Klaus Ernst: Das Problem ist nicht Sahra Wagenknecht, sondern die Parteiführung

Klaus Ernst: Das Problem ist nicht Sahra Wagenknecht, sondern die Parteiführung

Die Linke streitet zurzeit vor allem mit sich selbst. Für den Bundestagsabgeordneten Klaus Ernst sitzt das Problem in der Parteiführung. Ein Interview.

Klaus Ernst, Die Linke, im Deutschen Bundestag in Berlin
Klaus Ernst, Die Linke, im Deutschen Bundestag in BerlinFelix Zahn/photothek

Der Bundestagsabgeordnete und frühere Parteivorsitzende Bernd Riexinger hat gefordert, dass die Linke im Bundestag ihr politisches Profil schärfen solle. Dazu müsse auch der Fraktionsvorstand der Partei neu besetzt werden. Völlig falsch, findet sein Fraktionskollege Klaus Ernst im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Herr Ernst, Sie kritisieren die Äußerungen von Herrn Riexinger, dass möglichst bald eine neue Fraktionsspitze gewählt werden soll, warum? Finden Sie, dass in der Fraktion alles gut läuft?

Nein, leider nicht. Momentan können wir mit der Lage der Linken grundsätzlich nicht glücklich sein, egal um welches Gremium es sich handelt. Aber jetzt die Forderung zu erheben, dass wir neue Leute in der Fraktionsspitze brauchen, ist absurd. Das Problem ist die Parteiführung und wie andere Parteimitglieder in der Öffentlichkeit diskreditiert werden.

Meinen Sie die Kritik der Parteivorsitzenden an Sahra Wagenknecht?

Ja. Es ist schon bezeichnend, dass man sich daran abarbeitet, dass jemand ein Buchhonorar bekommt und für Reden bezahlt wird. Statt sich über den Erfolg zu freuen, den eine Linke oder ein Linker hat, wird sofort rumgenögelt. Sahra Wagenknecht wird zu Vorträgen eingeladen, während andere nicht eingeladen werden, weil die keiner hören will. Das ist vermutlich auch der wahre Grund der Kritik.

Es geht auch immer wieder darum, dass Frau Wagenknecht im Bundestag wenig präsent ist und auch in keinem Ausschuss mitarbeitet.

Ich glaube, dass Sahra Wagenknecht mit all dem, was sie sonst macht, der Partei und ihren Positionen mehr nutzt, als wenn sie bei jeder Sitzung anwesend ist. Das sind ja auch andere nicht. Wenn sie eine Rede hält, wie jene, in dem sie den Wirtschaftskrieg gegen Russland thematisiert hat, dann regt sich die eigene Parteiführung öffentlich auf. Das grenzt schon an parteischädigendes Verhalten. Der permanente Angriff auf Wagenknecht führt dazu, dass Die Linke weiter gespalten wird und das, dass es immer schwieriger wird, den Laden noch zusammenzuhalten. Das ist aber die Aufgabe der Parteivorsitzenden. Die beiden Vorsitzenden werden aber auch dieser Aufgabe nicht gerecht.

Welche meinen Sie?

Ich meine damit dem Kurs der Vergrünung unserer Partei. Ich frage mich, warum es die Parteiführung nicht zu stören scheint, dass wir früher 20 Prozent der Arbeiter als Wähler hatten und jetzt gerade noch zwei Prozent. Weniger als die FDP im Übrigen. Auch die AfD hat uns da bei weitem überholt. Statt das zu analysieren wird von Wagenknecht gefordert zu erklären, ob sie eine eigene Partei gründet oder nicht. Das ist alles absolut unverständlich und führt zur Verzwergung der Linken.

Die ehemalige Bundesvorsitzende und heutige Berliner Senatorin Katja Kipping hat uns im Interview gesagt, dass es darum geht, ökologische und soziale Inhalte miteinander zu verschmelzen. Sehen Sie das nicht so, wenn Sie eine „Vergrünung“ der Linken bemängeln?

Es wäre die Aufgabe der Linken, die Frage der Klimapolitik immer aus der Brille der abhängig Beschäftigten zu sehen. Wenn wir das nicht tun, und die Folgen für die „kleinen Leute“ nicht beachten, werden die sich von uns abwenden. Dann wird es mit dem Klimaschutz kompliziert, wenn der größte Teil der Gesellschaft schlichtweg nicht mitmachen möchte.

Einer dieser absurden Vorschläge ist zum Beispiel, bereits im kommenden Jahr ein Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen einführen zu wollen. Das funktioniert im Detail nicht. Wir müssen verhindern, dass Klimaschutz vor allem über höhere Preise beim Tanken und Heizen erreicht werden soll. Wir müssen uns fragen, ob die Menschen das noch bezahlen können. Haben sie auch nach der Energiewende noch Jobs, die auch vernünftig bezahlt werden?

Wie viel Spaß macht Ihnen die Arbeit in der Bundestagsfraktion derzeit?

Ich sage mal so, es kommt drauf an, um was es geht. Fraktionssitzungen sind nicht gerade der Höhepunkt der Woche. Da finden Debatten statt, die teilweise jenseits von Gut und Böse sind.

