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Musik "Titanic Requiem"

Robin Gibb arbeitet an seiner Unsterblichkeit

Redakteur Feuilleton
Robin Gibb Robin Gibb
War Leadsänger einer der erfolgreichsten Bands der Musikgeschichte: Bee Gee Robin Gibb (Jg. 1949), im 2011 bei einem Konzert in Warschau. Er leidet an Darm- und Leberkrebs und lieg...t seit Anfang April im Koma
Quelle: dpa
Der krebskranke Bee Gee Robin Gibb hat mit seinem Sohn das "Titanic Requiem" komponiert. Darauf singt er als Sterbender im Meer an die Geretten im Boot – und sorgt so selbst für seinen Abgesang.

Musik soll ihren Schöpfer überleben. Dafür wird sie aufgeschrieben, aufgeführt und aufgenommen. Während das "Titanic Requiem" von Robin Gibb seine Welturaufführung feiert, liegt der Komponist im Krankenhaus, auf einer Krebsstation in London. Nebenan stimmt Isabel Suckling, eine 14-jährige Sopranistin, ihre Totenklage an.

Sie ist das Kind im Rettungsboot, ihr Vater stirbt im eisigen Atlantik, und sie singt vom Helden, der er immer für sie sein wird, und vom Stern am Himmel. In der Westminster Central Hall wiegt sich das Royal Philharmonic Orchestra in der Musik von Robin Gibb, dem vorletzten Bee Gee. Er hat auch die Halle ausgewählt.

"Beten wir für ihn"

Es ist der Mitte April 2012. Die Methodistenkirche wurde 1912 erbaut zu Ehren des Erweckungspredigers John Wesley. Am 15. April 1912 sank die "Titanic", und der große Kuppelsaal von Westminster besitzt vier riesige Bullaugen über den Notausgängen. Es gibt Orgelpfeifen groß wie Schornsteine und eine goldene Reling für den Chor. Die Trockeneismaschine sorgt für Nebel. Auf dem Rang, dem Oberdeck, versammeln sich die Angehörigen, die Würdenträger.

Robin-John, der Sohn und Assistent von Robin Gibb, richtet mit brüchiger Stimme Grüße aus vom leiblich abwesenden Vater. "Beten wir für ihn", ruft Robin-John. Das "Guinnessbuch" vermerkt die Bee Gees als erfolgreichste Familienband der Welt, weit vor den Jacksons.

Barry und die Zwillingsbrüder Robin und Maurice wuchsen im Norden Englands auf. Ende der 50er-Jahre wanderten sie nach Australien aus. Dort wurden sie bekannt als Barry & The Twins und dann als Bee Gees. 1966 wurden sie berühmt mit "Spicks and Specks", da saßen sie schon wieder auf dem Schiff zurück nach Großbritannien.

Robin Gibb leidet seit 2010 an Krebs

Sie traten gesitteter auf als die Beatles, pflegten aber immer ihren Hang zur Katastrophe. Vom Folksong "New York Mining Disaster 1941" bis zu "Stayin’ Alive", dem Tanz ums Überleben. Später stieß auch Andy Gibb hinzu als jüngster der vier singenden Brüder. 1988 starb er, 30 Jahre alt, an Herzversagen. Maurice Gibb starb 2003 an Darmkrebs, wie es damals hieß. 2006 wurden die Bee Gees von den Hinterbliebenen für aufgelöst erklärt.

2010 lies Robin Gibb wissen, dass er unter Darmkrebs leide. Er bemühte sich, die öffentliche Krankheit zu beherrschen. Er stellte sich kämpferisch vor Kameras, die Bilder ließen ihn umso bedauernswerter wirken.

Er zog sich mit Robin-John nach Oxfordshire ins Tonstudio zurück, um klassische Musik zu komponieren, sein "Titanic Requiem". Im Winter ließ er ausrichten, geheilt zu sein. Drei Wochen vor der Uraufführung seines Requiems wurde er wieder in die Klinik eingewiesen.

Dichtung und Liturgie werden gemischt

In der Central Hall spielen die königlichen Philharmoniker zunächst das Repertoire der Bordkapelle, die den Untergang vor 100 Jahren ritterlich begleitet hatte mit Elgar und Schubert. In Gibbs Totenmesse wird noch einmal die Tragödie nacherzählt. Am Anfang wird Metall gehämmert, in der Werft von Belfast, und der Shantychor singt vom Triumph des Menschen über die Natur. Es geht hinaus aufs offene Meer zur sanften Brise von geblasenem Holz.

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Die Immigranten feiern unter Deck mit Volkstänzen, die Reichen schauen in den Himmel voller Geigen. Als es klamm und diesig wird, erklingt das "Kyrie", aber der Herr erbarmt sich nicht, er straft die Hybris, indem er den Eisberg schickt. Die Harfe sendet Notsignale, und im "Confutatis" steht der Mensch vor seinem Richter, vor Kesselpauken und Blech.

