Stefan Hunstein über die Lust am Theater & die Kraft der Kunst
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Stefan Hunstein über die Lust am Theater - und die Kraft der Kunst

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Stefan Hunstein auf der Terrasse der Bayerischen Akademie der Schönen Künste am Münchner Opernplatz
Über den Dächern von München: Stefan Hunstein auf der Terrasse der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, direkt am Max-Joseph-Platz. Seit September ist er Direktor der Abteilung Darstellende Kunst. © Astrid Schmidhuber

Theater-Star Stefan Hunstein ist der neue Direktor der Abteilung Darstellende Kunst in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Und möchte vor allem eines: Leben in die Bude bringen!

Den Wahl-Bochumer hört man immer wieder heraus. Da wird aus „Hör mal!“ „Hömma“ – und dieses dynamisch Verkürzte passt zu Stefan Hunstein, der nur so vor Energie sprüht. Seit September ist er Direktor der Abteilung Darstellende Kunst in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Hier wird regelmäßig zu kostenlosen Veranstaltungen geladen. Auf Hunsteins Programm in der Abteilung Theater steht als Nächstes eine Lesung mit Albert Ostermaier: Am 17. November 2022 ab 19 Uhr lesen Katja Bürkle und Wiebke Puls aus dessen unveröffentlichten Texten. Ein Gespräch mit Hunstein, der viele Jahre Ensemble-Mitglied der Münchner Kammerspiele war, heute fest am Schauspielhaus Bochum engagiert und nebenbei Fotokünstler ist, über die Kraft der Kunst.

36 Jahre lang hat Dieter Dorn die Abteilung geleitet. Ganz schön große Fußstapfen, oder?
Stefan Hunstein: Stimmt, ich weiß, dass das eine wichtige Aufgabe ist. Doch ich sage selbstbewusst: Ich bin der Richtige dafür.

Warum?
Stefan Hunstein: In der Akademie wollen wir einen Diskurs führen über die Frage: Was ist das zeitgenössische Theater, welche Aufgabe haben die darstellenden Künste heute? Ich stehe mit beiden Beinen mitten im Theaterleben, schöpfe aus der unmittelbaren Realität des Theaters. Und weiß, worüber man sich dort Gedanken macht.

Worüber?
Stefan Hunstein: Die Preisfrage ist: Wie kriegen wir die Jungen ins Haus? Die sind politischer geworden, klimabewusster, queerer, digitaler – wie erreichen wir die? Theater ist ein lebenswichtiger Ort, um essenzielle Erfahrungen zu machen, die man eben nicht im Netz machen kann.

War es denn immer schon die Preisfrage, wie man die Jungen ins Haus bekommt – oder ist das in den vergangenen Jahren schwieriger geworden? Anders gesagt: Sind Sie in dieser Hinsicht Kulturpessimist?
Stefan Hunstein: Ich bin gar nicht pessimistisch. Ich habe vier Kinder, und ich sehe, die suchen sich andere Wege. Man muss dem nur nachspüren. Wenn ich einzig das, was ich vor 20, 30 Jahren kannte, als alleiniges Mittel sehe, sich auszudrücken, komme ich nicht weiter. Ich beobachte sehr genau, was die Kinder sich anschauen, wie sie sich ausdrücken, wo sie sich treffen. Dass ich das nicht alles toll finde, muss ich Ihnen nicht sagen, trotzdem entdecke ich da viel Interessantes: andere Sehgewohnheiten, anderes Tempo, andere Direktheiten. Und da müssen wir mal gucken, wo sich Möglichkeiten eröffnen, dort anzuknüpfen. In Bochum haben wir viele junge Leute in den Zuschauerreihen.

Die dann auch noch die Langstrecke schaffen? Man darf ja nicht den Fehler machen, sich nach einer Aufmerksamkeitsspanne von eineinhalb Minuten zu richten.
Stefan Hunstein: Ich sage immer: Theater muss spannend sein. Es ist ein Phänomen bei unserem Bochumer „Hamlet“ mit Sandra Hüller: Es ist eine sehr direkte, unpathetische Aufführung – und glauben Sie mir: Nach jeder Vorstellung springt das Publikum auf und es gibt Standing Ovations. Sie können es sich nicht vorstellen! Also spannend muss es sein, man muss Theater für die Menschen machen und darf nicht mit der Haltung mancher Intendanten agieren, die sagen, die Zuschauerzahlen seien ihnen egal. Eine solche Haltung grenzt an ...

... Arbeitsverweigerung.
Stefan Hunstein: Genau. Das darf nicht sein. Es ist Pflicht, die Leute ins Theater zu holen. Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. So ist es auch mit der Akademie der Schönen Künste: Ich habe in München 27 Jahre Theater gespielt. Und weiß: In dieser Stadt ist alles möglich. Man muss nur gucken, dass man die Leute an der richtigen Stelle erwischt. Ich hoffe, viele hier ins Haus zu holen.

Merkur-Kulturredakteurin Katja Kraft im Gespräch und Stefan Hunstein.
Trafen sich in der Akademie: Merkur-Kulturredakteurin Katja Kraft und Stefan Hunstein. © Astrid Schmidhuber

Akademie der Schönen Künste klingt etwas elitär, nach einem abgezirkelten intellektuellen Kreis. Dabei kann jeder kommen, und das völlig kostenlos. Um was zu erleben?
Stefan Hunstein: Tolle Autoren zum Beispiel. Für meine Diskurs-Reihe „Schreiben fürs Theater“ hoffe ich beispielsweise auf Sibylle Berg und Lukas Bärfuss. Und beim nächsten Mal erwarten wir Albert Ostermaier. Jeder ist eingeladen, der über die Basis des Theaters nachdenken möchte, der nicht bloß was vorgesetzt bekommen will. Ich meine, so einen Autor wie Albert Ostermaier – das ist doch auch schön, dem mal zu begegnen. Diskurs klingt so ernst. Doch ich versuche, das möglichst unterhaltsam zu gestalten. Ich möchte, dass Leben in die Bude kommt.

Woher nehmen Sie diese Energie?
Stefan Hunstein: (Lacht.) Keine Ahnung, meine Mutter hat schon immer gesagt: „Mensch, jetzt mach’ mal ruhig.“

Inwiefern haben Kunst und Kultur Ihr eigenes Leben beeinflusst?
Stefan Hunstein: Ich selber komme ja aus Kassel und bin ein Kind der documenta. Ich darf sagen, dass die documenta bei uns am Tisch mit kreiert wurde. Denn mein Vater war Freund von Arnold Bode, dem Erfinder der documenta, später von Harald Szeemann, und in der Folge bis zu Jan Hoet waren die alle bei uns zu Hause. Das ist ein großes Geschenk gewesen, das hat mein Leben bereichert. Ich habe schon als Kind die Kraft gespürt, die die Kunst hat. Das trägt mich durchs Leben.

Die Kunst als Retter in schweren Zeiten?
Stefan Hunstein: Unbedingt. Als die Leute nach dem Krieg gar nichts mehr hatten – was haben sie da gemacht? Sie sind in die Theater gegangen. Und haben Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ gesehen. Da verdichten sich die Alltagsereignisse. Da spricht der Mensch zum anderen. Da hat ein Dichter etwas geschrieben über etwas, was alle betrifft. Als die Pandemie aufkam, habe ich noch einmal Camus’ „Die Pest“ gelesen. Das ist kurios. Als heutiger Leser sieht man: Ach, guck mal, da hat jemand so etwas schon einmal vorausgeschrieben und ich bin ja in genau derselben Situation. Man setzt sein Leben in Bezug zu der Dichtung oder dem Künstler.

Es tröstet.
Stefan Hunstein: So ist es. Es schenkt Trost, es gibt Kraft, man findet Worte für das, was ist. Und andere Bilder als nur die Kurven und nur die Wissenschaftler und nur die entsetzlichen Zustände, weil ja alles heruntergewirtschaftet wurde. Deshalb kann ich wirklich nur dafür plädieren, dass Politiker das wahrnehmen. Sie müssen unsere Kunst- und Kulturschätze wahrnehmen, sonst verarmen wir. Das große Problem in Europa und der Grund, warum es so zerfällt, ist, dass Europa vor allem als Wirtschaftszusammenhang gesehen wurde, einzig unter dem Gesichtspunkt, wer wem irgendwo etwas verkaufen kann. Dabei liegt der Reichtum in den unterschiedlichen Kulturen: der italienischen Kultur, der polnischen, der schwedischen ... Und in der griechischen Kultur: Hier liegt der Ursprung unseres Denkens.

In der Vielfalt?
Stefan Hunstein: Genau. Im Grunde müsste man die Menschen dazu verdonnern, ins Theater zu gehen, in Ausstellungen, in Konzerte. In allen Krisenzeiten gilt: Der Chronist ist der Künstler, der Dichter. Das bleibt übrig. Und daran wird man sich messen. Das können Sie sehen an der griechischen Kultur, dem Mittelalter, der amerikanischen Kunst der Siebziger – das bleibt. Und das müssten die Leute spüren: Wo die Kraft sitzt.

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