Damit hatte wirklich keiner in der CSU gerechnet. Der vorsichtige, meist zurückhaltende und nur in wenigen Ausnahmesituationen zu heftigen Reaktionen neigende Generalsekretär Stephan Mayer soll einen Journalisten verbal angegriffen und ihm Verfolgung bis ans Lebensende angedroht haben?
Als im Laufe des Dienstags erste Telefonate zwischen der CSU-Führung und Mayer zu diesen Vorwürfen stattfanden, beließ es mancher zunächst dabei, Mayer zu glauben, dass das betreffende Gespräch zwischen ihm und dem Medienmann zwar deutlich, aber doch nicht so wild gewesen sei. Mayer soll einen Journalisten der Zeitschrift „Bunte“ am Telefon attackiert und gedroht haben: „Ich werde sie vernichten.“ Auch eine Schadenersatzforderung von 200.000 Euro soll gefallen sein. Hintergrund ist ein Text in der „Bunten“, in dem geschildert wird, dass Mayer angeblich nicht bereit sein soll, für einen achtjährigen unehelichen Sohn Unterhalt zu zahlen. Dies übernehme der Vater Mayers, also der Opa des Jungen.
Der Ton des Textes ist direkt, bisweilen scharf. „Insider“ werden als Quelle genannt, wenn es etwa um die Rolle von Mayers Vater geht. Ob der von dem Medium gefragt wurde, geht aus dem Bericht nicht hervor. Stephan Mayer spricht von einer rechtswidrigen Veröffentlichung. Dass es den Sohn gibt, war in der CSU bekannt. Doch die genauen Umstände waren bis Dienstag kein Gesprächsthema in der Partei. Selbst in der CSU gilt der Familienstand nicht mehr als so zentral, dass er politische Karrieren begründen oder ruinieren kann.
So bringt auch nicht der Text und die Sache mit dem Sohn Mayer nun zu Fall; der Bunte-Journalist wehrt sich vielmehr gegen Mayers massive verbale Angriffe. Sie werden in einem Brief der Kanzlei von Christian Schertz, einem der erfahrensten Rechtsanwälte für Medienrecht, aufgeführt, der im Laufe des Dienstags Thema in der CSU-Führung wurde. Innerhalb weniger Stunden musste Mayer immer mehr Details zugeben, schließlich habe er, wie WELT erfuhr, selbst darum gebeten, von seinem Amt entbunden zu werden.
Pikante Vorgeschichte
Er kam damit wohl nur einer Entlassung durch den Parteichef zuvor. Angriffe auf Journalisten sind generell für einen Politiker nicht hinnehmbar. In der CSU gibt es aber eine pikante Vorgeschichte. So mussten vor zehn Jahren zwei Parteisprecher gehen, weil sie angeblich unerlaubten Einfluss auf Berichterstattung nahmen.
Der aktuelle Fall hat jedoch eine andere Dimension. Zum einen wegen der drastischen Äußerungen, die CSU-Chef Markus Söder in einem Statement am Mittwoch nicht zu relativieren versuchte. Er sprach von einem „völlig unangemessenen“ und „völlig indiskutablen Stil“. Zum anderen, weil mit Mayer eine politische Führungsfigur der Partei gehen muss. Erst knapp zehn Wochen war er als Generalsekretär im Amt. Sein Abgang ist für Söder ein Debakel, das die Opposition in Bayern genüsslich ausschlachten wird.
Dabei dürfte es darum gehen, der regierenden CSU ein allzu herrschaftliches Gebaren vorzuhalten. Eventuell garniert mit dem Vorwurf der Doppelmoral, den die CSU nur allzu gern in politischen Belangen den Grünen entgegenschleudert. 2023 ist in Bayern Landtagswahl. Da kommt es den einen gerade recht, was den anderen mehr als ungelegen kommt.
Söder kann den Schaden nur minimieren, indem er schnell handelt, indem er schnell einen Nachfolger präsentiert. Dabei drängt sich kein Name auf. Der Außen- und Verteidigungspolitiker Florian Hahn käme infrage, Ex-Verteidigungsstaatssekretär Thomas Silberhorn wäre eine erfahrene Figur. Oder Ex-Staatsministerin Dorothee Bär. Sie alle haben den Malus, dass sie wie Mayer der Berliner Landesgruppe angehören. Und die Münchner Landtagsabgeordneten dürften nun umso mehr darauf dringen, dass einer oder eine aus ihrer Reihen den Job übernimmt. Schließlich sei ja bald Landtagswahl und nicht Bundestagswahl. Der Name von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber fällt bisweilen. Doch das erzwingt nach knapp zwei Monaten schon die nächste Kabinettsumbildung.
Dass ein flott präsentierter Nachfolger aber nicht ausreicht, Schaden von der Partei zu wenden, hat Söder begriffen. Erkennbar unternimmt die CSU den Versuch, den Eindruck wegzuwischen, es handle sich um ein systemisches Problem der Partei im Umgang mit Journalisten oder Bürgern. Entsprechend wurde Mayers Rückzug mit „gesundheitlichen Gründen“ erklärt. Es gehe ihm „wirklich nicht gut“, sagte Söder in München. Jene, die Mayer zuletzt erlebten, hatten bei dem Generalsekretär tatsächlich eine auffallende Gewichtsabnahme feststellen können. Ein Hinweis auf eine Überforderung im neuen Amt? Es bleibt Spekulation.
Für Verwunderung sorgte in der CSU, dass es Mayer nicht bei einer schriftlichen Erklärung beließ, die am Dienstagabend versandt wurde. Vielmehr erklärte er gegenüber der dpa in einer Stellungnahme, die er offenbar spät nachts verschickte, dass es zwischen ihm und dem Medienmann „ein sehr emotionales Streitgespräch infolge der eklatant rechtswidrigen Berichterstattung“ gegeben habe. „So hat der Bunte-Journalist mich beispielsweise als ,verrückt‘ bezeichnet sowie ‚dass sie schon mit anderen fertig geworden seien‘. Letzteren Satz weist der Anwalt des Journalisten zurück. Er sei nie gefallen. Man wird sich wohl vor Gericht wiedersehen.
Mayer war zwar frisch im Amt, aber auch kein politischer Frischling. Seit 20 Jahren sitzt er im Parlament. Vier Jahre war er Staatssekretär im Innenministerium bei Horst Seehofer. Von Entgleisungen, verbalen Ausfällen wurde in der Zeit nichts bekannt. Als ihn Söder zum General machte, stieß das auf große Zustimmung in der Partei. Tatsächlich hat sein Fall nun auch nichts mit parteiinternen Vorkommnissen zu tun, sondern mit einer persönlichen „Geschichte“. Und eben als das, als eine persönliche Geschichte will die CSU die Angelegenheit abtun. „Als menschliche Tragödie“, wie Söder sagte, nicht als politische Tragödie. Um eine solche handelt es sich bei einem von Mayers Vorgängern. Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer muss sich ebenfalls Ermittlungen stellen. Es geht um eine angebliche Falschaussage. Für Söder, so viel ist gewiss, lief es schon mal deutlich besser.
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