Sarah Haffner: Eine „Blaue Stunde“ in der Berlinische Galerie

Malen vertreibt die Ängste: Eine „Blaue Stunde“ für Sarah Haffner

Die Berlinische Galerie erinnert mit Bildern der Sammlung und aus dem Nachlass an eine besondere Malerin der Stadt. 

Sarah Haffners „Selbstbildnis“ (einer Grüblerin), 1979, Öl auf Leinwand
Sarah Haffners „Selbstbildnis“ (einer Grüblerin), 1979, Öl auf LeinwandKai-Annett Becker/VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Berlinische Galerie

Christopher Isherwoods „Goodbye to Berlin“ war Sarah Haffners Lieblingsbuch, Malerei und Frauenrechte waren ihre Lieblingsthemen und Türkis und Blau ihre Lieblingsfarben.

Durch ihre Leinwände und großen Papierarbeiten zog sich ein Moll-Ton, diese Melancholie aber war immer verbunden mit dem Nachdruck des Nie-Aufgebens, der besten Hoffnung. Sie war keine Romantikerin, auch keine Symbolistin wie so viele abendländische Maler des 19. Jahrhunderts, mochte aber umso mehr die „Blaue Stunde“ – jene Zeitspanne innerhalb der abendlichen oder morgendlichen Dämmerung, während der sich, so besagt es ganz prosaisch die Naturwissenschaft, die Sonne so weit unterhalb des Horizonts befindet, dass das blaue Lichtspektrum am Himmel dominiert.

Sarah Haffner (1940–2018), Altachtundsechzigerin und Initiatorin des ersten Frauenhauses in West-Berlin, kam zur Welt in Cambridge, im englischen Exil ihrer aus Hitlerdeutschland geflohenen Eltern. Die Mutter war Jüdin, der Vater der linke Historiker und Schriftsteller Sebastian Haffner. 1954 kam die Familie nach West-Berlin zurück. Sarah Haffner studierte an der damaligen HdK, zählte zur stetigen, aber eher unaufgeregten Kunstszene im Westen der Frontstadt. Dem Dichter Erich Fried fiel die junge Malerin auf wegen ihrer eigenwilligen Einsamkeitsmetaphern und ihrer spröden Gedichte. Er nannte, was sie malte und schrieb „Zeitzeichen“, geeignet, die vielen Leute, die das Sehen und Fragen verlernt hätten, „wieder sehen und fragen zu lehren“.

Sarah Haffner: „Mittag“, 1999, Öl auf Leinwand
Sarah Haffner: „Mittag“, 1999, Öl auf LeinwandKai-Annett Becker/VG Bild-Kunst, Bonn 2023/Berlinische Galerie

Die radikale Verknappung der Formen war schon früh ihr Markenzeichen. Was man sieht, ist nur scheinbar real. Stimmungen, Erscheinungen, Gedanken gerinnen zu dichten, strengen Formen für Gestalten und den Stadtraum Berlins, wo helle Farben zu dunklen, warme zu kalten komponiert sind. Auf suggestive Effekte verzichtete sie. Nicht aber auf Plastizität. Bis ins Alterswerk hinein malte sie scharfkonturige, fensterlose Häusergebirge. Brandmauern, Brücken, Treppen und Wände, die einen zurückstoßen, aber faszinierend charaktervoll sind: das steinerne Berlin. In ihrem Atelier in der Charlottenburger Uhlandstraße riss sie es heraus aus dem Fluss des Alltäglichen. Auch die Stadt nach dem Fall der Mauer, wo alles so euphorisch laut und schrill war, überrannt von Menschen aus aller Welt.

Sie malte ihr „neues Berlin“ in harter Stille, beobachtete sorgenvoll die von Euphorie und Demokratiegewissheit verdeckten Entwicklungen im Land – die Ausländerfeindlichkeit, das Erstarken nationalistischer und rechtsradikaler Kräfte. Sarah Haffner malte in ihre Bilder wohl den Schmerz, nicht aber Sentiment hinein. Denn da war immer auch die Lust, mit ihren eindringlich stillen, räumlichen Bildern gegen den Strom (etwa den hysterischen Kunstbetrieb) zu schwimmen. „Malen“, sagte sie, „vertreibt mir die Ängste.“ Und: „Türkis ist für mich Klarheit, wie Wasser, dem ich auf den Grund gucken kann. Oder wie der Himmel im Frühling, wenn alles Kommende noch offen ist.“ Neigte sich das Jahr – oder auch nur der Tag –, dann changierte das Türkis in ihren Bildern zu dunklem, schwermütigem Blau.

Sarah Haffner: „Morgen“, 1999,Öl auf Leinwand
Sarah Haffner: „Morgen“, 1999,Öl auf LeinwandKai-Annett Becker/VG Bild-Kunst, Bonn 2023/Berlinische Galerie

Ihre nun der Berlinischen Galerie gehörenden menschenleeren Häuser-Landschaften „Morgen“ oder „Mittag“ wirken wie eingespannt in ein konstruktivistisches Gerüst. Sie sagte dazu: „Hinter der Wirklichkeit“ – das „hinter“ war als Widerhäkchen gemeint, die „Wirklichkeit“ keineswegs schon als die ganze Wahrheit. Ihre Bildwelt schrieb Stimmungen, Zustände fest. Den Zyklus der Tages- und Jahreszeiten in der Stadt. Wie gefroren wirkt die Luft. Stimmungen, Erinnerungsfetzen, Gedanken gerinnen zu Flächen – Malerei zwischen Realität und Abstraktion.

Sarah Haffner hinterließ der Berlinischen Galerie einige ihrer wichtigsten Bilder. Die sind im Landesmuseum an diesem Freitag für eine nur eintägige Ausstellung im Roters-Saal des Hauses aufgestellt, um zusammen mit David Brandt, dem Sohn, und einigen Weggefährten der vor fünf Jahren verstorbenen Berliner Malerin in einer „Blauen Stunde“ zu erinnern. Was da so nach Romantik klingt, war bei ihr eher die Stille, die Zurückgezogenheit zum Nachdenken, ja zum Grübeln. Das „Selbstbildnis auf der Couch“ von 1979 ist typisch dafür.

Die der Berlinischen Galerie aus dem Nachlass Sarah Haffners überlassenen Gemälde  werden vorerst wissenschaftlich bearbeitet und für spätere Ausstellungen vorbereitet.