Richard H. Thaler

Nobelpreis 2017 | Perspektiven der Nudge-Theorie und Verhaltensökonomik

Richard Thaler nimmt sich selbst nicht allzu ernst. Er lacht gerne und viel, beantwortet Fragen mit Geschichten und sein Büro bietet einen ausgefallenen Mix aus Studierzimmer und Spielwiese. Er begann seine Berufslaufbahn, indem er zunächst einmal das Fachgebiet selbst kritisierte. Heute gibt er zu, dass das vielleicht etwas verrückt war, dass er aber Glück hatte. Nach fast 40 Jahren in diesem Fachgebiet kann man mit Gewissheit sagen, dass etwas mehr als nur Glück im Spiel war.

Richard H. Thaler

Richard H. Thaler

Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 2017

Auf einen Blick

Geboren: 1945, East Orange, USA

Fachgebiet: Verhaltensökonomie

Preis: Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, 2017

Ausgezeichnetes Werk: Einbeziehung psychologisch realistischer Annahmen in Analysen der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung

Rot oder weiss: «Die erste Pflicht eines Weins ist, dass er rot sein muss.»

Lieblingshobby: Golf

Bestes Geschenk: Ein «NEIN!»-Anstecker oder seine «Nein-Glocke», ein Geschenk von Alvin Roth

Ein schwarzes Schaf

Als bekannt gegeben wurde, dass Thaler den Nobelpreis erhalten habe, rief dies einige Kontroversen hervor. Während einige Ökonomen die Einführung der Psychologie in den Fachbereich begeistert aufnahmen, äussern sich andere immer noch sehr skeptisch über die Verschmelzung der beiden Bereiche. Dies ist ein Kampf, den Thaler während seiner gesamten Berufslaufbahn ausgefochten hat. Der Zwist begann bereits mit einer Kolumne, die er in den 1980er Jahren schrieb. Thaler nannte die Kolumne, die in dem von der American Economic Association (AEA) veröffentlichten Journal of Economic Perspectives erschien, «Anomalies», ein ironischer Name, der auf seinen allgemeinen Ansatz anspielte.

Daniel Kahneman, ein anderer mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Verhaltensökonom, beschrieb Thalers Artikel als «schlichtweg brillant, witzig und in gewisser Weise stets vernichtend für eine bestimmte Theorie». Kahneman geht so weit, der Kolumne einen signifikanten Einfluss auf die Akzeptanz der Verhaltensökonomie zuzuschreiben.

«Ich befasse mich seit 40 Jahren damit und sage immer, ich glaube nicht, dass ich irgendjemand von seiner Meinung abgebracht habe», sagt Thaler. «Die Menschen ändern ihre Meinung nicht. Daher habe ich zu dieser Strategie gegriffen, die Jugend zu korrumpieren und junge Ökonomen für das Thema zu interessieren und zu begeistern.»

Mit kleinen Anstössen ins Rampenlicht

Thaler liess seine regelmässige Kolumne hinter sich und begann, Bücher zu schreiben. Das Buch, das ihm die grösste Aufmerksamkeit eintrug, Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness, (zu Deutsch Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstösst), ist ein New York Times Bestseller und untersucht, die Entscheidungen, mit denen wir täglich konfrontiert sind. Das Buch führt das Konzept der Entscheidungsarchitektur ein. Das Argument lautet, dass Menschen eine Struktur brauchen, um Entscheidungen zu treffen. Darin liegt wiederum die Chance, Strukturen zu schaffen, die Menschen zu besseren Entscheidungen bewegen.

«Die Idee eines Anstosses (engl. «nudge») ist, dass wir Entscheidungen nie isoliert treffen», erklärt er. «Sie können Anstösse nicht vermeiden, so wie Sie eine Entscheidungsarchitektur nicht vermeiden können.»

