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Rut Brand: Eine große Dame und ihre Erinnerungen

Dienstagabend im Rathaus Schöneberg. Der Raum 195 ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Hochkarätige Politiker und zahlreiche ältere SPD-Mitglieder warten gespannt auf die Frau, die an der Seite von Willy Brandt jahrzehntelang das gesellschaftliche Leben Deutschlands geprägt hat. Dann ist es soweit. Gegen 20 Uhr betritt Rut Brandt in Begleitung von Anne Momper den Saal. Graziös begrüßt die ehemalige First Lady Berlins das Publikum. Auf Anhieb gibt es Standing Ovations für die gebürtige Norwegerin, die der Stadt nach langen Jahren wieder einen Besuch abstattet, um aus ihrer Autobiographie "Erinnerungen" zu lesen.

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Anke Fuchs umarmt sie ganz fest, der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Als eine Mitarbeiterin ihr einen Strauß mit Sonnenblumen überreicht, wird Rut Brandt von zahlreichen Fotografen und Kamerateams umlagert. Wie ein Filmstar wird sie minutenlang von allen Seiten abgelichtet.

Ruth Brandt scheint das zu genießen. Sie lächelt in die Objekte, hält ihr Buch in die Kameras. Obwohl inzwischen 79-jährig, wirkt sie immer noch wie ein junges Mädchen. Unter ihrer roten Jacke und dem schicken Schall trägt sie eine beigefarbene Bluse und eine elegante, graue Hose.

Sie habe ihren Platz in den Herzen der Berliner nie verloren. Im Gedächtnis vieler Menschen ist sie immer die Frau von Willy Brandt geblieben, sagt der Vorsitzende des August-Bebel-Institute, Alexander Longolius, bei der Begrüßung. "Willy haben wir verehrt, aber Rut Brandt haben wir geliebt", ergänzt Anne Momper. Rut Brandt hört sich die Reden mit Tränen in den Augen an. Dann beginnt sie, aus ihrem Buch zu lesen.

Es ist die Geschichte einer norwegischen Arbeitertochter, die in wenigen Jahren den gesellschaftlichen Aufstieg zur First Lady geschafft hat. Von 1957 bis 1966 unterstützte Rut Brandt ihren Mann beim Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin. Damals hatte die SPD einen Wähleranteil von über 60 Prozent in der Stadt. Von 1969 bis 1974 übernahm Rut Brandt die Repräsentationspflichten, als ihr Gatte Bundeskanzler in Bonn war. Obwohl sie stets im Rampenlicht stand und mit den prominentesten Persönlichkeiten der Welt verkehrte, blieb Rut Brandt immmer bescheiden. Sie ging mit einem Staatsmann genauso natürlich um wie mit einem normalen Bürger.

Im Laufe ihres wechselhaften Lebens erfuhr sie auch viel Neid und privates Unglück. Nach der Scheidung von Willy Brandt 1980 zog sie sich in ihre Heimat Norwegen zurück. "Ich kam nach Berlin, als die Stadt eine große Ruine war. Beim Mauerbau habe ich tagelang geweint", sagt Rut Brandt. Und nun darf sie das Neue Berlin vor Ort erleben. "Ich fühle mich immer noch sehr wohl in Berlin, auch wenn es nur ein paar Tage sind", erzählt die Grand Dame am Ende der Veranstaltung. Dann steht sie auf und beugt sich vor dem Publikum, das sie heftig beklatscht. "Wir freuen uns auf das nächste Buch und weitere Lesungen" sagt Anne Momper und schenkt ihr diesmal orangefarbene Rosen.

Die Besucher sind von diesem Wiedersehen sehr beeindruckt. "Sie hat immer noch eine tolle Ausstrahlung", berichtet später ein ehemaliger Bezirksstadtrat im Foyer. "Sie war für mich der Inbegriff einer Dame. Ich konnte nie verstehen, wie man sich von so einer Frau scheiden lassen kann", sagt ein ehemaliger Abgeordneter und schüttel den Kopf. Auch eine 84-jährige Frau, die seit 1949 SPD-Mitglied ist, schwärmt von Rut Brandt: "Als First Lady war sie immer ansprechbar. Sie konnte mit jedem umgehen".

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