Humboldt-Universität zu Berlin

Robert Havemann

Chemiker – Kommunist – Dissident

 

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Robert Havemann, Foto: bpk / Gerhard Kiesling
Robert Havemann, Foto: bpk / Gerhard Kiesling

Robert Havemann, seit 1932 Mitglied der KPD, war ein deutscher Chemiker und Kommunist. 1943, kurz nach seiner Habilitation an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, initiierte er die antifaschistische Widerstandsgruppe „Europäische Union“ und engagierte sich für die „Rote Kapelle“.

Er wurde daraufhin 1943 von der Gestapo inhaftiert und noch im selben Jahr vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. 1945 befreite ihn die Rote Armee aus der Haft.

Nach dem Krieg war er zunächst als wissenschaftlicher Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie (heute Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft) in der amerikanischen Besatzungszone tätig, wo er jedoch – wegen seiner Kritik am Bau der Wasserstoffbombe – alsbald in Ungnade fiel und entlassen wurde. Daraufhin siedelte er 1950 in die DDR über und wurde an der Humboldt-Universität zum Direktor des Instituts für physikalische Chemie und Professor für physikalische Chemie ernannt.

Mit Nachdruck trat Robert Havemann für seine Vision einer kommunistischen Gesellschaft ein, die zugleich aber freie Intellektualität und bürgerliche Grundrechte gewähren sollte. Beides sah er in der DDR seit etwa der Mitte der 60er Jahre zunehmend verletzt. Zu Beginn hielt er die DDR noch für den besseren deutschen Staat; bis 1963 war er Mitglied der Volkskammer (drei Wahlperioden) und kooperierte mit dem Ministerium für Staatssicherheit.

Zwiespältige Rolle an der HU

In den 50er Jahren hat Havemann an der Humboldt-Universität eine durchaus zwiespältige Rolle gespielt. So tragen Relegations- bzw. Exmatrikulationsbescheide an politisch nicht-konforme Studierende seine Unterschrift als Studentendekan bzw. Prorektor für Studentenangelegenheiten, Kollegen, die als „unzuverlässig“ galten, wurden denunziert oder benachteiligt.  So verhinderte er z. B. 1958 aktiv und gegen das Votum der Berufungskommission die Berufung des Chemikers Karlheinz Friedrich (1913-1986) zum Professor, weil dieser nicht bereit war, eine privat geführte Apotheke, die er und seine Frau von den Eltern übernommen hatten, verstaatlichen zu lassen.

Konflikte mit der SED

Ab dem Jahreswechsel 1963/1964 geriet Havemann allerdings zunehmend selbst in Konflikte mit der SED, der er 1951 beigetreten war. Ausgangspunkt war eine damals sehr populäre Vorlesungsreihe über Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme an der Humboldt-Universität, die sich u. a. kritisch mit dem Freiheitsbegriff auseinandersetzte und Kritik am Dogmatismus in der DDR-Philosophie bzw. -Politik übte. Nachdem die Vorlesungsreihe 1964 bei Rowohlt in der Bundesrepublik erschienen war, neben einem DDR-kritischen Zeitungsinterview, wurde er aus der Partei ausgeschlossen, verlor die Professur und seinen Sitz in der Akademie der Wissenschaften.

1976 protestierte Robert Havemann gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Daraufhin wurde er an seinem Wohnsitz in Grünheide für drei Jahre unter Hausarrest gesetzt. Auch danach überwachte ihn die Stasi lückenlos, wobei der entsprechende „operative Vorgang“ unter demselben Decknahmen („Leitz“) abgewickelt wurde, den Havemann sich als „Geheimer Informator“ (GI) der Stasi einst selbst gewählt hatte. Weder Berufsverbot noch Hausarrest jedoch waren für ihn Anlass, von seinen DDR-kritischen Positionen abzurücken. Weiterhin publizierte er oppositionelle Schriften und Interviews, die in der Bundesrepublik erschienen. Im Januar 1982, kurz vor seinem Tod, initiierte er zusammen mit Rainer Eppelmann den Berliner Appell „Frieden schaffen ohne Waffen“ für eine gesamtdeutsche Friedensbewegung. Sieben Jahre später, 1989, gründeten u. a. seine Witwe Katja Havemann, Bärbel Bohley, Jens Reich und weitere Bürgerrechtler der DDR in seinem Haus in Grünheide das „Neue Forum“, das in der Folgezeit wichtige Anstöße für die friedliche Revolution gab. 

