Sophie Rois: „Es ist leichter, Sex zu spielen, als Sex zu haben“

Sophie Rois: „Es ist leichter, Sex zu spielen, als Sex zu haben“

Sophie Rois will den Leuten nicht in die Unterhosen schauen. Sie erzählt, wie es für sie sein wird, an die Volksbühne zurückzukehren, und wo sie sterben möchte.

Die Schauspielerin Sophie Rois
Die Schauspielerin Sophie RoisBenjamin Pritzkuleit

Sophie Rois ist blendend gelaunt, als wir uns zum Interview bei Port au Prince Pictures an der Holzmarktstraße in Berlin treffen, dem Verleih für ihren neuen Film „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“. Er  kommt am 16. Juni ins Kino. Sie gibt darin eine ältere Schauspielerin, die eine Affäre mit einem 17-Jährigen beginnt. Die Themen fürs Gespräch sind vorgegeben: Sex und Alter. Und dann gibt es da noch das Theater. Nach einer Pause von mehreren Jahren kehrt Sophie Rois zur nächsten Spielzeit an das Haus zurück, das man sich ohne sie eigentlich gar nicht vorstellen kann: die Berliner Volksbühne.

Lassen Sie uns über Sex reden, liebe Frau Rois.

Let’s talk about sex! Über nichts möchte ich lieber sprechen!

Wirklich?

Nein, überhaupt nicht.

Ich will nur wissen, wie man Sex spielt. Das machen Sie ja in dem Film.

Es ist leichter, Sex zu spielen, als Sex zu haben.

Ach. Warum? Wie kann man Erregung und Leidenschaft leichter spielen als empfinden? Es wirkt ja recht echt.

Na ja, man muss sich beim Spielen nicht dauernd authentisch fragen, was jetzt los ist. Man ist aufgefordert, eine bestimmte Sequenz zu performen, und muss es vor niemandem rechtfertigen, wenn man den anderen küsst und umarmt. Und wenn ich dann aufstehe und gehe, hat das für mich keinerlei Konsequenzen, verstehen Sie. Dann war’s das.

Aber man ist ja auch noch nackt dabei. Also, Sie sind nackt.

Ja, wir waren aber sehr geschützt. Das war auch die Verabredung. Das ist jetzt nicht Andreas Dresens „Wolke neun“.

Stimmt. Es ist dezenter.

Es war auch total dunkel. Wir haben einander kaum gesehen. Und auch sonst niemanden. Es gab so viele Kissen und Decken, und dann kannten wir uns auch schon. Die Szene wurde ganz am Ende des Drehs gedreht. Da waren wir schon zwei gute Spielkameraden.

Ist es einem hinterher peinlich?

Neeeiiin. Man macht ja nicht wirklich was. Das ist ja kein Pornofilm. Und es ist auch kein Softsexfilm. Wobei ich der großen Ära der Softsexfilme nachtrauere. „Emmanuelle“ und so etwas. Frühe 70er. Nicht, dass ich da gern mitgespielt hätte.

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Benjamin Pritzkuleit
Zur Person
Sophie Rois wurde am 1. Juni 1961 im österreichischen Ottensheim geboren. Im Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern machte sie eine Lehre zur Lebensmitteleinzelhandelskauffrau. Von 1983 bis 1986 absolvierte sie eine Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. 

Von 1987 an
hatte Sophie Rois Engagements in Berlin. 1993 wurde sie Mitglied des Ensembles der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Sie wirkte in Inszenierungen von Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, Frank Castorf und René Pollesch mit. Nachdem Chris Dercon Intendant der Volksbühne wurde, kündigte sie Ende 2017. Anfang 2018 wurde ihr für ihre Darstellung der Hexe in der Volksbühnen-Inszenierung von „Faust. Der Tragödie zweiter Teil“ der Gertrud-Eysoldt-Ring zuerkannt.

