„All is lost“: Robert Redford spielt die Rolle seines Lebens - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. „All is lost“: Robert Redford spielt die Rolle seines Lebens

Film „All is lost“

Robert Redford spielt die Rolle seines Lebens

Filmredakteur
Segler ohne Namen: Robert Redford muss sich in J. C. Chandors „All Is Lost“ mit einem defekten Boot rechtzeitig vor einem gewaltigen Sturm in Sicherheit bringen Segler ohne Namen: Robert Redford muss sich in J. C. Chandors „All Is Lost“ mit einem defekten Boot rechtzeitig vor einem gewaltigen Sturm in Sicherheit bringen
Segler ohne Namen: Robert Redford muss sich in J. C. Chandors „All Is Lost“ mit einem defekten Boot rechtzeitig vor einem gewaltigen Sturm in Sicherheit bringen
Quelle: AP
Mit 77 Jahren da fängt das Filmen an: In „All is lost“ verliert ein Segler alles, schippert in höchster Einsamkeit in einen gefährlichen Sturm. Und Robert Redford hat nichts und niemanden.

Tom Hanks als auf einer einsamen Insel Gestrandeter in „Cast Away“ hatte seinen Volleyball mit dem aufgemalten menschliches Gesicht, mit dem er Selbstgespräche führte. Sandra Bullock, die in „Gravity“ im Weltraum verloren geht, hatte George Clooney.

Der junge Inder, der sich in „Life of Pi“ schiffbrüchig in einem Rettungsboot wiederfand, hatte den Tiger. Robert Redford in „All ist lost“, einem existenzialistischen Actionfilm, hat nichts und niemanden.

Das heißt, am Anfang hat er noch eine Yacht. Ein Einhand-Segler, in dem er eines Morgens von einem mächtigen Rums geweckt wird und entdecken muss, dass sich ein herrenloser Container in die Seite seines Bootes gebohrt hat.

Boot sinkt, Funkgerät streikt

Durch das Leck dringt Wasser ein, die Elektrik ist ruiniert, das Funkgerät tot. Und um ihn herum erstreckt sich der Indische Ozean, nur Wellen, soweit das Auge reicht, selbst der Horizont ist kaum zu erspähen.

„All is lost“ ist der radikalste Mainstreamfilm, den wir seit Jahren aus Hollywood zu sehen bekamen. Seine Radikalität besteht in Reduktion. Wir erfahren den Namen des Seglers nicht.

Es gibt keinerlei Informationen über eine Familie, außer den Ehering. Wir wissen nicht, warum er allein auf dem Ozean unterwegs ist. Wir werden bis zum Ende der 105 Minuten kein anderes menschliches Gesicht erblicken und keine andere Stimme hören.

Robert Redford verliert kaum Worte

Wir werden selbst Redfords Stimme kaum hören, nur zu Beginn formuliert er einen Abschiedsbrief an seine Lieben, den er in einer Flasche den Wasser anvertraut. Danach wird es eine Dreiviertelstunde dauern, bis er wieder ein Wort sagt – eines –, und das zu sich selbst.

Wir sind allein, mit dem alten Mann und der See. Dieser Film existiert einzig im Hier und Jetzt, sein Held durchläuft keine Entwicklung, und der Zuschauer wird nicht mit nützlichen Wahrheiten entlassen.

Präziser formuliert: Wir sind allein mit Robert Redford. Und wir sind all jener Zugaben beraubt, die sich sonst immer der Aura eines Stars beigemischt werden: Figur, Rollenname, Beruf, Liebschaften, Vergangenheit.

Redfords Haar ist immer noch erdbeerblond

Anzeige

Dieser Film ist eine implizite Einladung, dem aktuellen Robert Redford zuzuschauen und all die Lücken im Wissen über seinen Segler mit den Erinnerungen zu füllen, die wir in den vergangenen 50 Jahren angesammelt haben. Sein Haar ist immer noch erdbeerblond, aber sturmverwuschelt.

J. C. Chandor, der Regisseur von „All is lost“, durchnässt seine Kleidung, wirbelt ihn wie in einer Waschtrommel umher und schickt ihn schnaufend und keuchend von einem Brandherd zum nächsten. Zunächst muss er diesen Keil aus dem Rumpf brechen.