Havemann war eine durchaus widerspruchsvolle Persönlichkeit, die der Nachwelt bis heute Rätsel aufgibt. Mit allen politischen Systemen stand er – nach einer gewissen Zeit der tatkräftigen, teils auch skrupellosen, Unterstützung – auf Kriegsfuß. Das geschah immer in dem Moment, wo er erkannte, wie sie sich gegen bürgerliche Freiheiten wandten: vom Nationalsozialismus über die amerikanische Besatzungsmacht in Westberlin bis zur DDR, wobei er anfangs diesen Systemen gedient hatte, sich aber mit ihnen überwarf, als sie begannen, ihn in seiner freien Meinungsbildung einzuschränken und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Im April 1982 starb Robert Havemann an den Folgen einer Tuberkulose, die er sich in seiner Nazi-Haft zugezogen hatte. Mit seiner persönlichen Entwicklung vom Kommunisten zum Dissidenten und Bürgerrechtler, vor allem seiner Konsequenz und Unerschrockenheit, wurde Havemann zu einer prägenden Identitätsfigur der DDR-Bürgerrechtsbewegung. 

Schriften (in Auswahl)

  • Dialektik ohne Dogma? Naturwissenschaft und Weltanschauung, Reinbek 1964.
  • Fragen, Antworten, Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten, München 1970.
  • Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie, München 1980 (mehrere Aufl.).
  • Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde. Texte eines Unbequemen, hg. von Dieter Hoffmann und Hubert Laitko, Berlin 1990.
Literatur (in Auswahl)
  • Florath, Bernd (Hg.): Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente, Göttingen 2016.
  • Polzin, Arno: Der Wandel Robert Havemanns vom Inoffiziellen Mitarbeiter zum Dissidenten im Spiegel der MfS-Akten, BStU Berlin, BF informiert H. 26, 2005.
  • Amberger, Alexander: Bahro, Harich, Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR, Paderborn 2014.
  • Hoffmann, Dieter: Havemann, Robert, in: Wer war er in der DDR?, Bd. 1, Berlin 2010.
Quellen

 

Robert Havemann: 11. März 1910 (München) – 9. April 1982 (Grünheide)

 


 

Robert Havemann

11th March 1910 (Munich) – 9th April 1982 (Grünheide)

 

Chemist – Communist – Dissident

 

 

Robert Havemann, Foto: bpk / Gerhard Kiesling
Robert Havemann
Photo: bpk / Gerhard Kiesling

Robert Havemann, a member of the Communist Party of Germany (KPD) since 1932, was a German chemist and Communist. In 1943, shortly after qualifying as a professor at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, he initiated the anti-fascist resistance group Europäische Union (European Union) and was involved in the Red Orchestra (Rote Kapelle). He was subsequently imprisoned by the Gestapo in 1943 and sentenced to death that same year by the People’s Court for high treason.

In 1945, the Red Army released him from prison. After the war, he first worked as scientific director of the Kaiser Wilhelm Institute for Physical Chemistry and Electrochemistry (now the Fritz Haber Institute of the Max Planck Society) in the American occupation zone, though he quickly fell from favour there – for criticising the creation of the hydrogen bomb – and was dismissed. He subsequently relocated to the GDR in 1950 and was appointed director of the Department of Physical Chemistry and professor of physical chemistry at the Humboldt-Universität.

Robert Havemann advocated vigorously for his vision of a communist society, which, at the same time, was to grant unfettered intellectualism and basic civil rights. He saw both as increasingly violated in the GDR since around the mid-1960s. In the early days, he considered the GDR to be the better German state; up until 1963, he was a member of the Volkskammer (for three parliamentary terms) and cooperated with the Ministry of State Security.

