Die Bewertung dieses Films als Kunstwerk ist eigentlich nicht mehr möglich. „Die Flut – Tod am Deich“ eine Verfilmung des Romans „Hauke Haiens Tod“ von Robert Habeck, heute Grünen-Politiker und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, und seiner Frau Andrea Paluch, immer noch Schriftstellerin, ist nicht mehr nur Werk. Es ist auch Regierungserklärung, wenn sie diesen Samstagabend in der ARD läuft – egal, ob gewollt oder nicht.
Für den Schriftsteller und Künstler Robert Habeck muss das Scheiße sein, Vizeregierungschef und Wirtschaftsminister zu sein. Er ist natürlich selbst schuld. Es hat ihn niemand gezwungen, den Beruf des Politikers zu ergreifen. Seriöse Kunst kann man nicht mehr machen, wenn man ein Amt hat. Vor allem nicht politische Kunst. Aber das Buch erschien 2001, ein Jahr also, bevor Habeck überhaupt den Grünen beitrat.
Aber jetzt zum Film, der eine sehr freie und moderne Adaption von Theodor Storms Klassiker „Der Schimmelreiter“ ist. Am Anfang peitschen Stürme über Inseln. Riesige Wellen. Dunkle Wolken. Weltuntergang. Es ist ein krasser Retroflash in die düstere Zeit deutscher Unterhaltung, als Leute noch Filme im Privatfernsehen mit Benno Fürmann, Natalia Wörner oder Ingo Naujoks gucken mussten, die „Die Sturmflut“ oder „Tsunami – Terror in der Nordsee“ hießen.
Aber dann wiederum sind die Farben und die Kameraführung besser. Und man denkt, es könnte fast ein Letzte-Generation-Porno sein. Und irgendjemand reitet auf einem Pferd über den Deich. Wir sehen die dunklen leeren Augen eines Mädchens, wir sehen die gleichen Psychosen, den gleichen Wahn, wie in den Augen derjenigen, die sich auf Richtertische, Autos und Straßen kleben.
Dann entwickelt sich „Die Flut – Tod am Deich“ aber zu einem fast komisch-traurigen Heimat-Roadmovie. Vorsicht: Ab jetzt sind in diesem Text Spoiler zur Handlung zu lesen.
Tatsächlich ganz witzig
Die zwei psychisch wie auch sonst versehrten Hauptfiguren Wienke (Philine Schmölzer) und Iven (Anton Spieker) fahren von Hamburg zurück in ihr ehemaliges Heimatdorf Stegebüll. Das ist dort, wo vor 15 Jahren jene Flut vom Anfang gewütet hat und eine ganze Familie ausgelöscht haben soll.
Wienke ist eine Überlebende der Katastrophe, die unter falschem Namen in Hamburg in einer betreuten Wohneinrichtung lebt. Sie ist irgendwas zwischen Autistin und Frau mit Zwangsstörung. Ihre Eltern und ihre Geschichte kennt sie nicht. Aber sie ahnt etwas, als sie Iven im Fernsehen reden hört. Der arbeitet als Türsteher in einem Bordell und hat einen Kunden – einen Polizisten – verprügelt, weil der eine Hure belästigt hat. Dafür wurde Iven verurteilt. Deswegen wird er interviewt. Wienke hört diese Stimme aus ihrer Vergangenheit. Sie erhofft sich von Iven Klarheit über ihre Vergangenheit und sucht ihn.
Wienke findet Iven schließlich zwischen den Puffs der Herbertstraße. Und, dass es kein Retro-Aufklatsch der furchtbarsten Werke Benno Fürmanns oder Natalia Wörners ist, zeigt hier die Musikauswahl zu den wirklich toll gefilmten Szenen. Während die Kamera über Titten und Ärsche auf St. Pauli fährt, läuft im Hintergrund der österreichische Rapper Yung Hurn: „Sie hat Wichse auf ihrem G‘sicht, sie braucht Zewa (Ups) / Wisch weg, weil da klebt was (Wups)“, rappt dieser da. Das ist höchst stimmig komponiert.
Der Look des Films ist toll: gute Hauttöne. Satte Farben. Sieht alles zehnmal besser aus als der deutsche Durchschnittsfilm.
Wienke und Iven fahren dann jedenfalls in dem tiefergelegten Oldtimer einer Hure – hinten drauf ist ein Sticker „Hup so viel, wie du willst, meine Muschi kriegst du nie“ – in den 130 Kilometer von Hamburg entfernte fiktiven Ort Stegebüll an die Küste Schleswig-Holsteins. Dort will Wienke herausfinden, wer sie ist und wer ihre Eltern waren.
Und nach den Yung-Hurn-Lines und dem Muschi-Aufkleber fragt man sich natürlich sofort, was Habecks Parteigenossen, die in Stuttgart oder München gegen die Darstellung von Busen auf Volksfesten kämpfen wie Don Quijote gegen Windmühlen, dazu wohl sagen werden.
Der Film aber lebt von Gegensätzlichkeit. Da das ruhige Meer bei Sonnenschein, da die tödliche Gefahr bei Sturmflut. Da Wienke, die Wahrscheinlich-Autistin, ruhig, zurückgezogen, mit trockenem Humor, und dort Iven, der Alkoholiker mit Aggressionsproblemen, der allzu oft durchdreht.
Die Dialoge sind teils sehr komisch. Vor allem, weil sie trocken und nicht so klamaukig sind wie bei „Stromberg“ oder anderen deutschen Serien. „Ich habe zwei Zahnbürsten“, sagt Wienke in ihrer zwanghaften Art, „eine für morgens, eine für abends.“ Das ist kein Witz. Aber witzig ist es trotzdem.
Und als ein junger Postbote, mit dem sie anbandeln möchte, ihr einen Witz erzählt und sie lacht, sagt er: „Eigentlich finden Frauen meine Witze nicht lustig. Aber du lachst.“ Wienke sagt: „Männer mögen es, wenn Frauen über ihre Witze lachen. Aber ich mag dich auch so.“
Die Aufregung um den Film, weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Verfilmung eines Habeck Buchs zeigt, ist des Falls wegen verständlich. Tatsächlich ist es einfach nicht klug, den Stoff des Vizekanzlers, finanziert durch Rundfunkbeiträge, im Fernsehen zu zeigen.
Der Film aber geht voll okay. Nicht unendlich geil. Nicht unendlich schlimm. Und am Ende läuft immerhin Tocotronics „Ich möchte irgendwas für Dich sein“. Der Postbote und Wienke schauen aufs Meer. Und Detlev Buck und Franziska Weisz treiben als Wasserleichen wie einst Nick Cave und Kylie Minogue in „Where the Wild Roses Grow“ in der Nordsee.
„Die Flut – Tod am Deich“ ist in der ARD-Mediathek zu sehen. Das Erste strahlt den Film diesen Samstag um 20.15 Uhr aus.