ARD (TV-Kritik): „Spurlos in Marseille“ - ein Wechselspiel aus Action und Drama
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ARD: „Spurlos in Marseille“ - ein gekonntes Wechselspiel aus Action und Drama

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„Spurlos in Marseille“ - am Samstag, 19.09., 20.15 Uhr im Ersten
„Spurlos in Marseille“ - am Samstag, 19.09., 20.15 Uhr im Ersten © ARD Degeto

Eine Reise an die Côte d‘Azur entwickelt sich für ein Ehepaar zu einem Alptraum. Hautpdarsteller Fabian Busch weiß in „Spurlos in Marseille“ (ARD) zu überzeugen.

  • Spurlos in Marseille" ist ein Film von Regisseur Roland Suso Richter.
  • Fabian Busch spielt die Hauptrolle überzeugend.
  • Der Film wird am Samstag, 19. September um 20.15 Uhr im Ersten gezeigt.

Gemessen daran, welche deutschen Serien ein Streaminganbieter wie Netflix zwar nicht erdumspannend, aber grenzübergreifend anbietet, scheinen zumindest Teile dieser Welt an der deutschen Vergangenheit, vertreten durch Titel wie „Weissensee“ und „Charité“, natürlich an Krimis und Thrillern – „Dogs of Berlin“, „Das Team“, „Bad Banks“ – und ein klein wenig an deutschen Shows interessiert zu sein: Inoffiziellen Quellen zufolge wird „Sing On! Germany“ mit Palina Rojinski von Netflix in 22 Länder übertragen.

Action gehört auf den ersten Blick nicht dazu. Nicht in dieser Marktsparte. Andererseits verkauft sich das karossenverschleißende serielle RTL-Spektakel „Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“ in über 120 Länder, darunter die USA.

TV: „Spurlos in Marseille“ im Ersten - Der Inselurlaub muss noch warten

Das Erste bedient mit „Spurlos in Marseille“ eben dieses Genre, und die Degeto-Eigenproduktion fällt nicht ab gegenüber dem, was anderswo in Europa auf gleichem Budgetniveau produziert wird. In der Exposition keine Neuschöpfung, sondern ein recht bekanntes Motiv. Zum selben Thema hat der verstorbene niederländische Regisseur George Sluizer 1988 mit dem Kinofilm „Spurlos verschwunden“, der auf einem Roman von Tim Krabbé basierte, Maßstäbe gesetzt, und vielleicht darf man den Titel des deutschen Fernsehfilms als Reverenz verstehen, vielleicht soll man das sogar. Wie dort, verschwindet in den ersten Minuten die Ehefrau eines biederen Ehe-, hier auch Hausmanns (Fabian Busch).

Eigentlich ist das Paar auf dem Weg in einen Kurzurlaub auf einer Insel vor der Côte d'Azur. Bevor sie die Fähre besteigen, möchte Katja Bassmann (Jeanne Tremsal) noch schnell einen Termin in Marseille wahrnehmen. Während Gatte Bruno Bassmann draußen ausharrt, im Taxi der ruppigen Chauffeuse Aliya (Sabrina Amali), die auf Deutsche nicht gut zu sprechen ist, geht Katja rasch in ein Café. Und kehrt nicht mehr zurück. Zurückgelassen hat sie ihre Tasche samt Inhalt. Was darauf hindeutet, dass sie nicht freiwillig verschwunden ist.

TV: „Spurlos in Marseille“ im Ersten - Hoch über den Gassen von Marseille

Bruno Bassmann geht zur Polizei, zum deutschen Konsulat, erntet aber nur höfliche bis höhnische Zurückweisung. Aliya, die einst in Deutschland Asyl beantragt hatte und deshalb leidlich Deutsch spricht, hilft ihm, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Widerstrebend, aber die gute Bezahlung ist ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann.

Sie forschen nach einem ominösen Jean-Luc, Journalist einer linken Zeitung, den Katja an diesem Abend treffen wollte. Sie finden ihn blutüberströmt in der Badewanne. Da erklingen auch schon die Martinshörner der alarmierten Polizei. Der möchte Aliya lieber nicht begegnen und flieht über die Dächer. Bruno Bassmann, verwirrt, verunsichert, verloren, klettert hinterher. Bald wird er als Mordverdächtiger gesucht, muss sich vor den Häschern verstecken und sich mit Katjas Entführern herumschlagen. Und das im Wortsinne. Der deutsche Biedermann wächst über sich hinaus und versetzt nicht nur Aliya in Erstaunen…

TV: „Spurlos in Marseille“ im Ersten - Action in realistischem Rahmen

Ein Hauch von James Bond steckt drin in diesem turbulenten, temporeichen Abenteuer. Die Flucht über Marseilles Dächer erinnert entfernt an James Bonds Sause in den Höhen Istanbuls in „Skyfall“. Daniel Craig beziehungsweise sein Stuntdouble brauste mit dem Motorrad über die Firste. Das war ein zirzensisches Kabinettstückchen, aber nicht gerade realistisch. Roland Suso Richter, Regisseur von „Spurlos in Marseille“, verzichtet auf solche Übertreibungen, und das darf man ihm zugute halten.

Drehbuchautor Gernot Krää, der zuletzt das mehrfach preisgekrönte Politdrama „Wackersdorf“ vorlegte, strapaziert zwar gelegentlich den Zufall, bleibt dabei aber noch halbwegs im Rahmen. Das Drama eines verzweifelten Mannes, der sich zugleich mit einer anderen Kultur und der ihm fremden Lebenseinstellung der unbeschwerten und freiheitsliebenden arabischstämmigen Aliya konfrontiert sieht, wird hier inszenatorisch wie auch darstellerisch angemessen vermittelt. Lückenhaft geriet allein das Ende. Da wurde, das hätte der Redaktion eigentlich auffallen müssen, ein wichtiger Faden aus den Augen verloren.

„Spurlos in Marseille“

Samstag, 19.9., 20:15 Uhr, Das Erste.

TV: „Spurlos in Marseille“ im Ersten - Fabian Busch ein Typ von heute

Bemerkenswert ist die Kameraarbeit Max Knauers, der die Stadtlandschaften Marseilles klischeefrei einfängt und Szenen je nach Bedarf als genau bemessenes Wechselspiel aus Schärfe und Unschärfe, statischen und bewegten Einstellungen auflöst und auch rasante Verfolgungsjagden einzufangen weiß.

Kein Bond-Film en miniature also, eher schon eine ferne Nachwehe Alfred Hitchcocks, der Spaß daran hatte, Biedermänner aus ihrem Alltagstrott herauszureißen und sinnbildlich in stürmische Gewässer zu werfen. Hauptdarsteller Fabian Busch ist indes keine Cary-Grant-Kopie, sondern, weitaus besser, ein Typ unserer Gegenwart. Und den verkörpert er sehr überzeugend, derweil sich die neben ihm als zweite Hauptdarstellerin agierende, sehr präsente jüngere Sabrina Amali für weitere große Rollen empfiehlt. (Von Harald Keller)

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