Deutschland und Israel: Ein Wunder der Versöhnung
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Deutschland und Israel: Ein Wunder der Versöhnung

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Konrad Adenauer und David Ben Gurion in der Negev-Wüste.
Konrad Adenauer und David Ben Gurion in der Negev-Wüste. © imago images/Sven Simon

Der Historiker Daniel Marwecki stellt Deutschlands Hilfe für den Aufbau Israels heraus.

Diese Beziehung ist vor allem von Zweckrationalität geprägt. Darauf besteht Daniel Marwecki. Was Israel wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs „Deutschland geben konnte“, unterstreicht der Historiker, sei gleichzeitig zweierlei gewesen: „erstens Absolution“ und zweitens „geopolitischen Nutzen im Kalten Krieg“. Dagegen habe, wenige Jahre nach dem von den Nazis betriebenen systematischen Massenmord an den europäischen Juden, die Hilfe aus Bonn für die Etablierung des jungen Staates gestanden – ein „unverzichtbarer Beitrag zum Aufbau des israelischen Staates“.

Damit ist Marweckis These markiert, die seinem Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ zugrundeliegt. Es gehe ihm darum, erklärt er, der von bundesdeutscher Politik nach dem Holocaust gern genutzten „Rede vom ,Wunder der Versöhnung‘“ einen Spiegel vorzuhalten. Die Formel sei nichts anders als eine Verklärung, betrieben von den Deutschen. Für Israel habe es nur einen Grund gegeben, sich mit dem moralisch diskreditierten Deutschland einzulassen: „Dieser Grund war nicht ideologischer, sondern materieller Natur.“

Ohne die Mittel aus Deutschland hätte sich der junge Staat Israel Marwecki zufolge wohl kaum behaupten können. David Ben Gurion selbst machte dies im Parlament immer wieder deutlich. In diesem Zusammenhang zitiert Marwecki Schilderungen des israelischen Historikers und Ben-Gurion-Biografen, Tom Segev: Der israelische Präsident wusste nur zu gut, warum er sich auf die Abkommen mit Deutschland wenige Jahre nach dem Krieg einlassen wollte – trotz des erbitterten Widerstands in der Knesset. Für Ben Gurion stand außer Frage, dass sich die Araber nicht für Israel gewinnen lassen würden: „Der Araber muss bei seinem Volk sein und den Untergang Israels herbeiwünschen.“

Für die bereits vor vier Jahren erschienene englische Ausgabe seines Buches, seine Dissertation, wählte Marwecki den plakativen Titel: „Whitewashing and Statebuilding“. Warum für die jetzt erschienene deutsche Ausgabe, erweitert um ein aktualisiertes Nachwort, ein dezenterer Titel ausgesucht wurde, ist eine andere Frage. Der Autor, der deutschen Kollegen und Kolleginnen vorhält, die ihnen als gelungen erscheinende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erfülle sie mit „nationalem Stolz“, versteht sich selbst als „Mythenjäger“. Schließlich wolle er den Schleier lüften, „der deutscherseits auf die Beziehungen mit Israel gelegt wird“ – seit den 50er und 60er Jahren und den Gesprächen über Entschädigungsabkommen bis hin „zu einer informellen Militärallianz im Kalten Krieg“.

Für Adenauer ging es bei den Vereinbarungen um „die Wiederherstellung unseres Kredits in der Welt“. Dies sei vom Erfolg der Verhandlungen Anfang der 50er Jahre abhängig gewesen: Im luxemburgischen Wassenaar ging es um die Wiedergutmachungszahlungen an Israel, in London um die Begleichung der deutschen Kriegsschulden. Mit den beiden Abkommen habe sich die Stellung der Bundesrepublik in der Welt deutlich verbessert, merkte denn auch der Zeithistoriker Ulrich Herbert 2014 in seiner Geschichte Deutschlands an: Wirtschaftspolitisch durch den Zugang zu internationalen Kreditmärkten, und moralisch, denn das Abkommen mit Israel lasse sich „auch als Grundstein einer westdeutschen Politik der Schuldanerkennung“ werten.

