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Geschichte Schlacht um Verdun

„An den Wänden sind Leichenteile verstreut. Unsere Kameraden“

Nach 300 Tagen endete Mitte Dezember 1916 die Schlacht um Verdun. Der Versuch der deutschen Führung, mit ihrem Angriff einen Durchbruch zu erzwingen, war gescheitert. Was das grauenvolle Ringen für die Soldaten bedeutete, zeigt eine Ausstellung.
Freier Autor Geschichte
German infantry attacking at Verdun; world war one 1916 German infantry attacking at Verdun; world war one 1916
Deutsche Infanterie beim Angriff nahe Verdun 1916
Quelle: picture alliance/United Archives

Am Ende waren es höchstens vier Kilometer Geländegewinn, die die längste Schlacht des Ersten Weltkriegs erbracht hatte. Dafür waren in dem 300 Tage währenden Ringen um die Festungswerke von Verdun rund 300.000 Deutsche und Franzosen gefallen und mehr als 700.000 verwundet oder vermisst worden, mit nahezu gleichen Verlusten für beide Armeen. Vier Kilometer, das entsprach einem durchschnittlichen Tagesgewinn von 13 Meter für die Deutschen. Dennoch konnte Robert Nivelle von einem Triumph Frankreichs sprechen, als er als französischer Oberbefehlshaber am 20. Dezember 1916 das Ende der Schlacht verkündete.

Der Kampf um Verdun war zwar weder die größte noch die verlustreichste Schlacht des Ersten Weltkriegs. Aber für Deutsche und Franzosen hat sie sich als Symbol der Schrecken des Grabenkriegs in die Gedenkkultur eingegraben. Monate lang umkämpfte Stellungen wie die Forts Douaumont und Vaux oder ausgelöschte Ortschaften wie Fleury, eingebettet in endlose Kriegsgräberreihen, erinnern an ein Grauen, dessen Dimensionen zu erfassen Nachgeborenen nur schwer möglich ist.

The Battle of Verdun. The recovery of Fort Douaumont, 1916. Found in the Collection of Musée de l'Armée, Paris. (Photo by Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images)) Getty ImagesGetty Images
Deutsche und Franzosen beim Kampf um Fort Douaumont
Quelle: Getty Images

Im Mémorial de Verdun, das zur Hundertjahr-Feier 2016 umgebaut und auf den aktuellen Stand der Geschichtswissenschaft gebracht wurde, ist derzeit die Ausstellung „Destins de Verdun“ (Schicksale von Verdun) zu sehen. Sie versammelt Porträts von Teilnehmern der Schlacht und Zeugnisse, die sie hinterlassen haben. Es sind erschütternde Momentaufnahmen, die im grellen Kontrast zu den abgehobenen Plänen stehen, mit denen die Generäle auf beiden Seiten ihre Männer vom 21. Februar bis zum 16. Dezember in das pausenlose Feuer der Geschütze und Maschinengewehre hetzten. „Ich habe jede Hoffnung aufgegeben, Euch wiederzusehen“, schrieb ein deutscher Oberleutnant am 8. April. Tags darauf fiel er.

Warum mit Verdun ausgerechnet eine der stärksten Festungen Frankreichs zum Ziel der deutschen Großoffensive („Unternehmen Gericht“) wurde, ist nach wie vor umstritten. In seinen Memoiren sprach der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn von einer „Ausblutungs“-Schlacht, in der er die französischen Reserven durch „Weißbluten“ vernichten wollte, und verwies auf eine Denkschrift, in der er seine Strategie Kaiser Wilhelm an Weihnachten 1915 vorgetragen haben will.

Nicht wenige Historiker deuten dies mittlerweile als Camouflage, um dem „Unternehmen Gericht“ im Nachhinein einen höheren Sinn zuzuschreiben, nachdem bereits nach wenigen Tagen klar geworden war, dass das ursprüngliche Ziel nicht erreicht werden konnte. Das war offenbar der Versuch, die seit Herbst 1914 festgefahrene Westfront durch einen gezielten Stoß an einer neuralgischen Stelle wieder in Bewegung zu bringen, einen operativen Durchbruch zu erzielen und Frankreich an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Als die Offensive bereits nach wenigen Tagen zum Stillstand kam, fand die deutsche Führung nicht die Kraft, das Unternehmen abzubrechen, sondern warf immer neue Truppen in den Kampf. Nach der Ablösung Falkenhayns Ende August verlegten sich seine Nachfolger Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff auf reine Defensive, weil die englisch-französische Großoffensive an der Somme und die russische Brussilow-Offensive in Galizien alle Reserven banden. Von da an setzte die französische Führung alles daran, das verlorene Terrain zurückzugewinnen. Bis Mitte Dezember war das zumindest auf dem Ostufer der Maas weitgehend gelungen.