Wie meinen Sie das?

Ich nenne mal als Beispiel die Vorwürfe gegen Sahra Wagenknecht wegen der Friedensdemo, die sie organisiert hat. Da hatten wir den Vorwurf hoher Parteifunktionäre, dass das angeblich rechts unterwandert sei. Das kommt nicht von der Fraktionsführung, sondern von Leuten, die sich immer weiter weg von der Realität bewegen und mit normalen Menschen kaum noch Kontakt haben.

Funktioniert die Zusammenarbeit in der Fraktion noch?

Die Arbeit in der Fraktion funktioniert durchaus. Die Ausschussarbeit ist auch nicht das Problem, sondern die ständigen innerparteilichen Diskussionen. Da erleben wir eine der größten Friedensdemos dieser Republik in den letzten Jahren und dieser Parteivorstand kriegt es nicht hin, mit dazu aufzurufen. Was ist denn das für eine Linke? Da fragt sich der normale Bürger zu Recht, für was wir eigentlich noch stehen. Die Probleme unserer Partei ergeben sich auch aus einer Veränderung unserer Mitgliederstruktur.

Die Mitgliederstruktur ist mit schuld an der Krise der Linke?

Wir haben sehr viel junge Leute. Das freut uns auf der einen Seite, es ist toll, wenn man von Jüngeren Mitgliederzuwachs hat. Auf der anderen Seite ist die Tradition, dass man aufseiten der abhängig Beschäftigten steht, dass man aufseiten der Auszubildenden steht, dass man die Interessen der Rentner und Rentnerinnen vertritt. Viele unserer jungen, studierten Mitglieder in den Großstädten haben aber teilweise eine andere Lebenswirklichkeit. Deren Kontakt zur Arbeiterbewegung beschränkt sich meist darauf, dass sie als Schüler oder Studenten in den Ferien vielleicht mal ein Regal bei Aldi eingeräumt haben. Und das ist das Problem. Sie haben ein anderes Verständnis, was links ist. Es gibt aber noch einen Punkt.

Welchen?

Wir haben auch einen Stadt-Land-Unterschied. Wie groß der ist, sehen Sie ja auch an der kürzlichen Abstimmung in Berlin zur Klimaneutralität 2030 und wo welche Mehrheiten bestehen. In den Außenbezirken von Berlin gab es überall Ablehnung dieses Vorschlags, obwohl dort sicherlich auch niemand gegen Klimaschutz ist.

Da muss aber doch irgendwo eine Versöhnung stattfinden. Oder sind Sie der Meinung, dass die jungen urbanen Leute auch die Partei zu sehr dominieren?

Ich glaube, dass wir eine Verschiebung der Mitgliederstruktur auch deshalb haben, weil wir uns oft Themen in den Vordergrund stellen, mit denen sich Menschen, die acht Stunden am Tag im Betrieb arbeiten oder schon in Rente sind, nicht mehr identifizieren können. Wenn sie sich abends in eine Parteiveranstaltung begeben, die grade eine Demo gegen den Verbrenner-Motor organisiert, oder selbst angemacht werden, weil sie nicht gendergerecht sprechen, kommen sie nie wieder. Wir haben uns mit Themen beschäftigt, die immer weiter weg gehen von dem, was die Mehrheit der Menschen in diesem Lande bewegt. Deshalb haben wir auch viele verloren.

Könnte es aber auch sein, dass Sie viele verloren haben, weil sich Die Linke seit längerem vor allem mit sich selbst beschäftigt?

Ja, und weil sie keine klare Linie hat, zum Beispiel in der Friedenspolitik. Einige sagen, wir hätten jetzt durch den Ukraine-Krieg eine ganz andere Situation und wir müssten Grundpositionen überdenken. Da gibt es sogar den einen oder anderen, der auch für Waffenlieferungen plädiert. Da sagen viele Anhänger, wir finden uns hier nicht wieder und wählen wir euch auch nicht mehr! Das ist das Ergebnis einer Politik der unklaren Linie. Diese findet nicht erst seit heute statt.

Dass die Parteispitze nach Paris gefahren ist, um die Proteste dort zu unterstützen, das begrüßen Sie dann sicher, oder?

Es ist richtig, dass sie das macht. Ich finde auch, dass die Franzosen das hervorragend machen. So eine Widerständigkeit würde ich mir auch für Deutschland wünschen. Aber das ist nicht der Punkt. Die Frage ist, welche Forderungen wir nach vorne stellen, die die Mehrheit der Bürger dieses Landes teilen.

Fordern Sie angesichts der Vorwürfe, die Sie machen, dass die Parteiführung zurücktreten soll? Man hat sie ja erst gewählt.

Wir sind nicht an dem Punkt ist, wo Rücktritte gefordert sind. Aber es gibt den Vorschlag, dass man zumindest einen Sonderparteitag macht und diese Fragen klärt. Das wollen auch einige Kreisverbände. Aber ich bin unsicher, ob es gelingt, die Partei noch mal in die richtige Richtung zu lenken, die die Bürger von uns erwarten.