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Film Josef Hader

„Auf dem Land herrscht eine Deformiertheit, die sich von jener in der Stadt unterscheidet“

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Nicht altersmilde: Josef Hader Nicht altersmilde: Josef Hader
Nicht altersmilde: Josef Hader
Quelle: Stefan Fürtbauer
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Der Österreicher Josef Hader erkundet in seinem neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“ die Abgründe des Landlebens. Im Gespräch verrät er, warum Michel Houellebecq meistens recht hat und warum er selbst ein Corona-Krisengewinnler ist.

Sieben Jahre nach „Wilde Maus“ kommt der neue Film von Josef Hader ins Kino. In „Andrea lässt sich scheiden“ spielt Birgit Minichmayr eine österreichische Provinzpolizistin, die ihren Ehemann verlassen und nach St. Pölten gehen will. Als sie ihren Mann unabsichtlich auf der Landstraße überfährt, flüchtet sie in die Nacht. Die Polizei hält einen Dorflehrer, gespielt von Hader selbst, für den Unfallverursacher. Das Drama über Schuld und Verantwortung ist auch ein ruhiges, aber eindringliches Porträt des Landlebens.

WELT: Sie sind bekannt für Ihren schwarzen Humor. Haben Sie manchmal Angst, altersmilde zu werden? Wie erhalten Sie sich die innere Boshaftigkeit?

Josef Hader: Ich finde nicht, dass ich da sehr in Gefahr bin. Mein aktuelles Programm „Hader on Ice“ ist nicht besonders milde und auch mein neuer Film „Andrea lässt sich scheiden“ ist kein wirkliches Feel-Good-Movie. Ich muss, glaub ich, eher aufpassen, dass ich nicht zu hart werde im Alter, das möchte ich wiederum auch nicht.

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WELT: Sieben Jahre liegen zwischen Ihrem vorigen Film „Wilde Maus“ und „Andrea lässt sich scheiden“. Warum hat es so lange gedauert?

Hader: Ich habe in der Zwischenzeit ein neues Kabarettprogramm geschrieben. Und ich habe mir Zeit gelassen mit der Idee. Ich wollte beim zweiten Film kein Erfolgsmodell wiederholen, sondern einiges anders machen. Ich habe mir gedacht, keine neue Stadtkomödie, ich geh diesmal aufs Land, dort kenn ich mich auch ganz gut aus. Außerdem wollte ich etwas mehr Regie führen und ein bisschen weniger Schauspieler sein. Gelernt habe ich das Regieführen ja nicht, aber ich habe mir viel abgeschaut von guten Regisseuren. Ich mag, wenn es am Set freundlich zugeht und fokussiert. Was ich gar nicht mag, ist so eine testosterongeladene Kampfstimmung, wie sie manche Regisseure immer noch gern verbreiten. Wahrscheinlich ist das eine Form von Hilflosigkeit, aber das macht es nicht besser. Wenn ich als Regisseur nicht weiter weiß, schreie ich lieber nicht herum, sondern stelle meine Hilflosigkeit zur Schau, das ist viel besser. Weil dann helfen mir alle.

WELT: „Andrea lässt sich scheiden“ ist auf den ersten Blick ruhiger als „Wilde Maus“. Reden die Menschen auf dem Land weniger als die in der Stadt?

Hader: Ja, eine gewisse Mundfaulheit ist schon zu beobachten. In der Provinz wird nicht viel geredet und wenn, dann direkt. Auch die Witze auf dem Land sind sehr direkt, manchmal sind sie aber auch als Witze getarnte Gemeinheiten. Solche Landstriche gibt es nicht nur in Österreich, es gibt eine internationale Provinz. Schauen Sie „Karniggels“ von Detlev Buck, der Film spielt in Schleswig-Holstein, aber die stehen da ähnlich wortlos in der Landschaft herum. Schweigsame Männer, die ohne Frauen in ihren Häusern sitzen, findet man auch in den Romanen von Michel Houellebecq. Oder in Nebraska, da gibt es einen schönen Film von Alexander Payne.

WELT: Eine Idealisierung des Landlebens ist ihr Film nicht, eher im Gegenteil ...

Hader: Wir wollten natürlich nichts Liebliches erzählen, dafür gibt’s eh den Bergdoktor. Bei mir ist der Blick ein wenig realistischer, ein wenig melancholisch, aber auch liebevoll, finden Sie nicht?

