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Zweiter Weltkrieg Richard Sorge

Hitlers Minister gratulierte Stalins Top-Spion

Ein Antiquar hat einen Brief des NS-Außenministers an den Journalisten und sowjetischen Top-Agenten in Tokio, Richard Sorge, gefunden. Darin dankt Ribbentrop ihm für seinen „besonderen Beitrag“.
Lob für den Mann im fernen Tokio: Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (r.; 1893-1946) und sein Mitarbeiter und Agent Richard Sorge (1895-1944) Lob für den Mann im fernen Tokio: Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (r.; 1893-1946) und sein Mitarbeiter und Agent Richard Sorge (1895-1944)
Lob für den Mann im fernen Tokio: Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (r.; 1893-1946) und sein Mitarbeiter und Agent Richard Sorge (1895-1944)
Quelle: pa/ CPA Media,akg-images

Zum 43. Geburtstag bekommt man normalerweise Glückwünsche von Freunden und Verwandten. Eine Gratulation vom obersten Dienstvorgesetzten ist dagegen eher ungewöhnlich.

Dennoch schickte das Büro von Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop Anfang Oktober 1938 einen Brief an Richard Sorge, den Presseattaché der deutschen Botschaft in Tokio. In dem Schreiben wurde der „besondere Beitrag“ Sorges in Japans Hauptstadt gelobt; als Aufmerksamkeit lag ein signiertes Foto des Außenministers mit im Umschlag.

Der Brief ist jetzt, 70 Jahre nach dem Kriegsende in Europa, wieder aufgetaucht. Ein Buchhändler in Japan entdeckte ihn. Das Schreiben sei vor allem „interessant, weil es vermuten lässt“, dass die Nazis dem Spion deutsch-russischer Abstammung vertraut hätten, sagte Yoshio Okudaira von der Buchhandlung Tamura Shoten in Tokio.

Der Brief sei Teil eines Bündels von Dokumenten mit Bezug zur NS-Zeit gewesen, die ein Kunde im Nachlass eines Verwandten gefunden habe. Der Finder habe den Inhalt der Papiere nicht einordnen können. Nach Okudairas Angaben sollen der Brief und die Fotografie nun versteigert werden.

Richard Sorge, geboren 1895, war seit 1919 überzeugter Kommunist. Der studierte Nationalökonom erhielt Mitte der 1920er-Jahre eine Ausbildung in Moskau und war anschließend, immer getarnt als Journalist, als Agent für sowjetische Geheimdienste unter anderem in China tätig. 1933 – in Deutschland war inzwischen Hitler an der Macht – entsandte ihn die liberale, verdeckt regimekritische „Frankfurter Zeitung“ als Korrespondenten nach Tokio.

Da Sorge sich gut mit dem deutschen Militärattaché in Tokio, Eugen Ott, verstand, wurde er immer enger in die Arbeit der Botschaft einbezogen, schließlich sogar zum Presseattaché berufen. Zum Schein trat der immer noch überzeugte KPD-Anhänger sogar in die NSDAP ein. Als Ott zum Botschafter aufstieg, eröffneten sich ihm noch viel bessere Informationsquellen.

In Tokio knüpfte Sorge neben seiner offiziellen Tätigkeit ein enges Netz von Kontaktpersonen, die ihn mit Informationen versorgten. Meist im Glauben, der eindrucksvolle, charismatische Mann habe einen direkten Draht nach Berlin. Tatsächlich aber gingen viele teilweise brisante Einzelheiten per Funk nach Moskau.

Zum Beispiel unterrichtete Sorge auf diesem Weg die Sowjetunion, dass Adolf Hitler im Juni 1941 den Nichtangriffspakt brechen und die Sowjetunion angreifen wolle. Doch darauf reagierte Stalin zunächst nicht. Als Sorge aber ein knappes halbes Jahr später berichtete, Japan werde vom Osten keine Front eröffnen und die Sowjetunion angreifen, war Stalin überzeugt. Die sowjetische Führung verlegte ausgeruhte Elitetruppen nach Westen, was als entscheidend für den Sieg der Roten Armee in der Schlacht von Moskau im Dezember 1941 gilt.

Der japanische Kaiser Hirohito und der deutsche Botschafter Herbert von Dirksen. Mit Hilfe einer Fotomontage gelangte Richard Sorge im Hintergrund auf das Foto
Der japanische Kaiser Hirohito und der deutsche Botschafter Herbert von Dirksen. Mit Hilfe einer Fotomontage gelangte Richard Sorge im Hintergrund auf das Foto
Quelle: picture alliance / akg-images

Warum Ribbentrop an Sorge schrieb, ist bisher nicht ganz klar. Von einem persönlichen Kontakt zwischen beiden ist ansonsten nichts bekannt. Denkbar scheint, dass der erst wenige Monate zuvor ins Amt gekommene Außenminister die Gelegenheit von Sorges Geburtstag nutzen wollte, um ihn sich durch eine persönliche Aufmerksamkeit zu verpflichten. Viele NS-Spitzenfunktionäre bis hinauf zu Hitler versandten signierte Fotografien als Anerkennung an Mitarbeiter.

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Richard Sorge war davon aber offensichtlich nicht beeindruckt: Er setzte seine Spionagetätigkeit für Moskau fort. Er flog auf, als die japanische politische Polizei einen seiner Kontaktleute enttarnte. Am 18. Oktober 1941 wurde Richard Sorge verhaftet; gut drei Jahre später richtete man ihn wegen Spionage hin.

Nach 1945 wurde er in sowjetisch dominierten Ländern zum Helden stilisiert, was seinem Nachruhm heute eher abträglich ist. Einer der erfolgreichsten Spione des 20. Jahrhunderts war er dennoch – jedenfalls unter denen, deren Namen überhaupt bekannt wurden.

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