Schwestern – Eine Familiengeschichte | Film-Rezensionen.de
Soeurs Schwestern Eine Familiengeschichte
© Studiocanal GmbH / Marcel Hartmann

Schwestern – Eine Familiengeschichte

Inhalt / Kritik

Schwestern
„Schwestern – Eine Familiengeschichte“ // Deutschland-Start: 30. Dezember 2021 (Kino)

30 Jahre ist es inzwischen her, dass Leïla (Fattouma Ousliha Bouamari) genug hatte von ihrem Mann Ahmed (Rachid Djaidani) und dessen Neigung zur Gewalt. Und so trennte sie sich von ihm, verließ die Heimat Algerien und suchte in Frankreich einen Neuanfang. Inzwischen sind ihre Töchter Norah (Maïwenn), Zorah (Isabelle  Adjani) und Djamila (Rachida Brakni) dort gut heimisch geworden. Die Vergangenheit hat sie jedoch bis heute nicht losgelassen. Vor allem das Schicksal ihres jüngeren Bruders, den der Vater damals nach geltendem algerischen Recht entführte und bei sich behielt, geht den dreien noch immer nahe. Während aber beispielsweise Leïla und Djamila lieber nach vorne blicken wollen, arbeitet Zorah an einem Theaterstück, in dem sie das Erlebte verarbeiten möchte – zum Missfallen der restlichen Familie. Da erreicht sie die Nachricht, dass der noch immer in Algerien lebende Vater einen Schlaganfall erlitten hat …

Ein Leben mit der Vergangenheit

Es gehört zum Leben dazu, dass wir regelmäßig in Situationen geraten, in denen wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen. Das kann bewusst geschehen, etwa zum Jahresende, wenn wir die vergangenen zwölf Monate Revue passieren lassen und überlegen, wie es im neuen Jahr weitergehen soll. Auch die berüchtigte Midlife Crisis ist ein solcher Anlass, wenn ganz grundsätzlich die bisherigen Lebensentscheidungen auf den Prüfstand gestellt werden. Habe ich erreicht, was ich erreichen wollte? Sollte ich etwas ändern? Dabei ist die Vergangenheit auch abseits dieser Zuspitzungen eine ständige Begleiterin in unserem Leben. Ein etwas extremeres Beispiel dafür, wie bleibend der Einfluss von Ereignissen sein kann, ist Schwestern – Eine Familiengeschichte, welches – der Titel verrät es bereits – von solchen langwierigen Auswirkungen im familiären Bereich berichtet.

Dabei kombiniert Regisseurin und Co-Autorin Yamina Benguigui diesen Bereich mit einem größeren Thema. Genauer spricht die französische Filmemacherin und Politikerin in ihrem Spielfilm das noch immer schwierige Verhältnis zwischen ihrer Heimat und der ihrer algerischen Eltern an. Bis heute beschäftigt dieses viele Menschen, sei es als Folge des Algerienkrieges, der in den 1950ern zahlreiche Opfer forderte, oder auch bei der Frage nach der eigenen Identität. Wie sieht es mit denjenigen aus, die algerischer Abstammung sind und heute in Frankreich leben? In Schwestern – Eine Familiengeschichte fällt die Antwort darauf nicht eindeutig aus. Die Frauen suchen noch immer nach dieser, wenn sie zwischen Fremd- und Selbstbestimmung schwanken, nach eigenen Wegen suchen, obwohl dieser zum Teil vorgegeben ist.

Subjektiv und universell

Das zeigt sich gerade bei den drei Schwestern, deren aktuelles Leben maßgeblich durch die Entscheidungen der Mutter bestimmt sind. Norah macht Leïla dabei Vorwürfe, die Scheidung habe sie verkorkst. Umgekehrt würden die drei ohne die Trennung und den Wechsel nach Frankreich nicht die Freiheiten haben, die ihnen jetzt zur Verfügung stehen. Schwestern – Eine Familiengeschichte betont diese Ambivalenz, ist ein ständiges Abwägen vom Positiven und Negativen. Das Drama zeigt zudem, wie individuell die Beurteilung sein kann, wie subjektiv schon der Akt des Erinnerns ist. Auch wenn die vier Frauen dieselbe Vergangenheit teilen, hat diese doch auf unterschiedliche Weise ihre Spuren hinterlassen. Eindeutig ist nur, dass es diese Spuren gibt.

Benguigui zeigt dies, indem sie Vergangenheit und Gegenwart in mehrfacher Hinsicht ineinander übergehen lässt. Da sind die konkreten Rückblicke, wenn die Geschichte der Gegenwart immer wieder durch Erinnerungen unterbrochen wird. Da sind aber auch die Rekonstruktionen dieser Erinnerungen auf der Bühne. Schwestern – Eine Familiengeschichte verwischt bewusst die Grenzen, wo das eine beginnt und das andere aufhört. Das ist manchmal etwas anstrengend, wenn nicht sogar überkonstruiert. Die Idee, durch den Schlaganfall des Vaters eine Rückkehr zu erzwingen, ist zudem nicht unbedingt die eleganteste. So richtig natürlich ist die französisch-algerische Coproduktion nicht, was zuweilen den Zugang erschwert. Dennoch ist das Drama sehenswert, verknüpft ein individuelles Schicksal mit universellen Überlegungen, bei denen man als Zuschauer und Zuschauerin gut anknüpfen kann.

Credits

OT: „Soeurs“
IT: „Sisters“
Land: Frankreich, Algerien
Jahr: 2020
Regie: Yamina Benguigui
Drehbuch: Yamina Benguigui, Farah Benguigui, Maxime Saada, Jonathan Palumbo
Kamera: Antoine Roch
Besetzung: Isabell Adjani, Rachida Brakni, Maïwenn, Hafsia Herzi, Faïza Guene, Rachid Djaïdjani, Fattouma Ousliha Bouamari

Bilder

Trailer

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„Schwestern – Eine Familiengeschichte“ erzählt von einer algerischen Familie in Frankreich, die vorankommen möchte, dabei aber immer von der Vergangenheit verfolgt wird. Auch wenn bei dem Spiel mit den Zeiten einiges recht konstruiert ist, sehenswert ist das Drama, welches ein individuelles Schicksal mit einem universellen Thema verknüpft und damit selbst zum Nachdenken anregt.
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