Sophie Rois feiert Wiederauferstehung in der Volksbühne: „Mein Gott, Herr Pfarrer!“

Sophie Rois feiert Wiederauferstehung in der Volksbühne: „Mein Gott, Herr Pfarrer!“

Nach sechs Jahren kehrt der Volksbühnenstar nach Hause zurück. Der Intendant René Pollesch und die Gemeinde bejubeln Santa Sophie.

Zwischen Theodizee und Therapie: Benny Claessens und Sophie Rois im Disput.
Zwischen Theodizee und Therapie: Benny Claessens und Sophie Rois im Disput.Gordon Welters

Also, bevor wir hier zur Maulerei kommen, gibt es eine Botschaft zu verkünden: Sophie Rois ist an der Volksbühne wiederauferstanden. Der Jubel ist groß, die Gemeinde glücklich. La Rois. Der neben dem längst ins Film- und Fernsehjenseits hinabgestiegenen Henry Hübchen größte Volksbühnenstar des Frank-Castorf-Vierteljahrhunderts verließ das Haus, als Chris Dercon das Hochamt übernahm, ging ins durchaus freudvolle und kommode Exil ans Deutsche Theater, nahm auch gleich seinen Lieblingsregisseur René Pollesch mit, der nach dem kurzen Klaus-Dörr-Intermezzo als Intendant an den Rosa-Luxemburg-Platz zurückkehrte.

Sophie Rois beendete noch ordnungsgemäß ihren DT-Vertrag, wechselte ein Jahr später ins neue Volksbühnen-Ensemble, aber noch fast ein weiteres Jahr und eine gescheiterte Produktion in kleinem Format gingen ins Land, bis sie nun endlich zum hausherreninszenierten Abend „Mein Gott, Herr Pfarrer!“ wieder auf die große Bühne tritt. Am Abend vor dem Dreifaltigkeitssonntag ist es so weit. Sie kommt von links. Im Dunkeln. Mit Kerze in der Hand. In einem grauen Kleid. Mit ungekämmtem Haar.

Und so tonlos und zur Seite gesprochen, wie ihr der erste Satz über die Lippen geht, so tief trifft er doch und so scheppernd echot er durch das Vakuum im heiligen Haus: „Oh mein Gott! Keiner da.“ Das könnte eine freie Übersetzung von Psalm 22 aus dem alttestamentarischen Buch David sein, jener Satz, den der bibelfeste Christus am Kreuz zitiert, bevor er stirbt: „Elōi, Elōi, lema sabachthani“, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Ein Satz, der eine Katholikin ins Dreifaltigkeitsgrübeln bringt: Wenn selbst Gott für ein paar Sekunden vom Glauben abfällt, dann ist er zumindest in dieser Zeit ein Atheist.

Ostern ohne Eier!

Ja, auch der Kritiker ist kurz vom Glauben abgefallen in dem in finsteren Sekunden noch immer verlassen wirkenden Haus. Und so richtig zünftige Osterstimmung kommt an diesem Abend dann auch nicht auf, und das nicht nur, weil keine Eier da sind. Im Gegenteil, das ist sogar einer der besten Momente, wenn Sophie Rois sich über deren Fehlen echauffiert – Ostern ohne Eier! Wenn sie sich nicht nur so im Affekt, sondern in beispielgebender Weise echauffiert, um ihrer Tochter, die sich trotz eingehender mütterlicher Ermahnungen noch immer nicht selbst behauptet, vorzumachen, was es heißt, wütend zu sein. Aber, ach, wie schnell sie wieder sitzt.

Worum geht es? Der Abend, das lässt sich dem Programmzettel entnehmen, basiert auf Motiven von Ingmar Bergmans Film „Licht im Winter“, gedreht vor 60 Jahren. Vorkenntnisse schafft man sich am besten drauf, wenn man folgen will. Das Meisterwerk erzählt von dem schwedischen Pastor Tomas Ericsson, der um seine Frau trauert, eine Geliebte hat, und trotz oder gerade wegen seines Postens von Glaubenszweifeln geplagt ist. Er kann, von der Ehefrau zu Hilfe gerufen, ein Mitglied der Gemeinde nicht vom Suizid abhalten. Von wegen Licht.

Der Film ist getragen von protestantisch-depressiver Selbstzerknirschung und muss die bekennende, nach Selbstauskünften in der Süddeutschen Zeitung klerikal-faschistisch geprägte und auf recht eigenwillige Weise praktizierende Katholikin Rois sehr beeindruckt haben. So gibt sie an diesem Abend die Ehefrau Karin Persson, die Witwe des Suizidierten, die zunehmend als Ursache des familiären Seelenleidens in Erscheinung tritt. Und sie spielt auch gleich noch einen berühmten schwedischen Unterhaltungskünstler mit, den Regisseur und Dramaten-Theaterleiter, der mit dem Kameramann Sven Niquist das Licht bespricht.

Man merkt Sophie Rois an, dass es da ein paar Punkte gibt, die sie in ihrer Kunstlustwut nicht loslassen – oder die sich doch auf der Bühne zumindest ausschlachten lassen müssten. Benny Claessens gibt den Sparring-Pastor, und es hat durchaus etwas, wie die beiden sich erst einmal auf die schräge Kante in dem sinnentleerten Bühnenbild von Hartmut Meyer (noch so ein Volksbühnenrückkehrer) setzen und einander doch ziemlich lustvoll die Ohren voll jammern, mit ihren als Theodizee-Gedanken getarnten therapeutischen Leidens- und Selbstauskünften. Das zur Schau getragene gegenseitige Desinteresse tut der Ausführlichkeit und Tiefe des Gesprächs kaum Abbruch.

Die Selbstbezogenheit von Karin hat auch die Psyche der längst erwachsenen, doch hoffnungslos unemanzipierten Töchter, gespielt von Christine Groß und Inga Busch, in Mitleidenschaft gezogen. Es könnte ein so schöner Theatermoment sein, wenn alle um Karin herum Rotz und Wasser heulen und diese dann mit großer pseudoempathischer Geste den doch wieder nur auf das eigene Heil gerichteten Satz ausruft: „Weint ruhig alle, ich halte das aus.“ Aber auch da war die Situation schon wieder unter dem organisierenden und hinterher erklärenden Spiel weggerutscht.

Nichts gegen Orientierungslosigkeit im Kampf mit den Fiktions- und Wirklichkeitsebenen. Die Figuren erscheinen einander in den Träumen, wir sind im Film, aber auch am Set, in Schweden, aber auch in der Volksbühne, etwa wenn sich Sophie Rois darüber freut, den zugkräftigen Titel des Abends durchgesetzt zu haben. Wenn der Mädchenchor der Singakademie zu Berlin am Schluss eine glockenhelle, vielstimmige Kyrie-Eleison-Liturgie anstimmt, ahnt man, wohin der Zauber wollte. Aber das Ding ist einfach nicht fertig, es hebt nicht ab. Da hilft auch nicht die Windmaschine, die wie ein bewimpertes Riesenauge die Szene föhnt und im Hintergrund schon mal die Stellwände abmontiert werden. Aber wie gesagt, die Gemeinde feiert. 

Mein Gott, Herr Pfarrer! 4., 7., 25. Juni, 7. Juli jeweils 19.30 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Karten unter Tel.: 24065777 oder: volksbuehne.berlin