Geschmackvoll mischen Robin Gibb und Robin-John musikalische Dichtung und Liturgie. Bevor die Seelen abschließend ins Paradies entlassen werden, treten Sänger auf mit Trauerliedern. Auf dem Album zum "Titanic Requiem" singt Robin Gibb "Don’t Cry Alone" als Sterbender im Meer an die Geretteten im Boot.

Konzertbesucher schluchzen

Der Dirigent lässt sein Orchester schweigen und den Song im Dämmerlicht von der CD abspielen. Durch die Kathedrale hallt die Knabenstimme eines 62-Jährigen: Die Sonne werde wieder aufgehen. Man hört Konzertbesucher schluchzen und die U-Bahn durch die Katakomben donnern.

Robin Gibb sorgt selbst für seinen Abgesang. Seit Mozart gilt ein Requiem nicht mehr als Auftragswerk für Trauergottesdienste. Es beeinflusst auch das Schicksal seines Schöpfers. Mozart starb, als er sein Requiem für einen merkwürdigen Grafen komponierte. Von zwei Schülern wurde es vollendet, anschließend verwandelte es sich in Mozarts eigene, ewige Totenmesse. Er habe darin "sein Inneres aufgeschlossen", schrieb E.T.A. Hoffmann. Mozarts Requiem lebt fort in der Gebrauchsmusik der Popkultur, im Film und im Computerspiel.

Das Londoner Gedenkkonzert erinnert an die Geschichte der "Titanic", an die Bee Gees und an Robin Gibb. An 1968, als Robin Gibb "I Started A Joke" sang: "Wenn ich schließlich tot bin, fängt die Welt zu leben an." Im Jahr darauf folgte das Meisterwerk "Odessa", das sich nach den frühen Schlagern opernhaft den Auswanderern widmete.

Der Mythos der Bee Gees

Danach hatte es Robin Gibb vorübergehend allein versucht, der Erstgeborene der Zwillinge. Er kehrte reumütig zurück und ordnete die Ambitionen der Familie unter. Barry war der Starke und der Schöne, Robin war der Schmächtige und Hochbegabte.

Beide sind am Leben. Barry Gibb ist 65, er fliegt regelmäßig von Amerika nach England, um den sterbenskranken Bruder zu besuchen. Als das Requiem zum ersten Mal gespielt wird, ist aber auch er nicht da. Aus Scheu davor, allein der allgemeinen Anteilnahme ausgesetzt zu sein. Die Bee Gees sind bereits ein Mythos. Am Morgen danach sitzt Robin-John Gibb, genannt RJ, bei einer Flasche stillen Wassers am Kensington Garden.

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Ein pausbäckiger Mann von 29 Jahren, der erzählt, wie ihn der Vater Violine lernen ließ, Trompete und Klavier, mit Beethoven und Bach beschallte und zum ernsten Musiker erzog.  Bis RJ merkte, dass er mehr lernte, wenn er die Bees Gees einzeln und gemeinsam auf der Bühne und im Studio studierte. Ohne ihn hätte das Requiem heute nicht seine strenge Form, samt "Graduale" und "Libera Me", als wäre es 250 Jahre alt. Ohne die Bee Gees hätte es nicht seine schnulzigen Momente, in denen man sich ertappt fühlt.

"Der Mensch wird die Natur nie kontrollieren"

Wie die Bee Gees wussten, was die Menschen mögen, weiß RJ, warum man die "Titanic" nicht vergisst: Sie schildere uns das 20. Jahrhundert, von der kohlebetriebenen Klassengesellschaft bis zum Klimawandel, unsere alten Irrtümer und neuen Ängste. "Der Mensch kann die Natur erkennen, aber er wird sie nie kontrollieren", sagt RJ. "Der Krebs wird immer besser sichtbar, aber das führt nicht dazu, dass wir ihn heilen können."

Wer mit ihm, dem Erben, über die "Titanic" redet, kann von Robin Gibb nicht schweigen, von der Sorge um den Vater. Niemand wisse, ob sein Krebs verschwunden sei. Zuletzt wurde er wegen einer Darmverschlingung operiert. Maurice, der Onkel, sagt RJ, sei vor neun Jahren übrigens daran gestorben, an einem Behandlungsfehler, nicht am Krebs.

Den Vater schwäche nach dem Eingriff eine Lungenentzündung. "Aber er hat sehr gesund gelebt im Popgeschäft. Er hat weder getrunken noch geraucht, die Lunge ist trainiert vom Singen. Und er hat ein Requiem komponiert, das ihn über die eigene Sterblichkeit hinwegtröstet", sagt Robin-John, der Sohn, und fährt ins Hospital, wo der Vater mittlerweile im Koma liegt.

Robin & RJ Gibb: The Titanic Requiem (Rhino)

Bee Gees: Mythology – The 50th Anniversary Collection (Reprise)

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