Er zieht die Cafeteria an der University of Chicago Booth School of Business, wo er als Professor angestellt ist, als Beispiel heran: Das Erste, was man sieht, wenn man die Cafeteria betritt, ist eine Salatbar. «Dies ist ein Beispiel dafür, wie etwas, das zunächst scheinbar unwichtig erscheint, Einfluss darauf haben kann, was die Menschen essen, und sie dazu bewegen kann, sich gesünder ernähren», erklärt Thaler. «Irgendwie muss man die Inneneinrichtung der Cafeteria ja gestalten. Warum nicht auf eine gute Art und Weise?»

Nun könnte man argumentieren, dass die Menschen auch ohne absichtlich gestaltete «Entscheidungsarchitektur» letztendlich Entscheidungen treffen würden. Thaler sieht dieses Argument jedoch nicht als sehr zugkräftig an. Er bezeichnet sich selbst gern als Menschen mit dem schlechtesten Orientierungssinn der Welt und nutzt daher gerne GPS-Systeme für Analogien. Im Grunde genommen ist ein GPS ein Instrument, das Ihnen dabei hilft, dorthin zu gelangen, wo Sie hinkommen möchten: Es schreibt Ihnen nicht vor, wo Sie hingehen sollen, sondern sagt Ihnen nur, wie Sie dorthin gelangen.

«Stellen Sie sich vor, wir hätten ein Navigationssystem für unser Leben, das es uns leichter macht, dahin zu kommen, wo wir hinwollen, ohne dass uns jemals befohlen wird, was wir zu tun haben», schlägt er vor.

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«Irgendwie muss man die Einrichtung ja gestalten. Warum nicht auf eine gute Art und Weise?

Ein kleiner Anstoss mit grosser Wirkung

Das Prinzip der kleinen Anstösse – «Nudging» – beschränkt sich nicht auf Salatbars und das rechtzeitige Eintreffen am gewünschten Ziel. Es ist auch in Bereichen wie Pensionssystemen, Konsumverhalten und im Gesundheitswesen anzutreffen. Vor allem wenn es um Gesundheitssysteme geht, ist das Potenzial nicht nur enorm, sondern es könnte auch Leben retten. Die Technologie existiert bereits – und ist für jeden zugänglich, der ein Smartphone hat: Mit einer einfachen App können Sie Ihre Schritte zählen, Ihre Kalorienzufuhr verfolgen und festhalten, wie viele Stunden Schlaf Sie bekommen. Für Diabetiker gibt es sogar Technologien, die den Blutzuckerspiegel überwachen. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, wie die nächsten Schritte in dieser Entwicklung aussehen könnten. Von eingepflanzten Chips, die den Herzrhythmus überwachen, bis zu Geräten, die automatisch bestimmte Medikamente verabreichen – Thaler sieht unbegrenzte Möglichkeiten.

«Das geht über einen kleinen Anstoss hinaus, nicht wahr?», fragt er, obwohl er die Antwort genau kennt. «Das ist bereits die Übernahme von Entscheidungen. Doch in vielen Fällen ist es genau das, was wir möchten. Genauso wie selbstfahrende Autos können wir auch Medikamente haben, die sich selbst verabreichen.»

Technologien, die gut für Verhaltensanstösse geeignet sind, können ebenso bei Instrumenten eingesetzt werden, die globale Ergebnisse erzielen sollen. Von intelligenten Thermostaten bis zu intelligenten Fernsehapparaten werden Geräte, die in verschiedene Energiesparmodi wechseln, die Norm werden.

«Es gibt einfach Dinge, wie die Etikettierung, mit denen wir unseren Energieverbrauch verbessern können», betont er. «Wir werden besser. All dies sind kleine Dinge, doch wir können den Klimawandel nur bekämpfen, wenn wir ganz viele kleine Dinge verändern.»