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WELT: Schonungslos zärtlich, so könnte man diesen Blick nennen.

Hader: Ich wollte einfach das Landleben zeigen, wie es ist. Das sind meine gesammelten Beobachtungen der Wirklichkeit. Ich bin ja auf dem Land aufgewachsen und heute noch oft dort zu Besuch.

WELT: Was macht die Provinz aus?

Hader: Der große Unterschied zu uns Großstadtblasenmenschen ist, dass man sich auf dem Dorf nicht so einfach aus dem Weg gehen kann. Dann will man sich nicht zerstreiten, lügt sich an ... Auf dem Land herrscht eine Deformiertheit, die sich von der Deformiertheit der Stadtbewohner unterscheidet. Wir sind alle keine bösen Menschen, sondern einfach davon geprägt, wo wir leben.

WELT: Verödet die Provinz? Stichwort: Wirthaussterben ...

Hader: Die Orte, wo Menschen sich begegnen, verschwinden. Dann gibt es noch die Tankstelle oder ein kleines Lokal, das hinter einem Plastikstreifenvorhang von einem Supermarkt abgetrennt ist. Das sind die letzten Rückzugsorte des Gemeinsamen.

WELT: Wie arbeiten Sie als Filmemacher?

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Hader: Mir fehlt die technische Ausbildung, um große Kunstwelten erschaffen zu können. Mein Rezept ist einfach: Ich suche etwas Dokumentarisches und veranstalte vor diesem Realismus eine Komödie. Bis zum recht eindrucksvollen Zwiebel-Kreisverkehr ist im Film alles vorgefunden, nichts dazugebaut. In dieser Gemeinde werden Zwiebeln angebaut und im Sommer ist Zwiebelfest, bei dem Zwiebelschnaps ausgeschenkt wird. So einfach. Wir haben im Weinviertel gedreht, im Nordosten Österreichs an der Grenze zur Slowakei und zu Tschechien. Da ist jahrzehntelang nichts investiert worden, dadurch haben die Ortschaften eine herbe Schönheit, weil nichts Hässliches dazugebaut wurde.

Szene aus „Andrea lässt sich scheiden“
Szene aus „Andrea lässt sich scheiden“
Quelle: Wega Film

WELT: Die Menschen im Film sind nicht unbedingt das, was man Sympathieträger nennt, allerdings auch nicht unsympathisch. Wie entwickeln Sie ihre Figuren?

Hader: Beim Schreiben des Drehbuchs versucht man, alle Figuren plastisch zu machen. Auch den ärgsten Bösewicht muss man ja irgendwie verstehen, wenn man ihn schreibt. Ich bin immer für Ambivalenz in den Charakteren, Ambivalenz ist spannend, eine Art von Suspense, die nicht das Filmbudget belastet. Ist jemand ein glühender Liebhaber zur falschen Zeit oder ein gefährlicher Freak? Ist ein Familienausflug mit einem Elektroboot ein schöner Zeitvertreib oder die pure Kleinfamilienhölle? Oder vielleicht beides gleichzeitig?

WELT: Es häufen sich die Diagnosen, dass die Gegenwart unempfänglicher für Ambivalenz wird. Wie sehen Sie das?

Hader: Ich teile diese Beobachtung, obwohl ich finde, dass die Medien solche dramatischen Diagnosen schüren und Gegensätze groß aufblasen, damit sie ihre Artikelchen verkaufen können. Ambivalenz-Unverträglichkeit kann man vor allem bei Menschen beobachten, die viel im Internet sind. Die sind in einem Teufelskreis, sind aber nicht der normale Querschnitt der Bevölkerung. Wenn ich meinen Bruder auf dem Land besuche, erlebe ich Menschen, die gegensätzliche Parteien wählen und trotzdem miteinander auskommen. Beim Stammtisch sucht man das Gemeinsame vor Ort. Es könnte schon eine kleine Weltrettung sein, wenn wir wieder etwas mehr zusammensitzen würden statt einzeln vor den Bildschirmen.

WELT: Kann man mit Kunst die Welt retten?