Er hat Epoxit dabei, um das Leck notdürftig zu schließen. Danach wartet die Aufgabe, das Boot von Hand leerzupumpen. Es ist Knochenarbeit, auch für den Schauspieler.

Seine Pflicht tun fürs Überleben

Der da stoisch seine Pflicht fürs Überleben verrichtet, ist meilenweit entfernt von dem Goldjungen der Siebzigerjahre, von dem übermütigen Sundance Kid und dem partywütigen Jay Gatsby und dem aufklärungswütigen Reporter, für den nichts unmöglich war, selbst der Sturz des Präsidenten. Was ist geblieben von dem Idealisten Redford und seinen Kämpfen für die saubere Umwelt und gegen die rechten Fundamentalisten und für das unabhängige Kino?

Im wesentlichen, signalisiert der Film, der Selbstrespekt und die Integrität und die Bescheidenheit. Er flucht nicht herum, auch wenn ihm das F-Wort schließlich doch herausrutscht. Er verfällt nicht in Selbstmitleid, in der Tradition eines Gary Cooper oder Gregory Peck. Und selbst wenn er dem Tod ins Auge blickt, Redfords Segler nimmt sich Zeit für eine Rasur.

Das ist Selbstdisziplin. Man könnte auch sagen: Eitelkeit. Auf jeden Fall ein Ausdruck männlicher Tugend, wie klassische Hollywood-Stars sie immer vertreten haben, und die besteht darin, Emotionen einzupfropfen, wie sehr es im Inneren auch brodeln mag.

Pragmatismus über alles

Und noch eine, eine amerikanische Tugend entfaltet dieser Segler: Pragmatismus. Es geht ums Überleben, und auch wenn sich die Chancen mit jeder Minuten verringern, gilt es die verbleibenden Prozente zu ergreifen statt um die verschwundenen Prozente zu trauern.

Anzeige

Und so folgen war atemlos diesem Ringen, bei dem sich Redford eine blutende Stirnwunde holt und von der Sonne verbrannt wird und trotzdem mit einer Membran Trinkwasser auffängt und sich gar aus einem Handbuch den Gebrauch eines Sextanten beibringt. Ein wortloses Ringen ist es, aber kein stummes, denn um Redford herum heulen die Böen und branden die Wellen.

Man kann „All is lost“ als das letzte Hurra des klassischen Hollywood-Helden sehen, und es ist doch gleichzeitig ein Loslassen. Lange, zu lange, noch in seinem vorhergehenden Film „The Company You Keep“ hat Redford – inzwischen 77 – das Fassade ewiger Jugendlichkeit aufrecht erhalten. „All is lost“ macht den Eindruck, als habe er sich einen Ruck gegeben und das alles fahren gelassen, und was wir hier sehen, ist deswegen umso eindrücklicher und berührender.

Die Leistung des Regisseurs nicht vergessen

Obwohl es eine Einmann-Show ist, die Redford endlich seinen ersten Oscar einbringen muss, darf der Beitrag seines Regisseurs J. C. Chandor nicht unterschätzt werden. Chandor wurde vor zwei Jahren mit seinem ersten Film „Margin Call“ bekannt, der ganz anders – und ganz ähnlich war.

Darin gerät eine Gruppe von Bankern während des großen Crashs in Panik, und es wird fast nur geredet. Ihr Hochhaus ist von der Zivilisation genauso isoliert wie Redford auf seinem Boot, und auch dort geht es um den Verlust und Rückgewinn von Kontrolle.

Selbstdisziplin, Integrität, Bescheidenheit sind in „Margin Call“ allerdings Fremdworte; „All is lost“ ist dazu der diametrale Gegenentwurf. Seine Ironie besteht darin, dass der Idealist Redford von den Kräften des globalen Kapitalismus zum Sinken gebracht wird. In dem Container, der ihn rammt, befinden sich Turnschuhe, von billigen Arbeitskräften in China hergestellt, um gegen guten Profit in Amerika verhökert zu werden.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema