Der Berliner Schauspieler über Verletzlichkeit, echte Tränen, Fußball, seinen Schuh-Tick – und einen Dokumentarfilm über ihn.

Er ist ein Mann der Bühne. Aber auch vor der Kamera steht er regelmäßig: Für Filme wie „Nahschuss“ und „Schwesterlein“ und Serien wie „Faking Hitler“ und „Babylon Berlin“. Aber dieser Film war denn doch anders. Diesmal spielt Lars Eidinger keine Rolle. Reiner Holzemer, der schon Fotografen wie René Burri und William Eggleston und Modeschöpfer wie Martin Margiela und Dries van Noten porträtierte, wollte einen Film über den Berliner Schauspieler drehen. Und hat ihn ständig mit der Kamera begleitet: bei den Proben zum „Jedermann“ in Salzburg, aber auch ganz privat, beim Textproben und sogar unter der Dusche. „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ kommt am 23. März in die Kinos und ist ein radikal ehrliches Porträt. Aber wie war das, ständig gefilmt zu werden? Wir haben den 47-Jährigen darüber im Hotel Dorint befragt.

Ich muss erst mal auf Ihre Schuhe gucken. Sie haben, wie man im Film erfährt, für jede Rolle einen speziellen Schuh. Ich kenne das sonst nur, dass man Rollen mit einem bestimmten Musikstück oder einem Parfüm verbindet. Haben Sie eine Art Schuhfetisch?

Lars Eidinger: Das ist wie mein buchstäblicher Einstieg. Den muss ich aber erst finden. Dieser Schuh begegnet mir irgendwann. Und dann bin ich damit in der Rolle. Schwierig wird es, wenn ein Schuh mal repariert werden muss. Da hatte ich schon echte Konflikte mit Schuhmacher*innen, die sich in ihrer Ehre verletzt fühlten. Ich habe auch den passenden Schuh für Lars Eidinger privat. Insofern könnte man das schon als Tick bezeichnen. Hier, das ist ein Clark Desert Boot, der hat was Tänzerisches, weil das Leder sehr dünn ist. Und der Absatz hat eine gute Höhe. Ich ziehe keine anderen Schuhe an. Nur in ihnen fühle ich mich als Lars Eidinger privat.

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Sie haben schon viele Filme gedreht. Aber jetzt wurden Sie privat gefilmt. Wie war das, wenn da ständig die Kamera um Sie war?

Ich ist die Rolle meines Lebens! Reiner Holzemer hat ja schon viele tolle Porträts gemacht, über William Eggleston, Juergen Teller oder Martin Margiela. Fotografen und Modemacher. Im Nachhinein denke ich, es macht am meisten Sinn, einen Dokumentarfilm über einen Schauspieler zu drehen. Weil man da am meisten verstehen lernt, was mit der Idee des Spielens eigentlich gemeint ist. Es gibt ja einen Grund, warum Schauspieler*innen auf eine Bühne gehen, warum sie das unbedingte Bedürfnis haben, gesehen zu werden, bei dem, was sie machen. So auch ich. Der Dokumentarfilm war für mich eine Aufwertung, für jede Situation. Die unangenehmsten Momente waren immer die, wenn ich merkte, Reiner packt die Kamera weg. Dann war es für mich so, als fände es gar nicht statt.

Es gibt auch sehr ehrliche Momente – wie die, als Sie bei Proben austicken.

Das ist genau so ein Moment. Ich habe für den Regisseur Michael Sturminger gespielt, der hat aber plötzlich mit der Regieassistentin gesprochen und mir die Aufmerksamkeit entzogen. Die meisten würden ja sagen: Hast du vergessen, dass die Kamera lief? Das Gegenteil war der Fall. Das wäre nie so eskaliert, wenn dabei nicht gefilmt worden wäre. Ich hatte den Ehrgeiz, das so gut wie möglich zu spielen, weil ich wusste, das wird festgehalten. Und ich war auch euphorisiert, weil ich das Gefühl hatte, es gelingt mir gerade. Aber das Gegenüber hatte dafür kein Bewusstsein. Das ist eigentlich das Thema des ganzen Films: Wenn ich spiele, trete ich in eine Beziehung, werde ich emotional. Und weine echte Tränen. Deshalb bin ich angetreten. Ich finde auch den deutschen Begriff Unterhaltung so treffend. Denn es geht um Kommunikation. Und der Film beschreibt, wie kränkend das ist, wenn einer diese Kommunikation abbricht.

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Dieser Moment hat ihm viel Häme eingebracht: Bei der Pressekonferenz auf der Berlinale 2020 rollten Lars Eidinger Tränen über die Wange.
Dieser Moment hat ihm viel Häme eingebracht: Bei der Pressekonferenz auf der Berlinale 2020 rollten Lars Eidinger Tränen über die Wange. © picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Sie weinen echte Tränen?