Die Fungibilität von Geld

Ein weiterer von Thaler entwickelter Begriff ist die mentale Buchhaltung. Einfach ausgedrückt, bezeichnet dies, wie die Menschen ihr Geld verwalten und zuordnen. Die meisten Menschen legen, genau wie Unternehmen, bestimmte Geldbeträge für bestimmte Dinge und Aktivitäten beiseite. Sie stellen gewissermassen ein Budget auf. Geld als etwas nicht Austauschbares zu behandeln, ist jedoch nicht immer rational. Wenn das Ausstattungsbudget eines Unternehmens erschöpft ist und ein Drucker kurz vor dem Ende des Geschäftsjahres den Geist aufgibt, wird einfach kein neuer Drucker bestellt. Das gleiche Unternehmen hat möglicherweise im Reisebudget noch Geld übrig, obwohl in diesem Jahr keine Reisen mehr anstehen. Dennoch wird der Antrag auf einen neuen Drucker abgelehnt.

«Geld in bestimmte Schubladen zu stecken, hat meiner Meinung nach eine lange Geschichte und dient einem Zweck», so Thaler. «Es beginnt also mit einem vernünftigen Grund, wird aber dann dermassen weit getrieben, dass es einfach nicht mehr sinnvoll ist.»

In einem anderen Beispiel von Thaler geht es um ein neues Paar Schuhe zum Sonderpreis. Kaufen Sie die Schuhe, nur weil sie im Angebot sind? Nehmen wir einmal an, Sie kaufen die Schuhe, aber diese drücken ganz furchtbar. In diesem Fall lautet die Frage, wie lange sie hinten im Schrank liegen und nie wieder getragen werden, bevor Sie endlich beschliessen, sich von ihnen zu trennen. Dies ist ein klarer Fall von «Sunk Cost Fallacy», also eines Irrtums der versunkenen Kosten.

«Ich wette, je mehr Sie dafür bezahlt haben, umso länger liegen sie hinten im Schrank, bevor Sie sie wegwerfen», schlägt er vor.

Als Thaler den Nobelpreis gewann, der auch mit einer ansehnlichen Geldsumme verbunden ist, wurde er häufig gefragt, was er mit dem Geld tun wolle. «Für einen Verhaltensökonomen ist das eine amüsante Frage, denn wie soll ich das wissen?», fragt er.

Er scherzt über die Möglichkeit, ein Konto einzurichten, auf das er das Preisgeld einzahlen könnte – das Nobel-Konto –, von dem er dann Käufe mit der Nobel-Karte bezahlen könnte. «Ob das nun intelligent oder dumm wäre – auf jeden Fall würde es von anderen Ökonomen kontrovers aufgenommen», vermutet er. «Sie würden sagen, das ist dumm, denn Geld ist schliesslich fungibel. Andererseits könnte es das Leben amüsanter machen, wer will daher behaupten, das sei dumm?»

Die verborgene Psychologie des Investierens

In den letzten 25 Jahren war Thaler an der Vermögensverwaltungsgesellschaft Fuller & Thaler beteiligt, die sich speziell auf Behavioral Finance und Investmentmanagement konzentriert, ein Anwendungsbereich, in dem dieses Unternehmen Pionierarbeit geleistet hat. Die Kombination von psychologischer Theorie und Finanzwissenschaften, um Erklärungen dafür zu liefern, warum Menschen irrationale Anlageentscheidungen treffen, steht im Zentrum ihrer Tätigkeit.

«Wir haben festgestellt, dass es Klassen von Situationen gibt, in denen Anleger systematische Fehler machen. Daraus entstehen dann Kaufgelegenheiten», berichtet er. «Wir ordnen diese Fehler in zwei Kategorien ein, Überreaktion und Unterreaktion.»

«Die Menschen zögern, eine Aktie zu verkaufen, mit der sie Geld verloren haben», erläutert er. «Wenn Sie eine Aktie verkaufen, die gefallen ist, müssen Sie sich eingestehen, dass Sie einen Fehler gemacht haben. Wenn Sie sie dagegen weiter halten, besteht immer die Hoffnung, dass sie sich wieder erholt.»

