„Die Partei, die Partei, die hat immer recht“, lautet der Refrain eines alten linken Kampflieds – und ein Kommunist hinterfragt diese „Wahrheit“ nicht, und wenn er es doch tut, wird er zum Dissidenten, der bestraft werden muss. Doch der Naturwissenschaftler und überzeugte Marxist Robert Havemann hatte es im Herbst 1976 nicht nur gewagt, die allwissende Partei für ihren Umgang mit dem bei einer Tournee durch die Bundesrepublik ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann zu kritisieren. Er hatte dies sogar in einem „Organ des Klassenfeindes“ getan, nämlich dem Hamburger Magazin „Der Spiegel“. Damit stieg Havemann endgültig zu prominentesten DDR-Regimekritiker auf.
Weil er aufgrund seiner Tuberkulose anerkanntermaßen haftunfähig war, verfiel DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker auf eine andere „Lösung“ des Problems: Dem 66-Jährigen, der angeblich „die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ der SED-Diktatur bedrohe, wurde wegen des Straftatbestandes „Sammlung von Nachrichten“ (Paragraf 98 des Strafgesetzbuches der DDR) eine „unbefristete Aufenthaltsbeschränkung“ auf dem Grundstück seines Häuschens in Grünheide östlich von Berlin auferlegt.
Das war faktisch Hausarrest, und fortan sperrten DDR-Uniformierte, Volkspolizisten sowie Stasi-Leute in Uniformen der Volkspolizei die Straße ab. Mehr als zwei Jahre durften sich weder Robert Havemann noch seine Familie frei bewegen, andere Dissidenten wurden daran gehindert, ihn zu besuchen. Die Überwachung fand offen und bewusst abschreckend statt.
Doch so war Havemann nicht einzuschüchtern. Denn der 1910 in München geborene Sohn eines bürgerlichen Elternhauses hatte schon im Zweiten Weltkrieg etwa anderthalb Jahre lang in der Todeszelle gesessen. Seine Tätigkeit war ambivalent: Promoviert und habilitiert in physikalischer Chemie, arbeitete er einerseits am Kampfgasen und beteiligte sich andererseits am Widerstand gegen Hitler.
Am 5. September 1943 wurde er in Berlin festgenommen, gut drei Monate später vom Volksgerichtshof wegen „Hochverrats“ zum Tode verurteilt – und durfte dennoch in einem eigens für ihn im Zuchthaus Brandenburg-Görden eingerichteten Labor weiterforschen. Die Vollstreckung wurde immer wieder aufgeschoben, weil Havemanns Arbeit als „kriegswichtig“ angesehen wurde. Ende April 1945 befreite ihn die vorrückende Rote Armee.
Nun wurde er Übergangsdirektor der naturwissenschaftlichen Institute der vormaligen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin-Dahlem – eine Funktion, die er 1950 wieder verlor, weil er sich im Kalten Krieg auf die Seite der UdSSR stellte. Schon seit 1946 hatte er für sowjetische Geheimdienste gespitzelt, bald auch für die Stasi; er schwärzte auch Kollegen an und verriet Fluchtabsichten. 1951 trat Havemann offiziell der SED bei und wurde Professor an der Humboldt-Universität, ferner Mitglied der (bedeutungslosen) DDR-Volkskammer und erhielt den Nationalpreis.
Anfang der 1960er-Jahre jedoch änderte sich Havemanns Verhältnis zur SED: Er kritisierte die Zustände in der DDR, begann Vorlesungen über staatsphilosophische Fragen und veröffentlichte Texte in der Bundesrepublik, beim „Klassenfeind“. 1964 wurde er darauf aus der Partei ausgeschlossen, weil er sich „unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus von der Linie des Marxismus-Leninismus“ abgewandt habe. Mit anderen Worten: Er blieb bei seiner Haltung, statt nach dem Motto „Die Partei hat immer recht“ jeden Schwenk der Politbürokraten um Ulbricht und Honecker mitzumachen. Havemann verlor seine Professur und alle seine Würden.
Das aber spornte ihn nur umso mehr an. Er wusste, dass die Stasi ihn als jemanden, der von Hitlers Volksgerichtshof als NS-Gegner verurteilt worden war und in Westdeutschland Prominentenstatus genoss, nicht so hart würde verfolgen können wie andere SED-Kritiker. Schlimm genug wurde es trotzdem: Da war nicht nur der faktische Hausarrest – 1979 inszenierten die roten Herrscher sogar eine Anklage wegen angeblicher „Devisenvergehen“.
Auch davon ließ sich Havemann nicht zu Entgegenkommen drängen: Anfang 1982 veröffentlichte er mit dem Ost-Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann den „Berliner Appell“, der die heuchlerische SED-Politik in Sachen Atomrüstung entlarvte. Wenige Wochen später starb der bereits todkranke Dissident. Noch unter Honeckers Kronprinz Egon Krenz wurde Robert Havemann sechseinhalb Jahre später postum offiziell von der SED „rehabilitiert“ – doch da war es zu spät, um mit dieser Geste die Macht des Apparats zu stützen.
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