Verhoevens "Girl You Know It's True" über Milli Vanilli | Abendzeitung München
Kritik

Verhoevens "Girl You Know It's True" über Milli Vanilli

ein mitreißender Unterhaltungsfilm über das poppige Skandal-Phänomen Milli Vanilli - und auch ein Spiegel für uns heute
| Adrian Prechtel
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Geniale Verkörperung: Rob Pilatus (Tijan Njie) und Fabrice Marvan (Elan Ben Ali)
Leonine 3 Geniale Verkörperung: Rob Pilatus (Tijan Njie) und Fabrice Marvan (Elan Ben Ali)
Sänger Fab Morvan (li.) und Rob Pilatus (re.) (beide Milli Vanilli) während eines Auftritts bei der TV-Sendung - Formel Eins - in München.
imago/Bernd Müller 3 Sänger Fab Morvan (li.) und Rob Pilatus (re.) (beide Milli Vanilli) während eines Auftritts bei der TV-Sendung - Formel Eins - in München.
Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven (li.) mit Rob (Tijan Njie) und Fab (Elan Ben Ali), die das Popduo Milli Vanilli verkörpern sowie Produzent Quirin Berg.
Leonine / Wiedemann & Berg Film / Joe Alblas 3 Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven (li.) mit Rob (Tijan Njie) und Fab (Elan Ben Ali), die das Popduo Milli Vanilli verkörpern sowie Produzent Quirin Berg.

Eine vermeintlich moderne, doch spießige Landvilla mit Hollywoodschaukel auf der Terrasse: Hier residiert Frank Farian - mit bis heute 800 Millionen verkauften Tonträger Deutschlands wohl erfolgreichster Musikmanager. Aber wir sind erst Ende der 80er Jahre. Seine Assistentin und Geliebte Milli (Bella Dayne) hat zwei durchtrainierte Schwarze aus der Münchner Promi-Disco P1 angeschleppt. Und Farian wittert das Potenzial, dass mit den beiden hippen Jungs alles zum Kreischen gebracht werden könnte: Mädchen, Hausfrauen, Homos und Heteros... Dass sie nicht singen können, stört Faraian nicht unbedingt - bei Boney M. waren auch nur zwei von vier akustisch zu hören, er selbst hatte eine der Playback-Stimmen geliefert.


Und dann schaffen Milli Vanilli (auch der dämliche Name wird im Film sehr witzig erklärt) eine unwahrscheinliche Aufstiegskurve, die Deutschland rasend hinter sich lässt, nach Hollywood führt und zu drei Nummer-Eins-Hits, zu belagerten Hotels, Hysterien in Shows und Stadien. Aber da waren Fabrice Morvan und Robert Pilatus ihrem Manager Farian (Matthias Schweighöfer) schon fast entglitten - in die Welt von Sex, Drogen und Pop. Bis auf einer Stadiontour plötzlich das Playback-Band hängen bleibt und alles ins Stottern kommt, die folgende Grammy-Show Live-Gesang verlangt und in einem Akt von Verzweiflung und Größe Frank Farian Ende 1990 die Reißleine zieht: eine Pressekonferenz in New York, in der er erklärt, Rob (Tijan Njie) und Fab (Elan Ben Ali) hätten nie eine einzige Note selbst gesungen. Robert Pilatus wird sich von diesem Absturz nicht mehr erholen und stirbt 1998, Fab Morvan kriegt nach Krisenjahren persönlich die Kurve.

Der Film ist coole, dynamische, geistreiche Unterhaltung

Simon Verhoeven ("Männerherzen", "Willkommen bei den Hartmanns", "Nightlife") hat dem mit dem augenzwinkernd gewählten Hit-Titel "Girl You Know It's True" einen Film gemacht, der keine reine Komödie ist, weil der Fall ein bisschen zu abgründig ist. Aber genau so sieht man, was man im Kino oft vermisst: coole, dynamische, geistreiche Unterhaltung. Dazu bedient er sich Kunstgriffen - wie dass uns Fabrice selbst die Geschichte von Verführung durch Erfolg, von Freundschaft, Verblendung und verdrängter Lüge als Zuschauer ins Gesicht erzählt - und uns für sich einnimmt, einlullt. Aber gleichzeitig ist Fab auch charmant ehrlich zu uns. Aber wie heißt ein altes lateinisches Sprichwort: Betrüge die Welt, sie will betrogen werden.


Dass es bei allem Glitzer-Glitter, Abgründen und fantastischen Tanzszenen auch viel zu lachen gibt, liegt am Drehbuch (ebenfalls Verhoeven) und an Mathias Schweighöfer als Frank Farian. Denn der bekommt bei aller Metoo-verdächtigen Großkotzigkeit auch echte Größe - als leidenschaftlicher, manischer Musikmacher. Überhaupt gibt es in Simon Verhoevens Film kein Gut und Böse, nur belebend Schillerndes. Farian kämpft auch gegen ignorante Absahner in der Musikindustrie - bishin zu einer fulminant amüsanten Szene, wo er einem deutschen Plattenboss furios den Kopf wäscht.

Zwei Jungs aus München, die die Welt aufrollen

Ironie bei alledem bleibt natürlich, dass ausgerechnet zwei Jungs aus München, von denen der eine noch einen französischen Akzent hatte, in den USA die metrosexuelle, multi-ethnische Popkulturwelle anheizten. Die United-Color-Ästetik und der Vorrang der Performance vor dem - musikalischen - Inhalt haben sich als globales Lebensgefühl längst durchgesetzt - inklusive der totalen Verwischung von Fake und Echtheit. Aber mit dem verglühten Kometen Milli Vanilli hat das alles in vordigitalen Zeiten richtig begonnen.

Kino: Arri, Astor im Bayerischen Hof, Cadillac, Cincinnati, Gloria, Solln, Leopold, Mathäser, Monopol, Museum, Rex, Rio, Royal
R: Simon Verhoeven (D, 124 Min.)

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