Ich habe gerade für einen Film von Matthias Glasner einen Dirigenten gespielt und dafür drei Tage in der Philharmonie dirigiert. Da musste ich auch in einer Szene weinen. Danach fragte mich einer der Musiker, wie ich das auf Knopfdruck könne. Aber das ist das Gesetz der 10.000-Stunden-Regel. Wenn du so lange dein Instrument geübt hast – das sind etwa sechs Jahre lang fünf Stunden am Tag –, dann beherrschst du es. Es ist aber kein Trick, auch kein Knopfdruck. Es ist eine Hochleistung. Wie beim Hochspringer, der die Latte überspringt. Und nun stellen Sie sich vor, der sieht in dem Moment, wie sein Trainer das Stadion verlässt! Genau solch eine Situation war das.

Andere hätten die Szene mit dem Ausraster rausschneiden lassen. Bei Ihnen ist das dringeblieben. Weil das eben auch dazugehört? Vielleicht auch ein Eidinger-Moment ist?

Es ist genau, wie Sie sagen: Ich gebe mich in diesem Moment zu erkennen. Auch in meiner Fehlerhaftigkeit und Widersprüchlichkeit. Es ist ja auch zu sehen, wie ich mich hinterher entschuldige. Aber ich fände es unerträglich, wenn der Film eine Lobhudelei wäre. Es soll ja nicht darum gehen, wie toll einer ist. Sondern wie er tickt. Ich habe auch nie verstanden - und das beschäftigt, das ärgert mich seit Jahren, dass mir Eitelkeit vorgeworfen wird. Eitelkeit ist etwas Hohles, Bedeutungsloses, Sinnfreies. Aber in einer solchen Situation bin ich nicht in meiner Eitelkeit gekränkt, ich bin gekränkt, weil es mir so viel bedeutet. Gerne anschauen tu‘ ich mich da trotzdem nicht. Ich genier mich auch dafür. Ich sehe, dass ich da zu weit gegangen bin. Aber das ist vielleicht die ehrlichste und menschlichste Szene. Die am besten beschreibt, worum es in dem Beruf geht. Deshalb hätte sie nie rausgeschnitten werden können.

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Lars Eidinger als Jedermann und Verena Altenberger als Buhlschaft in der Salzburger „Jedermann“-Inszenierung -von 2022.
Lars Eidinger als Jedermann und Verena Altenberger als Buhlschaft in der Salzburger „Jedermann“-Inszenierung -von 2022. © Filmwelt

Sie offenbaren im Film auch eine Verletzlichkeit, die überrascht. Etwa auf die Kommentare in den Medien über Ihr Foto vor einer Obdachlosenunterkunft oder wie Sie auf einer Berlinale-Pressekonferenz geweint haben. Kollegen von Ihnen sagen, da muss man eine dicke Haut haben.

Aber die darf man eben nicht haben. Wenn ich eine dicke Haut hätte, ginge all mein Reiz als Künstler verloren. Du musst da mit offenem Visier kämpfen. Wenn man sich schützt, passiert da auch nichts. Verletzlichkeit ist elementar. Das ist überhaupt der Grund und der Schlüssel, warum ich diesen Beruf ergriffen habe. In der Bibel zum Beispiel wird Liebe ja mit Erkennen gleichgesetzt. „Sie erkannten einander und wurden ein Fleisch.“ Ich denke, das Erkanntwerden ist die größte Erfüllung im Leben. Und die größte Kränkung ist entsprechend, nicht erkannt oder gar verkannt, missverstanden zu werden.

Sie sagen einmal, den wahren Lars Eidinger gibt es nur auf der Bühne. Ist auch das nur eine Rolle, gibt es Lars Eidinger gar nicht?

Es ist ja ein Irrglaube zu denken, man wäre irgendwann ganz man selbst. Die Frage ist doch, ganz unabhängig von Lars Eidinger: Wer sind wir wirklich? Und da bin ich eher bei Peer Gynt, der die Zwiebel schält, Schicht um Schicht, und am Ende ist da gar nichts drin. Ich bin als Hamlet eine Schicht. Als Richard III. Und eben als Lars Eidinger. Einen Kern gibt es jedoch nicht. Das wertet den spielerischen Moment aber auf. Es gelingt einem auf der Bühne vielleicht viel mehr, bei sich zu sein, als im Alltag. Denn die Dimensionen, die ich dort darstelle, übersteigen ja alles, was ich je erleben kann. Ich habe gestern den Hamlet gespielt, ich werde es heute wieder tun. Und ich sterbe jedes Mal!