 

Mixed role at the Humboldt-Universität

In the 1950s, Havemann played an altogether mixed role at the Humboldt-Universität. For example, decisions to expel or de-register politically non-compliant students bear his signature as the dean of students or the pro-rector for student affairs, and colleagues who were considered “unreliable” were denounced or disadvantaged. In 1958, for instance, he actively prevented the professorial appointment of the chemist Karlheinz Friedrich (1913–1986), against the vote of the appointments committee, because Friedrich was not prepared to allow a privately run pharmacy, which he and his wife had taken over from their parents, to be nationalised.

Conflicts with the SED

However, from the turn of the year 1963 to 1964, Havemann himself increasingly came into conflict with the SED (Socialist Unity Party of Germany), which he had joined in 1951. The initial basis for this was a very popular lecture series on the Scientific Aspects of Philosophical Problems at the Humboldt-Universität, which, among other things, critically examined the con-cept of freedom and criticised dogmatism in GDR philosophy and politics. After the lecture series was published in the Federal Republic of Germany in 1964, by Rowohlt, on top of a newspaper interview that was critical of the GDR, he was expelled from the party and lost both his professorship and his seat at the Academy of Sciences.

In 1976, Robert Havemann protested against the denaturalisation of singer-songwriter Wolf Biermann. As a result, he was placed under house arrest for three years at his home in Grün-heide. Even after that, the Stasi monitored him continuously, and the pursuant “operational pro-cedure” was handled under the same code name (“Leitz”) that Havemann had once chosen for himself as a “Secret Informant” (Geheimer Informator – GI) of the Stasi. However, neither suspension from his profession nor house arrest prompted him to back away from his critical stances towards the GDR. He continued to publish oppositional writings and interviews, which were released in the Federal Republic. In January 1982, shortly before his death, together with Rainer Eppelmann, he launched the Berlin appeal Frieden schaffen ohne Waffen (Make peace without arms) for an all-German peace movement. Seven years later, in 1989, his widow, Katja Havemann, together with Bärbel Bohley, Jens Reich and other civil rights activists of the GDR, founded the New Forum at his house in Grünheide, which subsequently provided important impetus for the Peaceful Revolution.

Havemann was an altogether contradictory personality, who continues to puzzle posterity to this day. He was at loggerheads with all political systems – following a certain period of active, sometimes also unscrupulous, support. This always happened the moment he recognised how they opposed civil liberties: from National Socialism to the American occupation forces in West Berlin, to the GDR, where he had initially served these systems, but then fell out with them when they began to restrict him from forming free opinions and to instrumentalise him for their purposes.

In April 1982, Robert Havemann died from sequelae of tuberculosis, which he had contracted during his imprisonment by the Nazis. With his personal development from Communist to dis-sident and civil rights activist, and, above all, his persistence and fearlessness, Havemann became a formative role model of the GDR civil rights movement.

Written works (selection)

  • Dialektik ohne Dogma? Naturwissenschaft und Weltanschauung (Dialectics without dogma? Natural science and ideology), Reinbek 1964.
  • Fragen, Antworten, Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten, Munich 1970 (English: Questions, Answers, Questions: From the Biography of a German Marxist, New York 1972).
  • Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie (Tomorrow. Industrial society at a crossroads. Critique and real utopia), Munich 1980 (several editions).
  • Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde. Texte eines Unbequemen (Why I was a Stalinist and became an anti-Stalinist. Texts by someone who is a nuisance), edited by Dieter Hoffmann and Hubert Laitko, Berlin 1990.
References (selection)
  • Florath, Bernd (Hg.): Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente, Göttingen 2016.
  • Polzin, Arno: Der Wandel Robert Havemanns vom Inoffiziellen Mitarbeiter zum Dissidenten im Spiegel der MfS-Akten, BStU Berlin, BF informiert H. 26, 2005.
  • Amberger, Alexander: Bahro, Harich, Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR, Paderborn 2014.
  • Hoffmann, Dieter: Havemann, Robert, in: Wer war er in der DDR?, Bd. 1, Berlin 2010.
Sources (in German)

 

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