Hader: Diese Idee ist typisch für unsere Dienstleistungsdemokratie: Die Politiker sollen alles lösen für uns, die Künstler sollen alles lösen für uns und wir sitzen als die Konsumenten unseres Lebens da und beschweren uns die ganze Zeit. Wir möchten wie nach jedem Restaurantbesuch Kritiken abgeben über alles und jeden, kommen aber nie auf die Idee, dass das Problem womöglich bei uns selbst liegt. Man verachtet zutiefst die Politik und macht keinen Unterschied mehr zwischen Leuten, die das anständig und die das unanständig betreiben. Zur Wahl geht man dann eventuell auch nicht mehr, so als wäre Demokratie ein Supermarkt, in dem heute für mich nichts dabei ist. Das Problem ist, dass unser Wirtschaftssystem uns in allen Bereichen unseres Lebens zu Konsumenten erzogen hat.

WELT: In Österreich wird dieses Jahr gewählt, in dem Umfragen liegt die FPÖ mit dem selbst ernannten Volkskanzler Herbert Kickl vorne...

Hader: Das ist sozusagen ein Konsumangebot für besonders Denkfaule. Der Populismus beschreibt Probleme, die zum Teil wahr sind und zum Teil aufgeblasen werden, aber vor allem hat er immer Schuldige anzubieten, das ist fast die ganze Miete. Und dieser Schmäh funktioniert in Österreich alle zehn Jahre, dann kommen sie in die Regierung und gehen regelmäßig unter. Die Menschen leiden an einem grässlichen Kurzzeitgedächtnis.

WELT: Was hilft dagegen?

Hader: Wir sagen, die Populisten machen es sich leicht. Wir machen aber dasselbe. Wenn die Populisten mit Teilwahrheiten arbeiten, sollten wir uns lieber fragen, welche das sind.

WELT: Was können Sie als Künstler und was kann Satire leisten?

Hader: Ordentliche Arbeit. Der Bäcker muss gutes Brot backen, der Kabarettist gutes Kabarett machen. Als Satiriker will ich meiner eigenen Verlogenheit und der meines Publikums auf die Spur kommen. Gelacht wird vor allem über die, die im Raum sind, das ist eine wichtige Regel für mich. Was die unmittelbare Wirkung von Kunst betrifft, ist das Ergebnis natürlich niederschmetternd. Schaut man sich die Sache jedoch über Jahrzehnte an, wird es interessanter, weil die Kunst sich oft als Labor für Ideen erwiesen hat, die später Mainstream geworden sind.

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WELT: Wirkt Kunst nur in großen Zeiträumen?

Hader: Es ist nicht wie in der Apotheke. Man kann nicht sagen, was zehn Gramm Kabarett bewirken. Man sollte der Kunst nicht eine Macht zubilligen, die sie in einer Demokratie gar nicht haben sollte. Wenn ich durch mein Programm einen Großteil der Leute im Publikum ändern könnte, wäre ich ein faschistischer Diktator.

WELT: Welche Spuren hat die Corona-Zeit bei Ihnen hinterlassen?

Hader: Ich bin ein Krisengewinnler, weil ich im Voraus schon beschlossen hatte, 2020 mein neues Programm und einen Film zu schreiben. Mein Konzept fürs Kabarettprogramm habe ich aber während der Pandemie nicht groß verändern müssen, die Welt war ja schon vor Corona aus den Fugen.

WELT: Michel Houellebecq hat über die Corona-Zeit gesagt, es werde die gleiche Welt wie zuvor sein, nur ein bisschen schlechter. Überzeugt Sie das?

Hader: Der hat auf alle Fälle oft recht. Ich halte Houellebecq auch für einen großen Satiriker. Der hat einen bösen Witz, so wie Thomas Bernhard oder Jonathan Swift. Wenn ich ein Programm schreibe, lese ich immer Swift zur Vorbereitung. Der ist manchmal sehr zynisch, aber es ist eine als Zynismus verkleidete heiße Empörung über Ungerechtigkeit. In Zeiten der großen Hungersnot in Irland schrieb Swift, dass man die irischen Kinder gleich nach dem ersten Lebensjahr den englischen Gutsbesitzern als Sonntagsbraten vorsetzen sollte, bevor sie jemandem die Nahrung wegnehmen und ein elendes Dasein fristen. Das ist schwarzer Humor, circa aus dem Jahr 1750. Könnte aber auch moderne angloamerikanische Comedy sein. Einfach zeitlos.

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