Sophie Rois
hat immer wieder auch Film- und Fernsehrollen. Ab der Spielzeit 2022/2023 wird Sophie Rois wieder zum Ensemble der Volksbühne gehören.

Warum trauern Sie denen nach?

Weil das schön anzuschauen war.

Heute gibt es so etwas wie „Shades of Grey“.

So was schau ich mir nicht an.

Warum nicht?

Da bin ich nicht scharf drauf. Wahrscheinlich will ich jetzt auch gar keine Sexszenen mehr sehen. Ich will den Leuten nicht so in die Unterhosen schauen.

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Komplizen Film/Berlinale
Zum Film
A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe, eine deutsch-französische Produktion in der Regie von Nicolette Krebitz, wurde bei der Berlinale 2022 uraufgeführt. Im Mittelpunkt steht eine 60 Jahre alte Schauspielerin, dargestellt von Sophie Rois, die sich in einen jungen Dieb (Milan Herms) verliebt. Der 105 Minuten lange Film spielt in Berlin und Nizza. Er kommt am 16. Juni ins Kino.

Aber früher schon?

Der Schlüssel liegt in der Ästhetik. Ästhetiken des 20. Jahrhunderts, darauf bin ich geprägt.

Nach dem Sex jetzt zum Alter. In dem Film geht es um eine Schauspielerin, die 60 Jahre alt ist, also in Ihrem Alter.

Das mochte ich von Anfang, dass es eine Frau ist, die nicht noch irgendwo mitmachen möchte. Die hat bessere Zeiten gesehen, die hat lustige, schöne Dinge gemacht in ihrer Vergangenheit. Doch jetzt ist sie an einem anderen Punkt. Sie tritt den Zumutungen ihres Berufs mit einer gewissen Arroganz gegenüber, liegt lieber ihrem Vermieter auf der Tasche, raucht eine Zigarette nach der anderen und geht in die Paris Bar, statt sich in den nächsten Fernsehkrimi einzuklagen.

Der Film nimmt ein Thema auf, das allgemein diskutiert wird: die Unsichtbarkeit älterer Schauspielerinnen.

Ich habe nie das Gefühl, dass ältere Schauspielerinnen unsichtbar sind.

Weil es für Sie nicht gilt.

Ja, aber auch für andere nicht. Isabelle Huppert dreht einen Film nach dem anderen. Ich rede jetzt deshalb von ihr, weil ich von jemandem reden möchte, den alle kennen. Auch Corinna Harfouch.

Sind das nicht die Ausnahmen, die die Regel bestätigen?

Das weiß ich nicht. Ich fühlte mich auch als 30-Jährige nicht wie das Gros meiner 30-jährigen Kolleginnen, was meine Ansprüche an den Beruf angeht, was ich wollte, was mir Freude gemacht hat. Das hängt sicher auch mit besonderen Glücksfällen in meinem Leben zusammen. Nachdem ich nach Berlin gekommen war, habe ich bei Gerhard Klingenberg am Renaissance-Theater zweimal Komödie gespielt. Da waren so alte Berliner Volksschauspieler wie Harry Wüstenhagen, Brigitte Grothum, Karin Eickelbaum und Kurt Beck dabei. Und ich hab’s geliiiiiebt. Aber meine Künstlerfreunde haben mich belächelt. Sie haben alle Heiner Müller im Keller gespielt, und ich dachte, na, ihr seid die Spießer, wenn ihr nicht seht, was das für eine Freiheit ist. Ich mochte auch den Pragmatismus, der an diesem Privattheater geherrscht hat. Die mussten ganz anders kalkulieren. Den Geschmack an solchem Volkstheater habe ich dann bei Castorf wiedergefunden.

Wann waren Sie denn am Renaissance-Theater?

