Tischgespräch: Steffi Kühnert - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Print
  3. DIE WELT
  4. Kultur
  5. Tischgespräch: Steffi Kühnert

Kultur Tischgespräch

Steffi Kühnert

Die Schauspielerin stärkt sich mit Pasta, die im ausgehöhlten Parmesan flambiert wird, für neue Rollen

Da kommt ja schon die Vorspeise. Hauchdünne Rindfleischscheiben, halb versteckt unter Rucolablättern. Steffi Kühnert setzt ihre Brille auf und inspiziert den Teller: „Das is aber keen Carpaccio-Duett!“ Stimmt, die auf der Karte angekündigten Scheiben „feinen Thunfischs“, die sich mit dem Fleisch zu einem harmonischen Zweiklang vereinen sollten, tauchen auch unter dem grünen Salathügel nicht auf. Sie setzt die Brille wieder ab und lehnt sich zurück. „Ist nicht schlimm, hier schmeckt allet.“

Die Schauspielerin muss es wissen. Prenzlauer Berg ist ihr Kiez, hier hat sie zu Ostzeiten in beinahe jeder Straße gewohnt, hier hat sie als junges Mädchen eine Ausbildung als Herrenmaßschneiderin absolviert. Von dem Lebensgefühl von damals mag nicht viel übrig geblieben sein, nur ihren Berliner Akzent hat sie konserviert. Was bei vielen Ost-Künstlern ihrer Generation zum guten Ton gehört.

Heute ist sie oft zu Gast in der „Trattoria Felice“, einem gemütlichen Lokal in der Lychener Straße. Die Kellner duzen sie. „Ich kann mich nicht entscheideeen!“, singt Kühnert in ihre Speisekarte hinein. Pizza? Spaghetti all’arrabiata? Knoblauch geht nicht, „wegen der Studenten“. Seit 2009 ist sie Professorin an der Schauspielschule „Ernst Busch“, die sie selbst Anfang der 80er besucht hat. Am Ende wählen wir beide die Spezialität des Hauses: Tagliolini mit schwarzen Trüffeln.

Kühnert, geboren 1963 in Ostberlin, ist nicht der Typ Frau, die sich selbst oder anderen etwas vormacht. Obwohl ja das Spielen, das So-tun-als-ob, ihr Beruf ist, in dem sie es erst im Theater und dann in Fernsehen und Kino zu seltener Meisterschaft gebracht hat. Anders als so viele Kolleginnen, die sich schwertun mit dem Altern und den wenigen Rollen, die einer reifen Frau angeboten werden, steht Steffi Kühnert erst jetzt, mit 50, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Für das größere Publikum entdeckt hat sie der Regisseur Andreas Dresen. Seit „Halbe Treppe“ gehört sie zur Stammbesetzung seiner Filme. Für ihre Leistung als duldende Ehefrau in Dresens Krebsdrama „Halt auf freier Strecke“ wurde Kühnert 2012 für den Deutschen Filmpreis nominiert. Dresens Spezialität ist die realitätsnahe Milieudarstellung, Kühnerts Spezialität ist es, solche Figuren zu verkörpern. Normale Frauen, vom Alltag geplagt, von Sorgen gezeichnet. Kühnert kann wunderbar frustriert gucken, in ihrem Gesicht spiegeln sich dann Enttäuschung, Desillusion – und eine Portion Verstocktheit. Doch wird es nie bodenlos schrecklich oder gar rührselig. Ihre Figuren haben sich ihren Sinn für kleine Glücksmomente bewahrt, und irgendwo, im hintersten Winkel ihres trostlosen Daseins, hat sich auch der Humor versteckt.

Nun kommt „Die Frau, die sich traut“ von Marc Rensing ins Kino, Kühnert hat darin ihre erste große Hauptrolle. Sie spielt die alleinstehende Beate, eine ehemalige DDR-Leistungsschwimmerin in der ostdeutschen Provinz, die die eigenen Ambitionen für ihre zwei Kinder drangegeben hat und sich, auch als diese längst erwachsen sind, klaglos für sie aufopfert. Als bei ihr Krebs diagnostiziert wird, erzählt sie niemandem davon und beschließt stattdessen, ihr Leben umzukrempeln und sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: einmal durch den Ärmelkanal schwimmen.

Der Plot mag ein wenig frauenmagazinhaft nach „Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst“ klingen, nach Krebsdrama mit Happy End, doch „Die Frau, die sich traut“ ist eine sensible Studie über die Nöte und Wünsche einer in die Jahre gekommenen Frau. Kühnert füllt den Film komplett aus, sie ist in so gut wie jeder Szene zu sehen, die Kamera klebt an ihr und ihrem ausdrucksstarken Gesicht. Bei anderen Darstellerinnen würde man vielleicht bemerken, wenn sie kein breites Kreuz haben wie ehemalige Leistungsschwimmerinnen, und würde ihnen die Rolle nicht abnehmen, bei Kühnert denkt man keine Sekunde daran.

Sie hat die Gabe, eine Figur mit allen ihr zu Verfügung stehenden Mitteln zu erschaffen, ihr Körper ist ihr Präzisionswerkzeug, das sie in jahrzehntelanger Theaterarbeit feinjustiert hat. „Ich habe Theater gespielt wie eine Besessene“, sagt Kühnert zwischen zwei Bissen der in der Tat köstlichen, äußerst nahrhaften Trüffelnudeln. Frank Castorf und Alexander Lang waren ihre Götter. „Zu Castorf sind wir zu Ostzeiten regelrecht gepilgert“, sagt sie, „und immer zur Generalprobe, denn man wusste ja nie, ob die Premiere überhaupt stattfinden durfte.“ In der DDR war sie in Eisenach engagiert, nach der Wende holte sie Leander Haußmann nach Weimar, sie stand in Berlin, Salzburg, Wien, München und Bochum auf der Bühne. Der Mauerfall kam ihr gerade recht, „er eröffnete uns die ganze Welt“, erzählt Kühnert.

Berührungsängste oder gar die Sorge, mit den Kollegen aus dem Westen nicht klarzukommen, hatte Kühnert nie. Sie wusste immer, was sie kann, und die anderen wussten es auch. Sie spielt große Rollen, Nora, Antigone, Elektra; die Polly der „Dreigroschenoper“. Sie probiert von morgens bis nachmittags, abends hat sie Vorstellung, danach wird in der Kantine beisammengesessen. Im Sommer, wenn die Theater geschlossen sind, sind die Festspiele dran. Das war ihr Leben, jahrzehntelang.

Doch irgendwann ging es nicht mehr. „Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr konnte. Ich hatte keine wirkliche Freude mehr am Spielen“, sagt Kühnert. Sie lebte inzwischen mit Mann und Kind, die Prioritäten hatten sich verschoben. Der Familienrat wurde einberufen, doch die Entscheidung sei ihr trotzdem nicht leichtgefallen: Sie kündigte. Einige Jahre spielte sie noch als Gast an diversen Theatern, dann war auch damit Schluss. „Ich habe in 25 Jahren so viel gearbeitet, das hätte für 40 Jahre gereicht. Ich bin jetzt in Theaterrente.“ Das wilde Theatertier ist gezähmt? „Man weiß nie, was die Zukunft bringt“, sagt Kühnert verschmitzt. Und außerdem: Unterbeschäftigt ist sie nicht, sie dreht viel, und dann ist da ja noch die Schauspielprofessur, „meine neue Passion“. Eine Frau muss tun, was eine Frau tun muss.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant