Documenta und DDR: Gute Kunst entsteht in Freiheit, schlechte in Diktaturen – so die Westsicht

Documenta und DDR: Gute Kunst entsteht in Freiheit, schlechte in Diktaturen – so die Westsicht

Als die Welt noch einfach war: Die Historikerin Alexia Pooth beschreibt die Entwicklung der Weltkunstausstellung Documenta als Gegenentwurf zur offiziellen Kunst in der DDR.

Podiumsansicht 1991
Podiumsansicht 1991Benjamin Katz

Provokationen, Demonstrationen und wütende Bilderabhängungen gehören zur Documenta wie Begeisterung und vernichtende Kritik. Um Kunst geht es dabei immer, aber nie ausschließlich. Denn die Documenta in Kassel war von Anfang an eine politische Ausstellung, offen antisemitisch war sie – bis 2022 – nie. Der Schaden, den Deutschlands bedeutendste Kunstausstellung durch das Kuratorenteam Ruangrupa genommen hat, ist größer als alle früheren Skandale und Skandälchen. Das zeigt sich sehr deutlich im jetzt erschienenen Buch der Historikerin Alexia Pooth, die sich in „Exhibition Politics. Die documenta und die DDR“ mit der Entwicklung der Ausstellung zwischen 1955 und 1997 beschäftigt.

Der Titel ist Programm, denn diese Entwicklung ist von Anfang an nicht ohne den Gegensatz zur DDR zu verstehen, obwohl nur ein einziges Mal DDR-Künstler direkt eingeladen waren. Die Beschreibung dieser Teilnahme im Jahr 1977 ist zwar das Thema des Buches, doch entscheidend sind die Jahre davor und interessant auch die danach. Denn es ging immer um Abgrenzung.

Guten Morgen, Berlin Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

Für die DDR-Kunstfunktionäre war die Documenta der Beweis, dass die Kunst in der BRD von Kapital, Markt und Politik bestimmt wurde. Aus Westsicht gab es die eigene, gute, in Freiheit entstandene westliche Kunst und die schlechte Kunst aus den östlichen Diktaturen, die man deshalb auch nicht ausstellen musste. „Mit der Tabuisierung all dessen, was es östlich der sogenannten Zonengrenze gab, ließ sich der hegemoniale Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik demonstrieren und zugleich der Fokus auf eine Kunst legen, die vorgeblich frei von politischer Gängelung und Aktionismus war“, schreibt Pooth und weist anhand akribischen Quellenstudiums nach, dass die Konzeption jeder einzelnen Ausstellung politisch und kunstpolitisch motiviert war.

Lust auf Entdeckungen abseits der Staatskunst hatte man in Kassel nicht

So war es nur logisch, dass erst die SPD-nahe Documenta-Führung unter Manfred Schneckenburger die vier vom Staat hofierten Maler Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke 1977 nach Kassel einladen konnte. Lust auf Entdeckungen abseits der Staatskunst hatte man in Kassel nicht.

Manfred Schneckenburger überließ den Malern sogar die Auswahl ihrer Bilder und deren Hängung. Der Beitrag der Bildhauer Jo Jastram und Fritz Cremer wurde ohne deren Beteiligung und Mitsprache arrangiert. Künstler wie Georg Baselitz und A. R. Penck, die in die BRD ausgereist waren, protestierten gegen die Auswahl der vier Maler und hängten ihre eigenen Bilder ab. Die Kunstberichterstatter der DDR waren sich trotzdem einig: Die Teilnahme war ein Erfolg.

Christoph Schlingensief / Nachlass Christoph Schlingensief
Christoph Schlingensief / Nachlass Christoph SchlingensiefDocumenta archiv/Werner Maschmann

Das Feuilleton in der BRD diskutierte die Sozialistenkunst erwartungsgemäß kontrovers. Eine Entdeckung war die DDR-Kunst für den Westen trotzdem, denn Interesse und Wissen waren äußerst begrenzt, wie die im Buch versammelten Quellen und die überaus ehrlichen Zeitzeugen-Interviews zeigen. Und eben das „trug dazu bei, dass man die Kunstentwicklung in der DDR in ihrer Komplexität verkannte und folglich bis weit nach 1990 auch nur bedingt verstand“, schreibt Alexia Pooth in ihrem Fazit.

Alexia Pooth: Exhibition Politics. Die documenta und die DDR, Hrsg.: Birgitta Coers, documenta Archiv, Kerber Verlag, Berlin. 352 Seiten, 38 Euro