Das war 1988, 1989. Ich bin im Winter 1986 nach Berlin gekommen, und ich war auch immer mal wieder arbeitslos. Aber das hat mich nicht weiter beunruhigt. Vielleicht hatte das mit der Haltung zu tun, die ich aus meiner Jugend im Österreich der Kreisky-Ära mitgenommen hatte. Man hält sich ja für wahnsinnig individuell und einzigartig, aber man ist doch Kind seiner Zeit. Ich bin sehr von diesem Lebensgefühl der 70er-Jahre in Österreich geprägt. Man hatte keine Angst. Arbeitslos zu sein, war kein Stigma. Faul zu sein – na und! Man hatte nicht diese Angst vor dem Abstieg. Und auch diese Aufforderung zur Selbstoptimierung gab es nicht. Dieses Gefühl hat mich mein Leben lang nicht verlassen. Vielleicht ist das auch ein Mangel an Realitätssinn. Egal! Es schützt einen.

Ich weiß, was Sie meinen, aber ich hab’ mir das nicht ganz bewahren können.

Nichts liegt mir ferner, als mich selbst zu idealisieren. Ich bin voll mit Ängsten, aber die sind irgendwie anders gelagert. Da geht es eher um Probleme, über die ich hier nicht sprechen möchte.

Warum sind Sie eigentlich nach Berlin gekommen?

Aus einem Instinkt heraus. Ich wusste nicht recht, was ich nach der Schauspielschule machen sollte. In Berlin konnte man erst einmal sein und sich orientieren. Und dann hatte ich das Glück, Anfang der 90er an der Volksbühne zu landen. Da hat man einen Sexappeal vorgefunden, der dem Theater, das ich kannte, nicht zu eigen war. Und der stellte sich nicht über die hohen Schuhe her, die die Frauen bei Castorf angeblich anhaben müssen. Der beruhte auf einer Unverschämtheit, einem radikalen Denken und einem Hang zum Entertainment. Und auf der Riesenbegabung von Castorf und vielen anderen Leuten dort. Dieser Fähigkeit, den historischen Moment zu ergreifen. Das war ein Riesenglücksfall, aber das muss man auch können. Und diese Angstfreiheit, in der er produziert hat! Jeder war erst mal willkommen, und es wurde geguckt: Ah, was bringst du denn mit?

Sophie Rois
Sophie RoisBenjamin Pritzkuleit

Und jetzt gehen Sie zurück zur Volkbühne. Ist das ein Triumph, ein Nachhausekommen?

Nein, kein Triumph. Und ich will auch gar nicht nach Hause. Ich wollte immer in die Fremde. Zuhause ist Schicksal, und alles andere ist das, was man sich dann selber wählt. Ich mag am Theater auch, dass es nicht für die Ewigkeit ist. Ich fand es nach 25 Jahren Castorf zwar bedauerlich, dass dann Chris Dercon gekommen ist, aber ich dachte nicht, dass wir das Recht hätten, da bis zu unserem Tod weiterzuwurschteln.

Was für die Ewigkeit ist, wird vielleicht auch irgendwann langweilig und fast wertlos, oder? Wenn etwas immer, immer da ist.

Was ewig währt, kann man immer haben. Was man immer haben kann, wird nicht kostbar sein. – Das ist von dem Publizisten Wolfgang Pohrt, und das hab ich mir gemerkt.

Das ist toll! Und leider wahr. Aber was ist es denn dann, dieses Zurück an die Volksbühne?

Na ja. Erstens fühle ich mich René Pollesch und ein paar anderen Leuten da verbunden. Das sind Leute, mit denen ich was entwickelt habe und von denen ja auch ein paar gestorben sind. Das reißt Löcher in die eigene Existenz.

Hat der Tod von Bert Neumann ein solches Loch gerissen?

