver Logik? Mediennutzung und politisch-gesellschaftliche Beteiligung im Zeit- und Ländervergleich der Frage nach, inwieweit unterschiedliche Formen politischer Beteiligung auf differente Funktionen verschiedener Medien angewiesen sind. Die empirische Analyse belegt einen signifikanten, einer konnektiven Handlungslogik entsprechenden Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und dem zivilgesellschaftlichen Engagement.

Dominante Strukturen und Akteure der Digitalisierung: von „Digital Divide“ auf Mikro-Ebene zu „Digital Inequality“ auf Makro-Ebene lautet der Titel des Beitrags von Heinz Bonfadelli und Werner A. Meier. Der Beitrag fokussiert auf Prozesse der ungleichen Aneignung digitaler Netze durch das Publikum einerseits sowie auf Probleme digitaler Ungleichheit, die durch den Plattform- und Überwachungskapitalismus intensiviert würden, andererseits. Der Beitrag sensibilisiert für grundlegende Machtverschiebungen im so titulierten, globalen Digitalkapitalismus.

Den Abschluss des zweiten Themenblocks bildet der Beitrag von Marlis Prinzing mit dem Titel Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit in einer „liquid society“. Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern eine erneuerte Art des öffentlichen Diskurses und der Gesellschaftsbeobachtung in einem digitalisierten Umfeld sich fortwährend verschiebender und sich auflösender Grenzen („liquid boundaries“) zeigen lässt.

Themenblock 3: Gegenstand der Medien- und Kommunikationswissenschaft in der digitalen Ära

Der dritte Themenblock beschäftigt sich mit der Frage zum Gegenstand der Medien- und Kommunikationswissenschaft in Zeiten des beschleunigten digitalen Wandels.

Im Beitrag Artificial Companions, Social Bots und Work Bots: Kommunikative Roboter als Forschungsgegenstand der Kommunikations- und Medienwissenschaft spricht sich Andreas Hepp für eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs kommunikationswissenschaftlicher Forschung aus und plädiert dafür, Phänomene wie jenes der kommunikativen Roboter stärker einzubeziehen. Der Autor konzeptualisiert kommunikative Roboter an der Schnittstelle von automatisierter Kommunikation und kommunikativer Automatisierung und bemängelt, dass sich die Forschung im Kontext der Automatisierung bislang zu einseitig mit „Bots“ oder „Roboterjournalismus“ beschäftigt habe. Eine solche Gegenstandserweiterung bilde die Voraussetzung, um der tiefgreifenden Mediatisierung besser gerecht zu werden.

Im Beitrag Wie kann die Kommunikations- und Medienwissenschaft auf den Medienwandel reagieren? weisen Alexander Haas und Hans-Bernd Brosius der öffentlichen Kommunikation eine weiterhin hervorgehobene Bedeutung als Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Forschung in der digitalen Ära zu. Sie plädieren jedoch für eine Rekonzeptualisierung des Begriffs. Die Autoren elaborieren ein medienunabhängiges Modell öffentlicher Kommunikation, das Themen als Untersuchungskategorie ins Zentrum der Öffentlichkeits-Forschung rückt.

Last but not least fokussiert Anna Maria Theis-Berglmair in ihrem Beitrag Die Sichtbarkeit des Journalismus in der digitalen Welt – Überlegungen zum Gegenstand der Kommunikationswissenschaft auf die Problematik, dass bisherige Untersuchungsgegenstände kommunikationswissenschaftlicher Forschung in der digitalen Ära neu bestimmt und messbar gemacht werden müssten. Die Autorin zeigt dies am Gegenstand des Journalismus, der auf den Tech-Plattformen aus seinen Ursprungskontexten herausgelöst und dadurch schwerer identifizierbar wird. Es wird aufgezeigt, wie auf der Basis textimmanenter Indikatoren journalistische Texte in digitalen Kontexten erkannt und von anderen Textsorten unterschieden werden können.

Dieser Band versammelt eine Vielzahl und Vielfalt an sowohl gehaltvollen theoretischen Beiträgen als auch an empirischen Zugängen und Resultaten zum digitalen Strukturwandel aktueller Öffentlichkeiten. Es ist zu hoffen, dass der Band seinem Ziel dient, eine Inspirationsquelle für weiterführende Forschung und Publikationen zu sein.