Planen für das Unplanbare

Wie Thaler hervorhebt, ist die Schwierigkeit des Sparens für die Altersvorsorge ein verhältnismässig neues Problem für unsere Spezies. Wenn Sie vor 100 Jahren ein langes Leben hatten, konnten Sie erwarten, dass sich Ihre Kinder im Alter um Sie kümmern würden. Doch der Zerfall des Familienverbands hat in Verbindung mit der längeren Lebenserwartung ein neues gesellschaftliches Problem geschaffen. Betriebsrenten, die einst eine Lösung zu bieten schienen, waren von relativ kurzer Dauer.

«Die Unternehmen wollten diese Art von Altersversorgung nicht mehr anbieten. Daher müssen die Angestellten jetzt selbst herausfinden, wie viel sie sparen möchten und wie sie das Geld investieren», so Thaler. «Das ist wirklich ein schwieriges Problem, bei dem wir ihnen helfen müssen.»

In den USA wurden einige recht neue Programme aus der Taufe gehoben. Und laut Thaler ist dies ein Bereich, in dem die Verhaltensökonomie grosse Wirkung zeigt. Die meisten Unternehmen in den USA setzen heute drei spezifische Strategien ein, um die Dinge zu vereinfachen und einen Anstoss zu geben. Automatische Anmeldung, automatische Eskalierung und Schaffung von Standard-Anlageinstrumenten.

«Mein Mantra bei der Ausgestaltung der Politik lautet: Wenn man Menschen dazu bringen möchte, etwas zu tun, muss man es einfach machen», meint Thaler. «So haben wir das Sparen für die Altersvorsorge einfacher gemacht. Wir möchten die gleiche Strategie überall anwenden, wo es nur geht.»

Wenn man Menschen dazu bringen möchte, etwas zu tun, muss man es einfach machen

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Die Zukunft des Gebiets

Wenn jemand so einflussreich ist, wie Thaler für die Wirtschaftswissenschaften, kann man doch sicher annehmen, dass er mit aufschlussreichen Prognosen zur Zukunft des Fachgebiets aufwarten kann. Aber wie so oft bei ihm, beginnt er mit einer spassigen Geschichte, bevor er auf den Punkt kommt.

«Wie der berühmte amerikanische Baseballspieler Yogi Berra einst sagte: «Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn Sie die Zukunft betreffen», schmunzelt er. «Eine Feststellung, die ich treffen kann, ist, dass die Wirtschaftswissenschaften als Forschungsgebiet in den letzten 30 Jahren immer empirischer geworden sind. Und ich denke, es steht zweifelsfrei fest, dass Ökonomen die versiertesten Nutzer von Daten in den Sozialwissenschaften sind.»

Doch diese Position an vorderster Front der Datenwissenschaften und des maschinellen Lernens bedeutet auch, dass der durchschnittliche Ökonom in den kommenden Jahren zunehmend im Privatsektor arbeiten wird, meint Thaler. Ob nun im E-Commerce oder in anderen B2C-Unternehmen, seiner Ansicht nach werden Ökonomen künftig mit KI-Designern und anderen Entwicklern zusammenarbeiten.

Ein grosser Teil von Thalers eigener Karriere und seiner allgemeinen Lebensanschauung, beruht darauf, dass es für ihn wichtig ist, das zu tun, was er am liebsten tut. Er ermutigt andere, dies ebenfalls in Betracht zu ziehen.

«Wenn Sie können, suchen Sie sich eine Arbeit, die Sie persönlich befriedigt», rät er. «Aus dem Munde eines Professors klingt das vielleicht nach einem recht simplen Ratschlag. Aber wenn man die Schule beendet hat, muss man viele Entscheidungen treffen. Und einige der Optionen werden einfach befriedigender sein als andere.»

«Ökonomen würden vielleicht sagen, dass sie auch ihren Spass haben. Aber man muss schon sehr genau hinsehen, um ihn in dem Modell vorzufinden», sagt er lächelnd. Und er ist sich sehr wohl bewusst, dass er nicht zu dieser Art von Ökonomen gehört.

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