Wie wichtig Bert Neumann für meine künstlerische Existenz war, kann ich gar nicht beschreiben. Und Christoph Schlingensief. Mit den wenigen, die noch leben, möchte man es nun doch weiter probieren. Aber die Ausgangssituation ist ganz anders, weil jetzt auch eine andere Generation dran ist. Leute wie Florentina Holzinger oder die Frauen von der Burschenschaft Hysteria. Oder Marlene Engel, eine junge Österreicherin, die das ganze musikalische Programm macht. Die denken anders als ich, die produzieren anders als ich. Ich habe große Freude daran, aber ob es Sinn hat, miteinander zu produzieren? Das möchte ich doch infrage stellen. Ich werde der Welt keinen Haxen mehr ausreißen.

Gibt es heute auch einen historischen Moment, den man ergreifen könnte?

Den gibt es dauernd. Jede Generation hat ihr historisches Grunderlebnis, und unseres war der Mauerfall. Dass sich dieser Staat aufgelöst hat und alles ins Schwimmen kam, alles in Bewegung war. In solchen Zeiten tun sich freie Territorien auf. Ganz handgreiflich, aber auch das künstlerische Territorium formiert sich neu. Den Moment muss man erwischen, da kannst du deinen Punkt machen, und danach rastet alles wieder ein. Ich ernähr’ mich immer noch davon. Eine gewisse Prägung ist abgeschlossen. Man ist jetzt so. Das ist auch der interessante Punkt an den beiden Figuren, die sich im Film begegnen.

Was meinen Sie?

Der eine steht am Beginn seines Lebens, auch wenn es relativ aussichtslos aussieht. Aber mit 17 ist das nicht so tragisch. Es ist ja noch alles offen. Und die Frau ist 60, da wird die Straße enger, und es sprüht nicht mehr alles vor Möglichkeiten. Vielleicht machen andere ältere Damen das, aber ich werde mich nicht mehr ständig neu erfinden. Ganz bestimmt nicht. Das ist passiert. Eine Zeitlang ist man ja auch damit beschäftigt, der zu werden, der man gern werden möchte.

Ist Ihnen das gelungen?

Irgendwie schon. Nicht, dass ich so tun möchte, als wäre ich komplett mit mir im Reinen. Es ist nicht immer lustig, 60 Jahre alt zu sein und zu wissen, dass es auf keinen Fall zurückgeht. Ich möchte es nicht schönreden, dass die Falten immer mehr werden und mir die Knie wehtun. Ich glaube auch nicht an Altersweisheit. Aber ich bin ganz dankbar dafür, dass ich nicht mehr auf alles neugierig sein muss. Also, neugierig bis ins Grab, was sich so viele auf ihre Tafel schreiben: Nein! Bin ich nicht! Und diese Figur in dem Film auch nicht. Das fand ich auch so ansprechend. Die ist nicht im Herzen jung geblieben. Quatsch!

Sie lässt sich aber als 60-Jährige auf diese unglaubliche Beziehung zu einem 17-Jährigen ein, der ihr bei der ersten Begegnung die Handtasche entreißt.

Die sind beide irgendwie draußen. Und das ermöglicht ihnen diese Freiheit. Die brauchen niemanden zum Vorzeigen in ihrer jeweiligen Peergroup. Und so kriminell aufgeladen, wie das ist! Es gehört zu dieser Freiheit, mit einem Dieb etwas anzufangen. Man könnte ja auch Angst haben. Das sind keine Wesen, die mit ihrem gesunden Realitätssinn alles niedertrampeln.

Vielleicht letzte Frage: Sie könnten nun an der Volksbühne bleiben, bis Sie in Rente gehen, oder?

Ich weiß gar nicht. Man wird als Schauspieler wohl irgendwann zwangsverrentet, kann dann aber wieder eingestellt werden. Ach. Ich glaube, ich würde gerne einfach so umfallen, während ich agiere.

Auf der Bühne?

Na, vielleicht nicht auf der Bühne, wo mir alle zuschauen. Vielleicht eher hinter der Bühne. Aber ich bin so abergläubisch. (Sie klopft dreimal gegen ihren Kopf.) Ich spar mir das jetzt aus, mir meinen Tod hinter der Bühne auszumalen.