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Rosas Höllenfahrt – Kritik

„Beiß ich rein, oder beiß ich nicht rein?“ Nicht nur die Frage nach den Ursprüngen der Erbsünde wird in Rosa von Praunheims Dokumentarfilm gestellt. Der Filmemacher begibt sich auf eine Zeitreise zu den frühesten Höllenvorstellungen.

Rosas Höllenfahrt

Rosa von Praunheim macht kein Geheimnis daraus: Es ist sein fortgeschrittenes Alter, das ihn dazu bewegt hat, einen Film über die Hölle zu machen. Als Schwuler und somit als Todsünder stellt sich der Erfinder der Bettwurst (1973) und anderer Schweinereien die Frage, ob er ewiglich in der Hölle wird schmoren müssen oder doch noch eine Chance auf den Himmel hat.

Um diese Frage beantworten zu können, begibt sich Rosa auf seine „Höllenfahrt“, die ihn von den schon im babylonischen Gilgamesch-Epos formulierten Höllenvorstellungen über die Tiefen des Styx bis zu den drei monotheistischen Religionen und dem Buddhismus führt. Praunheim tritt in der gewohnten Tapsigkeit auf, von der man nie ganz genau weiß, ob sie angeboren oder das Produkt selbstironischer Distanz ist, und streift durch Archive, Kirchenbänke und über Domplätze. Er trifft auf skurrile Experten aus Theologie, Kunstgeschichte und der Schwulenszene und skizziert so nicht nur die lange Geschichte des Höllenmythos, sondern eröffnet auch ein breites Panorama der Vorstellungen, die wir uns im Jahr 2009 noch von dem köchelnden, sündigen Höllenreich machen.

Rosas Höllenfahrt

Einer der Protagonisten, den Praunheim als katholischen Journalisten untertitelt, fasst die zentrale Frage des christlichen Abendlandes – die Frage der Erbsünde – ganz unmissverständlich zusammen: „Beiß ich rein, oder beiß ich nicht rein?“ Er meint den Apfel. Praunheim will sich nicht so recht entscheiden, ob er wirklich reinbeißen soll. Zumindest kratzt sein Film nur ein wenig, wo es wirklich wehtun könnte. Und so bleibt Praunheim als einer der prominentesten Kämpfer der deutschen Schwulenbewegung verhältnismäßig unpolitisch. Denn in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Hölle und der Sünderei ließe sich doch eigentlich ein Pulverfass öffnen.

Das veranschaulicht etwa ein erstaunlicher Fund, den der große Rechercheur und Archivfreund Rosa von Praunheim präsentiert: ein Kupferstich, der im 13. Jahrhundert von der kirchlichen Inquisition angefertigt wurde und seinerzeit als Anleitung zur Bestrafung von Sündigern funktionierte. Die so genannte Judas-Wiege ist der unverkennbare Vorgänger des im heutigen BDSM-Milieu beliebten Slings, eine wiegenähnliche Vorrichtung bei der das „Opfer“ zur passiven Analpenetration an der Decke aufgehängt wird – die Inquisitoren penetrierten je nach Sündenfall mit unterschiedlich dicken Holzpflöcken.

Rosas Höllenfahrt

Wie schon in seinem Dokumentarfilm Männer, Helden, schwule Nazis (2005) hat Praunheim mit diesem Fund wieder einmal die so widersprüchliche und bizarre Begeisterungsfähigkeit genuin homophober Milieus für den gleichgeschlechtlichen und insbesondere den schwulen Sex offen gelegt. Aber leider kommt genau dieser Widerspruch in Praunheims neuem Dokumentarfilm zu kurz. Denn im Katholizismus sind noch mehr Spuren der so ketzerisch schwülen Homosexualität zu finden als die auf Kupferstichen dokumentierte Schaulust der Inquisitoren beim Anblick der Judas-Wiege. Man denke nur an die jüngst in Gerichtsakten dokumentierte Schaulust bayerischen Priester beim Anblick ihrer knabenhaften Ministranten. Und wenn es nur bei Schaulust bliebe! Praunheim scheint die Explosivität des von ihm nur ansatzweise aufgedeckten Widerspruchs nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen. Vielleicht aber stecken in der panoramatischen Zusammenstellung der unterschiedlichen Höllenvorstellungen auch einfach zu viele Informationen, die das einzelne Fundstück oder Dokument neben den anderen eher anekdotenhaft erscheinen lassen. Schade, denn so wirkt Rosas Höllenfahrt eher wie eine Kaffeefahrt auf dem Styx – nur dass wir den Kerberos nicht sehen dürfen.

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