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Seine Paraderolle an seinem Haus, der Schaubühne: Lars Eidinger als Hamlet in der Inszenierung von Thomas Ostermeier.
Seine Paraderolle an seinem Haus, der Schaubühne: Lars Eidinger als Hamlet in der Inszenierung von Thomas Ostermeier. © picture-alliance/ | Claudia Esch-Kenkel

Wo wir schon bei der Schaubühne sind: Thomas Ostermeier bekennt im Film, dass er Sie immer als jüngeren Brüder sah, Sie ihn aber als Vater. Und er nun Angst vor dem Vatermord hat. Auch Sie sagen an einer Stelle, man muss sich einmal fortbewegen. Drohen Sie der Schaubühne verloren zu gehen? Oder bleibt das Ihre künstlerische Heimat?

Ich weiß noch, nach dem vierten oder fünften Jahr an der Schaubühne kam der Wunsch von Seiten des Hauses, dass wir uns länger binden sollten. Das wollte ich aber nicht. Ich sehe das wie bei dem Ideal der Ehe, dass man sich jeden Tag aufs Neue füreinander entscheidet. Nicht weil ein Vertrag einen bindet. Seit 1999 habe ich jedes Jahr um ein Jahr verlängert. Mehr als dass ich gerne zur Arbeit gehe und mich auf jede Vorstellung freue, kann ich doch gar nicht erwarten. Deshalb will ich das auch gar nicht ändern. Ich habe da eine prägende Erfahrung gemacht.

Verraten Sie uns, welche?

Ich habe beim FC Stern Marienfelde Fußball gespielt, in einer sehr erfolgreichen Mannschaft, mit der wir zweimal Berliner Meister geworden sind. Weil der Verein aber insgesamt so schlecht war, mussten wir, als wir in Ligen eingeteilt wurden, in der Kreisklasse spielen und haben jedes Spiel sehr hoch gewonnen, weil wir so ungleich besser waren. Bald wurden die Ersten abgeworben von Vereinen, die in höheren Ligen spielten. Auch ich bekam so ein Angebot, vom BFC Preussen, ein Landesliga-Verein. Damals habe ich mich verführen lassen. Aber ein halbes Jahr später habe ich ganz mit Fußball aufgehört. Weil das gar nicht meine Mannschaft war. Und mir alles fehlte, was ich daran geliebt hatte. Die Gemeinschaft, das Miteinander. Das war mir eine Lehre. Die Schaubühne ist im Grunde mein FC Stern Marienfelde.

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Dokumentarfilmer und Kameramann Reiner Holzemer bei den Dreharbeiten seines Films, während einer Probe des „Jedermanns“.
Dokumentarfilmer und Kameramann Reiner Holzemer bei den Dreharbeiten seines Films, während einer Probe des „Jedermanns“. © Filmwelt

In der Dokumentation sieht man sie auch bei Dreharbeiten zu „Irma Vep“, wo Sie einen Schauspieler spielen, der ausrastet und meint, irgendwann werde man nur noch sich selbst spielen dürfen. Ein bissiger Kommentar auf derzeitige Debatten um Whitewashing und kulturelle Aneignung. Was denken Sie, ist das das Ende, der Tod der Schauspielerei?

Das ist ein großes und sensibles Thema, und es beschäftigt mich natürlich sehr. Die Schwierigkeit besteht allerdings schon darin, dass ich mich als weißer Cis-Mann gar nicht dazu äußern kann, ohne dass es dadurch unweigerlich zu einem White Privilege Problem wird. Umso mehr mochte ich „Irma Vep“, weil er ständig mit dieser Meta-Ebene spielt und Schauspieler Schauspieler spielen. Und der Gottfried, den ich da spiele, ist eine Narrenfigur, die das sagen darf, was andere denken, aber sich nicht auszusprechen wagen. Den Gedanken, den ich da formuliere, finde ich aber wirklich wichtig. Der ursprüngliche Grund, weshalb ich Schauspieler geworden bin, ist der, dass ich auf der Suche nach Identität bin. Das zentrale Stück der Theatergeschichte, „Hamlet“, beginnt mit dem Satz: „Wer da?“ Das ist die Grundfrage: Wer bin ich? Wenn ich aber nur noch spielen darf, was meiner Identität entspricht, dann wüsste ich gar nicht, was ich spielen soll. Dann wird mir der Grund genommen, warum ich überhaupt eine Bühne betrete.

Im Kino ab 23. März. Lars Eidinger auf Kinotour in Berlin und Potsdam am 25. März: 14 Uhr, Capitol Dahlem; 16 Uhr Thalia Potsdam, 17.30 Uhr Yorck Kino; 18 Uhr + 20.30 Uhr, Kant Kino.