Marwecki hingegen beschreibt die Übereinkünfte mit Israel als überaus bescheiden, von einer angemessenen Dimensionierung könne keine Rede sein. Zumal orientiert an der Größenordnung der nationalsozialistischen Verbrechen: „Die deutschen Verbrechen waren so entgrenzt, wie die nachfolgende Entschädigungspraxis begrenzt war.“

Das Buch

Daniel Marwecki: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson. Wallstein Verlag, Göttingen 2024. 2121 Seiten, 22 Euro.

Trotzdem konnte Adenauer die Vereinbarung im Bundestag nur mühsam durchsetzen. Ohne die Stimmen der SPD hätte sich für den Kanzler kein Weg gefunden, die öffentliche Meinung wollte von einem solchen Abkommen nichts wissen: Nur 24 Prozent der Westdeutschen waren dafür. Für Deutschland sei es Marwecki zufolge „um kostengünstige politische Rehabilitation“ gegangen, für Israel „um den Aufbau und die Verteidigungsfähigkeit des Staates“. Jede Partei wusste die Absprache für sich zu nutzen. Das Cover des Buches zeigt wohl auch deshalb, Israels Präsidenten Ben Gurion und Deutschlands Kanzler Adenauer gut gelaunt in gepflegter Umgebung.

Marwecki arbeitet die unterschiedlichen Interessen bei Israelis und Deutschen heraus, die jeweils von zweckrationalen Erwägungen geleitet gewesen seien. Dass es sich die politischen Kräfte in Israel nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs leicht gemacht hätten, auf „die deutsche Frage“ Antworten zu liefern, lässt sich spätestens nach Dan Diners Studie „Rituelle Distanz“ nicht wirklich behaupten: Der Historiker untersucht darin akribisch „die Tiefenschichten jener zweispältigen deutsch-israelischen Annäherung“ zu Beginn der 50er Jahre und geht in seiner 2014 erschienenen Studie der Frage nach, ob man „mit dem Land der Mörder in Verhandlungen treten und materielle Entschädigung annehmen durfte?“ Schließlich galt doch „alles, was nach der jüdischen Katastrophe und die folgende Staatsgründung auf Deutsches verwies, als anstößig, verwerflich, gleichsam kontaminiert“.

Auch wenn in Marweckis Studie nicht alles neu ist, so kommt ihm doch das Verdienst zu, die engen Verbindungen anzuführen, die es bereits wenige Jahre nach dem Zivilisationsbruch gab. So zeigt er auf, dass sich die Deutschen unmittelbar nach dem Krieg auch als Partner für die Kooperation in Rüstungsfragen empfahlen. Dazu gehörte etwa die Lieferung von zwei Patrouillenbooten an Israel bereits Anfang der 50er Jahre. Erst Mitte der 60er Jahre löst Washington Deutschland als wichtigsten Unterstützer an der Seite Israels ab.

2008 unterstreicht Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament das Gebot der „Staatsräson“ als eine aus der Geschichte erwachsenen Verpflichtung. Auch ihr Vorgänger Gerhard Schröder hatte diese Position ausdrücklich betont: „Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht.“

Wie bereits in frühen Zeiten der eigenen Staatsgründung verlasse sich Israel heute auf Deutschland. „Die Unterstützung Israels in fast allem, was es für seine Sicherheit tut, ist schließlich Staatsräson“, so Marwecki. Dieses Denken mache sich die aktuelle Regierung in Israel zunutze, schreibt er in seinem aktuellen Nachwort. Premier Benjamin Netanyahu ermuntere die Bundesregierung dazu, sich „diesmal auf die richtige Seite der Geschichte stellen“. Und so erscheine es in der aktuellen Krise, „als würde die deutsche Regierung in diesem Konflikt nicht nur für Israel und gegen die Hamas, sondern auch gegen die palästinensische Zivilbevölkerung Partei ergreifen“. Dass Berlin und auch Washington Netanyahu nicht unbeirrt folgen und ihn zur Verhältnismäßigkeit ermahnen, erwähnt Marwecki nicht.

Für den Autor hat die Unterstützung Israels „in fast allem, was es für seine Sicherheit tut“, fatale Konsequenzen: „Den Preis für die deutsche Absolution zahlen andere.“

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