Flutkatastrophe im Ahrtal: „Liebe Malu, die Lage eskaliert“

Flutkatastrophe im Ahrtal: „Liebe Malu, die Lage eskaliert“

Die Landesregierung unterschätzte zunächst das Ausmaß der Flut. Dass der Katastrophenschutz nicht mehr Herr der Lage war, wurde erst am nächsten Tag klar.

Bild des verheerenden Hochwassers im Ahrtal im Sommer 2021.
Bild des verheerenden Hochwassers im Ahrtal im Sommer 2021.dpa/Thomas Frey

Am Ende war es ein Feuerwehrmann, der dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Morgen des 15. Juli 2021 vor Augen führte, wie schlimm es um das Ahrtal stand. Nach einer kurzen Nacht war der Politiker wieder nach Bad Neuenahr-Ahrweiler aufgebrochen, um sich ein Bild von dem Hochwasser zu machen. Kurz vor dem Ziel sei sein Dienstwagen gestoppt worden, berichtete Lewentz im Ahrtal-Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. Sein Einwand, er sei immerhin der für Katastrophenschutz zuständige Landesminister, sei von dem Feuerwehrmann beiseite gewischt worden: „Es gibt keine Brücken mehr.“

In einem über 15-stündigen Sitzungsmarathon hat der Ausschuss am Freitag versucht, sich ein Bild davon zu verschaffen, wie die Landesregierung den Abend und die Nacht erlebte, in der sich die wohl verheerendste Naturkatastrophe der deutschen Nachkriegsgeschichte mit schätzungsweise 65.000 direkt betroffenen Menschen ereignete. Dazu musste neben Lewentz und weiteren Spitzenbeamten auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Rede und Antwort stehen.

Informationen erreichten Malu Dreyer erst am nächsten Morgen

Lewentz hatte die Plenarsitzung des Landtags am 14. Juli früher verlassen und war ins Ahrtal gefahren, als er davon erfahren hatte, dass Menschen mit Hubschraubern von einem Campingplatz am Oberlauf des Flusses gerettet werden mussten. In der Einsatzleitstelle hatte er den Eindruck, der damalige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und seine Leute hätten die Lage im Griff. Erst nach 23 Uhr erreichten den Minister Berichte über eingestürzte Häuser in Schuld, später auch Informationen über Vermisste. „Liebe Malu, die Lage eskaliert“, warnte er noch um 0.58 Uhr in einer Textnachricht an die Regierungschefin vor möglichen Todesopfern. Doch diese Informationen erreichten Dreyer erst am Morgen, als sich die Hiobsbotschaften aus der Katastrophenregion über immer mehr Opfer und immer größere Zerstörungen überschlugen. Eine Krisenschalte der Landesregierung hielt niemand in der Flutnacht für nötig.

Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sitzt im Untersuchungsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sitzt im Untersuchungsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe im Ahrtal.dpa/Sebastian Gollnow

„Es gab gar keinen Hinweis darauf, dass der Katastrophenschutz vor Ort in Teilen nicht funktionieren würde“, sagte Dreyer. Auch die Wucht der Flutwelle sei in keiner Weise abzusehen gewesen. Und selbst danach, so die Aussage von Regierungsvertretern und Spitzenbeamten der Aufsichtsbehörde ADD, habe der Landkreis zunächst die Einsatzleitung nicht an das Land übergeben wollen, obwohl dies sofort angeboten worden sei.

Spiegel konnte nicht restlos klären, womit sie in der Flutnacht beschäftigt war

Der Landtagsopposition reicht das als Entschuldigung nicht. Sie fordert seit Wochen die Entlassung der heutigen Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne), die im Sommer 2021 als Landesumweltministerin für den Hochwasserschutz zuständig war. Bei ihrer Vernehmung im März konnte Spiegel nicht restlos klären, womit sie in der Flutnacht beschäftigt war. Zudem wurde sie mit internen Textnachrichten konfrontiert, die den Eindruck erweckten, es sei ihr nach der Katastrophe zuerst um Imagepflege gegangen.

Im Gegensatz zu Spiegel konnten Dreyer und Lewentz im Ausschuss detaillierte, lückenlose Angaben über ihre Kontakte und Aktivitäten vorlegen. Allerdings wurde auch bei ihrer Befragung immer wieder deutlich, dass die einzelnen Regierungsbehörden nur wenig über Ressortgrenzen hinweg in Kontakt standen. Dreyer habe ihre Ministerien nicht im Griff gehabt, Umwelt- und Innenministerium hätten kaum miteinander kommuniziert, kritisierte Dirk Herber, CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss: „Vielmehr ging es im Blindflug durch die Katastrophe.“