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Was diese ehrgeizigen Konzepte für die Soldaten bedeuteten, spiegeln die Texte in der aktuellen Ausstellung im Mémorial: „Der Schlamm, ah! Dieser flüssige Schlamm! In den Laufgräben steht er einem manchmal bis zu den Waden“, schrieb ein Franzose, der das Glück hatte zu überleben: „Es wimmelte von Ratten. Sie liefen einem nachts über den Körper, wir zogen die Decke über das Gesicht, um uns vor ihnen zu schützen.“

Ein anderer beschrieb das Leben in den Unterständen so: „Meine Männer waren in gewissen Momenten nicht in der Lage, gewisse Bedürfnisse auf andere Weise zu befriedigen als in der Kiste, wo sich die Gasmasken befanden.“ Der deutsche Maler Franz Marc staunte angesichts des Grauens um ihn herum über sich selbst: „Meine Nerven sind sogar in einem so guten Zustand, dass ich mich oft nur wundern kann; Dinge, die nicht meine eigene, wahre Person betreffen, berühren mich absolut nicht.“ Er fiel am 4. März auf einem Erkundungsritt.

1WK./ Schuetzengraben bei Douaumont/Foto Geschichte / 1. Weltkrieg / Frank- reich. - Schlacht bei Verdun: Verlassener Schuetzengraben beim Fort Douaumont.- Foto (Teil eines stereoskopischen Diapostivs), bez.: "Douaumont - tranchees de depart". Berlin, Slg.Archiv f.Kunst & Geschichte.
"Dieser flüssige Schlamm": Schützengraben bei Fort Douaumont
Quelle: picture-alliance / akg-images

Über die Wirkung des Trommelfeuers aus 1220 deutschen Geschützen, die am 21. Februar mit zwei Millionen Granaten die Schlacht eröffneten, notierte ein Franzose: „Es hagelt Granaten, die Schützengräben werden zugeschüttet ... das Getöse der Explosionen dröhnt in den Köpfen.“ Das passt zur Erinnerung eines Deutschen aus einem anderen Bestand: „Drei Tage lang lagen wir in den Granatlöchern ... kein Tropfen Wasser und der entsetzliche Leichengestank. Die eine Granate begräbt die Toten, die andere reißt sie wieder heraus. Will man sich eingraben, kommt man gleich auf Tote.“ Und ein anderer: „Auf dem Boden und an den Wänden sind menschliche Leichenteile verstreut. Unsere ehemaligen Kameraden.“

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Die Arbeit der Ärzte erfolgte unter schwierigsten Bedingungen: „In den von Pionieren befestigten, mit Karbidlampen beleuchteten Kellern sind zwei Stabsärzte im weißen Kittel und ein Feldgeistlicher, der ein Kruzifix hält, eifrig beschäftigt ... (sie) schneiden direkt auf dem Fleisch ... Wird der Verwundete ... als hoffnungslos beurteilt, wird er wieder in den Hof hinaufgetragen und direkt auf dem Boden oder auf seiner Tragbahre liegengelassen.“

FRANCE - : La Voie Sacree of Verdun, March 1916, by George Bertin Scott (1873-1942), watercolour, World War I, France, 20th century. (Photo by DeAgostini/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Über die „Voie Sacrée“ schafften die Franzosen Tag und Nacht Nachschub heran
Quelle: De Agostini via Getty Images

Ein logistisches Verfahren erklärt den unterschiedlichen Blick auf die Verdun-Schlacht in Frankreich und Deutschland. Die französische Führung schickte Teile fast aller französischen Divisionen im Rotationsprinzip an die Front, um sie nach wenigen Tagen abzulösen. Nach der erfolgreichen Abwehr am Ende der Schlacht durften sich daher die meisten Soldaten als Helden der Nation fühlen, allen voran der Oberkommandierende Philippe Pétain, der zum „Retter von Verdun“ aufstieg (und ihm das Prestige zuführte, um 1940 die Vichy-Kollaborationsregierung mit dem Dritten Reich zu führen).

Die Deutschen beließen dagegen ihre 5. Armee an der Front und ersetzten die Verluste nur sporadisch durch frisch gezogene Jahrgänge. Das führte zur „Ausblutung“ und „Skelettierung“ ganzer Einheiten, deren Überlebende sich als „Geopferte“ sahen, die von der „Heimat“ allein gelassen wurden. „Dieser negative Mythos war bereits eine Vorform der späteren Dolchstoßlegende“, urteilt der Historiker und Weltkriegs-Spezialist Gerd Krumeich.

Destins de Verdun“, Memorial de Verdun, bis 28. April 2024

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